Seit Jahren wirtschaftlicher Stillstand
Die Volkswirtschaft der Ukraine wird 2013, so wie bereits im Vorjahr, kaum Wirtschaftswachstum verzeichnen sondern wohl sogar schrumpfen. De facto ist die Ukraine seit Mitte 2012 in der Rezession. Konjunkturell ist die Ukraine besonders im exportorientierten Stahlsektor von niedrigeren Preisen hart getroffen. Zudem macht die eklatante Verlangsamung des Wirtschaftswachstums in Russland auch dem Maschinenbau zu schaffen. Hoffnungen auf eine substanzielle wirtschaftliche Erholung in der zweiten Jahreshälfte 2013 bewahrheiten sich bislang nicht. Auch im dritten Quartal verringerte sich das BIP im Vergleich zum Vorjahr um 1,5 Prozent. Damit bleibt auch das reale BIP weiterhin deutlich (etwa fünf Prozentpunkte) unter dem Niveau von 2008. Bis zum Jahr 2015 könnte die Ukraine eventuell das BIP-Niveau des Jahres 2008 wieder erreichen. Zum Vergleich: In Deutschland liegt das reale BIP in 2013 – trotz heftigem Einbruch in der globalen Wirtschaftskrise 2008/2009 – bereits drei bis vier Prozentpunkte über dem 2008er Wert. Das Erreichen des 2008er BIP-Niveaus in der Ukraine bis 2015 würde aber voraussetzen, dass es in den kommenden Monaten und auch in den nächsten ein bis zwei Jahren keine wirtschaftlichen Verwerfungen gibt. Derzeit mehren sich aber die Anzeichen, dass in der Ukraine erneut erhebliche wirtschaftliche Probleme drohen. Dabei spielen neben ökonomischen Aspekten auch innen- und außenpolitische Faktoren eine gewichtige Rolle. Einerseits versuchen die aktuellen Eliten notwendige wirtschaftliche Anpassungen bis zur Präsidentenwahl 2015 hinauszuschieben und verlassen sich dabei bis dato auf ein unsicheres globales Marktumfeld (etwa zur Platzierung internationaler Großfinanzierungen). Zudem nehmen außenpolitisch bedingt die wirtschaftlichen Risiken zu. Mit etwa 25 % Exportanteil und 30 % der Importe ist Russland der wichtigste Handelspartner (etwa gleichauf mit der gesamten EU, s. Grafik 3–5 auf S. 8/9). Damit ist der mittelbare und unmittelbare wirtschaftliche Einfluss Russlands in der Ukraine noch immer hoch. Ein Wirtschaftsabkommen zwischen der EU und der Ukraine könnte dem entgegenlaufen und daher Spannungspotential bergen.
Eine Wirtschaftspolitik des Durchwurstelns ohne Inangriffnahme notwendiger Reformen in den letzten Jahren, mit Ausnahme einer vom Internationalen Währungsfonds (IWF) oktroyierten Pensions- und einer Steuerreform, erhöht nicht nur die Wahrscheinlichkeit von wirtschaftlichen Verwerfungen, sie macht es für das Land auch schwerer, aus eigener Kraft die zuvor skizzierte kontinuierliche Wachstumsschwäche zu überwinden. Ein Spiegelbild der kaum nennenswerten Anpassungen ist das auf hohen Niveaus verharrende Leistungsbilanzdefizit, was erheblichen Bedarf an externen Kapitalzuflüssen zur Deckung impliziert. Zudem ist das Geschäfts- und Investitionsklima in der Ukraine weiterhin schlecht. Auch eine Verbesserung im »Ease of Doing Business« Index der Weltbank vom 140ten Rang (Vorjahr) auf den 112ten Platz (von 189 Ländern) dieses Jahr kann nicht über den großen Verbesserungsbedarf in vielen Bereichen hinwegtäuschen. Ein schwaches Justizsystem, das kaum Rechtsicherheit bietet, sowie die verbreitete Korruption auch im Justizsystem und der Steuer- und Zollverwaltung wären hierbei zu nennen, welche eher etablierten und gut vernetzten und nicht den produktivsten Firmen Vorteile verschaffen.
Keine nachhaltige Budget- und Währungspolitik
Eine der wichtigsten strukturellen »Baustellen« – und damit eine immer wiederkehrende Forderung des IWF – ist eine Umgestaltung im Energiesektor. Die Subventionierung der privaten Haushalte mit Gaspreisen weit unter Einkaufspreis stellt eine fortgesetzte Belastung des Staatshaushalts um 1–2 Prozentpunkte des BIP dar. Hier zeigt sich Präsident Yanukovych bislang uneinsichtig; ein günstiges Zeitfenster im politischen Zyklus nach den Parlamentswahlen im Herbst 2012 zur Implementierung unpopulärer Energiepreiserhöhungen wurde nicht genutzt. Ein Grund für die Reformzurückhaltung liegt auch in durchsetzungsstarken Geschäftsinteressen von Profiteuren der aktuellen Energiepolitik. Angesichts einer sich zuspitzenden Lage der öffentlichen Finanzen in diesem Jahr – der IWF rechnet mit einem Budgetdefizit von fast 6 % des BIP – ist das vom Energiesektor aufgerissene Haushaltsloch doppelt ärgerlich. Ein weiteres Politikfeld in welchem die Chance zu Reformen seit Jahren nicht genutzt wird ist die Wechselkurspolitik. Die ukrainische Hrywnja wird seit der letzten massiven Abwertung im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 von der Zentralbank wieder künstlich bei 8 Hrywnja zum US Dollar fixiert. Eine kleine Lockerung der Anbindung im letzten Jahr wurde wieder zurückgenommen. Im Gegensatz zu Russland oder auch Belarus hat die Ukraine in diesem Jahr dadurch die Währung nicht abgewertet bzw. abwerten können, was eine Belastung für den Exportsektor darstellt und zudem Importe aus dem Ausland begünstigt. Zwar ist die offizielle Inflation nahe Null, so dass der mit Konsumgüterpreisen berechnete reale Wechselkurs keine fundamentale Überbewertung der Hrywnja anzeigt. Relevanter als die Konsumgüterpreise sind für die Wettbewerbsfähigkeit (zumindest des verarbeitenden Gewerbes) aber die Lohnkosten und Produzentenpreise, welche in der Ukraine in den letzten Jahren stark und fortwährend gestiegen sind. Damit erscheint die Hrywnja im Sinne der Kaufkraftpariätentheorie fundamental mindestens ähnlich überbewertet wie 2007 und 2008 und der fixe Wechselkurs ist ein Grund für das persistente und hohe Leitungsbilanzdefizit. Daneben schürt diese Politik auch die Risiken eines Abwertungsschocks. Die Währungsreserven haben in den letzten beiden Jahren von USD 34 auf nun knapp über USD 20 Mrd. abgenommen. Gelingt es nicht, fortwährend genügend Fremdwährung (z. B. durch neue Auslandskredite) zu akquirieren, kann eine weitere Abnahme der Reserven zu einem Vertrauensverlust in die Währung führen und einen Run auf Fremdwährung verursachen (also werden Hrywnja gegen US Dollar getauscht), der dann auch erneut den Bankensektor unter Druck setzten würde. Auf Sicht der nächsten ein bis zwei Jahre erwartet der Konsens von Marktbeobachtern (noch) eine graduelle und damit eher geordnete Abwertung der Hrywnja auf mindestens über 9 zum US Dollar, also eine Währungsabwertung um mindestens 10 Prozent. Wobei im Falle der Ukraine immer fraglich ist, ob solch eine Währungsabwertung (vor allem ohne IWF-Unterstützung) graduell und kontrolliert erfolgen kann. In einer extrem dollarisierten Volkswirtschaft mit Quasi-Festkursbindung wie der Ukraine besteht immer das Risiko eines erheblichen Überschießens des Wechselkurses in Abwertungsphasen.
Finanzielle Verwundbarkeit heute höher als 2007/2008
Die fragile finanzielle Situation zeigen auch deutlich einige Indikatoren der makrofinanziellen Verwundbarkeit der Ukraine, die mindestens so schlecht wie 2007 oder 2008 sind, einige sind sogar schlechter. Die Staatsschulden der Ukraine betragen mittlerweile fast 40 Prozent des BIP (2007 und 2008 lag die Staatsschuldenquote noch bei 10–20 Prozent des BIP), was kein unkritischer Werte für Länder mit niedrigem wirtschaftlichen Entwicklungsgrad ist. Zudem hat sich die Ukraine und hier v. a. der ukrainische Staat gerade wegen des extrem günstigen globalen Kapitalmarktumfeldes der letzten Jahre über eine massive internationale Schuldenaufnahme durchwursteln können. Daher sind auch die externen Schulden der Ukraine heute bei etwa 75 Prozent des BIP; 2008 waren es noch etwa 55 Prozent des BIP. Nicht nur die Bestandsgrößen sind hoch, auch das aktuelle Staats- und Leistungsbilanzdefizit sind weiterhin hoch, was erheblichen kurzfristigen Finanzierungsbedarf bedeutet. Da sich derzeit abzeichnet, dass das globale Finanzierungsumfeld perspektivisch schlechter wird – wie in 2007 und 2008 – wird die (Re-)Finanzierung für sog. »marginale Schuldner« wie die Ukraine (die sich gerade noch über Wasser halten können, aber schon heute sehr hohe Zinsen bezahlen) herausfordernder. Wie stark die Ukraine vom globalen Finanzierungsumfeld abhängig ist zeigt sich am Anteil der Ukraine an internationalen Anleihefinanzierungen in der Gesamtregion Zentral- und Osteuropa (CEE). Hier liegt der Anteil der Ukraine in den Jahren 2011–2013 bei etwa zehn Prozent oder darüber. Dies sind fast Werte wie in 2006 und 2007. Und der Anteil der Ukraine am Gesamt-BIP der Region CEE liegt gerade einmal bei 4–5 Prozent. Alleine für das kommende Jahr braucht der ukrainische Staat mindestens 5–10, aber wohl eher 10–15, Milliarden Dollar an externer Finanzierung, während die Devisenreserven bei schon knappen 20 Milliarden Dollar liegen. Insofern ist die externe Finanzierung der Ukraine eine Gratwanderung und die Zahlungsfähigkeit des Landes hängt stark vom massiv schwankenden internationalen Investorenvertrauen ab. Letzteres hängt wiederum von Entwicklungen in der Ukraine, aber auch von schwer kontrollierbaren Faktoren wie etwa der US-Zinspolitik ab.
Langfristinvestoren kehren der Ukraine den Rücken
In das Gesamtbild einer stagnierenden Wirtschaft ohne klare Perspektiven, mit erheblicher Neigung zu Ereignisrisiken auf Makroebene (wie Währungskrisen, Handelsstreitigkeiten oder politischen Risiken) und einem sich verschlechternden Geschäftsumfeld für westliche Firmen passt auch der schleichende Abschied von westeuropäischen Langfristinvestoren aus der Ukraine. Der relative Anteil von Ausländischen Direktinvestitionen (ADI) aus Ländern wie Deutschland, Österreich, Frankreich, Italien oder Schweden in der Ukraine – Firmen aus diesen Ländern werden oft als wichtige Transformationstreiber in Zentral- und Osteuropa gesehen – nimmt seit Jahren kontinuierlich ab (s. Grafik 1 und Tabelle 1 auf S. 6/7). Im Gegensatz dazu werden ADI und Kapitalverflechtung mit Zypern, Russland oder den (britischen) Jungferninseln für die Ukraine immer wichtiger, wobei bei ADI aus diesen Ländern oft kein wirkliches Transformationsinteresse unterstellt werden kann; teils sind ADI hier Bestandteil von Offshoring oder Kapitalverflechtungen bzw. Transaktionen ukrainischer Oligarchen oder russischer Oligarchen. Damit sinkt seit Jahren der Anteil der ADI aus westeuropäischen Ländern am ADI-Gesamtbestand in der Ukraine, der derzeit deutlich unter 50 Prozent liegt (die Spitze war hier in den Jahren 2005–2006 mit 55–58 Prozent erreicht). Der Rückzug aus der Ukraine bzw. das Unterlassen von Reinvestitionen und neuer Investitionen durch westliche Großkonzerne hängt auch mit zahlreichen Rechtstreitigkeiten mit Zollbehörden, Wettbewerbsbehörden oder fragwürdigenEnteignungen zusammen. Hier sind sogar Schwergewichte wie ArcelorMittal, McDonalds, Metro, Swissport oder Porsche betroffen, was Bände für das Geschäftsumfeld für kleinere (ausländische) Unternehmen im Lande spricht.
Genauso exemplarisch wie die ADI-Zahlen sind die Entwicklungen im ukrainischen Bankensektor. Hier ziehen sich viele namhafte westeuropäische Institute mit einem klaren Osteuropa-Fokus (die also in anderen zentral- und osteuropäischen Ländern nicht zurückschrauben bzw. ihre Präsenz sogar ausbauen) und die vor Jahren mit optimistischen langfristigen Konvergenz- und Transformationserwartungen ins Land gekommen sind, zurück. Prominente Beispiele sind die schwedischen Kreditinstitute SEB und Swedbank, die österreichischen Erste Bank, die französische Societe Generale oder auch die deutsche Commerzbank. Die größte CEE-Bank UniCredit sondiert gerade die Möglichkeit des Verkaufs ihrer Ukrainetochter (bei Akzeptanz eines geringeren Verkaufs- als Akquisitionswerts). Als Käufer stehen den westlichen Kreditinstituten auf der Verkäuferseite meist russische Banken oder lokale Investoren aus der Ukraine gegenüber. Letztere haben eine ganz andere Vision vom Bankenmarkt in der Ukraine und auch ganz andere politische Verbindungen als die westlichen Verkäufer. Der aktuelle Trend ist, dass Marktanteile, die der Ausländerrückzug im Bankensektor hinterlässt, gerne von einheimischen lokalen und staatlichen Banken sowie russischen Kreditinstituten bzw. Investoren übernommen werden. Der Marktanteil von nicht-russischen Auslandsbanken ist von 2008 bis 2013 von etwa 40 Prozent auf 17 Prozent gesunken (s. Grafik 2 auf S. 7). Diese Entwicklung ist nicht zu vernachlässigen. Denn oft wird die Bankpräsenz im Ausland mit dem Argument begründet, dass man den Kunden folge. Sprich – nicht nur die westeuropäischen Banken sind skeptischer gegenüber dem Land sondern auch ihre Kunden (was die vorigen ADI-Zahlen zeigen). Zur Veranschaulichung der Dramatik des Rückzuges europäischer Banken aus der Ukraine bietet sich auch ein Vergleich zu Entwicklungen in den sog. Eurozonen-Peripherieländern, wie etwa Spanien oder Italien, an. Seit Anfang 2008 haben europäische Banken ihre grenzüberschreitenden Forderungen gegenüber der Ukraine um ca. 40 Prozent verringert. Dies ist im Trend und im Ausmaß eine fast ähnlich dramatische Entwicklung wie in den Eurozonen-Peripherieländern. Und im Gegensatz zur Ukraine sind die grenzüberschreitenden Forderungen westeuropäischer Banken gegenüber der Gesamtregion CEE seit etwa 2008 stabil. Damit wird deutlich, dass der Rückzug westeuropäischer Banken aus der Ukraine einen länderspezifischen und keinen gesamtmarktspezifischen Grund hat.
Ereignisrisiko EU-Abkommen und Finanzierungsrisiken
Zusätzlich geschwächt wird die Wirtschaft der Ukraine durch die derzeit unklare zukünftige ökonomische Anbindung des Landes. Sowohl die EU als auch Russland sind wichtige Handels- und Investitionspartner und beide Wirtschaftspartner wollen die Ukraine enger an sich binden, was dann jeweils Nachteile entweder für Russland oder die EU bedeuten würde. Durch diesen Konflikt begründete Handels- und Zollstreitigkeiten mit Russland und daraus resultierende Einfuhrrestriktionen haben die Wirtschaftsentwicklung der Ukraine in den letzten Jahren und Monaten bereits negativ beeinflusst. Derzeit optieren dennoch oder gerade deswegen viele Wirtschaftsakteure (und politische Akteure) in der Ukraine eher dafür im November ein Assoziationsabkommen mit der EU abzuschließen. Kurzfristig kann dann eine definitive Entscheidung für einen der beiden wichtigen Wirtschaftspartner (EU oder Russland) nochmals negative Reaktionen des jeweils anderen hervorrufen. Besonders gravierend könnten kurzfristig die wirtschaftlichen Folgen einer politischen Entscheidung in Richtung EU sein – und hier steht Ende November am EU Gipfel in Vilnius eine Richtungsentscheidung an. Auf russischer Seite besteht erhebliches Potenzial, die wirtschaftliche Lage der Ukraine, die ohnehin schon fragil ist, rasch zu destabilisieren. Die aktuell wieder aufgeflammten Gasstreitigkeiten zwischen Russland und der Ukraine, Spiegelbild einer oft reflexartigen und symbol- bzw. statusorientierten Außenpolitik Russlands, sind in diesen Kontext einzuordnen.
Angesichts kurz- und mittelfristig hoher ausländischer Zahlungsverpflichtungen im zweistelligen Milliardenbereich bringt eine politische EU-Richtungsentscheidung auch für die EU ökonomische Risiken. Harte russische Strafmaßnahmen könnten das Vertrauen in die Zahlungsfähigkeit des Landes untergraben bzw. dann schnell finanzielle Unterstützung erfordern. Um das Vertrauen in die (kurzfristige) Zahlungsfähigkeit der Ukraine zu sichern wäre dann rasch ein Hilfs- bzw. Kreditrahmen von etwa 10–15 Milliarden US Dollar nötig. Solche Summen könnte kurzfristig nur der Internationale Währungsfonds (IWF) bereitstellen (s. Tabelle 2 auf S. 8). Allerdings könnte der IWF auf eine substanzielle Beteiligung der EU bestehen, was er bei EU-Mitgliedern im Rahmen von multilateralen Unterstützungsprogrammen auch getan hat. Doch hier ist anzumerken, dass die EU wahrscheinlich nicht in der Lage ist, kurzfristig Finanzierungs- bzw. Hilfsgelder für die Ukraine im Rahmen eines multilateralen Hilfspakets in adäquater Höhe, also im Bereich von ggfs. 1,5 bis 3 Milliarden US-Dollar, auf die Beine zu stellen. Etwa ist die EU-Zahlungsbilanzfazilität, aus der auch Hilfen für Ungarn, Rumänien oder Lettland im Rahmen von gemeinsamen EU-IWF Programmen finanziert wurden, nur für EU-Mitgliedsländer geeignet. Und in Aussicht gestellte mögliche Wirtschaftshilfen für die Ukraine im Bereich von mehreren hundert Millionen Euro wären keine Summe in relevanter Größenordnung. Zudem würde der Abschluss eines »reinen« IWF-Hilfsprogrammes, auf den eventuell einige westeuropäische Politiker im Falle einer Eskalation des »Wirtschaftskrieges« mit Russland setzten, sicher einiges an Zeit brauchen. Denn die Ukraine hat schon oft von IWF-Seite geforderte Anpassungen nicht ausgeführt bzw. IWF-Programme nicht erfolgreich abgeschlossen. Die jüngste Pressenotiz des IWF (vom 31. Oktober) nach einer Mission vor Ort zeigt klar die erheblichen Herausforderungen, denen sich das Land auch aus IWF-Sicht nicht stellt. Daher ist eine rasche Einigung auf IWF-Hilfen für die Ukraine, trotz Gerüchten in Richtung einer Pro-Ukraine-Lobbyarbeit einiger IWF-Mitgliedsländer, kein Selbstläufer. Gerade zu Anfang der Gespräche wird es wohl einige harte ex-ante Verhandlungsauflagen des IWF geben. Allerdings würde eine kurzfristige Verschärfung der makrofinanziellen Situation der Ukraine, hervorgerufen durch einen sog. »externen Schock«, wie Handels- bzw. Wirtschaftsauseinandersetzungen mit Russland, die Position eher hart gesonnener IWF-Verhandler etwas schwächen. Jüngste Gerüchte über eine Währungsabwertung und Gaspreisänderungen in der Ukraine könnten zudem als Annäherungsversuche an den IWF gedeutet werden.
Risiken einer Wirtschafts- und Währungskrise – wohl IWF/EU-»Bail-out« notwendig
In den letzten Jahren war in der Ukraine noch eine Wirtschaftspolitik des Durchwurstelns möglich, da sich das Land die dafür notwendige kontinuierliche Finanzierung extern besorgen konnte. Damit ist aber die Abhängigkeit von einem kontinuierlichen Zufluss an Auslandskapital erheblich gestiegen. Da derzeit die globalen Refinanzierungsrisiken sowie die länderspezifischen Risiken in der Ukraine zunehmen, erscheint eine weitere Verschärfung der bereits gespannten wirtschaftlichen Lage des Landes, die auch in einer erneuten massiven Währungsabwertung münden könnte, durchaus wahrscheinlich. Zwar sollten die Fähigkeiten der ukrainischen Eliten in Bezug auf eine Politik des Durchwurstelns, die externe Beobachter immer wieder überrascht, nicht vernachlässigt werden; allerdings deutet sich derzeit auch klar an, dass der externe wirtschaftliche und finanzielle (Veränderungs-)Druck auf die Ukraine in den kommenden 6–12 Monaten massiv steigen kann. Kurzfristig könnten dann Ereignisrisiken (etwa rund um den EU-Gipfel) sogar zu einer kurzfristigen Verschärfung führen, die dann der EU eine Entscheidung über substanzielle finanzielle Unterstützung der Ukraine aufzwingen könnte. Hier ist zu berücksichtigen, dass die derzeit eher pro-europäisch agierenden ukrainischen Eliten auch auf finanzielle Unterstützung durch die EU setzen, um ggfs. wieder ein paar Jahre (v. a. bis zur Präsidentenwahl) ohne Reformen zu überbrücken. Zudem setzen die ukrainischen Eliten klar auf EU-Hilfe im Falle eines »Wirtschaftskrieges« mit Russland (nach Unterzeichnung eines EU-Abkommens). Sollten sich diese Hoffnungen als falsch erweisen, könne die Unterzeichnung des EU-Abkommens einen »Bumerang-Effekt« haben bzw. eine im Stich gelassene Ukraine sogar in die Arme Moskaus treiben.
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