Während das Anfang 2018 vom polnischen Parlament verabschiedete sogenannte »Holocaust-Gesetz« einen weltweiten Aufschrei auslöste, weil es eine offene Debatte über das polnisch-jüdische Verhältnis am Rande des Holocaust mit strafrechtlichen Sanktionen zu behindern droht, fand international kaum Beachtung, dass dieselbe Gesetzesänderung neben der polnisch-jüdischen Vergangenheit auch die polnisch-ukrainische Konfliktgeschichte einer geschichtspolitischen Reglementierung unterwarf. Die von der nationalkonservativen Regierung forcierte Novelle des Gesetzes über das »Institut des Nationalen Gedenkens« (IPN) stellt nämlich auch die Leugnung der Verbrechen von »ukrainischen Nationalisten und Mitgliedern ukrainischer Formationen, die mit dem deutschen Dritten Reich kollaborierten« an polnischen Staatsbürgern unter Strafe. Neben den USA und Israel protestierte deshalb auch die Ukraine vehement gegen das Gesetzgebungsverfahren, das von Jarosław Kaczyńskis Partei »Recht und Gerechtigkeit« (PiS) gleichwohl im Eiltempo durchgezogen wurde.
Mit der Novellierung des IPN-Gesetzes werden die Verbrechen ukrainischer Nationalisten an ethnischen Polen und polnischen Staatsbürgern anderer Nationalität auf dieselbe Stufe gestellt wie nationalsozialistische und kommunistische Gewaltverbrechen sowie sonstige Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, deren Leugnung bereits zuvor unter Strafe stand. Dabei unterstellt das Gesetz den ukrainischen Nationalisten pauschal, mit Nazideutschland kollaboriert zu haben, ohne zwischen einzelnen Gruppierungen wie etwa den Fraktionen der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) oder der Ukrajinska Powstanska Armija (UPA) zu differenzieren. Zudem wird erstmals die von polnischen Historikern überwiegend geteilte Geschichtsauffassung gesetzlich festgeschrieben, wonach es sich bei dem von ukrainischen Nationalisten organisierten Massenmord an ethnisch polnischen Zivilistinnen und Zivilisten in Wolhynien und Ostgalizien 1943 bis 1945 um einen Völkermord handle. Anstelle von Ostgalizien ist im Gesetzestext bezeichnenderweise von »Ostkleinpolen« (Małopolska Wschodnia) die Rede. Mit dieser aus der Zwischenkriegszeit stammenden Bezeichnung wird der historische Anspruch Polens auf die Region um Lemberg unterstrichen.
Anders als die Paragraphen, mit denen der »gute Name der polnischen Nation« vor der faktenwidrigen Zuschreibung von Verantwortung oder Mitverantwortung für den Holocaust geschützt werden soll, wurden die auf die polnisch-ukrainische Vergangenheit bezogenen Änderungen des IPN-Gesetzes nicht von der Regierung selbst eingebracht. Sie gehen vielmehr auf einen separaten Gesetzentwurf der Parlamentsfraktion des ehemaligen Rockmusikers Paweł Kukiz zurück. Deren Abgeordnete stammen teils selbst aus rechtsradikalen, offen antiukrainischen Bewegungen wie dem Ruch Narodowy oder sympathisieren mit deren Gedankengut. Die Regierungsmehrheit griff diesen Anstoß von rechts außen im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens allerdings dankbar auf. Im Gegensatz zu den Passagen über die polnische Rolle bei der Verfolgung und Ermordung ihrer jüdischen Nachbarn durch die Deutschen, die wissenschaftliche und künstlerische Äußerungen explizit von der Strafverfolgung ausnehmen, gilt dies für die ukrainischen Verbrechen nicht. Die wissenschaftliche Erforschung der Gewaltverbrechen in Wolhynien und anderswo dürfte durch die neue Gesetzeslage somit ernsthaften Einschränkungen unterliegen.
Diese massiven Eingriffe in die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit stellen jedoch eher eine Radikalisierung der Mittel polnischer Geschichtspolitik als eine grundlegende inhaltliche Neuausrichtung dar. Die Neufassung des IPN-Gesetzes kodifiziert ein Geschichtsbild, das in der polnischen Gesellschaft weit verbreitet ist und in den letzten Jahren im politischen Raum merklich an Zustimmung gewonnen hat. So ergab bereits eine ausführliche soziologische Studie über die polnische Kriegserinnerung, die das (damals noch in Planung befindliche) Danziger Museum des Zweiten Weltkriegs im Jahr 2009 durchführen ließ, dass Ukrainer im privaten Familiengedächtnis der Polen sogar noch etwas häufiger mit negativen Erfahrungen assoziiert wurden als Deutsche und Russen. Während die polnische Gesellschaft in anderen geschichtspolitischen Fragen, etwa hinsichtlich der Aufarbeitung der polnisch-jüdischen Vergangenheit, tief gespalten ist, besteht über die polnisch-ukrainische Konfliktgeschichte weithin Konsens. Auch die seriöse polnische Geschichtswissenschaft ist sich weitgehend einig, dass die Verbrechen der UPA in Wolhynien und Ostgalizien, denen wohl an die 100.000 Polen zum Opfer fielen, als Völkermord oder aber doch zumindest als »genozidale ethnische Säuberung« (Grzegorz Motyka) zu bezeichnen sind.
Wenngleich der liberale Teil des politischen Spektrums dieses Thema aus Rücksicht auf den fragilen Aussöhnungsprozess mit dem wichtigsten östlichen Nachbarn mit Samthandschuhen anfasst, beruht diese Zurückhaltung nicht auf einer wesentlich abweichenden Bewertung der blutigen Ereignisse während der Kriegsjahre. Dissens herrscht zwischen Liberalen und Konservativen nur im Hinblick auf den angemessenen Umgang mit kritikwürdigen Aspekten der polnischen Nationalitätenpolitik gegenüber den Ukrainern vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, beispielsweise der von den kommunistischen Sicherheitsorganen durchgeführten »Aktion Weichsel« zur Umsiedlung der in den neuen polnischen Staatsgrenzen verbliebenen Ukrainerinnen und Ukrainern.
Dagegen greift die politische Rechte die von den ukrainischen Nationalisten verübten Verbrechen an Polen offensiv auf und nutzt das Gedenken an diese zur innenpolitischen Mobilisierung. Die verstärkte Hervorhebung ukrainischer Verbrechen dient offenkundig dem Ziel, der Regierungsmehrheit die Unterstützung des radikal nationalistischen Spektrums zu sichern. Zugleich stößt sie jedoch auch in gemäßigteren Kreisen auf Zustimmung: Als der Sejm im Sommer 2016 einstimmig den 11. Juli zum »Nationalen Gedenktag für die Opfer des Völkermords der ukrainischen Nationalisten« erklärte, stimmte auch die liberale Opposition größtenteils für diese Resolution; nur zehn Abgeordnete enthielten sich. Nicht zuletzt hilft die Erinnerung an die ukrainischen Massenmorde an ethnischen Polen, den mehrfachen Opferstatus der polnischen Nation im 20. Jahrhundert zu untermauern, der durch die im osteuropäischen Vergleich weit vorangeschrittenen kritischen Forschungen zur Beteiligung einzelner Polen am Holocaust zumindest partiell in Frage gestellt wurde.
Ukrainisch-polnische Symmetrie?
Die heftige Kritik aus der Ukraine an dem neuen polnischen Geschichtsgesetz, das unter anderem von Präsident Petro Poroschenko und Außenminister Pawlo Klimkin in deutlichen Worten verurteilt wurde, ist also einerseits vollauf verständlich. Die Sorglosigkeit, mit der die gegenwärtige polnische Rechtsregierung strategische außenpolitische Interessen ihrer kurzfristigen innenpolitischen Taktik opfert, macht in der Tat staunen. Zudem kann die ukrainische Seite auf bemerkenswerte politische Gesten der Versöhnungsbereitschaft verweisen, wie den Kniefall Poroschenkos vor dem Warschauer Denkmal für die Opfer des Blutbads in Wolhynien im Juli 2016. Im Lager der polnischen Rechten wurden diese Gesten bestenfalls nonchalant übergangen.
Andererseits erscheint die Empörung, die führende Akteure der ukrainischen Geschichtspolitik wie der Chef des Ukrainischen Instituts des Nationalen Gedenkens (UINP) Wolodymyr Wjatrowytsch anlässlich der polnischen Gesetzesänderung zum Ausdruck bringen, etwas schal. Wjatrowytschs vollmundiges Urteil, die Ukraine sei nunmehr zum »Leader des freiheitlichen Denkens in unserem Teil Europas« geworden, passt nicht so recht zum wenig differenzierten ukrainischen Umgang mit den dunklen Seiten der eigenen Nationalgeschichte. Symptomatisch für dessen blinde Flecken sind Wjatrowytschs eigene Positionen zur ukrainisch-jüdischen Vergangenheit und zu den Massenverbrechen in Wolhynien und Ostgalizien, die er seit Jahren als »zweiten polnisch-ukrainischen Krieg« verharmlost. Angesichts der um ein Vielfaches höheren polnischen Opferzahlen kann von der von Wjatrowytsch behaupteten »Symmetrie« der polnisch-ukrainischen Verbrechen im 20. Jahrhundert keine Rede sein (und mit Blick auf die beinahe koloniale Asymmetrie in früheren Jahrhunderten ist ein solches Bild der polnisch-ukrainischen Beziehungsgeschichte ohnehin abwegig).
Tatsächlich liegt die Symmetrie zwischen Polen und der Ukraine weniger in der Vergangenheit, wie Wjatrowytsch meint, als in der nationalistischen Geschichtspolitik der Gegenwart. Sowohl die polnische Rechtsregierung als auch das UINP als zentraler Akteur der ukrainischen Geschichtspolitik propagieren einen rabiaten Antikommunismus, der das sowjetische bzw. staatssozialistische Erbe aus der Nationalgeschichte ausgrenzt und die historischen Gegner der Kommunisten undifferenziert glorifiziert. Zur Durchsetzung der eigenen historischen Meistererzählung schrecken beide Länder auch vor der Einschränkung von Wissenschafts- und Meinungsfreiheit nicht zurück. Zwar ist die Ukraine nicht so weit gegangen wie Polen, eine historische Bewertung von Taten und Untaten der Partisanen benachbarter Länder gesetzlich festzuschreiben und mit strafrechtlichen Sanktionen zu untermauern – in ihrem im April 2015 verabschiedeten geschichtspolitischen Gesetzespaket hat sie aber sehr wohl Regelungen erlassen, die jegliche Kritik am ukrainischen Unabhängigkeitskampf während des 20. Jahrhunderts als illegal einstufen. Dabei sind ausdrücklich auch Formationen eingeschlossen, die zumindest zeitweise mit Nazideutschland kollaboriert haben und Verantwortung für Massaker an wehrlosen Zivilisten tragen. Kritische Forschungen zu den Verbrechen von OUN- und UPA-Kämpfern an Polen und Juden stehen in der Ukraine also ebenso unter dem Damoklesschwert staatlicher Interventionen wie kritische Forschungen zur Mitverantwortung von Polen an der Ermordung ihrer jüdischen Mitbürger in Polen.
Dekommunisierung von oben
Gemeinsam ist beiden Ländern auch die in den letzten Jahren durchgeführte »Dekommunisierung« des öffentlichen Raums: Während diese in der Ukraine mit dem vielfach spontanen, von Aktivisten der Maidan-Revolution initiierten Sturz von Denkmälern Lenins und anderer Sowjetgrößen (»Leninopad«) begonnen hatte, wurde sie mit ihrer gesetzlichen Regulierung im April 2015 zu einem Instrument staatlich-bürokratischer Geschichtspolitik von oben. Sowohl am Dnipro als auch an der Weichsel, wo die PiS-Regierung im April 2016 ein ähnliches Dekommunisierungsgesetz verabschiedete, kam dem jeweiligen Institut des Nationalen Gedenkens eine zentrale Rolle bei der Entscheidung über die Umbenennung von Straßen und Plätzen oder über die Demontage von Denkmälern zu. Kontroverse Straßenbenennungen nach Stepan Bandera oder Lech Kaczyński konnten somit von der staatlichen Verwaltung im Zweifel auch gegen den Willen betroffener Kommunen und ihrer Einwohner durchgesetzt werden. Zwar markierte die Dekommunisierung in der Ukraine eine symbolische Abkehr vom sowjetischen, nunmehr exklusiv mit Russland assoziierten historisch-ideologischen Erbe, sie war aber in beiden Ländern gerade nicht mit der Abkehr von sowjetischen Praktiken der Durchsetzung eines auf zentraler Ebene vorformulierten Geschichtsbilds verbunden – im polnischen Fall steht sie vielmehr paradigmatisch für deren Rückkehr in nationalistisch-parteipolitischem Gewand.
Indem sie den Kommunismus als fremde Ideologie und totalitäre Herrschaftsform brandmarken, tragen die Dekommunisierungsprozesse nicht etwa zur vertieften Aufarbeitung der staatssozialistischen bzw. sowjetischen Erfahrungen der Polen und Ukrainer bei, sondern schreiben diesen die bequeme Rolle des passiven Opfers russischer Fremdherrschaft zu. Im Grunde zielen sie weniger auf die Auseinandersetzung mit der kommunistischen Vergangenheit, als vielmehr darauf, die bisherige, auf pluralistischen Aushandlungsprozessen (in Polen) bzw. dem regionalen Nebeneinander widersprüchlicher Geschichtsbilder (in der Ukraine) beruhende geschichtskulturelle Uneindeutigkeit zu überwinden und durch eine kohärente nationalistische Meistererzählung zu ersetzen. Diese Art von Geschichtspolitik spiegelt das in der politischen Rechten beider Länder verbreitete Bedürfnis wider, die nach 1989 bzw. 1991 vermeintlich ausgebliebene antikommunistische Revolution nachzuholen und den Transformationsprozess der letzten 25 Jahre einer Neubewertung zu unterziehen. Das mag in der Ukraine noch einigermaßen nachvollziehbar sein – obwohl sich auch hier die Frage stellt, ob die politisch folgenlose Mythologisierung des Euromaidan als »Revolution der Würde« nicht vor allem denjenigen Teilen des politisch-ökonomischen Establishments in die Hände spielt, die an weitergehenden systemischen Reformen und einer nachhaltigen Aktivierung der Zivilgesellschaft wenig Interesse haben. Ganz ähnliche Denkschablonen offenbaren sich aber auch in scheinbar absurden Behauptungen polnischer Regierungspolitiker: So verkündete der damalige Innen- und jetzige Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak allen Ernstes, der Kommunismus sei in Polen erst mit den Justizreformen der PiS-Regierung im Jahr 2017 zu Ende gegangen. So verstanden, dient »Dekommunisierung« in erster Linie der Diskreditierung der liberalen Transformationseliten und der symbolpolitischen Profilierung der aktuellen Regierungen.
Nationalisten von gestern, Nationalisten von heute
Eine logische Folge dieser größtmöglichen Distanzierung vom (real existierenden oder als schematisches Feindbild herbeikonstruierten) Kommunismus ist die undifferenzierte Glorifizierung der jeweils radikalsten Fraktion der Antikommunisten. Das erklärt die gewachsene Popularität von Stepan Bandera, OUN und UPA in der Ukraine, die von jungen ukrainischen Patrioten sicherlich weniger für ihre Terroranschläge gegen den polnischen Staat der Zwischenkriegszeit oder ihre blutigen ethnischen Säuberungen während des Krieges geschätzt werden als für ihren bewaffneten Widerstand gegen die Sowjetisierung der Westukraine in den Jahren 1944 bis 1953. Ihr Gegenstück in Polen sind nicht etwa die Kämpfer der Armia Krajowa, der bewaffneten Untergrundbewegung der legitimen polnischen Exilregierung, die in den vergangenen 25 Jahren den wichtigsten Bezugspunkt der polnischen Erinnerungskultur bildete, sondern vielmehr die sogenannten »verfemten Soldaten« (żołnierze wyklęci). Unter diesem Sammelbegriff lancieren polnische Nationalisten das Gedenken an ein heterogenes Spektrum antikommunistischer Partisanen, die bis in die frühen 1950er Jahre hinein mit der Waffe in der Hand gegen das kommunistische Regime und dessen lokale Repräsentanten kämpften. Viele dieser Kämpfer stammten aus radikal nationalistischen, explizit antidemokratischen Untergrundtruppen wie den »Nationalen Streitkräften« (Narodowe Siły Zbrojne, NSZ), die für ein ethnisch homogenes Polen ohne nationale Minderheiten kämpften und dabei auch vor Massakern an der nichtpolnischen Zivilbevölkerung sowie punktuellen Kooperationen mit der Wehrmacht nicht zurückschreckten.
Nachdem solche Traditionsbildungen lange auf rechtsradikale Subkulturen und Fußballfans beschränkt blieben (etwa den »Prawyj Sektor« im Stadion von Dynamo Kiew), werden sie seit etwa drei Jahren auch von staatlichen Instanzen wie den beiden Instituten des Nationalen Gedenkens aufgegriffen. Während in der Ukraine die Beteiligung nationalistischer Gruppierungen an der Maidan-Revolution und am Krieg gegen Russland als Katalysator dieser Entwicklung wirkte, dient die nationalistische Reorientierung der offiziellen Geschichtspolitik in Polen in erster Linie der Abgrenzung von der liberalen Meistererzählung, die sich auf den pluralistischen Untergrundstaat und die demokratische Oppositionsbewegung in der spätsozialistischen Volksrepublik beruft. Obwohl die antikommunistische Geschichtspolitik sich also weder in Polen noch in der Ukraine vordergründig gegen den jeweiligen Nachbarn richtet, lässt sie doch unweigerlich den historischen Konflikt zwischen den konkurrierenden nationalen Ambitionen der benachbarten Völker wieder aufleben. Durch die wachsende Akzeptanz ihrer historischen Vorbilder UPA und NSZ im politischen Mainstream fühlen sich radikale Nationalisten hier wie dort ermutigt, ihre bislang marginalen Deutungen der polnisch-ukrainischen Vergangenheit vom rechten Rand in die Mainstream-Öffentlichkeit zu tragen.
Auf beiden Seiten belassen es rechtsradikale Gruppierungen nicht beim derzeit modischen Reenactment historischer Ereignisse, sondern nutzen die Gelegenheit, um die historischen Konflikte mit Attacken auf ukrainische bzw. polnische Grabstätten und Denkmäler in die Gegenwart zu transponieren. So sprengten unbekannte Täter im Januar 2017 das Denkmal für die 800 polnischen Opfer des Massakers im westukrainischen Huta Penjazka in die Luft. Im Juni 2016 überfielen gewaltbereite Nationalisten der »Allpolnischen Jugend« am helllichten Tag eine griechisch-katholische Gedenkprozession im Zentrum der polnischen Grenzstadt Przemyśl. Auch viele ukrainische Arbeitsmigranten bekommen das zunehmend von nationaler Selbstgenügsamkeit und Xenophobie geprägte Meinungsklima in Polen zu spüren, in dem die extreme Rechte den Ton angibt und die nationalkonservative PiS-Regierung es an klaren Verurteilungen antiukrainischer Vorfälle missen lässt.
Als Reaktion auf die Demontage eines UPA-Denkmals auf dem Friedhof von Hruszowice nahe Przemyśl durch Dorfbewohner und rechte Aktivisten, das nach Auffassung des polnischen Kulturministeriums ohne Rechtsgrundlage errichtet worden war, erklärte die Ukraine im April 2017 ihrerseits über 100 polnische Denkmäler auf ihrem Territorium als illegal und untersagte geplante Exhumierungsarbeiten des polnischen IPN an Stätten ukrainischer Massenmorde in Wolhynien. Anstatt den Geistern, die sie riefen, durch besonnene, ausgleichende Gesten Einhalt zu gebieten, stehen sich die Akteure der staatlichen Geschichtspolitik beider Länder seither offen auf verschiedenen Seiten der Barrikade gegenüber.
Wenn sowohl Polen als auch die Ukraine in diesem Jahr den 100. Jahrestag ihrer Unabhängigkeit feiern, werden sie dies also kaum gemeinsam tun. Obwohl – oder gerade weil – sich das gegenwärtige polnische Regierungslager und das Umfeld von Wolodymyr Wjatrowytsch am UINP in ihrem hochgradig selektiven Geschichtsverständnis so nahe sind, fehlt ihnen die Bereitschaft zu einem dialogischen Erinnern über die Grenzen der je eigenen nationalistischen Wagenburg hinweg. Angesichts dessen dürfte der ebenfalls bevorstehende 75. Jahrestag des Massakers von Wolhynien die geschichtspolitischen Beziehungen zwischen beiden Nachbarn auf eine neuerliche harte Probe stellen.
Dabei sollten die jüngsten polnischen Erfahrungen mit dem vernichtenden internationalen Echo auf die Novelle des IPN-Gesetzes auch den proeuropäischen Kräften in der Ukraine zu denken geben: Wer sich einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den dunklen Seiten der eigenen Vergangenheit dauerhaft verweigert, schließt sich aus der geschichtskulturellen Gemeinschaft der Europäer aus. Die komplizierte polnisch-ukrainische Konfliktgeschichte des 20. Jahrhunderts mag in der westlichen Aufmerksamkeit einen peripheren Platz einnehmen; für das transnationale Holocaust-Gedenken gilt dies jedoch nicht. Auch die Ukraine dürfte deshalb früher oder später an ihrer Bereitschaft zur selbstkritischen Aufarbeitung ihrer Nationalgeschichte gemessen werden. Egal, ob in Kiew, Przemyśl oder Warschau – von übersteigertem Nationalismus und politischer Instrumentalisierung der Vergangenheit profitiert am Ende nur Russland.