Die Debatte um eine bewaffnete OSZE-Mission in der Ostukraine

Von Katerina Bosko [Malygina] (Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen)

Seit April 2016 wird eine intensive Debatte über eine bewaffnete OSZE-Mission in der Ostukraine geführt. Initiiert hat sie der Präsident der Ukraine, Petro Poroschenko, vermutlich um den öffentlichen Druck zu lockern, der auf ihn in der Ukraine herrscht. So drängen sowohl Russland als auch die westlichen Partner auf die Umsetzung der Minsker Vereinbarung in puncto Lokalwahlen im Donbass. In der Ukraine wird diese Option aber von der Mehrheit der Bevölkerung laut Umfragen abgelehnt (s. Grafik 3 auf S. 21) und von den rechtsextremen Organisationen blockiert. So endete im letzten Jahr die Abstimmung über die Verfassungsänderung zur Dezentralisierung, die auch eine der Forderungen der Minsker Vereinbarung ist, mit massivem Protest vor dem Parlamentsgebäude und Gewaltanwendung, in deren Folge drei Menschen ums Leben gekommen sind (s. Ukraine-Analysen 155). Erst vor kurzem haben radikale Aktivisten des »Asow«-Zivilkorps erneut gegen die Lokalwahlen in der Ostukraine protestiert (s. Dokumentation auf S. 8). In der Ukraine wird die die Durchführung der Wahlen im Donbass vor der Wiederherstellung der ukrainischen Kontrolle über die besetzten Territorien als Legitimierung der russischen Besatzung vergleichbar mit dem Krim-Referendum wahrgenommen. Die Rechtsradikalen befürchten, dass die Wahlergebnisse in der jetzigen Situation verzerrt und massiv manipuliert werden können. So würden die Binnenflüchtlinge aus dem Donbass mit ihrer pro-ukrainischen Position ausgegrenzt, während pro-russische »Touristen« über die von der Ukraine nicht kontrollierten Grenzen zu Russland ungehinderten Zugang zur Abstimmung hätten.

Mit der Forderung nach einem bewaffneten OSZE-Einsatz kommt Petro Poroschenko dem Verlangen der nationalistischen Parteien nach. Weil die Forderung kaum durchsetzbar ist, hofft Poroschenko, dadurch die unpopuläre Entscheidung über die Wahlen auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Im Einzelnen besteht die ukrainische Position darin, dass die Sicherheitskomponente vor der politischen Komponente der Minsker Vereinbarung stehen müsse. Das bedeutet, es einen konstanten Waffenstillstand geben sollte, bevor die Wahlen überhaupt stattfinden könnten. Die Sicherheitskriterien müssten nicht nur entlang der Kontaktlinie, sondern auf dem gesamten Konfliktgebiet eingehalten werden, so Poroschenko. Seiner Meinung nach kann die aktuelle OSZE-Mission die Erfüllung der oben genannten Bedingungen nicht gewährleisten. Aus diesem Grund bedarf es einer neuen Polizei-Mission, die permanent bewaffnete Checkpoints aufbaut, und zwar entlang der Kontaktlinie, an den Orten, an denen die abgezogenen schweren Waffen gelagert werden, und in dem von der ukrainischen Regierung nicht kontrollierten Teil der ukrainisch-russischen Grenze. Im Ergebnis soll eine bewaffnete OSZE-Polizeimission eine gewaltfreie Abhaltung von Wahlen in Donbass gewährleisten.

Der ukrainische Präsident vermittelt seine Position über verschiedene Kanäle nicht nur international, sondern auch national (wie etwa beim TV-Interview vom 24. April, bei den Veranstaltungen zum Tag der Grenzwache vom 28. Mai oder auf einer Presse-Konferenz vom 3. Juni). Das bedeutet, dass seine Adressaten neben Russland, Deutschland oder der OSZE auch die nationalistischen Kräfte in der Ukraine sind. Die Versicherheitlichung (»securitization«) der OSZE-Mission hat auch eine andere Funktion: die Verantwortung für die Sicherheitslage in der Ostukraine von der ukrainischen Seite auf andere abzuwälzen. Falls eine solche Mission zu Stande kommen sollte, würde sie auch der Legitimierung der Donbass-Wahlen dienen, die die ukrainische Regierung im gegenteiligen Fall nicht anerkennen würde.

Trotz seiner Bemühungen hat Poroschenkos Vorschlag international bisher wenig Unterstützung bekommen. In seiner Stellungnahme dazu hat Deutschland den zivilen Charakter der Mission betont (s. Dokumentation auf S. 24). Eine Änderung des gewährten Mandats solle es nicht geben. Stattdessen werden Gespräche über die Verbesserung der Sicherheit bei den geplanten Lokalwahlen geführt. Die russische Reaktion war genauso gelassen. In einem Interview am 4. Juni sprach der russische Außenminister Sergej Lawrow über die Stärkung der OSZE-Mission durch eine zusätzliche Gruppe von Beobachtern mit persönlichen Waffen zur Selbstverteidigung. Diese Gruppe würde im Rahmen der OSZE-Entscheidung in den problematischsten Zonen an der Kontaktlinie und in den Lagern für schwere militärische Ausrüstung stationiert. Lawrows Aussagen zufolge könnte Russland eine verwässerte Version von Poroschenkos Vorschlag billigen. Eine bewaffnete Gruppe sollte jedoch nur in einzelnen, vorab festgelegten Gebieten, nicht aber an der russisch-ukrainischen Grenze aufgestellt werden, was jedoch eine der Hauptforderungen der Ukraine ist.

Am aktivsten haben jedoch die Anführer der »Volksrepubliken« auf Poroschenkos Vorschlag reagiert. Sie behaupten, dass eine bewaffnete OSZE-Mission das Scheitern der Minsker Vereinbarungen bedeuten und nur zur Eskalation führen würde. Inzwischen gab es bereits zwei Kundgebungen gegen eine bewaffnete OSZE-Mission in der »DNR«. Am 10. Juni nahmen daran nach Angaben der OSZE-Beobachtermission sogar bis zu 20.000 Menschen teil. Während eine bewaffnete OSZE-Mission in den »Volksrepubliken« vorbehaltlos abgelehnt wird, wird gleichzeitig aber der Einsatz von Friedenstruppen aus Russland unterstützt. Dies wird jedoch die Ukraine niemals zulassen.

In Anbetracht aller oben skizzierten Positionen scheint die Debatte um eine bewaffnete OSZE-Mission in der Ostukraine in eine neue Sackgasse zu führen. Mit seinem Vorschlag versucht Petro Poroschenko zwischen unterschiedlichen Positionen zu lavieren und sowohl den innenpolitischen, als auch den außenpolitischen Druck auf ihn zu abzuschwächen. Seit Beginn dieser Debatte hat sich die Sicherheit der OSZE-Beobachter aber enorm verschlechtert. Die Mission kommt immer öfter unter Beschuss, vor allem auf den von der »DNR« kontrollierten Gebieten (s. Dokumentation auf S. 25). Glücklicherweise wurde bisher jedoch niemand verletzt.

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Analyse

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Von Wojciech Kononczuk, Marek Menkiszak, Andrzej Wilk
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