Die letzten Tage und Wochen in der Ukraine waren innen- und außenpolitisch beispiellos turbulent. Die politische Wende in Kiew gelang gewaltsam, der ehemalige Präsident Janukowytsch floh nach Russland. Einige Beobachter sprechen – durchaus berechtigt – von dem einschneidendsten revolutionären Umbruch in Osteuropa seit 1989. Diese durchaus berechtigte Feststellung hat auch erhebliche Relevanz im wirtschaftlichen Bereich. Die jüngsten Entwicklungen eröffnen die Chance für einen sogenannten »Zweiten Neuanfang« für die Wirtschaft der Ukraine; die 1990er Jahre wurden nicht für eine wirkliche Umgestaltung genutzt. Dies bedeutet allerdings auch: Der Ukraine stehen kurzfristig schwierige wirtschaftliche Zeiten bevor. Daher ist es umso wichtiger, dass die neue Regierung in Kiew über hinreichende Kompetenz im Bereich Wirtschaft verfügt.
Das neue Kabinett von Arsenij Jazenjuk (siehe S. 16) umfasst mehrere im Wirtschaftsbereich sehr erfahrene Personen, aber auch Neueinsteiger mit Hintergründen in der Zivilgesellschaft, der Wissenschaft und der Wirtschaft. Auch Vertreter des Maidan, d. h. Führer der Selbstverteidigungseinheiten und Gruppen der Zivilgesellschaft, konnten sich als politische Spieler etablieren. Auf der einen Seite birgt das ein destabilisierendes Element, da diese ein geringes Vertrauen in die politische Klasse der Ukraine (einschließlich der Opposition und ihrer Führer) haben. Zudem provoziert das Verhalten Russlands auf der Krim diese Gruppe besonders – woran Russland gerade gelegen sein könnte. Auf der anderen Seite kann der gestiegene politische Einfluss der Zivilgesellschaft verhindern, dass die neue Regierung eine ähnlich schwache politische und wirtschaftliche Performance zeigt, wie die Mitte der 2000er Jahre nach der »Orangen Revolution«. Wichtig ist auch, dass zentrale Beschlüsse der neuen Regierung durch Vertreter der Partei der Regionen getragen wurden.
Insgesamt ist die Zusammensetzung der neuen Regierung begrüßenswert. Ihre Professionalität und Integrität scheinen höher als die der Vorgängerregierungen. Präsidentschaftswahlen sind für den 25. Mai angesetzt, auch Parlamentswahlen sollen möglichst rasch abgehalten werden. Doch wichtige Weichenstellungen über die wirtschaftliche und damit wohl auch über die politische Zukunft der Ukraine finden schon aktuell und in den kommenden Tagen und Wochen statt, z. B. im Rahmen der laufenden Verhandlungen mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF). Und da harte wirtschaftliche Sanierungs- und Reformmaßnahmen immer unpopulär sind, ist es von hoher Relevanz, dass die aktuelle Regierung – wie zuvor skizziert – über eine breite gesellschaftliche Unterstützung verfügt.
Allerdings ist die aktuelle Regierung massivem Gegenwind ausgesetzt. Die militärische Aggression Russlands gegenüber der bereits vorher semi-autonomen Krim bietet mit ihrer geopolitischen Dimension erhebliches Potenzial zur wirtschaftlichen und politischen Destabilisierung der Ukraine. Zudem kann sich die neue Regierung in Kiew so weniger der Stabilisierung der desaströsen wirtschaftlichen Lage in der Ukraine widmen. Die wirtschaftlich und finanziell desaströse Lage der Ukraine ist in den letzten Wochen deutlich zu Tage getreten. Verschärft wurde die Situation sicherlich dadurch, dass die Janukowytsch-Regierung bereits seit der Eskalation auf dem Maidan– trotz Dialogs mit der Opposition und den Außenministern Deutschlands, Frankreichs und Polens – ihren Abgang vorbereitet hat. Noch ist unklar, wie viel Geld hier noch rasch außer Landes geschafft wurde. Angesichts der fragilen wirtschaftlichen und finanziellen Lage der Ukraine – reflektiert in einem hohen Leistungsbilanzdefizit und nahezu nicht existenten Devisenreserven – ist es auch nicht verwunderlich, dass die Ukraine schon rasch nach der politischen Wende eine mehr oder weniger intendierte massive Abwertung der Landeswährung erlebte. Bevor es eine funktionierende Regierung und ein offizielles IWF-Hilfsgesuch gab, stellte die Nationalbank der Ukraine (NBU) (auch angesichts einer gefährlich niedrigen Devisenreserveposition, die nur noch zwei bis drei Monate der Importe abdeckt) die bisherige Stützung der Landeswährung ein, was sich – wie zu erwarten war – als extrem riskante Strategie herausstellte.
Schockhafte Währungsabwertung
Innerhalb weniger Stunden verlor die Hrwynja im hohen zweistelligen Prozentbereich im Vergleich zu Dollar und Euro an Wert, wobei anzumerken ist, dass sich der Druck auf die Hrwynja schon länger aufgebaut und eine schleichende Abwertung bereits unter der Janukowytsch-Regierung im Jahr 2013 begonnen hat. Denn an sich ist der Abwertungsdruck durch ein (wachsendes) strukturelles Leistungsbilanzdefizit in Kombination mit schwindenden Devisenreserven der NBU fundamental begründet, während in den letzten Monaten zudem wichtige Handelspartner der Ukraine – Russland, Belarus und Kasachstan –ihre Währungen abwerteten. Im Falle der Ukraine ist das erhebliche Leistungsbilanzdefizit der letzten Jahre – trotz einer nahezu völligen Stagnation der Gesamtwirtschaft – äußerst bedenklich und deutet klar auf eine überbewertete Landeswährung hin, wobei die Art und der Zeitpunkt der Abwertung viele Fragen aufwerfen und damit auch auf (Implementierungs-)Risiken bei der anstehenden wirtschaftlichen Sanierung der Ukraine hinweisen. Denn die Abwertung lag nicht nur in fundamentalem Abwertungsdruck, sondern auch in intransparenten Ausleihungsgeschäften der NBU mit einigen ukrainischen Banken (noch unter der alten Notenbankführung), die die NBU dann zusätzlich unter Druck setzten, begründet. Die Abwertung der Hrwynja war durchaus dramatisch und kommt größeren historischen Währungskrisen in anderen Emerging Markets nahe. Auf die Sicht von einem Jahr wertete die Hrwynja bis dato etwa 30 Prozent ab, während der historische Durchschnitt in Emerging-Markets-Krisen bei etwa 40 Prozent liegt; in vergangenen Krisen (1998, 2008) wertete die Hrwynja sogar um 50 bis 60 Prozent ab (siehe dazu Ukraine-Analysen 47 vom 11.11.2008).
Die Bedeutung der erfolgten – oder zumindest tolerierten – Abwertung der Hrwynja ist nicht zu unterschätzen. Sie ermöglicht einen schnellen Abschluss der IWF-Verhandlungen bzw. kann als Antizipation von IWF-Forderungen gesehen werden. Der IWF trat seit Jahren für eine Wechselkursflexibilität in der Ukraine ein und sie war Bestandteil voriger IWF-Unterstützungsprogramme; sie wurde bis dato aber nie implementiert. Zudem kann die Neuausrichtung des Wechselkurses, nun stärker im Einklang mit der fundamental schwachen Position der ukrainischen Volkswirtschaft, eine Konjunkturerholung unterstützen.
Dieser Gedanke wird durch einen umfassenden Ländervergleich mit Ländern mit ähnlichen ökonomischen Problemen wie denen der Ukraine bestätigt. Hier wird deutlich, dass eine spürbare Abwertung der Landeswährung (entweder als einmaliges Ereignis oder über Monate gezogen) merklich dazu beitragen kann, die außenwirtschaftliche Position und die Haushaltslage auszugleichen, während es nach einer Währungsabwertung mittelfristig auch eine schnellere Rückkehr zum Wirtschaftswachstum geben kann (nach einer scharfen, aber kurzen Rezession). Im Gegensatz dazu ist eine eher graduelle Korrektur nicht-nachhaltiger Außenwirtschafts- und Budgetdefizite innerhalb eines festen Wechselkursregimes (wie zuvor in der Ukraine) sehr schmerzhaft in Bezug auf die Wohlstandsverluste (gemessen am BIP-Wachstum). Dies wird u. a. auch durch das Schicksal der südlichen Eurozonenländer mit ihren festen Wechselkursen gegenüber wichtigen Handelspartnern deutlich.
Insofern ist die erfolgte schockhafte Währungsabwertung in der Ukraine ein wichtiger strategischer Schritt der neuen Regierung bzw. Administration, um im Jahresverlauf 2014 und 2015 möglichst rasch wieder wirtschaftliche Fortschritte bzw. eine Konjunkturerholung vorzuweisen. Zudem ist das Schaffen eines ökonomischen Aufwärtspotenzials im Falle der Ukraine von besonderer Bedeutung. Die jüngsten Proteste auf dem Maidan und in anderen Landesteilen haben ihren Ursprung teils auch in dem äußerst schwachen wirtschaftlichen Abschneiden der Ukraine, aus absoluter wie aus relativer Perspektive, seit dem Ausbruch der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise im Jahr 2008 (siehe dazu Ukraine-Analysen 94 vom 13.9.2011). Zumal eine wirtschaftliche Stabilisierung auch helfen kann, die innenpolitische Spaltung des Landes abzuschwächen, kann doch dann Russland in den südöstlichen Landesteilen angesichts seiner eigenen offenkundigen wirtschaftlichen Probleme nicht mehr als finanziell potenter Bezugspunkt angesehen werden.
Zudem ist die erfolgte harte Währungsanpassung ein Substitut für eine Anpassung nur über strukturelle und tiefgreifende Wirtschaftsreformen. Daher ist dieser Schritt im Falle der Ukraine keinesfalls gering zu schätzen. Denn die im derzeit auszuhandelnden IWF/EU-Unterstützungspaket geforderten Reformen (etwa die Anhebung der inländischen Energiepreise) werden sicher (mittelfristig) auf innenpolitische Widerstände stoßen; insofern ist eine marktbasierte und schnell bzw. umfassend wirkende Wechselkursanpassung durchaus sinnvoll. Die Erfahrung anderer osteuropäischer Transformationsländer zeigt zudem, dass eine schockhafte Anpassung rascher hilft als eine graduelle Sanierung. Die Akzeptanz der Tatsache, dass die Landeswährung überwertet war und mit der Abwertung nun bereits erhebliche Wohlstandsverluste vollzogen wurden, war aber sicher nicht die letzte wirtschaftspolitisch unpopuläre, aber notwendige Entscheidung der neuen Übergangsregierung.
IWF/EU-Stützungspaket für die Ukraine
Das neue Kabinett steht nun vor der enorm schwierigen und herausfordernden Aufgabe, die Ukraine durch ein umfassendes Sanierungs- und Sparprogramm vor dem weiteren Niedergang zu bewahren. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass der Übergangspremierminister deutlich machte, dass die Wirtschaft völlig auf der Kippe steht, u. a. mit leeren Staatskassen. Der unmittelbar wichtigste Schritt sind die Verhandlungen mit ausländischen Gebern über eine Brückenfinanzierung für die Ukraine. Im Idealfall käme so eine Brückenfinanzierung im Bereich von einer bis drei Milliarden US-Dollar (der IWF könnte gemäß seiner Regularien kurzfristig ca. eine Milliarde US-Dollar bereitstellen) sehr rasch zustande, d. h. bevor ein umfassendes IWF/EU-Unterstützungsabkommen endgültig unterzeichnet werden kann. Dies kann nämlich Wochen dauern und da man die Ukraine militärisch nicht unterstützen kann, wäre eine rasche finanzielle Stützung durch den IWF und gegebenenfalls auch auf bilateraler Basis durch G-7 Länder (damit u. a. auch durch Deutschland) sinnvoll und ein starkes politisches Signal (wie es in der Eurozonenkrise die Hilfe der deutschen Staatsbank Kreditanstalt für Wiederaufbau für Spanien war).
In Bezug auf das anstehende und notwendige längerfristige IWF/EU-Stützungspaket für die Ukraine kursieren seit längerem Summen im Bereich von 25 bis 35 Milliarden US-Dollar. Diese Summen könnten ausreichen, um die unmittelbaren Finanzierungslücken der Ukraine in den kommenden zwei Jahren zu decken. Es sollte jedoch gegebenenfalls eine größere Summe bereitgestellt werden, um ausreichend Puffer zu schaffen (z. B. gegen weitere mögliche wirtschaftliche Vergeltungsmaßnahmen Russlands im Bereich Wirtschaft oder gegebenenfalls für notwendige Stabilisierungsmaßnahmen im Bankensektor). Zudem kann die Übergangsregierung in Kiew angesichts der unklaren außen- und innenpolitischen Lage sowie der erheblichen Intransparenz in der staatlichen Verwaltung die Finanzlücken derzeit sowieso kaum klar beziffern. Ferner wird es für die Ukraine angesichts bestehender außen- bzw. geopolitischer Risiken sowie möglicher innenpolitischer Spannungen über längere Zeit schwer sein, nennenswerte Summen am internationalen Kapitalmarkt aufzunehmen. Um ein Finanzierungsvolumen von mindestens 25 bis 35 Milliarden US-Dollar oder mehr zu erreichen, werden die EU und die europäischen Länder beträchtliche Verpflichtungen eingehen müssen. Denn für den IWF wird es wegen existierender Vorschriften schwer sein, mehr als 15 bis 20 Milliarden US-Dollar bereitzustellen.
Insofern ist es auch richtig und wichtig, dass sowohl die USA als auch die EU bzw. die EU-Institutionen bereits eine rasche kurzfristige finanzielle Unterstützung von insgesamt elf bis 12,5 Milliarden Euro zugesagt haben und dass dabei viele wichtige (EU-)Institutionen an Bord sind. Die Europäische Investitionsbank (EIB) kann eine langfristige Finanzierung bereitstellen, denn es macht keinen Sinn, der Ukraine im Rahmen des IWF/EU-Programms zu viele neue kurzfristige Schulden aufzubürden. Die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE, englisch EBRD) kann ebenso eine wichtige Rolle spielen. Sie hat viel Erfahrung in der Stabilisierung von Bankensektoren und hier gibt es in der Ukraine sicher einiges an Risiken und Umstrukturierungsbedarf. Einige ukrainische Banken in lokaler Eigentümerschaft waren in den letzten Jahren erheblich an der direkten und indirekten Finanzierung der Janukowytsch-Regierung beteiligt und derzeit sind bereits zwei dieser Banken in Abwicklung.
Anpassungsmaßnahmen sind notwendig
Zudem ist wichtig, dass die EU im Kontext ihrer angekündigten finanziellen Stützung auch alle weiteren derzeit möglichen Unterstützungsmaßnahmen auf den Tisch gelegt hat (vorläufige Anwendung der vertieften und umfassenden Freihandelszone, wenn das Assoziierungsabkommen unterzeichnet wird, gegebenenfalls auch kurzfristige einseitige unterstützende Handelsmaßnahmen, Organisation eines hochrangigen Investitionsforums, EU-Hilfe bei der Modernisierung des Gastransitsystems und Arbeiten, um Gasflüsse über die Ukraine zu ermöglichen, vor allem über die Slowakei, Beschleunigung des Visa-Liberalisierung-Aktionsplans, Angebot einer Mobilitätspartnerschaft, technische Hilfe bei Verfassungs- und Justizreformen sowie der Wahlvorbereitung). Dies zeigt eine klare Entschlossenheit der EU. Zudem hat die EU mittel- bis langfristig deutlich größere Unterstützungssummen als die elf Milliarden Euro in den Raum gestellt.
Ohne Anpassungsmaßnahmen wie die erfolgte Währungsabwertung und die anstehende Budgetkonsolidierung wäre der Finanzierungsbedarf der Ukraine sogar noch höher als zuvor skizziert. Ohne eine Änderung der Politik wären allein für 2014 etwa 30 Milliarden US-Dollar an Stützung notwendig. Die aktuellen Machthaber in der Ukraine scheinen äußerst reformfreudig zu sein bzw. damit nicht unbedingt auf die eigene politische Karriere fokussiert. Solch eine Herangehensweise ist notwendig für die anstehenden harten wirtschaftspolitischen Reformen. Zudem erleichtert diese Einstellung eine rasche Unterzeichnung des IWF-Programms.
Heftiger BIP-Rückgang 2014 wahrscheinlich
Allerdings ist klarzustellen, dass der Ukraine nach dem erfolgten Abwertungsschock der Landeswährung und im Hinblick auf die anstehenden Sparmaßnahmen dieses Jahr aller Voraussicht nach ein handfester wirtschaftlicher Schock bevorsteht. Letzterer könnte gemäß ersten Überschlagsrechnungen ein Schrumpfen des BIP im Bereich von fünf bis zehn Prozent implizieren. Ähnlich drastische Einbrüche nach heftigen politischen Umbrüchen waren auch in der Vergangenheit in der Ukraine (etwa 2004) und in anderen Ländern zu beobachten. Ein Schrumpfen der Wirtschaft um fünf bis zehn Prozent wäre noch gar kein Negativszenario. In einer historischen Länderbetrachtung haben Staaten, die mit einer gleichzeitigen wirtschaftlichen Struktur- und Finanzkrise – teils gepaart mit Sezessionstendenzen – konfrontiert waren, im Schnitt BIP-Einbrüche von ca. 15 Prozent erlebt. Ferner ist mit einer drastischen Verschlechterung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Ukraine und Russland zu rechnen, was BIP-Wachstum, Staatsbudget und die Handelsbilanz negativ beeinflussen wird. Als Ergebnis erscheint es plausibel, dass die ukrainische Wirtschaft 2014 zumindest um drei bis sieben Prozent schrumpfen wird, während die Inflation – u. a. bedingt durch die Währungsabwertung – voraussichtlich in den zweistelligen Bereich ansteigen wird (ca. zehn bis 14 Prozent). Zumal auch das IWF/EU-Unterstützungsprogramm wahrscheinlich eine Kombination von mehr Wechselkursflexibilität (die teilweise schon erfolgt ist), Strukturreformen und drastischen Sparmaßnahmen vorsehen wird.
Balance zwischen Währungsabwertung, Sparmaßnahmen und bedeutenden Strukturreformen
Die notwendigen fiskalischen Sparanstrengungen im Rahmen des IWF-Programms werden sich wahrscheinlich auf mindestens vier bis fünf Prozent des BIP belaufen. Auch eine weitere Währungsabschwächung ist nicht auszuschließen, denn bisher wird die Hrwynja auch durch Maßnahmen der Devisenbewirtschaftung (etwa Begrenzungen beim Umtausch in Fremdwährung) gestützt, die derzeit den Abwertungsdruck mildern. Wobei zu beachten ist: Eine Währungsabwertung unterstützt v. a. exportorientierte Großunternehmen, weniger die auf den heimischen Markt fokussierten Unternehmen (teils mit Schulden in US-Dollar, da es kaum langfristige Ersparnisse bzw. Finanzierungen in Hrwynja gibt). Insofern gilt es zu betonen, dass IWF, EU und die ukrainischen Behörden die richtige Balance zwischen der bereits erfolgten und gegebenenfalls weiterer Währungsabwertung, Sparmaßnahmen und Strukturreformen finden müssen. Zu harte Sparmaßnahmen bergen angesichts des extrem niedrigen Einkommensniveaus in der Ukraine erhebliche Risiken, zumal zu harte Austeritätsmaßnahmen die gerade erfolgte politische Wende in der Ukraine torpedieren könnten. In diesem Kontext ist auf die Erfahrungen mit extremer Austeritätspolitik in der Eurozone zu verweisen (wo es in einigen Länden wie Italien oder Griechenland Technokratenregierungen bedurfte, deren demokratische Legitimität teils in Frage gestellt wurde). Im Sinne der wirtschaftlichen Unterstützung der neuen Regierung in Kiew ist es auch wichtig, dass einzelne westeuropäische Länder wie Österreich, die Schweiz oder Liechtenstein – auf Ansuchen der neuen Regierung in Kiew – bereits vor einer endgültigen Einigung auf EU-Ebene Schritte zum Einfrieren der Konten von hochrangigen ukrainischen Beamten unternommen haben (siehe Beitrag auf S. 19–20 und Tabelle 1 auf S. 21) – wobei anzumerken ist, dass das Einfrieren der Konten keiner Enteignung gleichkommt, d. h. die gesperrten Guthaben stehen jetzt nicht unmittelbar der Ukraine bzw. der neuen Regierung in Kiew zur Verfügung.
Globales Wirtschaftsumfeld günstig, aber Gegenwind seitens Russland zu erwarten
Ein kleiner Lichtblick für die Ukraine ist das aktuelle globale Wirtschaftsumfeld. Denn die nun anstehende Neuausrichtung der ukrainischen Wirtschaft erfolgt im historischen Vergleich mit Ländern mit ähnlichen Herausforderungen oder im Vergleich zur Situation der Ukraine in 2008/2009 in einem deutlich besseren globalen Wirtschaftsumfeld. Zudem gibt es einige weitere Aspekte, die eine wirtschaftliche Erholung – nach dem anstehenden tiefen Schock dieses Jahr – begünstigen können. Angesichts der völlig verfehlten Wirtschaftspolitik der letzten Jahre sowie erheblicher Korruptionsgeflechte im alten System gibt es viele »niedrig hängende Früchte« in Bezug auf Reformmaßnahmen und Effizienzsteigerungen (siehe dazu Ukraine-Analysen 123 vom 12.11.2013).
Die anstehenden wirtschaftspolitischen und ökonomischen Herausforderungen in der Ukraine dürfen dennoch keinesfalls unterschätzt werden – vor allem nicht von Seiten des Auslands und hier v. a. der EU. Da die jüngste politische Neuausrichtung der Ukraine massiven wirtschaftlichen und politischen Interessen Russlands zuwiderläuft, das seinen wirtschaftlichen Einfluss in der Ukraine in den letzten Jahren stark ausgedehnt hat, ist hier mit erheblichem Gegenwind zu rechnen. Ein erster russischer Ausbremsversuch war mit dem Aussetzen der im Dezember zugesagten Finanzhilfe erkennbar und weitere Ausbremsversuche könnten in Form von weiterer indirekter und direkter Einflussnahme daherkommen (z. B. als verschärfte Visabedingungen für Ukrainer, Gaspreiserhöhungen, Einforderung von Gaszahlungsrückständen oder erhöhte Zoll- und Handelsrestriktionen für die Ukraine im Russlandhandel). Als noch normale bzw. eher politikferne Maßnahme sind jüngste Verlautbarungen der beiden russischen Großbanken (Sberbank, VTB) zu sehen, ihre in den letzten Jahren durchaus stark angestiegene Kreditvergabe in der Ukraine (vorerst) zurückzufahren. Viele in der Ukraine tätige westeuropäische Banken haben angesichts der tieferen strukturellen Risiken, die in der aktuellen Wirtschaftskrise kulminierten, ihre Ukraine-Engagements in den letzten Jahren auch substanziell zurückgefahren. Dieses vorsichtige Verhalten war weniger in politischen Abwägungen, sondern v. a. in bankbetriebswirtschaftlichen (Risiko-)Überlegungen begründet. Denn das bisherige nicht nachhaltige Wirtschaftsmodell der Ukraine birgt erhebliche Risiken für grenzüberschreitend tätige Wirtschaftsakteure, was die jüngste massive Hrwynja-Abwertung zeigte.
Angesichts der jüngsten Entwicklungen ist es noch zu früh, um zu sagen, dass die Ukraine ihre aktuelle politische und regionale Struktur in Zukunft beibehalten wird. Eine sehr starke Autonomie der Krim – die nicht das wirtschaftliche Kernstück der Ukraine ist – ist nicht ausgeschlossen. Auch weitere Änderungen der territorialen Gliederung und des regionalen politischen Systems, mit einer größeren Autonomie der Regionen, erscheinen möglich. Letzteres könnte auch ein wichtiger Schritt in wirtschaftlicher Hinsicht sein, etwa zur Dezentralisierung und Subsidiarität in der Administration oder bei den kommunalen Haushalten. Es erscheint auch möglich, dass die neue (Übergangs-)Regierung weitere Zugeständnisse an die Südostregionen des Landes macht; etwa bei der Ernennung regionaler Gouverneure und Minister der Regierung, die die wirtschaftlichen und politischen Interessen des Südostens vertreten. Dies ist in der Tat schon passiert, etwa in Donezk und Dnipropetrowsk (siehe Grafik 2 auf S. 18).
EU-Assoziierungsabkommen und Beitrittsperspektive als Katalysator für nachhaltige Reformen
Entscheidend für eine wirtschaftliche Stabilisierung in der Ukraine wird sein, dass das Land in den nächsten zwölf bis 18 Monaten konsequent ein IWF/EU-Reformprogramm verfolgt. Letzteres darf das Land allerdings auch nicht überfordern. Hier gilt es anzumerken, dass IWF-Unterstützungsprogramme in der Ukraine – natürlich geschlossen mit Regierungen, die keine wirklich breite Unterstützung hatten – in der Vergangenheit kaum mehrere Quartale gehalten haben. Als positiver Katalysator einer nachhaltigen Reformierung könnte auch eine möglichst rasche Unterzeichnung des bereits ausgehandelten EU-Assoziierungsabkommens – auf Seiten der Ukraine von einer wirklich legitimen und neu gewählten Regierung – wirken.
Um der Ukraine allerdings wirklich langfristige wirtschaftliche (und politische) Perspektiven zu bieten, wäre es zudem umso wichtiger, dass die EU die Aussicht auf eine langfristig mögliche Mitgliedschaft – bei voller Erfüllung aller Beitrittsvoraussetzungen – in Aussicht stellt. Denn eine Annäherung an EU-Standards würde notwendige institutionelle Tiefenreformen in der Ukraine begünstigen. In diesem Kontext ist darauf zu verweisen, dass gerade das Beispiel der Türkei klar zeigt, dass eine vage EU-Beitrittsperspektive (bei einer NATO-Mitgliedschaft) nicht unbedingt institutionelle Tiefenreformen begünstigt. Wobei klar ist, dass in der Ukraine erhebliche Reformen nötig sein werden, um das politische und wirtschaftliche System annähernd auf den Stand der osteuropäischen EU-Beitrittsländer der letzten zehn Jahre zu bringen. Und im Kontext einer tieferen wirtschaftlichen Umgestaltung darf der enge Bezug zur politischen Umgestaltung nicht vernachlässig werden. Erfahrungen in anderen osteuropäischen Reformstaaten zeigen klar: Ohne fassbare Lustration sind tragfähige bzw. funktionierende marktwirtschaftliche Strukturen kaum aufzubauen.
Stabilisierung der Ukraine ohne Russland nicht möglich
Trotz aktueller und auch möglicher weiterer politischer und ökonomischer Destabilisierungsversuche Russlands ist es richtig und wichtig, dass die EU versucht, Russland weiterhin in die ökonomische und politische Stabilisierung der Ukraine einzubinden. Eine nachhaltige Stabilisierung der Ukraine lässt sich nicht ohne Russland erreichen. Zudem hat Russland rational betrachtet selbst erhebliche ökonomische Interessen in der Ukraine, denen die derzeit stark auf Effekthascherei setzende sporadische Außenpolitik Russlands zuwiderläuft. Ferner gilt es in der EU-Nachbarschaftspolitik im Bereich Wirtschaft darauf zu achten, Ländern eine Komplementarität zwischen einer Kooperation mit der EU und einer Kooperation mit Russland bzw. der von Russland geführten Zollunion zu offerieren – unabhängig von der zukünftigen Position der Ukraine zwischen diesen beiden Wirtschaftsblöcken.
Fazit und Ausblick
Wie im Beitrag skizziert bieten die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine die Chance einer nachholenden Revolution und v. a. einer nachholenden wirtschaftlichen Transformation. Abzuwarten bleibt, ob die Ukraine wirklich im Stande ist, eine zweite politische und wirtschaftliche Transformation – nach der gescheiterten und wirtschaftlich katastrophalen Transformation der 1990er Jahre mit ihren unvorstellbaren Wohlstandsverlusten – durchzustehen.
Wünschenswert wäre dies, doch eine positive Entwicklung ist im Falle der Ukraine selbstredend nicht garantiert. Europa und die USA haben eine Verantwortung für die weitere Entwicklung der Ukraine, wobei im wirtschaftspolitischen Bereich die Hauptverantwortung bei den Regierenden im Land selbst liegt. Und angesichts der in den letzten Wochen deutlich gewordenen Anfälligkeit der Ukraine für extreme Ereignisrisiken sowie des Rückzugs vieler westeuropäischer Investoren in den letzten Jahren wird eine neue Regierung in der Ukraine erst einmal einiges an Zurückhaltung bei westeuropäischen Investoren überwinden müssen.
Doch angesichts der derzeit klar sichtbaren Beherztheit der neuen Machthaber in Kiew sowie der Entschlossenheit großer Teile der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft der Ukraine, neue mittel- und langfristige Perspektiven zu eröffnen, erscheint zumindest vorsichtiger Optimismus angezeigt. Insbesondere die lokale Wirtschaft und auch im Land tätige multinationale Firmen haben sich in den letzten Tagen ganz deutlich auf Seiten der neuen Regierung positioniert und sind bereit, der neuen Regierung alle notwendige Unterstützung, die im Bereich des Möglichen liegt, zu gewähren. Und auch die durchaus kontrovers zu sehenden Oligarchen der Ukraine haben kein Interesse daran, einer stärkeren Kontrolle des Kremls zu unterliegen – zumal die jüngsten außenpolitischen Aktionen Russlands auch zeigen, dass hier die aktuelle Regierung durchaus politische Ziele ohne Blick auf ökonomische Langfristinteressen verfolgt.