Die Anführer der Separatisten in Donezk und Luhansk

Von Oleg Kaschin (Moskau)

Zusammenfassung
Falls jemand nach der »Hand Moskaus« bei den Donezker Separatisten gesucht hat, so kann die Suche als erfolgreich beendet betrachtet werden. Der russische Polittechnologe Alexander Borodai hat sich selbst aus unerklärlichen Gründen an die Spitze der separatistischen Regierung in Donezk gestellt, als ob er ein Geschenk an das offizielle Kiew machen wollte, welches jetzt überall, vor der UNO und anderswo, Borodai präsentieren wird – und erklären kann, dass Russland schon aufgehört hat sich zu verstecken und bereits offen alle bestehenden Normen missachtet. Ich muss sagen, dass die Ernennung von Borodai tatsächlich fast absolute Klarheit in die Donezker Ereignisse bringt. Es ist nicht die Art von Klarheit, auf die sich Kiew bezieht, aber Borodais Ernennung ist eine ziemlich gute Nachricht für Kiew, da sie zeigt, dass es die Ukraine in der Region Donezk im Gegensatz zur Krim nicht mit einer offenen oder geheimen Invasion durch Russland zu tun hat, sondern mit einer Gruppe von bewaffneten Aktivisten [der nationalistischen russischen Szene].

Anmerkung der Redaktion

Der folgende Text wurde im Original am 19. Mai 2014 auf der russischen Nachrichten- und Analyse-Website slon.ru unter dem Titel »Von der Krim in den Donbass: Die Abenteuer von Igor Strelkow und Alexander Borodai« veröffentlicht.1 Der Autor ist ein russischer investigativer Journalist, der unter anderem für die russischen Printmedien Kommersant, Komsomolskaja Prawda, Iswestija und Expert geschrieben hat.

Die Redaktion der »Ukraine-Analysen« veröffentlicht den Text in einer gekürzten Version mit Zustimmung des Autors. Die im Text geäußerten Meinungen geben ausschließlich die Meinung des Autors wieder und sind in Teilen spekulativ. Die Einschätzungen des Autors stellen jedoch aus Sicht der Redaktion eine interessante Ergänzung zur Debatte um die Rolle der Separatisten dar, die von Kiew nur als Marionetten Moskaus und von Moskau als Vertreter der ostukrainischen Bevölkerung dargestellt werden.

Einleitung

Falls jemand nach der »Hand Moskaus« bei den Donezker Separatisten gesucht hat, so kann die Suche als erfolgreich beendet betrachtet werden. Der russische Polittechnologe Alexander Borodai hat sich selbst aus unerklärlichen Gründen an die Spitze der separatistischen Regierung in Donezk gestellt, als ob er ein Geschenk an das offizielle Kiew machen wollte, welches jetzt überall, vor der UNO und anderswo, Borodai präsentieren wird – und erklären kann, dass Russland schon aufgehört hat sich zu verstecken und bereits offen alle bestehenden Normen missachtet.

Ich muss sagen, dass die Ernennung von Borodai tatsächlich fast absolute Klarheit in die Donezker Ereignisse bringt. Es ist nicht die Art von Klarheit, auf die sich Kiew bezieht, aber Borodais Ernennung ist eine ziemlich gute Nachricht für Kiew, da sie zeigt, dass es die Ukraine in der Region Donezk im Gegensatz zur Krim nicht mit einer offenen oder geheimen Invasion durch Russland zu tun hat, sondern mit einer Gruppe von bewaffneten Aktivisten [der nationalistischen russischen Szene].

»Öffentlich-private Partnerschaft«

Als Borodai noch, ohne das es jemand wissen sollte, auf der Krim aktiv war, antwortete er verneinend auf meine direkte Frage, ob er ein russischer Offizieller wäre, und erklärte, dass seine Tätigkeit im Rahmen »einer öffentlich-privaten Partnerschaft« liege. Von welcher Art der Partnerschaft die Rede war, verstand ich erst viel später, als mein Bekannter aus [der ukrainischen rechtsextremen Organisation] »Rechter Sektor« erzählte, dass einer der Sponsoren des Wahlkampfs von Dmitri Jarosch, einem führenden Vertreter der Organisation »Rechter Sektor«, der russische Großunternehmer Konstantin Malofeew war.

In Anbetracht des ausgeprägten national-patriotischen Images von Malofeew, fand ich diese Informationen amüsant – wenn ich das beweisen könnte, wäre es ein Skandal: entweder hilft Malofeew ohne Wissen des russischen Staates auf eigene Faust dem erklärten Feind Russlands oder aber der erklärte Feind Russlands ist eigentlich kein richtiger Feind. (In der Tat weiß niemand, wo es mehr Fans des »Rechten Sektors« gibt – in der Ukraine oder im Kreml, für den der »Rechte Sektor« die liebste Horrorgeschichte ist.) Aber Beweise für die Beteiligung Malofeews am Wahlkampf Jaroschs hatte ich nicht, und so ging ich den einfachsten Weg und fragte meine Leser in einem sozialen Internet-Netzwerk, ob jemand etwas davon gehört hatte.

Bereits nach 30 Sekunden kam ein Anruf von der Krim. Der Anrufer, ein Beamter, teilte mir mit, dass die Geschichte mit Jarosch so lächerlich ist, dass diese sogar als Lüge nicht durchginge, weil jeder bereits weiß, dass Konstantin Malofeew wirklich aktiv an den ukrainischen Ereignissen teilnimmt, aber nicht auf der Seite des »Rechten Sektors«, sondern auf der gegnerischen Seite. Die durch Malofeews Stiftung organisierte Spendenaktionen für die Krim fand vollständig öffentlich statt und als nicht öffentliche Ergänzung erzählte mir mein Gesprächspartner von der Krim noch, dass – bereits bevor die »höflichen Leute« Malofeews auf die Krim kamen – der Unternehmer aus seiner eigenen Tasche zur Unterstützung des »Bürgermeister des Volkes« in Sewastopol, Alexey Tschalyj, eine Million US-Dollar überwiesen hatte.

Die Krim wurde durch die russische Armee und einen russisch-orthodoxen Oligarchen annektiert

Alle meine Gesprächspartner beschrieben Malofeew gleich: Ja, er ist aufrichtig und ernsthaft verrückt nach Spiritualität, nationaler Großmacht, Militärgeschichte und besitzt eine riesige Bibliothek historischer Literatur. Damals in den neunziger Jahren war er als russisch-orthodoxer Aktivist in Petersburg bekannt und zwei Jahrzehnte später verwandelte er sich in einen herausragenden Vertreter der sozialen Gruppe »orthodoxe Geschäftsleute«. Personen aus seinem Bekanntenkreis berichten, dass vielleicht fraglich sei, wie er sein Geld verdiene, dass aber ohne Frage klar sei, wofür er es ausgebe: für Kirchen, Schulen, Geschichtsforschung und ähnliches. Er ist ein Mann, der bereit ist, sein Geld dafür auszugeben, dass Russland zu so etwas ähnlichem wird, wie das, was »wir verloren haben«.

Nachdem Borodai zum Ministerpräsidenten der Volksrepublik Donezk ernannt worden war, bestätigte Konstantin Malofeew selbst der russischen Tageszeitung »Wedomosti«, dass Borodai früher in seiner Firma Marshall Capital gearbeitet habe. Mit Igor Strelkow, der als Anführer der Freischärler zum Held der Nachrichten über die Kämpfe in Slowjansk wurde, hat mich auf der Krim Borodai persönlich bekannt gemacht. Außerdem behauptete er seinen alten Freund Strelkow selbst auf die Krim eingeladen zu haben.

So hat also diese »öffentlich-private Partnerschaft« auf der Krim ausgesehen. Auf staatlicher Seite wurde die Krim, wie bereits bekannt, durch die russische Armee annektiert und auf der privaten Seite durch die Leute des Oligarchs Malofeew.

Slowjansk gegen Donezk

In der Rolle des »Volksgouverneurs« des Donbass trat als erster Pawel Gubarew auf. Er verschwand dann schnell in einem Kiewer Gefängnis und nachdem er wieder in die Freiheit entlassen wurde, gab er einige skandalträchtige Erklärungen ab. Aus dem Gefängnis befreite ihn eigentlich nur Strelkow – im Austausch gegen ukrainische Soldaten. Den anderen Anführern der Donezker Volksrepublik war die Freiheit Gubarews ganz offensichtlich nicht mehr nötig. Gubarew ist so bereits eine Übergangsfigur aus einer früheren Folge der Geschichte und nicht mehr. Er hatte sich in Eigenregie zum »Volksgouverneur« ernannt, ich vermute für den Fall, dass Moskau plötzlich einen lokalen Alexej Tschalyj in Donezk benötigen sollte. Höchstwahrscheinlich konnte der ukrainische Geheimdienst Gubarew auch nur deswegen so leicht verhaften, weil Donezk selbst ihn auslieferte, da »Eigeninitiative nicht benötigt wird«.

Die Anführer der Donezker Volksrepublik, die laut Gubarew vom wichtigsten Donezker Oligarchen, Rinat Achmetow unterstützt wurden, gehören zur Mannschaft von Denis Puschilin (von seinen Verbindungen zu Achmetov berichtet offen und mit einigen konkreten Beispielen, [die russische Journalistin] Julia Latynina; erinnert sei auch an die Anekdote, nach der die Leute Puschilins eine Bankfiliale verteidigten, die der Familie des Ex-Präsidenten Janukowitsch gehörte).

Puschilins Leute halten bereits einen Monat lang Gebäude im Zentrum von Donezk besetzt ohne zu schießen (entweder haben sie keine Waffen oder nur wenige), hängen auf ihren Barrikaden Plakate auf, veranstalten Kundgebungen und bedrohen eigentlich niemanden. Trotzdem schaffen sie ein überzeugendes Bild des Separatismus in Donezk. Ich nehme an, dass Rinat Achmetow genau dieses Bild benötigte, um mit Kiew zu verhandeln und versprechen zu können, Puschilin und seine Leute zum Rückzug zu bewegen, wenn Kiew die gewünschten Zugeständnisse mache. Es wäre wahrscheinlich letztendlich auch alles so gelaufen, wenn da nicht Slowjansk gewesen wäre. In Donezk sitzen Leute in Verwaltungsgebäuden, Rentner gehen zu Kundgebungen und auf den Straßen sind Pseudobarrikaden zu sehen. In Slowjansk ist alles ernst. In Slowjansk sitzt Strelkow.

Che Guevara in Bolivien

Strelkow hat keinen Platz in ausgeklügelten Plänen, wie dem des Pseudo-Separatisten Puschilin, der versucht Kiew im Interesse von Achmetow, Janukowitsch oder Moskau einzuschüchtern. Strelkow kämpft einfach. Er tut das, von dem er schon immer geträumt hat, als er historische Schlachten nachspielte und in der [extrem nationalistischen russischen] Zeitung »Sawtra« Artikel schrieb.

Die anhaltenden Gerüchte über einen Militärputsch in der Donezker Volksrepublik, d. h. über den Sturz Puschilins durch Strelkow, belegen in erster Linie den eskalierenden Konflikt zwischen Slowjansk und Donezk. Donezk braucht Slowjansk nicht, Puschilin braucht Strelkow nicht. Strelkow macht es den Separatisten in Donezk unmöglich nach Hause zu gehen, selbst wenn Achmetov Puschilin entsprechende Anweisungen gibt.

Die Kämpfer in Slowjansk haben schon mehrfach Geiseln genommen, aber die wichtigsten Geiseln sitzen in Donezk – die Separatisten wider Willen, die gedacht haben, dass alles nur ein Spiel sei, bis Strelkow kam. Der ernannte seinen Freund Borodai zum Ministerpräsidenten der Donezker Volksrepublik und übernahm damit de facto selber die Macht im Donezker Büro der Volksrepublik.

Das wiederum bedeutet, dass Borodai den Posten des Ministerpräsidenten der Donesker Volksrepublik nicht als Kreml-gesteuerter Polittechnologe erhalten hat, sondern als Freund von Strelkow, als Verteidiger des Weißen Hauses [d. h. des Gebäudes des russischen Parlaments gegen den von Präsident Boris Jelzin angeordneten Einsatz der Armee] im Jahr 1993, als langjähriger Autor der Zeitung »Sawtra« und als Freund der Familie des [links-nationalistischen Agitators] Alexander Prochanow.

Wenn wir von Leuten des Kreml reden, dann meinen wir in der Regel abgebrühte Zyniker, die für Geld bereit sind alles zu sagen und zu tun, was verlangt wird. Das ist aber eine unglückliche Verharmlosung, da es in Wirklichkeit eine beachtliche Zahl von Menschen gibt, die die derzeitigen Werte des Kreml für sich selbst bereits 20 Jahren vor Putin formuliert haben. Das sind Menschen, die schon immer von einem solchen Kreml geträumt haben, wie wir ihn jetzt haben, für die die Arbeit für diesen Kreml nicht einfach ein Job ist, sondern die Fortsetzung dessen, was sie bei der Zeitung »Sawtra« schon vor langer Zeit gemacht haben.

Ohne Zweifel gehört Borodai genau zu dieser Gruppe. Sein Auftauchen in Donezk nicht in der Rolle eines geheimen Beraters, sondern eines Menschen, der offen ein schweres Verbrechen nach ukrainischem Recht begeht, zeigt, dass er nicht mehr von jemandem angestellt ist. Die jüngsten Äußerungen Strelkows zeigen alles Mögliche, aber nicht, dass ihm Russland hilft. Strelkow ist offensichtlich verzweifelt. Die einheimische Bevölkerung unterstützt ihn wohl nicht und ist schon gar nicht bereit zu kämpfen. Hilfe kann er von niemandem erwarten. Er ist in der Lage von Che Guevara in Bolivien – alle denken, dass jetzt alles wie in Kuba wird, aber tatsächlich wird natürlich alles ganz anders.

Dass Borodai sich Strelkow angeschlossen hat, gehört zu einer Geschichte über wahre Freundschaft und sonst nichts. Borodai kann nicht als Beweis für die Verantwortung des Kreml an Strelkows Aktivitäten dienen. Das ist nicht die Hand Moskaus, es ist einfach Borodai – auch so etwas gibt es.

Russland trägt selbstverständlich von Anfang an Verantwortung für die Krise in der Ukraine. Und speziell im Falle des Donbass reicht bereits die propagandistische Unterstützung aus, um Russland als Förderer der Separatisten zu bezeichnen. Die propagandistische Unterstützung kann nach Bedarf an- und wieder abgestellt werden, wie es auch schon mehrfach geschehen ist. Aber wie kann der Feldherr Strelkow abgestellt werden? Die Entwicklung der Ereignisse in Slowjansk demonstriert, dass dieser Abschnitt der ukrainischen Front sich längst nach seiner eigenen Logik entwickelt, längst den Rahmen der inner-ukrainischen Intrigen mit Beteiligung Achmetows verlassen hat und auch den der von der Krim bekannten »öffentlich-privaten Partnerschaft«.

Übersetzung aus dem Russischen: Lina Pleines

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