Poroschenkos Antikorruptionspolitik: Die ukrainische Zivilgesellschaft zwischen Skylla und Charybdis

Von Katerina Bosko [Malygina] (Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen)

Die letzten Entwicklungen in der Antikorruptionspolitik der ukrainischen Regierung stellen die Errungenschaften der »Revolution der Würde« in Frage. Vor drei Jahren wurde der Sieg der ukrainischen Zivilgesellschaft im Kampf gegen das korrupte Regime von Wiktor Janukowitsch gefeiert. Heute versuchen Präsident Poroschenko und sein Koalitionspartner im Parlament, die Partei Volksfront, die unabhängigen Nichtregierungsorganisationen über eine Diffamierungskampagne und eine Verschärfung der Gesetzlage zu kontrollieren.

Diffamierungskampagne gegen Antikorruptionsaktivisten

Noch Ende März 2017 ist Petro Poroschenko wegen der Einführung von Vermögenserklärungen für NGO-Mitarbeiter heftig in die Kritik geraten (s. Ukraine-Analysen 183). Die Änderungen des Antikorruptionsgesetzes wurden damals als Maßnahme gegen Antikorruptionsaktivisten interpretiert. In den folgenden Monaten haben sich die Befürchtungen leider bestätigt. So haben die Machthaber mithilfe regierungsnaher Gruppen aus der Zivilgesellschaft eine Diskreditierungskampagne gegen Antikorruptionsaktivisten gestartet. Die Waffe der interpretativen Journalisten – das »Whistleblowing« bzw. die Aufdeckung von Korruption – wurde nun gegen sie selbst gerichtet.

Internationale Aufmerksamkeit hat vor allem die Geschichte um Witalij Schabunin erregt. Schabunin leitet das Kiewer Antikorruptions-Aktionszentrum (AntAC), das im Frühling 2017 die Mitarbeiter des Sicherheitsgeheimdienstes SBU öffentlich dazu aufforderte, ihre begrenzt zugänglichen Vermögenserklärungen publik zu machen. Das AntAC kritisierte dabei die Schaffung eines Parallelsystems innerhalb des SBU zur Aufnahme der Vermögenserklärungen und argumentierte, dass nur ein Teil der SBU-Mitarbeiter das Recht auf ein besonderes Verfahren habe, während die anderen die Vermögenserklärungen über das öffentliche System der Nationalen Agentur für die Prävention von Korruption (NAZK) abgeben müssten. Unmittelbar nach dem Beginn des Gerichtsverfahrens gegen den SBU haben Unbekannte eine Kundgebung vor dem Haus von Witalij Schabunin inszeniert und den Aktivisten zur Abgabe der Vermögensdeklaration aufgefordert. Gleichzeitig erschienen in Massenmedien die Reportage »Slidamy hrantojidiv« (»Auf den Spuren von Grant-Fressern«) über Schabunins Vermögen und ein Film darüber, wie dessen Zentrum das Geld internationaler Geldgeber »veruntreut«. Außer gegen Schabunin richtete sich die Diffamierungskampagne aber auch gegen die ehemaligen interpretativen Journalisten und heutigen Abgeordneten der Werchowna Rada Mustafa Najem, Serhij Leschtschenko, Jehor Sobolew und Switlana Salitschuk. In einer Stellungnahme hat der Unabhängige Medienrat der Ukraine später die oben erwähnte Reportage als Verstoß gegen professionelle Standards im Journalismus verurteilt.

Der Erfolg der Diskreditierungskampagne ist schwer einzuschätzen. Bisher waren gerade die Nichtregierungsorganisationen eine der wenigen Institutionen in der Ukraine, denen die Bevölkerung vertraute. Die »journalistischen Untersuchungen« gegen Antikorruptionsaktivisten wurden zwar auf YouTube gepostet, jedoch nur in begrenztem Maße angeschaut (etwa 4.000 Aufrufe). Beliebter waren dagegen Fake News zum gleichen Thema auf dem YouTube-Kanal »Storozh Ukraina« (in einem kurzen Videoausschnitt berichtet ein amerikanischer Schauspieler auf »News24.com« über Strafverfahren gegen Schabunin; ca. 15.000 Aufrufe) und ein Video von einem Handmenge zwischen Wiktor Schabunin und dem Blogger Vsevolod Filimonenko, der seit April 2017 auf dem YouTube-Kanal »TVgolosnaroda« regelmäßig Videos gegen den Aktivisten postet (ca. 40.000 Aufrufe). Mithilfe dieser Methoden ist es den Initiatoren der Diskreditierungskampagne gelungen, das Thema schnell in der Öffentlichkeit zu verbreiten.

Die Parteien Volksfront und Oppositionsblock in der Offensive gegen Antikorruptionsaktivisten

Hinter der Attacke gegen das AntAC steht aber nicht nur der SBU. Die Partei Volksfront des ehemaligen Premierministers Arsenij Jazenjuk hat auch eigene Motive, um gegen das Zentrum zu kämpfen. Volksfront ist eine nationalkonservative Kraft im ukrainischen Parteienspektrum und wird vor allem vom Militär unterstützt. Die Verabschiedung der skandalösen Änderung des Antikorruptionsgesetzes Ende März, bei der die Pflicht zur Abgabe der Vermögensdeklarationen für Söldner und mobilisierte Reservisten durch eine Pflicht für NGO-Mitarbeiter ersetzt wurde, lag ganz im Interesse von Volksfront. Mehr noch, die Änderungen wurden von der ehemaligen Antikorruptionsaktivistin und heutigen Volksfront-Abgeordneten Tetjana Tschernowol vorgeschlagen und von ihrer Partei bei der Abstimmung auch fast einstimmig unterstützt.

In einer eigenen Untersuchung betont das AntAC, dass es eine Reihe von Strafanzeigen gegen Politiker von Volksfront initiiert hat, eine der öffentlichkeitswirksamsten richtete sich gegen den ehemaligen Volksfront-Abgeordneten und Spitzenpolitiker Mykola Martynenko, der im April 2017 schließlich verhaftet wurde. Gerade Pawlo Pinsenik, langjähriger Assistent von Martynenko und heute selbst Abgeordneter von Volksfront, hat den kompromittierenden Film über AntAC am 23. Mai 2017 im Parlament präsentiert und gefordert, dem Zentrum den Status einer gemeinnützigen Organisation zu entziehen.

Außer Volksfront haben sich an der Diskreditierungskampagne gegen Antikorruptionsaktivisten auch Politiker aus dem Netzwerk der ehemaligen Partei der Regionen, des heutigen Oppositionsblocks, beteiligt. So wurde die Reportage gegen Antikorruptionsaktivisten auf dem Sender »Ukraina« gezeigt, der dem Oligarchen und Hauptfinanzier der Partei der Regionen Rinat Achmetow gehört. Weitere negative Berichterstattung zu Schabunin erfolgte auf den Sendern »NewsOne« und »112-Ukraina«, die ebenso Politikern der ehemaligen Partei der Regionen gehören.

Beginn der »Jagd auf ausländische Agenten« à la Russland?

Was als Kampf der Partei Volksfront gegen das AntAC angefangen hat, droht nun, gefährliche Maßstäbe anzunehmen. Der »hrantojidy«-Diskurs hat einen fruchtbaren Boden für weitere Maßnahmen gegen unabhängige zivilgesellschaftliche Gruppen bereitet. Im Juli 2017 hat Präsident Poroschenko zwei Gesetzentwürfe ins Parlament eingebracht, die zwar die umstrittene Novelle zu den Vermögenserklärungen von Aktivisten zurückzunehmen versprechen, die aber gegen die demokratischen Prinzipien der Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der Zivilgesellschaft von der Politik verstoßen. Ihnen zufolge sollen übermäßige Berichterstattungspflichten für Nichtregierungsorganisationen und ihre Partner, darunter auch internationale Geberorganisationen, eingeführt werden (s. Dokumentation auf S. 19). Legitimiert werden die Maßnahmen durch einen Diskurs um »mehr Transparenz bei der Finanzierung der Verbände und der Verwendung internationaler technischer Unterstützung«. Sollten diese Gesetzentwürfe im Parlament verabschiedet werden, wäre das ein erster Schritt in Richtung »Jagd ausländischer Agenten« à la Russland.

Machthaber versuchen, sich vom Antikorruptionssystem auszunehmen

Während sich die unabhängigen Aktivisten zwischen Skylla (Einschüchterung oder Verhaftung aufgrund »gefälschter« Vermögenserklärungen) und Charybdis (hohe Geldbußen oder Schließung von NGOs aufgrund »versäumter« Berichterstattung) befinden, klammern sich die derzeitigen Machthaber aktiv aus dem neuen Antikorruptionssystem aus. So wurde zum Beispiel am 3. Oktober eine umfassende Justizreform verabschiedet, die unter anderem die Zeit für Ermittlungen von bis zu 15 Jahren auf sechs Monate verkürzt und den Abschluss erfolgloser Ermittlungen bereits nach einem Jahr vorsieht. In der Öffentlichkeit wurde dies sofort als »Freispruch für Kriminelle des Regimes Janukowitsch« interpretiert, weil sich die Strafverfahren in diesen Fällen bereits über mehrere Jahre hinziehen. In einer Stellungnahme hat das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU) den Präsidenten aufgefordert, sein Veto gegen die umstrittenen Änderungen der Strafprozessordnung einzulegen (s. Dokumentation auf S. 22). Die Änderungen selbst hatte der skandalumwitterte Abgeordnete der Radikalen Partei Andrij Losowyj vorgeschlagen, gegen den bereits wegen Steuerhinterziehung ermittelt wird. Sollten die neuen Bestimmungen in Kraft treten, bestünde die Chance, dass die Ermittlungen gegen ihn eingestellt werden.

Probleme und Verzögerungen gibt es auch bei der Umsetzung der IMF-Verpflichtung zur Schaffung eines unabhängigen Antikorruptionsgerichts. Die Grundlage dafür wurde noch im Juni 2016 mit dem Start der Justizreform geschaffen (s. Ukraine-Analysen 170). Ihre Umsetzung muss bis spätestens Ende 2017 erfolgen, scheiterte aber bisher am Widerstand seitens der Machthaber. Im September 2017 argumentierte Petro Poroschenko, dass die Ukraine mit der Schaffung eines unabhängigen Antikorruptionsgerichts abwarten könne und dass eine Antikorruptionskammer innerhalb des Obersten Gerichtshofs eine schnellere Alternative sei. Die Idee wurde von den internationalen Partnern aber nicht akzeptiert, weil die Machthaber im alten korrupten Gerichtssystem letzten Endes wohl die Kontrolle über die Korruptionsbekämpfung behalten würden. Als Kompromiss schlägt Poroschenko nun einen »Doppelpack« vor – die Schaffung eines unabhängigen Antikorruptionsgerichts und einer Antikorruptionskammer (s. Dokumentation auf S. 20). Das vorgeschlagene Parallelsystem trägt aber die Gefahr künftiger Instrumentalisierung in sich. So seltsam es klingen mag: eine höhere Anzahl von Institutionen bedeutet im Kontext hybrider Regime nicht unbedingt mehr gegenseitige Kontrolle, sondern stattdessen oft mehr Möglichkeiten, diese selektiv anzuwenden, vor allem wenn sie ähnliche Funktionen ausüben.

Ausblick

Die Offensive gegen die Antikorruptionsaktivisten ist ein Zeichen dafür, dass die Ukraine wieder vor einem möglichen »regime cycle« steht. Eingriffe in die Zivilgesellschaft, die durch einen hrantojidy-Diskurs gerechtfertigt werden, werden immer häufiger. In Russland wurden unabhängige zivilgesellschaftliche Organisationen durch ähnliche Prozesse marginalisiert. In der Ukraine ist der Umschwung zum Autoritarismus aber noch abwendbar. Schließlich ist die ukrainische Regierung von internationalen Kreditgebern genauso abhängig wie die ukrainische Zivilgesellschaft von ausländischer Finanzierung.

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