Investitionsklima in der Ukraine

Von Serhiy Osavolyuk (Kiew)

Zusammenfassung
In den letzten Jahren ist bei Regulierungsreformen in der Ukraine ein gewisser Fortschritt festzustellen. Einige Bereiche, so z. B. die Unternehmensgründung, konnten erhebliche Verbesserungen verzeichnen. Entsprechend rückte das Land im Doing Business Report (DBR) der International Finance Corporation (IFC) und der Weltbank vom 152. auf den 137. Platz vor. Gleichwohl zählt die Ukraine noch immer zu den Staaten mit ungünstigen Bedingungen für unternehmerische Aktivität, ausufernder Bürokratie und systemischer Korruption. Hauptgründe dafür sind die schwache Implementierung und Widersprüchlichkeit der Reformen.

Die Ukraine in Unternehmens- und Korruptionsrankings

Die Aufnahme verschiedener Programme und auch Aussagen unterschiedlicher Politiker in der Ukraine zeugen davon, dass der Verbesserung des Investitionsklimas erhebliche Aufmerksamkeit zuteil wird. So verkündete Präsident Wiktor Janukowytsch kürzlich das Ziel, in nächster Zeit mindestens auf Platz 100 im DBR aufzusteigen. Das Ministerkabinett erarbeitete daraufhin einen detaillierten Plan zur Umsetzung dieses Vorhabens. Das Reformprogramm für die Wirtschaft für 2010 bis 2014 beinhaltet eine detaillierte Liste dringender Reformen; die jährlichen Implementationspläne sehen detaillierte und konkrete Schritte vor. Im Falle einer vollständigen Implementierung des Programms würde die Ukraine in der Tat signifikanten Fortschritt bei der Verbesserung des Investitionsklimas erzielen. Allerdings bemerken weder einheimische noch ausländische Investoren bisher einen Unterschied – das grundsätzliche Bild der Ukraine als Land mit schlechtem Geschäftsklima und weitreichender Korruption hat sich bisher nicht verändert.

Gleichwohl ist seit 2010 in manchen Bereichen ein gewisser Fortschritt zu verzeichnen. Mehrere Gesetze zur Verbesserung der Bedingungen unternehmerischer Aktivität wurden erlassen. Durch das geringe Tempo dieser gesetzgeberischen Aktivität und den niedrigen Grad der Implementierung erlassener Gesetze konnten die ukrainischen Unternehmer jedoch bisher nicht von den Reformen profitieren. Im Folgenden kommen die verschiedenen Reformen und nötige weitere Schritte zur Sprache.

1. Reform der Lizenzvergabe

Reformen wurden initiiert, stagnieren jedoch. Im Jahr 2010 wurde eine erschöpfende Liste benötigter Lizenzen erarbeitet, das Instrument der Selbstzertifizierung wurde ausgebaut, das Prinzip des stillschweigenden Einverständnisses wurde etabliert und die Liste erforderlicher Lizenzen um ein Drittel gekürzt. Diese Maßnahmen sind ein großer Schritt im Bereich der Lizenzvergabe und sollten nun großflächig umgesetzt werden. Die Zahl der Erlaubnisse und Lizenzen ist jedoch noch immer übermäßig hoch (29 % aller Unternehmen erwarben im Jahr 2011 mindestens eine Lizenz) und der Prozess ihrer Vergabe ist mit großem Zeitverlust verbunden. Im Oktober 2012 wurde die Methode der Selbstzertifizierung weiter ausgebaut (um etwa 40 %), weitere Reformen sind jedoch bisher nicht erfolgt. Mit Hilfe des IFC wurden Vorschläge erarbeitet, wie das Vergabesystem weiter vereinfacht werden und die Anzahl der erforderlichen Lizenzen weiter reduziert werden könnte, sie wurden jedoch bisher vom Parlament nicht aufgegriffen.

2. Reform von Kontrollen und Inspektionen:

Trotz einiger Anstrengungen seitens des Gesetzgebers, um das Kontrollsystem zu vereinfachen, sind Inspektionen für Unternehmen noch immer beschwerlich. Die Inspektionsrate in der Ukraine liegt höher als in den meisten anderen postsowjetischen Staaten. Gesetze, die einen risikoorientierten Ansatz verfolgen und die Benutzung von Checklisten vorschreiben, wurden 2007 erlassen, sind bisher jedoch nicht implementiert. Nach einem Erlass des Präsidenten im Jahr 2012 haben einige Inspektionsstellen mithilfe des IFC die Kriterien zur Risikoabschätzung erneuert, nur wenige jedoch haben Checklisten eingeführt.

3. Reform der Lebensmittelkontrollen

Reformen im Bereich der Lebensmittelsicherheit sind für die Landwirtschaft ausgesprochen wichtig, um ihr den Zugang zu internationalen Märkten zu verschaffen und das ausstehende Freihandelsabkommen mit der EU (DCFTA, siehe den Beitrag von Ricardo Giucci in dieser Ausgabe) umzusetzen. Die Regierung hat dem letzten Parlament eine Gesetzesinitiative vorgelegt, nach der 21 Erlaubnisse abgeschafft werden sollten, doch es kam nicht zur Abstimmung. Im Augenblick wird die Vorlage von der Regierung überarbeitet. Angesichts des Widerstandes gegen die Reform seitens des Gesundheitsministeriums wird die Reform möglicherweise nicht zustande kommen. Gleichwohl konnten einige kleinere Reformen im Bereich der Lebensmittelsicherheit durchgeführt werden, beispielsweise wurden in den Überwachungsprozess durch den Staatlichen Hygienedienst neue Risikokriterien eingeführt.

4. Landwirtschaft

Der Landwirtschaftssektor gehört für Investoren zu den attraktivsten Wirtschaftssektoren. Gleichzeitig ist er einer der am stärksten regulierten. Viele ineffiziente und intransparente Regulierungsprozeduren behindern seine Entwicklung und könnten ohne großen Aufwand annulliert werden. Die Pflicht zur Registrierung von Exportverträgen wurde z. B. per Kabinettsbeschluss abgeschafft. Dieses Verfahren, das Unternehmen im Durchschnitt 0,15 % des Auftragswerts kostete, war für fast alle Getreideexporte und teilweise auch für tierische Produkte verpflichtend. Nach Berechnungen des IFC beliefen sich 2011 allein die Kosten für Registrierungen von Getreide und Ölfrüchten (wie Raps) auf 11 Millionen US-Dollar.

5. Erneuerbare Energien

Ein Gesetz aus dem Jahr 2012 sieht vor, dass auch Biomasse tierischen Ursprungs künftig zum Einspeisetarif verkauft wird (ein staatlich festgesetzter Preis, zu dem der Ökostrom den Erzeugern abgekauft wird, d. Red.).

6. Schließung eines Unternehmens

Im Dezember 2011 wurde das neue Insolvenzgesetz, das mit der Unterstützung internationaler Organisationen entwickelt wurde, verabschiedet. Auch die freiwillige Auflösung eines Unternehmens wurde vereinfacht, indem die Anzahl der erforderlichen Dokumente reduziert wurde.

7. Anschluss an das Stromnetz

Das Verfahren zum Anschluss an das Stromnetz wurde erheblich vereinfacht. Zuvor dauerte es im Schnitt 285 Tage, um in elf Schritten eine dauerhafte Stromversorgung für ein neu errichtetes Gebäude einzurichten. Nach Informationen des DBR sind mit dem neuen Verfahren nur noch acht Schritte nötig, die Dauer reduziert sich auf durchschnittlich 121 Tage.

Trotz dieser teilweise erfolgreichen Reformen ist das Investitions- und Geschäftsklima in der Ukraine noch immer schlecht und kann sich nicht mit dem der umliegenden Staaten messen. Ungeachtet des Erfolgs im letzten Doing Business Report (die Ukraine stieg vor allem wegen verbesserter Registrierungsverfahren von Platz 152 auf Platz 137) schneidet sie hier bedeutend schlechter ab als andere Staaten der Region (z. B. Russland auf Platz 112 und Moldawien auf Platz 83).

Im jüngsten Ranking des Global Competitive Index (GCI) rutschte die Ukraine auf Platz 73 von 144 ab. Der GCI umfasst sehr verschiedene Komponenten, die zusammengefasst in 12 Säulen den Status Quo der für die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft wichtigen Bereiche darstellen. Der problematischste dieser Bereiche sind in der Ukraine die institutionellen Rahmenbedingungen, die einer grundsätzlichen Überholung bedürfen. In der ersten Säule (Institutionen) schneidet die Ukraine dann auch am schlechtesten ab – Platz 132 von 144 (siehe Tabelle 2 auf S. 12). Aus einem Blick auf die Daten folgt, dass Unternehmen sich nicht auf die Institutionen des Landes verlassen können, die durch überbordende Korruption, einen Mangel an Transparenz sowie Günstlingswirtschaft gekennzeichnet sind. Probleme zeigt auch Säule sechs, die »Effizienz des Gütermarktes«, wo die Ukraine auf Platz 117 von 144 liegt. Steuern und Zollabgaben sind für ukrainische Unternehmen besonders belastend, wie ihre Bewertung auf Platz 139 bzw. 138 zeigt.

In den oben aufgeführten Rankings hat sich die Position der Ukraine im Laufe der letzten Jahre verschlechtert oder ist – im besten Falle – gleich geblieben. Von allen europäischen Ländern verbleiben nur Belarus und die Ukraine in der Kategorie »unterdrückt« des Index für Freiheit der Wirtschaft. Ihr Wert liegt unterhalb des regionalen sowie des globalen Durchschnitts.

Korruption als Problem für die Wirtschaft

Korruption ist ebenfalls ein tief verankertes Problem in der ukrainischen Wirtschaft und wird oft als größtes Hindernis für den Erfolg an internationalen Märkten bezeichnet. Im Korruptionswahrnehmungsindex von Transparency International fiel die Ukraine zuletzt von Platz 134 auf Platz 144 von 176. In der Region lag sie auf Platz 16 (vormals 14) von 20. Nur vier post-sowjetische Staaten, die zentralasiatischen Länder Tadschikistan, Turkmenistan, Usbekistan und Kirgistan liegen in diesem Ranking hinter der Ukraine. Besonders häufig erleben Unternehmen Korruption im Zusammenhang mit Zulassungs- und Inspektionsverfahren. Laut einer Umfrage des IFC aus dem Jahr 2010 stieg der Anteil derjenigen Unternehmen, die zur Lösung ihrer Probleme mit Staatsbehörden auf »inoffizielle Mittel« zurückgriffen, um elf Prozentpunkte im Vergleich zu 2008 (siehe Grafik 1 auf S. 13). Nach 2010 führte das IFC keine weitere Umfrage durch, doch der negative Trend im Transparency International Index gibt Anlass zur Vermutung, dass dieser Wert bisher nicht gesunken ist.

Nicht- implementierte Gesetze und intransparente Gesetzgebung

Die Umsetzung bereits verabschiedeter Gesetze ist unzureichend. Beispielsweise sieht ein Gesetz aus dem Jahr 2007 die flächendeckende Einführung von Checklisten und Risikokriterien für Inspektionsstellen vor. Diese Kriterien werden jedoch bisher nur in 34 von 65 Fällen verwendet, Checklisten finden in 28 von 80 Fällen Gebrauch. Als weiteres Beispiel dient ein Erlass des Präsidenten aus dem Jahr 2011, in dem er die Errichtung einer zentralen Behörde für Lebensmittelsicherheit verlangt. Dieser Order zum Trotz hat die Regierung bisher keinen entsprechenden Gesetzesentwurf gemacht, das Parlament konnte folglich auch kein Gesetz erlassen.

Die erwähnten Reformen sollten zu einem Rückgang des Lizenzerwerbs durch Unternehmen und der Inspektionsrate geführt haben. Wie Grafik 2 auf S. 14 entnommen werden kann, ist der Fortschritt von zwischen 2010 und 2011 jedoch kaum erkennbar.

Die Regulierungspolitik der Ukraine ist zudem unberechenbar und wenig transparent. Beispielsweise wurde der Prozess der Zertifizierung von Getreidehandel vom Ministerkabinett zunächst vereinfacht: Zertifikate für den inländischen Handel wurden abgeschafft und Zulassungen für Getreidespeicher erhielten statt einjähriger eine unbegrenzte Gültigkeit. Später jedoch verabschiedete das Parlament ein Gesetz, das die erreichten Verbesserungen wieder annullierte.

Die Regierung erlässt häufig intransparente Regulierungen mit hohem Potential für Korruption, Machtmissbrauch und Wettbewerbsbeschränkung. Unter den zahlreichen Beispielen ist das Gesetzesvorhaben zu internationalem Handel, das von der Regierung gegen den heftigen Widerstand aus der Wirtschaft vorangetrieben wird, das jüngst erlassene Gesetz zu Industrieparks und jenes zu einheitlichen Anlaufstellen für Existenzgründer.

Der geringe Implementationsgrad unterminiert den Reformprozess in bedeutendem Maße, da Unternehmen nicht von den Änderungen der Gesetzeslage profitieren. Es gibt viele Gründe für die langsame und unzureichende Umsetzung – die Schwäche des Rechtsstaats, die geringe öffentliche Aufmerksamkeit bezüglich gesetzlicher Veränderungen und vor allem profunde Interessen von Staatsdienern und die Abwesenheit politischen Willens zur Umsetzung bereits getroffener Entscheidungen.

Weitere Gründe sind sicherlich die unzureichende Ausstattung und Koordinationsprobleme des Justizsystems. Gespräche mit Wirtschaftsvertretern zeigen, dass Handelsrichter in vielen Fällen nicht gut genug ausgebildet sind um mit Wirtschaftsfällen umzugehen. Hinzu kommt die weit verbreitete Auffassung, dass Richter nicht immer politisch unabhängig und nur dem Gesetz verpflichtet urteilen.

Das schwache Investitionsklima ist der Grund für den geringen Kapitalzufluss. Die Folge der ungünstigen Bedingungen für Investitionen und unternehmerische Aktivität in der Ukraine ist ein Niveau ausländischer Direktinvestitionen, das deutlich hinter dem grundsätzlich möglichen zurückbleibt.

Übersetzung aus dem Englischen:Jan Matti Dollbaum

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