Einführung
Der abrupte außenpolitische Kurswechsel ausgerechnet kurz vor dem Gipfel in Vilnius, wo über das Schicksal des EU-Abkommens entschieden werden sollte, ist auf den Druck externer Akteure zurückzuführen. Je näher der Vilnius-Gipfel rückte, desto höher wurde deren Druck. Bis vor kurzem waren die Ergebnisse aber mager. Weder Russland noch die EU konnten die Ukraine dazu bewegen, völlig gemäß ihrer Interessen zu handeln. Doch am Ende entschied sich der Präsident Wiktor Janukowytsch, dem wirtschaftlichen Druck Russlands und nicht dem politischen Druck der EU nachzugeben.
Einflussversuche Russlands
Am offensivsten agierte Russland, das versuchte, die Ukraine in seinen Einflussbereich zu ziehen. Die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens zwischen der Ukraine und der EU wird in Russland als große geopolitische Gefahr wahrgenommen. Denn das würde einen Präzedenzfall für den postsowjetischen Raum schaffen und die Attraktivität des eurasischen Entwicklungsmodells in Frage stellen.
Im Jahr 2013 änderte Russland zweimal sein Verhalten gegenüber der Ukraine. Als die Ukraine im Mai 2013 den Beobachterstatus in der Zollunion beantragte, zeigte sich Moskau erkennbar kompromissbereit. Noch vor ein paar Jahren hatte Russland solche Vorschläge wie etwa die Zusammenarbeit mit der Zollunion im Format »3+1« (Russland, Belarus, Kasachstan und die Ukraine) kategorisch abgelehnt.
In der zweiten Jahreshälfte verschärfte Russland wieder den Ton und erließ Handelssanktionen gegenüber der Ukraine, die diesmal noch härter waren als ein Jahr zuvor. Im Hochsommer hat Russland die Vereinbarung über ein Einfuhrkontingent für zollfreie Rohre aus der Ukraine nicht verlängert und Lieferungen des ukrainischen Süßwarenherstellers Roschen angehalten. Das traf vor allem die ukrainischen Oligarchen Viktor Pintschuk und Petro Poroschenko. Den Höhepunkt erreichte dieser »Handelskrieg« im August: Eine Woche lang wurden sämtliche Importe aus der Ukraine gestoppt, weil das russische Zollamt die Kontrolle für ukrainische Waren verstärkt hat. Die Aktion wurde Ende Oktober wiederholt, allerdings mit einer anderen Begründung. Am 28. Oktober führte der russische Zoll unerwartet neue Bestimmungen für den Warentransit durch die Zollunion (Russland, Belarus und Kasachstan) ein, so dass sich viele Lastwagen an der russisch-ukrainischen Grenze stauten. Darüber hinaus setzte Russland Ende Oktober die Importe von Fleisch und Waggons aus der Ukraine aus. Der »Handelskrieg« sollte der Ukraine zeigen, was sie im Falle der Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit der EU erwartet. So drohte Sergei Glasjew, Putins Berater und vorher Geschäftsführender Sekretär der Zollunion, unmittelbar nach dem August-Handelsembargo, die Ukraine aus der GUS-Freihandelszone auszuschließen, falls sie das EU-Freihandelsabkommen unterzeichnet.
Parallel zu den Handelssanktionen hat die russische Führung in den eigenen Medien eine massive Propagandakampagne gegen die ukrainische Führung eingeleitet. Ende September zeigte der zentrale russische Fernsehsender einen Wochenrückblick des russischen Journalisten Jewgeni Kiseljow unter dem Titel »Euthanasie à la Ukraine«, der der Ukraine nach der Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU den wirtschaftlichen Zusammenbruch prophezeit. Kiseljow verglich die Ukraine mit einem »Flugzeug, das ins Trudeln gekommen ist« und bezeichnete eine Unterzeichnung des EU-Abkommens als »Neomasepismus« (in Russland wird der ukrainische Kosakenführer Iwan Masepa, der im Nordischen Krieg 1708 von der russischen auf die schwedische Seite wechselte, als Verräter wahrgenommen). Ende Oktober startete im russischen Fernsehen die Sendereihe »Scheidung à la Ukraine«, die abermals die negativen Folgen einer europäischen Integration für die Ukraine betonte.
Auf Handelssanktionen und Propaganda gegen die Ukraine konzentriert, wirbt Russland vor dem Gipfel kaum für den eigenen Wirtschaftsblock. Einzelne Zugeständnisse, die die russische Seite als Hilfe für die praktisch insolvente Ukraine präsentierte, haben daran auch nichts geändert. Ende September gewährten russischen Banken der Ukraine einen Kredit in Höhe von 750 Mio. Euro. Gleichzeitig räumte Gazprom einen einmaligen Preisnachlass für die fehlende Gasmenge, die die Ukraine in ihren Speicheranlagen einpumpen muss, um im Winter einen stabilen Transit zu gewährleisten. Den Kredit muss die Ukraine jedoch innerhalb von zwei Jahren zurückzahlen, während von dem Gasrabatt vor allem Gazprom selbst und der ukrainische Oligarch Dmitro Firtasch profitiert haben. So hat Firtasch die Erdgasmengen zu einem niedrigen Preis eingepumpt; Gazprom hat sich allerdings das Recht vorbehalten, das Gas im Winter zu den gleichen Bedingungen zurückzukaufen. Diese Maßnahme führte vorübergehend zu Spannungen zwischen der Ukraine und Russland, da der ukrainische Konzern Naftogaz die eingepumpte Gasmenge in die Rechnung für Gasimporte aufnehmen wollte. Jedoch bringen beide Seiten diesen potenziellen Gaskonflikt nicht mit der Unterzeichnung des EU-Abkommens in Zusammenhang. Das traditionelle Druckmittel Russlands – die »Energiewaffe« – wird in diesem Fall politisch nicht eingesetzt.
Ein letztes Argument für einen Beitritt zur Zollunion sollte für die Ukraine das Beispiel Armeniens sein, das im September 2013 den Wunsch geäußert hatte, in die Zollunion aufgenommen zu werden. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Armenien sich zusammen mit Moldawien und Georgien auf die Initialisierung des Freihandelsabkommens mit der EU beim Vilnius-Gipfeltreffen vorbereitet. Der scharfe Kurswechsel wurde durch russischen Druck verursacht: Im Sommer hatte Moskau die Gaspreise für Armenien erhöht und gedroht, Waffen an Aserbaidschan zu verkaufen, was dessen Position im Bergkarabachkonflikt gestärkt hätte. Ende Oktober bekräftigte Armenien bei einem Treffen in Minsk seine außenpolitische Wende und unterzeichnete eine Erklärung über seinen Beitritt zur Zollunion.
Bis vor kurzem war die Neuausrichtung der armenischen Außenpolitik der einzige Erfolg, den Russland vor dem Vilnius-Gipfel erzielen konnte. Tatsächlich sind die Mitglieder der Zollunion eher in interne Probleme verstrickt, als dass sie einen Erfolg des eurasischen Integrationsmodells demonstrieren. So haben die Präsidenten von Belarus und Kasachstan beim Minsker Gipfel im Oktober die Umsetzung der bereits erzielten Vereinbarungen innerhalb der Zollunion öffentlich kritisiert und Russland Protektionismus sowie Hegemoniestreben vorgeworfen. Darüber hinaus ist es Russland nicht gelungen, Kasachstan und Belarus dazu zu bewegen, sich an den Handelssanktionen gegen die Ukraine zu beteiligen. Beide Länder haben beispielsweise Importe der Süßwaren von Roschen nicht begrenzt. All das macht die Probleme der eurasischen Integration deutlich und diese für potenzielle Teilnehmer nicht attraktiver.
Einflussversuche der EU
Auch die EU hat den Tonfall der Gespräche mit Janukowytsch geändert. Während im letzten Jahr Politiker in der EU versucht hatten, den ukrainischen Präsidenten politisch zu isolieren und die Unterzeichnung eines Assoziierungsabkommens auf unbestimmte Zeit zu verschieben, nahm die EU den Dialog mit der Ukraine in diesem Jahr wieder auf und formulierte konkrete Anforderungen, von deren Umsetzung die Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens abhängig gemacht wird.
Noch am 10. Dezember 2012 nannte der EU-Rat für Auswärtige Angelegenheiten drei Bereiche, in denen die ukrainische Führung greifbare Fortschritte nachweisen soll, nämlich bei Wahlen, bei der Beendung des selektiven Vorgehens der Justiz und bei der Umsetzung der in der Assoziierungsagenda vorgesehenen Reformen.
Später wurden die notwendigen Maßnahmen in der sogenannten »Füle-Liste« konkretisiert. Benannt nach dem EU-Erweiterungskommissar Štefan Füle, enthält die bisher unveröffentlichte Liste ein Verzeichnis von 19 Indikatoren. Am problematischsten für die ukrainischen Behörden ist dabei die Frage politisch motivierter Gerichtsurteile. Mit dieser Formulierung ist nämlich die Freilassung der ehemaligen Premierministerin Julia Tymoschenko umschrieben. Bekanntlich hat die Inhaftierung von Julia Tymoschenko im Oktober 2011 eine Krise in den Beziehungen zwischen der EU und der Ukraine ausgelöst, deren Höhepunkt ein Besuchsboykott der Fußball-Europameisterschaft 2012 durch europäische Politiker war. Heute ist Tymoschenkos Freilassung zu einer Kernbedingung im Vorfeld des Vilnius-Gipfels geworden, die alle anderen Forderungen der EU überschattet.
Der Einsatz für die Freilassung Tymoschenkos begann im Juni 2012 mit der Bildung der sogenannten Cox-Kwaśniewski-Beobachtermission. Seitdem ist deren Mandat mehrfach verlängert worden, zuletzt am 13. November bis zum Vilnius-Gipfel. Doch trotz der Bemühungen des ehemaligen Präsidenten des EU-Parlaments Pat Cox und des ehemaligen polnischen Präsidenten Aleksander Kwaśniewski, die die Ukraine als Angehörige der Beobachtermission mehr als 25 mal besucht haben, wurden bisher keine Fortschritte in der Frage Tymoschenko erzielt. Und das trotz der Tatsache, dass die EU Zugeständnisse machte – statt auf eine endgültige Freilassung zu drängen, hat die EU eine »Teilbegnadigung« für Tymoschenko vorgeschlagen. Dadurch sollte sich ihre Haftstrafe von sieben auf zwei Jahre verkürzen, als jener Frist, die sie sich bereits im Gefängnis befindet. Damit wäre es möglich, sie zur medizinischen Behandlung nach Deutschland ausreisen zu lassen.
Im Laufe der Zeit hat die Forderung nach der Freilassung Julia Tymoschenkos einen ultimativen Charakter angenommen, da einige Mitglieder des EU-Rates auf der Erfüllung sämtlicher Kriterien beharrten, während die ukrainische Führung die Lösung der Tymoschenko-Frage hinauszögerte. Im Parlament wurden sechs Gesetzentwürfe über die medizinische Behandlung von Julia Tymoschenko im Ausland registriert, die sich in ihren Folgen radikal unterscheiden. Die zwei wichtigsten davon gaben die Position Brüssels und der ukrainischen Regierung wieder: Während der eine die erwähnte Teilbegnadigung vorsieht, verlangt der andere die Rückkehr Tymoschenkos ins Gefängnis nach der Behandlung. Am 21. November hat das Parlament alle sechs Gesetzentwürfe abgelehnt. Die Zustimmungsquote lag bei 190–195 bei 226 notwendigen Abgeordneten. Die Partei der Regionen und die Kommunisten haben sich enthalten, während die Opposition dafür gestimmt hat. Kurz davor hatte Präsident Janukowytsch versichert, dass er das Gesetz unterschreiben werde, wenn es verabschiedet wird.
Bei der Erfüllung der anderen Kriterien kann die Ukraine jedoch einige Fortschritte vermelden. Nach der Sommerpause hat das Parlament fünf »pro-europäische« Gesetze verabschiedet. Es handelt sich um die Gesetze über den Zolltarif, über Neuwahlen in fünf strittigen Wahlkreisen, über die Haftbedingungen in den Gefängnissen, die Vollstreckung von Gerichtsurteilen, die Vollmachten des Rechnungshofes und die Wahlordnung. Für die Gesetze stimmten sowohl die Opposition als auch die Regierung. Damit zeigte die Ukraine eine seltene Einmütigkeit. Im Frühjahr war das noch nicht der Fall gewesen. Damals hatte die Opposition ihre Zustimmung zu Vorschlägen der Regierung an andere politische Fragen gekoppelt. Der Positionswechsel wurde erst unter dem Druck von Seiten der EU vollzogen.
Gleichwohl sind vor dem Kurswechsel nicht alle »pro-europäischen« Gesetze verabschiedet. Das Gesetz über die Staatsanwaltschaft stand erst zur zweiten Lesung an. Die Verfassungsänderungen, durch die die Unabhängigkeit der Richter gestärkt werden soll, sind weder in erster noch in zweiter Lesung verabschiedet worden. In den letzten Wochen wurde die Arbeit an diesen Gesetzen durch Uneinigkeit in der Tymoschenko-Frage gebremst. Vor dem 21. November zeigte die ukrainische Führung aber noch große Bereitschaft, mögliche Hürden für die Unterzeichnung des EU-Abkommens in der verbleibenden Zeit zu beseitigen. Das galt jedoch nicht für das Thema Tymoschenko.
Die Frage der Unterzeichnung des EU-Assoziierungsabkommens bleibt somit bis zum Vilnius-Gipfel offen und schürt die Rivalität zwischen der EU und Russland. So reagierte das Europäische Parlament auf die russische Handelsblockade gegen die Ukraine mit scharfer Kritik. In einem Beschluss hat es die Aktion als »über rein handelspolitische Gesichtspunkte hinausgehend« verurteilt, die »lediglich den offenkundigen politischen Druck verdecken«. Darüber hinaus forderte das EU-Parlament Russland auf, »von der Ausübung zunehmenden Drucks auf die östlichen Partner abzusehen und deren souveränes Recht, ihre eigenen politischen Entscheidungen zu treffen, umfassend anzuerkennen«. Eine Woche später erwiderte die russische Staatsduma in einer eigenen Erklärung, dass es die EU-Politiker seien, die direkten politischen Druck in Fragen der ukrainischen Innenpolitik ausübten und »Daumenschrauben« ansetzten. Ferner werde Kiew dazu gezwungen, auf die Souveränität der Ukraine teilweise zu verzichten und seine Handels- und Wirtschaftsbeziehungen praktisch unter Brüsseler Kontrolle zu stellen.
Die Position der ukrainischen Führung
Sowohl die EU als auch Russland haben betont: Eine Unterzeichnung des Freihandelsabkommen mit der EU und ein gleichzeitiger Beitritt zur Zollunion sind ausgeschlossen; die Ukraine müsse sich entscheiden. Eine solche Entscheidung ist für die Ukraine angesichts ihrer fast zwanzigjährigen Multivektorpolitik besonders schwierig.
Dennoch bewertet die ukrainische Führung gegenwärtig die Integration in die künftige Eurasische Union als weniger profitabel als eine weitere Annäherung an die EU. Diese Position hat sie während der Handelssanktionen Russlands nicht geändert. Vielmehr waren die Aussagen der ukrainischen Beamten nach der russischen Handelsblockade im August zuversichtlicher als je zuvor. Auch der Beschluss der Regierung vom 21. November, die Vorbereitung für das EU-Abkommen zu stoppen, hat daran nichts geändert. Die Regierung hat behauptet, dass die Aussetzung des Assoziierungsabkommens mit der EU nur eine vorübergehende Maßnahme, ein taktisches Manöver und kein Kurswechsel sei.
Nichtdestoweniger hat die russische Politik des brutalen Drucks offenbar funktioniert, wie Schwedens Außenminister Carl Bildt twitterte. Die Regierung erklärte ihre unerwartete Entscheidung mit der Notwendigkeit, das zurückgegangene Produktionsvolumen wiederherzustellen. So ist laut dem Premierminister Mykola Asarow das Handelsvolumen mit Russland um ein Viertel zurückgegangen, was zu einem deutlichen Rückgang der Staatseinnahmen geführt habe. Ebenso wird eine mögliche Schließung von Märkten in der Zollunion (Russland, Belarus und Kasachstan) nach der Schaffung einer Freihandelszone mit der EU befürchtet, was Russland bereits verkündet hat. Somit stellte die Regierung die Entscheidung zur Aussetzung des EU-Abkommens insbesondere angesichts der angespannten Wirtschaftslage der Ukraine als wirtschaftlich gerechtfertigt dar.
Die Volksversammlung zur Fortsetzung der europäischen Integration
Von der ukrainischen Öffentlichkeit wurde die plötzliche Kehrtwende allerdings nicht in Kauf genommen. In den sozialen Netzwerken wurden die Aufrufe zu Protesten gegen die Aussetzung des Assoziierungsabkommens immer lauter. Ebenso über soziale Medien begann man, Protestaktionen, die bald als »Euro-Maidans« bezeichnet wurden, zu organisieren und zu koordinieren. Schon am Abend des 21. November fanden erste Euro-Maidans in Kiew und Lwiw statt. In den folgenden Tagen wurden die Proteste immer größer. Ihren Höhepunkt erreichten sie am 24. November, als sich Zehntausende Ukrainer in Kiew versammelten. Kleinere Euro-Maidans gab es auch in anderen Städten der Ukraine und anderswo auf der Welt.
Die Opposition hat sofort eine Reihe von Forderungen an den Präsidenten und die Regierung gestellt. Zum einen wurde der Rücktritt der Regierung Asarow wegen Verrats an nationalen Interessen gefordert. Zum anderen wurde verlangt, den Beschluss der Regierung rückgängig zu machen und die Vorbereitung auf das Assoziierungsabkommen fortzusetzen. Andernfalls drohte die Opposition dem Präsidenten mit Amtsenthebung. Momentan ist noch unklar, ob sie sich durchsetzt. Die ukrainische Verfassung sieht die Amtsenthebung des Präsidenten nur durch das Parlament vor, wo die Opposition zurzeit keine Mehrheit hat. Des Weiteren kamen viele Menschen zu den Euro-Maidans nicht aus politischen Gründen, wie etwa 2004 während der Orangenen Revolution. Präsident Janukowytsch ist zwar sehr unpopulär, viele Bürger sind allerdings gegenüber jeglichen Politikern und Parolen skeptisch und ihre einzige echte Forderung ist die Fortsetzung des EU-Kurses und die Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU.
Auf die massiven Proteste hat die Regierung bisher gelassen reagiert. Die regierende Partei der Regionen und die Ukrainische Union der Industriellen und Unternehmer haben am 24. November eine ähnliche Versammlung unter dem Motto »Wir bauen Europa in der Ukraine« in Kiew durchgeführt. Auf dem Podium sprachen Unternehmer und Arbeitgeber aus den östlichen Regionen der Ukraine über die negativen Folgen des Assoziierungsabkommens mit der EU für die ukrainische Wirtschaft. Im Volksmund bekam die Versammlung schnell den Namen »Antimaidan«, was ihren künstlichen Charakter deutlich machen sollte. So wurden die Demonstranten, hauptsächlich Studenten, Staatsangestellte und Rentner, organisiert nach Kiew gebracht. Die Anzahl der Teilnehmer (nach einigen Angaben ca. 2.000) war aber deutlich niedriger als beim echten Euro-Maidan. Nichtdestotrotz gab es eine Live-Übertragung der Demonstration im nationalen Fernsehsender, während die Proteste mit mehr als 100.000 Teilnehmern (nach Angaben der Opposition) am Europa-Platz nur von einem privaten Sender, der dem Bürgermeister von Lwiw gehört, und über das Internet live übertragen wurden.
Die täglichen Proteste sollen bis zum EU-Gipfel in Vilnius andauern. Es gab allerdings schon Auseinandersetzungen mit der Polizei unter Einsatz von Tränengas. Darüber hinaus versuchte die Polizei, die Zelte der Opposition durch ein Gerichtsurteil abzureißen. Immerhin haben die Proteste schon gezeigt, dass die ukrainische Gesellschaft die Zukunft ihres Landes in Europa sieht und bereit ist, ihre Position aktiv zu verteidigen.