Der Export russischen Erdgases durch die Ukraine: Ein Auslaufmodel?

Von Andreas Heinrich (Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen)

Einleitung

Europa und die Türkei sind nach wie vor die Hauptabsatzmärkte für russisches Erdgas jenseits des Gebietes der ehemaligen Sowjetunion. Die von Gazprom in den letzten Jahren angestoßenen Pipelineprojekte haben in erster Linie das Ziel, die Bedeutung der Ukraine als Transitland für russisches Erdgas zu verringern.

Während zurzeit Pipelines durch die Ukraine eine nominelle Kapazität von 183 Mrd. Kubikmeter pro Jahr haben, plant Gazprom die Kapazitäten der Pipelines, die die Ukraine umgehen, vom derzeit 105 Mrd. Kubikmeter bis 2020 auf insgesamt 194,5 Mrd. Kubikmeter pro Jahr auszubauen. Damit würde Gazprom entweder seine Exportkapazitäten insgesamt deutlich ausweiten oder aber die Bedeutung der Ukraine als Transitland verringern. Gazprom selbst erklärte im Januar 2015 sogar, vollständig auf die ukrainischen Pipelines verzichten zu wollen.

Nord Stream

So verfolgt Gazprom derzeit mit Nord Stream, Blue Stream und Turkish Stream drei Unterwasserpipelines, die jegliche Transitländer umgehen:

Die Nord Stream Pipeline nach Deutschland ist seit Ende 2011 in Betrieb. Die bisherige Kapazität von 55 Mrd. Kubikmeter soll bis Ende 2019 durch zwei weitere Röhren auf 110 Mrd. Kubikmeter verdoppelt werden. Bisher ist Nord Stream aber nicht voll ausgelastet, da die weiterführenden Pipelines OPAL (36 Mrd. Kubikmeter pro Jahr) und NEL (20 Mrd. Kubikmeter pro Jahr) in Deutschland der EU Third Party Access-Regelung unterliegen. Demnach müssen 50 % der Kapazität für Wettbewerber zur Verfügung gestellt werden.

Verhandlungen über eine Aufhebung der Third Party Access-Regulierung für diese Pipelines laufen seit 2009. Gazprom hatte um eine Ausnahmeregelung gebeten, da die betroffenen Verbindungspipelines nur der Abnahme von Erdgas aus der Nord Stream Pipeline dienen, für die Gazprom der alleinige Nutzer ist. Daher würden die Verbindungspipeline keine Wettbewerber von Gazprom nutzen können. Die deutschen Behörden sind dieser Argumentation gefolgt. Allerdings hat Polen vor dem Europäischen Gerichtshof dagegen geklagt, die Entscheidung wurde daraufhin ausgesetzt; mit einer endgültigen Regelung wird für Sommer 2018 gerechnet.

Aber selbst bei vollständigem Zugang zur OPAL-Pipeline würde dies bei einer Kapazitätsverdopplung von Nord Stream nicht ausreichen. Vielmehr müsste das europäische (deutsche) Pipelinenetz ausgebaut werden, um das zusätzliche russische Gas aufzunehmen. Die EU aber will die Ukraine als Transitland erhalten.

Pipelines in die Türkei

Die Blue Stream Pipeline von Russland in die Türkei hat derzeit eine Kapazität von 16 Mrd. Kubikmeter, die aber zumeist nicht ausgeschöpft wird. Trotzdem vereinbarten beide Parteien 2015 die Erhöhung der Kapazität von 16 auf 19 Mrd. Kubikmeter pro Jahr.

Zusätzlich soll die Turkish Stream Pipeline mit zwei Röhren mit einer Kapazität von jeweils 15,75 Mrd. Kubikmeter gebaut werden, von denen 14 Mrd. Kubikmeter für den türkischen Markt bestimmt sind; der Rest soll über Griechenland nach Europa exportiert werden. Der Baubeginn fand im Sommer 2017 statt. Bisher wird die Türkei von Gazprom durch die Blue Stream-Pipeline und die Trans-Balkan-Pipeline beliefert. Gazprom scheint zu hoffen, mit Turkish Stream die Ukraine weitgehend als Transitland ersetzen zu können.

Resümee

Erdgasexporte nach Europa sind nach wie vor die Haupteinnahmequelle für Gazprom. Von daher bemüht sich das Unternehmen auch weiterhin, sich von Transitländern unabhängig zu machen. Die Pipelineprojekte des Unternehmens sind dabei von strategischen Überlegungen geprägt und vernachlässigen wirtschaftliche, technische und rechtliche Aspekte oftmals.

Der geplante Ausbau der Nord Stream-Pipeline macht einen gleichzeitigen Ausbau des deutschen Pipelinenetzes erforderlich, um das Gas zum Konsumenten zu bringen. Bereits jetzt können vorhandene Kapazitäten aufgrund von EU-Regelungen nicht voll genutzt werden.

Aufgrund der fehlenden Pipelineinfrastruktur auf dem Balkan ist die Turkish Stream-Pipeline für eine Versorgung des europäischen Marktes nicht sehr realistisch; eine Versorgung der Türkei allein durch Unterwasserpipelines erscheint möglich, ist aber teuer.

Zumindest aber üben beide Pipelineprojekte Druck auf die Ukraine aus und stärken Gazproms Verhandlungsposition. Das Unternehmen scheint in Zukunft auf kurzfristige Transitverträge mit der Ukraine zu setzen, die mit Hilfe der EU ausgehandelt und von ihr »garantiert« werden. Zudem ist der Einfluss der Ukraine bereits zurückgegangen; nur noch rund 50 % der russischen Erdgasexporte nach Europa und in die Türkei fließen durch das Land. Zum Vergleich: 1995 waren es 95 %, 2005 immerhin noch 75 %. Der Anteil wird wahrscheinlich weiter sinken, ein völliges Ausscheiden der Ukraine als Transitland ist aber nicht abzusehen.


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