Die Dilemmata der westlichen Analyse des Euromaidans

Von David Marples (Edmonton)

Nach der gescheiterten Unterzeichnung des Assoziationsabkommens mit der Europäischen Union durch die ukrainische Regierung im letzten November wurde die Welt Zeuge der Euromaidan genannten Proteste. In Erinnerung an die Orangene Revolution wuchs die Menge schnell an, zu ihrem Höhepunkt auf mehrere Hunderttausend Protestierende. Die westlichen Medien beschrieben den Protest als ein Streben der jungen Ukrainer/innen nach Demokratie und einem europäischen Weg.

Als Beobachter aus der Ferne beobachtete ich, wie ich beim Betrachten eines Livestreams von einer Konfrontation zwischen dem Sondereinsatzkommando Berkut und den auf dem Platz Demonstrierenden innerlich jubelte, als erstere es nicht schafften, die Barrikaden zu durchbrechen. Etliche Faktoren sind im Zusammenhang mit der westlichen Berichterstattung vom Euromaidan jedoch irritierend.

Der erste ist die offene und unkritische Unterstützung des staatsbürgerlichen Aufstands in den westlichen Medien und Sozialen Netzwerken. Auf Facebook und Twitter verzichten Berichte aus Quellen wie der Ukrains’ka Pravda gleich ganz auf jeden Anschein von Objektivität. Per E-Mail und über Soziale Medien wurde ich aufgefordert, Petitionen zur Unterstützung der Protestierenden zu unterzeichnen. Kurz gesagt waren die westlichen Berichterstatter eher Unterstützer und Anwälte als kritische Beobachter.

Ein zweiter kritischer Punkt ist das Einsickern extremistischer Elemente in die Proteste. Symbolisiert wird dieser Vorgang durch das riesige Stepan-Bandera-Porträt, das zusammen mit dem Slogan »Hauptquartiere der Revolution« am Kiewer Rathaus angebracht wurde. Es entspricht einer Parade, die am 1. Januar 2014 stattfand, dem Geburtstag des früheren Führers eines Arms der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), deren Einstellungen meilenweit von den Prinzipien der Brüsseler Eurokraten entfernt sind. Wann immer sich die Demonstrierenden massenhaft zusammenfinden, wird prominent die rotschwarze Fahne der OUN gezeigt.

Der dritte Faktor betrifft die Ziele der Protestierenden. Aus dem Westen betrachtet war nie ganz klar, welche das waren – jenseits des Wunschs, Teil von »Europa« zu sein und, in letzter Zeit, die momentane Regierung abzusetzen. Dieser Punkt hat mit dem ersten zu tun, denn er führt zur Frage nach der Zusammensetzung der stattdessen einzusetzenden Regierung, wenn diese eine nennenswerte Repräsentanz politischer Parteien wie Swoboda zu berücksichtigen hätte. Die moderateren Parteien der Ukraine und ihre Vorsitzenden haben sich von den radikalen Extremisten nie distanziert. Diese Ambivalenz hat die Regierung bereits ausgenutzt, als sie am 16. Januar Änderungen am Strafgesetzbuch verabschiedete, die die öffentliche Leugnung der Verbrechen des Faschismus unter Strafe stellen.

Viertens ist zugegebenermaßen auch umgekehrt klar, dass das Janukowytsch-Regime korrupt und brutal ist und mitunter ohne zu zögern auch mit Gewalt gegen friedliche Protestierende vorzugehen. In den letzten Jahren hat es gezeigt, dass es bereit ist, Gerichte zu untergraben, Feinde zu schlagen, Freunde reichzumachen und, allgemein, sich an den Ressourcen des Landes zu bedienen, das es regieren sollte. Vor diesem Hintergrund machen die Proteste zweifellos Sinn. Doch sollten wir im Westen den gewaltsamen Wechsel eines gewählten Präsidenten unterstützen?

Fünftens wurden während der Proteste Meinungsumfragen in Umlauf gebracht, nach denen sich die Unterstützung des Euromaidans und die Opposition gegen ihn in etwa die Waage halten (40 bis 50 Prozent sind dafür und etwa 40 Prozent dagegen) (siehe Ukraine-Analysen Nr. 126). Ungeachtet der russischen Intervention und Wladimir Putins durchzieht die Ukraine selbst ein tiefer Graben. Die westlichen Medien sprechen mit jenen auf der anderen Seite dieses Grabens jedoch kaum. Zu behaupten, die meisten von ihnen wären Unterstützer der Regionen oder Kommunisten, ist allzu einfach.

Es lohnt sich zu fragen, ob es so etwas wie einen durchschnittlichen Ukrainer oder eine durchschnittliche Ukrainerin gibt und ob diese Person, so es sie denn gibt, wohl das Kaleidoskop verstehen kann, durch das westliche Analysten die Ukraine beobachten? Es wäre, meine ich, naiv zu glauben, dass diese imaginäre Figur fest hinter den Verteidigern der Barrikaden oder dem korrupten Regime stehen würde, und man kann ziemlich sicher sein, dass er oder sie sich entweder einen gesunden Abstand von den ukrainischen Oligarchen oder von den Moskauer Machenschaften wünscht. Ähnliche Anliegen würde vermutlich das Bandera-Porträt hervorrufen.

Bedauerlicherweise scheint die Zeit der objektiven Berichterstattung, soweit es eine solche geben kann, vorbei zu sein. An ihre Stelle sind allzu simple Beschwörungen getreten, entweder der Tugenden der europäischen Demokratie oder der Gefahren des russischen Autoritarismus, illustriert durch den bösen Präsidenten (Wladimir Putin), die blutig geschlagene Journalistin (Tatjana Chornowol) oder den Oppositionsführer (Jurij Luzenko). Indem sie solche Haltungen einnehmen, führen westliche Beobachter ihre eigenen Meinungen als am besten für das ukrainische Volk ein. Doch wer sind wir, dass wir urteilen?

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