Minsk II: neues Spiel, neues Glück?

Von Regina Heller (Hamburg)

Am 12. Februar 2015 wurde auf die Initiative der EU-Mitglieder Deutschland und Frankreich hin gemeinsam mit der Ukraine und Russland ein neuer Vorstoß unternommen, das Minsker Abkommen vom September 2014 wiederzubeleben. Auf diese Weise sollte ein Weg für eine friedliche Beilegung des Konflikts in der Ostukraine gebahnt werden. Die wesentlichen Punkte von Minsk II beinhalten: 1. eine sofortige Waffenruhe und – von der OSZE kontrolliert – den Abzug schwerer Waffen auf beiden Seiten; 2. die Ingangsetzung eines politischen Prozesses, der insbesondere eine neue ukrainische Verfassung einschließlich der Dezentralisierung der Ukraine sowie Regionalwahlen vorsieht.

Schon in den ersten Tagen gab es bei der Umsetzung des Abkommens erhebliche Schwierigkeiten: Unter Missachtung der Waffenruhe haben ostukrainische Separatisten noch in der Nacht des Inkrafttretens die Stadt Debalzewe beschossen, einen strategisch wichtigen Verkehrsknotenpunkt, der die Städte Donezk und Luhansk miteinander verbindet. Auch der Abzug schwerer Waffen kommt nur mühsam in Gang, vor allem weil von beiden Konfliktparteien wiederholt lokal begrenzte bewaffnete Auseinandersetzungen gemeldet werden. Welche Erfolgsaussichten hat das Abkommen von Minsk?

Interessen der Konfliktparteien

Die Eroberung von Debalzewe zeigt, dass die Separatisten in der Ostukraine nur bedingt bereit sind, das Minsker Abkommen einzuhalten. Zudem haben sie den Vereinbarungen nur auf massiven Druck Russlands zugestimmt. All dies erweckt den Anschein, dass kein wirkliches Interesse an der vollständigen Einhaltung der Waffenruhe, geschweige denn an der im Abkommen vorgesehenen weiterführenden politischen Regulierung des Konflikts besteht. Vielmehr suggeriert die anhaltende aggressive Rhetorik der Separatistenführer, dass diese auch weiterhin – und ungeachtet der Vereinbarungen von Minsk – Fakten schaffen, d. h. auf militärischem Wege die Kontrolle über den gesamten Donbass herstellen wollen.

Die Regierung in Kiew weiß, dass eine nachhaltige Stabilisierung der Ukraine nur über die Beilegung des Konflikts gelingen kann. Sie hat daher ein sehr großes Interesse, die Gewalt im Osten des Landes zu beenden – auch unter Inkaufnahme hoher Kosten. So hat Kiew die Eroberung Debalzewes nicht zum Anlass genommen, das Minsker Abkommen aufzukündigen. Auch wäre Kiew im weiteren politischen Prozess bereit, den Gebieten Donezk und Luhansk weitreichende Autonomierechte im ukrainischen Staatsverbund zu gewähren. Scheitert Minsk II, würde dies Präsident Poroschenko innenpolitisch in starke Bedrängnis bringen und radikalen Kräften Auftrieb geben. Vor diesem Hintergrund sind Poroschenkos taktische Manöver einzuordnen, Russland auch weiterhin als Kriegstreiber in der Ostukraine zu bezeichnen und sich so der diplomatischen, wirtschaftlichen und gegebenenfalls auch militärischen Unterstützung des Westens zu versichern.

Russlands Interessen

Für den Erfolg des Minsker Abkommens wird es von großer Bedeutung sein, wie sehr Moskau tatsächlich an dessen Umsetzung interessiert ist. Grundsätzlich kommen Russland die Waffenruhe und die Aufnahme eines politischen Prozesses zupass, und dies in mehrfacher Hinsicht: Erstens kann sich Putin nach innen wie nach außen als verhandlungsbereiter Partner präsentieren, der eine gemeinsame Lösung des Konflikts anstrebt. So war es die russische Regierung, die auf der Sondersitzung des UN-Sicherheitsrats eine Resolution einbrachte, in der alle Beteiligten in der Ostukraine zur sofortigen Waffenruhe aufgefordert wurden. Gleichwohl hat Moskau die Separatisten nicht von ihrem Vorstoß in Debalzewe abgehalten – oder abhalten können. Zweitens geht die »Verantwortung« für das Wohlergehen der Bevölkerung in der Ostukraine wieder auf die Regierung in Kiew über, die sich im Minsker Abkommen dazu verpflichtet, Renten und Sozialleistungen im Separatistengebiet wieder auszuzahlen.

Sollte die Waffenruhe Bestand haben, die schweren Waffen aus dem Donezbecken abgezogen werden und in einem weiteren Schritt der politische Prozess tatsächlich in Gang kommen, würde Moskau auch in einer weiteren Hinsicht profitieren: Die territoriale Integrität der Ukraine bei weitreichender Autonomie des Separatistengebiets sichert Russland auch in Zukunft die Möglichkeit, Einfluss auf die inneren Entwicklungen in der Ukraine zu nehmen und die Zukunft des Landes maßgeblich mitzubestimmen.

Was ist zu tun?

Die Umsetzung von Minsk II findet unter schwierigsten Bedingungen statt. Ein schneller Erfolg ist unwahrscheinlich. Die aufgezeigten Interessensstrukturen schließen auch ein Scheitern des Abkommens nicht aus. Dies sollte aber angesichts der schwierigen Bedingungen nicht herbeigeredet werden. Der Westen sollte sich von keiner Seite unter Druck setzen lassen und sich der äußerst diversen und mitunter ambivalenten Interessenlagen der beteiligten Akteure bewusst sein. Er sollte diese, wo möglich, friedensfördernd nutzen bzw. ihnen dort, wo sie offensichtlich eine Friedensperspektive zu verhindern drohen, entgegenwirken.

Vor allem erscheint es wichtig, Russlands momentanes Interesse zu nutzen, die Gewalt in der Ostukraine zu beenden oder mindestens nicht weiter eskalieren zu lassen. Damit hängt auch Russlands Bereitschaft zusammen, in diesem Sinne auf die Separatisten einzuwirken. Solange erkennbar bleibt, dass Moskau die unkonventionelle Kriegführung in der Ostukraine beenden bzw. begrenzen will, wird auch Kiew sich weiter an den Vereinbarungen orientieren.

Der Westen sollte vor allem die Selbstverpflichtung der Parteien, die sich aus dem Minsk-II-Abkommen ergeben, als Ausgangspunkt nehmen, um nachdrücklich auf die Einrichtung effektiver Mechanismen zu bestehen, mit denen die Umsetzung des Abkommens überwacht werden kann. Hierzu müsste jedoch entweder die OSZE-Mission vor Ort personell deutlich vergrößert und technisch besser ausgestattet oder – Russlands Zustimmung vorausgesetzt – eine international mandatierte VN-Friedensmission eingerichtet werden.

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Kommentar

Trennlinien in der Ostukraine

Von Heiko Pleines
Zur Beilegung eines gewaltsamen Konfliktes müssen zuerst die Konfliktparteien getrennt und durch eine neutrale Instanz an der Wiederaufnahme von Gewalt gehindert werden. Dieser Logik folgen auch die in Minsk von der Ukraine, Russland und den Separatisten unter Vermittlung der OSZE geschlossenen Vereinbarungen vom September 2014 (Minsk 1) und Februar 2015 (Minsk 2).
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