Zum EU-Ukraine-Gipfel

EU verlangt von Kiew Taten

Rudolf Hermann, Neue Zürcher Zeitung, 27.02.2013

Beim EU-Ukraine-Gipfel in Brüssel vom Montag erhielt Kiew drei Monate Zeit, um klare Schritte zur Behebung der demokratischen Defizite einzuleiten. Andernfalls werde es schwierig, das Assoziations- und das Freihandelsabkommen im November am EU-Gipfel für die östliche Partnerschaft in Litauen zu unterzeichnen. Kommentatoren halten fest, dass nachher das Erweiterungs-Fenster für die Ukraine für längere Zeit oder sogar definitiv geschlossen bleiben dürfte. Angesichts des zuletzt stockenden Dialogs zwischen Brüssel und Kiew bezeichneten ukrainische Kommentatoren allein schon die Tatsache als Erfolg, dass der Gipfel überhaupt zustande gekommen sei. Verschiedene Beobachter hoben hervor, dass zumindest noch Hoffnung bestehe, die Abkommen könnten unterzeichnet werden.

Vom ukrainischen Präsidenten Janukowitsch waren am Gipfeltreffen die schon fast rituellen Beteuerungen zu hören, man werde keine Mühe scheuen, die nötigen Schritte zu tun. Angesichts des Umstands, dass er sein Land beharrlich in die Gegenrichtung steuert, bleibt allerdings offen, wie in drei Monaten in Gang gebracht werden soll, was man offenbar systematisch zu vermeiden sucht, zum Beispiel die Abkopplung der Justiz von der Exekutivmacht. Die Keule gegen die inhaftierte Oppositionsführerin Timoschenko oder den ebenfalls im Gefängnis sitzenden Ex-Innenminister Luzenko wird stärker geschwungen denn je.

Quelle: http://www.nzz.ch/aktuell/international/eu-verlangt-von-kiew-taten-1.18028900

Eine unangenehme Partnerschaft

The Economist, 02.03.2013

Nach dem Gipfel sagte José Manuel Barroso, der Präsident der Europäischen Kommission, dass Wiktor Janukowytsch sich »unmissverständlich verpflichtet« habe. Aber alles zu versprechen und nichts zu tun, war lange Zeit eine beliebte Strategie der Ukraine, sagt Julia Mostovaya, die Herausgeberin der Zeitung »Serkalo Nedeli«. Tatsächlich gründen sich Janukowytschs Hoffnungen auf ein Abkommen darauf, dass die EU die Ukraine nicht an die russische Zollunion verlieren will, und nicht auf irgendwelche Reformen von seiner Seite.

Dies würde einen Glauben und ein Bekenntnis an europäische Werte verlangen, die Janukowytsch und sein Kabinett aber nicht teilen. Vielmehr sieht er in den Verhandlungen mit der EU einen Trumpf, den er in den Verhandlungen mit Russland, das versucht, die Ukraine mit billigem Gas in ihre Zollunion zu locken, ausspielen kann. Ähnlich benutzt er Russland als eine Art Hebel, um Brüssel Zugeständnisse zu entlocken. Nun verspricht die EU der Ukraine 610 Millionen Euro, wenn sie ihr IWF-Programm wieder aufnimmt. Aber das hängt davon ab, ob die Ukraine mehr Reformen umsetzt und die lokalen Gas- und Energiepreise anhebt. Wenn politische Visionen einem Spiel mit dem Feuer weichen, ist in der Regel kein Fortschritt zu erwarten.

Quelle: http://www.economist.com/news/europe/21572830-deadline-may-reform-ukraine-unlikely-be-met-awkward-partnership

Die Zeit läuft im Mai ab

Swjatoslaw Chomenko, BBC Ukraine, 26.02.2013

Falls die Ukraine die Verpflichtungen, die sie auf dem Gipfel zugesagt hat, bis Mai nicht einlöst, wird der Abschluss des Assoziationsabkommen mit der Europäischen Union um mehrere Jahre verschoben werden. Was allerdings geschieht, wenn die Ratifizierung des Assoziationsabkommen scheitert – wonach es aktuell aussieht – wissen weder Kiew noch Brüssel.

[…] Einigermaßen sicher ist, was geschehen wird, wenn es der Ukraine gelingen sollte »konkrete Fortschritte« in den drei [in der gemeinsamen Erklärung festgehaltenen] Bereichen, die die Europäische Union für wichtig erachten, nachzuweisen. In diesem Fall wird auf dem Vilniuser Gipfel ein Assoziationsabkommen unterschrieben und von beiden Seiten ratifiziert – sowohl in der Werchowna Rada [dem ukrainischen Parlament] als auch in jedem einzelnen Parlament der Mitgliedsstaaten. Dieser Prozess wird nicht einfach werden, an seinem Ende jedoch steht die von der Ukraine gewünschte politische Assoziation mit der Europäischen Union.

Aber was geschieht, wenn es der Ukraine nicht gelingt, Fortschritt zu demonstrieren? Wenn es keine Veränderung in den Fällen Timoschenko und Luzenko gibt, wenn das Parlament weiterhin Reformen blockiert und die Wahlrechtsreform nicht angegangen wird? Die offizielle Antwort der Behörden auf diese Frage kam am Vortag vom Botschafter der Ukraine bei der EU, Konstantin Jelissejew: »Es gibt keinen Plan B, wir sind uns sicher, dass wir am 28. und 29. November das Abkommen in Vilnius unterschreiben«, sagte er. Laut [dem Politikwissenschaftler] Igor Schdanow gibt es auch bei der EU keinen Plan B: »In Brüssel weiß man auch noch nicht, was geschehen wird, wenn die Ukraine das Assoziationsabkommen in 2013 nicht unterschreiben wird.«

Eine mögliche Variante wäre, die Unterzeichnung des Abkommens auf frühestens 2015 zu verschieben, wenn es in der Ukraine in Folge der Wahlen theoretisch zu einem Machtwechsel kommen könnte.

Quelle: http://korrespondent.net/ukraine/politics/1513275-ukraina-es-vremya-est-tolko-do-maya

Janukowytsch steht vor der Wahl: Für oder gegen Europa

Aleksandr Mineew, Nowaja Gaseta (Russland), 26.02.2013

[…] Janukowytsch, der nach Brüssel geflogen kam, war dieses Mal auf Versöhnung aus und hierfür sogar zu Zugeständnissen bereit. Er war zurückhaltend und wortkarg. In seinen Reden bemühte er sich, nichtssagende Phrasen zu vermeiden. Zumindest während des öffentlichen Teils des Gipfels.

Seine Gegenüber, der Vorsitzende des Europäischen Rats, Herman van Rompuy, und der Kommissionspräsident José Manuel Barroso hingegen verhielten sich angreiferisch und hart in der Sache. Barroso hat das Treffen als »offenen und konstruktiven Meinungsaustausch« bezeichnet, was in der Diplomatensprache nicht gerade für eine schmeichelhafte Verhandlungsatmosphäre steht.

[…] Laut Barroso ist für die Ukraine die Zeit gekommen, sich für oder gegen Europa zu entscheiden. […] Janukowytsch versicherte, dass die Ukraine diese Wahl längst schon getroffen habe. Eine stärkere Integration in Europa sei unverändert das strategische Ziel der Ukraine, was auch gesetzlich bereits festgeschrieben wurde. Allerdings sind in seiner Rede die Teile, die möglicherweise auf den Grund seiner Zugeständnisse hinweisen, unbemerkt geblieben. Für die Ukraine ist die Energieunabhängigkeit überlebensnotwendig und dafür benötigt sie aktuell die Europäische Union. Janukowytsch hat die Zusicherung der Europäer bekommen, dass sie ihn bei der Modernisierung der Gasinfrastruktur unterstützen werden. Außerdem hat die EU ihm versprochen, die Ukraine mit Gas aus dem Westen zu versorgen, falls unerwartete Umstände dies notwendig machen sollten.

Quelle: http://www.novayagazeta.ru/news/63143.html

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Analyse

Zur außenpolitischen Orientierung des neuen ukrainischen Präsidenten und der Partei der Regionen

Von Wilfried Jilge
Unmittelbar nach seiner Wahl zum Präsidenten reiste Viktor Janukowitsch zur EU-Kommission nach Brüssel, wo er seinen ersten Antrittsbesuch im Ausland absolvierte. Der früher häufig als prorussisch eingestufte Janukowitsch, für den 2004 die Präsidentenwahlen gefälscht wurden, gab sich in der Pressekonferenz mit José Manuel Barroso ausgesprochen proeuropäisch: Für die Ukraine werde, so Janukowitsch, die europäische Integration ebenso wie die Realisierung systematischer sozioökonomischer Reformen Priorität haben. Experten haben bereits im Wahlkampf darauf hingewiesen, dass der neue Präsident einen auf die Integration der Ukraine in die Strukturen der EU zielenden Kurs – wenn auch vorsichtiger als sein Vorgänger – fortsetzen könnte. Hatte die westliche Berichterstattung Janukowitsch früher meist als moskauhörigen Kandidaten eingestuft (was in dieser Eindeutigkeit schon 2004 nicht ganz richtig war), werden er und seine Rivalin Julia Timoschenko heute immer häufiger als gleichermaßen »prorussisch« wie »proeuropäisch« eingeschätzt. Dies ist keineswegs ausgeschlossen: Bei der Bewältigung der die Ukraine heftig treffenden Finanzkrise ist die Ukraine nicht nur auf Hilfe aus Moskau, sondern auch aus der EU dringend angewiesen. (…)
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Analyse

Rückkehr zum Multivektoralismus? – Eine Bilanz der Außenpolitik Janukowytschs

Von Inna Melnykovska
Die Debatten über die Außenpolitik des Präsidenten Janukowytsch sind stark mit den Debatten über die Innenpolitik verknüpft und normativ geprägt. Beobachter erwarten eine Korrelation zwischen der Annäherung an Russland und einem Anwachsen der autoritären Tendenzen in der ukrainischen Innenpolitik; für Erfolge in der Kooperation mit der EU wird hingegen Demokratie vorausgesetzt. Die Bilanz der einjährigen Amtszeit Janukowytschs zeigt, dass es in den beiden wichtigsten Bereichen der Außenpolitik – Zusammenarbeit mit der EU und mit Russland – Kooperationserfolge, aber auch Konflikte zu verzeichnen gibt. Auf den ersten Blick ähnelt die Außenpolitik Janukowytschs der multivektoralen Außenpolitik des ehemaligen Präsidenten Leonid Kutschma. Auf den zweiten Blick wird jedoch deutlich, dass sie im Gegensatz zur Politik Kutschmas nicht primär darauf ausgerichtet ist, die Einflüsse der beiden genannten externen Akteure gegeneinander auszuspielen. (…)
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