Innen- und außenpolitischer Hintergrund der europäischen Beihilfekontrolle
Beihilferecht – darunter versteht man innerhalb der EU das grundsätzliche Verbot von staatlichen Subventionen an Unternehmen. In der außenpolitischen Debatte findet das Thema weniger Aufmerksamkeit, jedoch hat das Beihilfeverbot auf europäischer Ebene große strukturelle Veränderungen der Wirtschaft wie die Privatisierungswelle ab den 1980er Jahren mit sich gebracht. Der EU-Kommission kommt im Bereich Wettbewerb eine einflussreiche Rolle zu, da sie Ausnahmen vom Beihilfeverbot genehmigen kann. Was die Kontrolle staatlicher Mittel mit der ukrainischen EU- Annäherung zu tun hat, und welche Potenziale für die gesamtheitlichen Reformbemühungen im größten Teilnahmeland der Östlichen Partnerschaft hat, darauf wird dieser Artikel eingehen.
Das EU-System der Beihilfekontrolle ist weltweit einmalig – ein Ergebnis teilweise gegenläufiger Wirtschaftsinteressen der Länder und der daraus entstehenden Notwendigkeit, die Subventionspolitiken der Mitgliedstaaten zugunsten ihrer nationalen Vorreiter zu steuern und einzuschränken. Ohne diese Regulierung, so die Logik des EU-Beihilferechts, könnte es in gewissen Geschäftssituationen zu starken Wettbewerbsverzerrungen im europäischen Binnenmarkt kommen, wenn Unternehmen dank staatlicher Subventionen unter Marktwert anbieten können. Dabei schließt der EU-Beihilfebegriff längst nicht nur monetäre Direktzuwendungen an Unternehmen ein. Heutzutage handelt es sich oft um »versteckte Beihilfen«, die häufig zu Wettbewerbsverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) führen, wie zum Beispiel reduzierte Sozialversicherungsbeiträge oder die Übernahme von Garantien für insolvenzbedrohte Banken durch den Staat. Als Folge dieser Politik ist in der EU das Niveau der staatlichen Beihilfen an der realen Wirtschaftsleistung seit den 1970er Jahren stetig gesunken.
Nicht zuletzt aufgrund der weitverzweigten Handelsbeziehungen macht es aus europäischer Sicht Sinn, dass Drittstaaten ebenfalls von Subventionen an heimische Unternehmen absehen, die andernfalls unkontrolliert Wettbewerbsvorteile gegenüber europäischen Unternehmen durch Subventionen der einheimischen Wirtschaft für sich beanspruchen können. Die neuen Handelsabkommen zielen darauf ab, den EU-Standard beim Beihilferecht durchzusetzen, mit dem Effekt einer konsequenten Ausweitung des Anwendungsbereichs der EU-Regeln – um dann wiederum auf multilateraler OECD- und WTO-Ebene mit gestärkter Position den EU-Standard weltweit fortzuschreiben. Die Rolle der EU als Normsetzer ist daher in der Nachbarschaft und den EU-Beitrittskandidaten von besonderer Bedeutung.
Erfahrungswerte der Beihilfeformen in den mittel- und osteuropäischen Staaten
Bei den in den 1990er Jahren beginnenden Beitrittsverhandlungen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten (MOE) hat auch das europäische Beihilferecht seinen Platz in den strategischen Verhandlungen gefunden. Dies war sicher auch mit dem Ziel verbunden, die anlaufenden Direktinvestitionen aus der EU in den MOE abzusichern und unlauteres Wettbewerbshandeln in den Transformationsländern auf ihrem Weg zur EU-Mitgliedschaft konsequent und von Beginn an einzudämmen. Auch galt die Vor-Beitrittszeit als Testphase, bei der durch Lernprozesse bei Unternehmen und Wettbewerbsbehörden ein Gespür für die Logik und die Vorteile eines geringeren Engagements des Staates in der Wirtschaft entwickelt werden konnte. Der Dogmenwechsel verlief unter der Regie nationaler Aufsichtsbehörden parallel zum EU-System relativ reibungsfrei – maßgeblich durch das »Zuckerbrot des EU-Beitritts« bedingt, aber nicht zuletzt auf Investorenseite mit der Absicht, langwierige Prüfungs- oder gar Gerichtsverfahren wegen illegaler Beihilfen zu vermeiden.
Insgesamt betrachtet fällt die Bilanz, auch in Bezug auf den gewählten Ansatz, positiv aus: Das gesamte Beihilfe-Niveau näherte sich in den MOE in den ersten Jahren nach dem EU-Beitritt beachtlich schnell an das der alten EU-15 Länder an, nämlich von 2,0 auf ungefähr 0,5 Prozent der Wirtschaftsleistung.
Von der Nachbarschaft zur Mitgliedschaft? Die Beihilfereform im Kontext der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP)
Im Kontext der Östlichen Partnerschaft, aber auch bei den Beitrittskandidaten des Westbalkans und den Euromed-Ländern, findet man in den AAs Kapitel zur Beihilfekontrolle, jedoch mit unterschiedlicher Regelungstiefe. Das Kapitel im EU-Ukraine AA beinhaltet die umfassendsten Reformschritte, auch im Vergleich mit den anderen AAs der dritten Generation (Republik Moldau und Georgien). Im Endeffekt bedeutet es für die Ukraine bis zum Jahr 2022 eine faktische Übernahme aller EU-Beihilfevorschriften (EU-Acquis), samt Rechtsprechung des EuGHs und dessen Schlichtungskompetenz in konkreten Auslegungsfragen, welche die Ukraine durch das AA anerkennen wird. Die EuGH-Aufsichtskompetenz und das Streitbeilegungsverfahren im Ukraine-AA gehen sogar über die Bestimmungen des AA mit den EFTA-Ländern (Island, Norwegen, Liechtenstein, Schweiz) hinaus. In der turbulenten Phase von 2014–2015 wollten die ukrainischen Verhandler damit sicherlich ihrem Willen zur EU-Integration Nachdruck verleihen. Regelmäßig wird vom EU-Ukraine Assoziierungsrat (höchstes Entscheidungsgremium) beschieden, wie es um die Reformbaustellen steht. Nur bei positivem Befund, bei der beide Seiten ein Vetorecht haben, werden andere »Zuckerbrot«-Programme wie Visaerleichterungen oder weiterer EU-Marktzugang bewilligt. In der ENP nennt man diese Vorgehensweise Konditionalitätslogik.
Die ENP ist Mitte der 2000er Jahre nach der Osterweiterung mit dem Ziel »alles außer Mitgliedschaft« ins Leben gerufen worden. Ebenfalls gilt das Kalkül der Regelungsübernahme durch die teilnehmenden Länder. Der einschneidende Unterschied der ENP-Länder im Vergleich zu den MOE ist der Mangel an realen Beitrittsperspektiven und damit der überschwere Anreiz für erfolgreiche Reformen. Vieler Beobachter sehen darin ein Haupthindernis für nachhaltigen Wandel nach EU-Modell in der Östlichen Partnerschaft. Vorab bemerkt handelt es sich also im konkreten Fall bei der fast eins-zu-eins Übernahme des EU-Acquis zur Beihilfekontrolle in der Ukraine um ein typisches Vor-Beitrittsinstrument – ohne, dass tatsächliche Beitrittsverhandlung stattfinden.
Eine Kosten-Nutzenanalyse der Beihilfereform
Ein Kerngedanke der Beihilfekontrolle ist, dass eine staatliche Intervention nur bei Marktversagen angemessen ist. Bei der Marktöffnung von Transformationsländern durch eine EU-Assoziierung können die neuen Marktkräfte für wettbewerbsschwache Industriesektoren und Regionen somit das Aus bedeuten. Bei konsequenter Anwendung der EU-Beihilfebestimmungen, verstärkt durch andere marktwirtschaftliche Reformbereiche, muss man daher mit tiefen strukturellen Umwälzungen rechnen.
Im Allgemeinen sind die Früchte einer Subventionspolitik kurzfristig sichtbarer, wie die populäre Rettung von Unternehmen und die Sicherung von Arbeitsplätzen. Der ökonomische Mehrwert der Beihilfereform durch verbesserten Wettbewerb und zielorientiertere Verwendung öffentlicher Gelder wird jedoch den Entscheidern und der breiten Öffentlichkeit erst mittelfristig zugänglich.
Eine Kosten-Nutzen-Analyse der Beihilfereform zeigt, dass die EU mit ihrem bisherigen Modell der Normübertragung einen hohen Nutzen (Wettbewerbsschutz) bei gleichzeitig vernachlässigbaren Kosten erfährt. Auf der Seite der Ukraine sind die Vorteile – ein besseres Investitionsklima, internationale Glaubwürdigkeit sowie EU-Marktzugang – mit politisch- oder wirtschaftlichen Kosten genauer abzuwägen: Reformer müssen gegen die Interessen von einflussreichen Staatskonzernen und Industrien ein hohes Maß an politischer Überzeugungsarbeit leisten, um den marktwirtschaftlichen Strukturwandel nicht als privates (für Großindustrielle) oder soziales (befürchtete Entlassungswelle) Fiasko zu verkaufen, sondern als große Chance für die Modernisierung des Landes und den Anschluss an den europäischen Binnenmarkt.
Da der Dezentralisierungsprozess des Landes außerdem einen zentralen Stellenwert besitzt, muss zudem darauf geachtet werden, dass ein zentralisiertes Beihilfekontrollsystem durch die Ukrainische Antimonopolkommission (AMKU) die erstarkende Selbstverwaltung auf regionaler Ebene begleitet.
Der Umsetzungsstand in der Ukraine, das Mikro-Reformsystem und die Erfolgsfaktoren
Drei Jahre nach der Unterzeichnung des EU-Ukraine AA wurde im August 2017 das Gesetz Nr. 1555 zu Beihilfen an Unternehmen rechtskräftig und bewirkte die umfassende Übertragung der EU-Regelungen, wobei das Gesetz auch auf spezifische Bedingungen in der Ukraine angepasst worden ist. Für den Landwirtschafts- und Fischereisektor findet die Beihilfekontrolle keine Anwendung, wie im Übrigen auch innerhalb der EU. Mit dem Gesetz sind aus rechtlicher Sicht die Weichen gestellt für eine prozessgeleitete, rein technische Bewertung von Beihilfefällen und deren Genehmigung.
Die AMKU hat bereits seit der ukrainischen Unabhängigkeit ihre Arbeit als Wettbewerbsaufsicht aufgenommen und mehrere Male versucht, ihre Prüfungs- und Genehmigungsverfahren politisch unabhängig durchzuführen und Gesetzesnovellen anzustoßen. Schon zu Janukowytsch-Zeiten ist ein Beihilfegesetz und ein de-politisiertes Genehmigungsverfahren durch die AMKU am Widerstand der Unternehmer im Parlament gescheitert. Vor dem jetzigen Gesetz konnte das Ministerkabinett Entscheidungen der AMKU im Wettbewerbsbereich unter Berufung auf ein höheres öffentliches Interesse zurücknehmen. Die Gunst der politischen Entscheidungsträger galt im Zweifel der Industriepolitik, und eben nicht dem freien Wettbewerb, sodass von einer unabhängigen Wettbewerbsaufsicht in der Vergangenheit keine Rede sein konnte.
Aus der Erfahrung mit Transformationsländern wird vielmals ein hinreichendes Niveau wirtschaftlicher Entwicklung als Voraussetzung für ein funktionierendes Beihilfesystem angesehen, womit ein Blick auf das Reformumfeld in der Ukraine umso wichtiger erscheint. Betrachtet man andere Eckpfeiler der Assoziierungsagenda, also die Bemühungen zu transparentem Regieren (hier sind die Reformen im Vergaberecht und bei der Unternehmensführung vor allem staatsnaher Betriebe zu nennen), ergibt sich durch die neue Beihilfekontrolle eine schlagkräftige Ergänzung: Bei den Prüfverfahren durch die AMKU können informelle Absprachen und enge Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft ans Tageslicht geraten, die zu einseitigen Staatsbeihilfen für bestimmte Unternehmen führten. Deren Spitzen bewegen sich bekanntlich auf politischem Parkett, sei es im Parlament oder in der Präsidialverwaltung, und konnten bisher maßgeblich auf die Bewilligungen Einfluss nehmen. Nun gilt es, die weitere Gewährung staatlicher Beihilfen (dazu gehören auch Eigentums- und Lizenzrechte) an einflussreiche Unternehmer in der Politik zu verhindern. Sieht man also die Beihilfereform im Zusammenspiel mit Transparenz und Korruptionsprävention, erhöhen sich die Erfolgschancen. Ein ähnlicher Ansatz der »Schocktherapie« hat sich in den MOE in den 1990ern mit dem Rückzug des Staates aus der Wirtschaft bewährt, weitgehend ohne oligarchische Strukturen zu hinterlassen.
Ein durchsetzungsstarkes Verwaltungssystem (unabhängige, transparente Prüfverfahren, Trennung von der politischen Ebene, sowie die Möglichkeit, bei Beihilfebescheiden in Berufung zu gehen) bildet bei der Beihilfereform, wie auch bei vielen anderen Reformbemühungen, die Grundlage. Darauf aufbauend sollten massive Bildungs- und Kampagnenarbeit über die Vorteile marktwirtschaftlicher Mechanismen, sog. »Competition Advocacy«, die Reform begleiten und internationale Expertengruppen eingeschlossen werden.
Die Forschung zur Umsetzung von Wettbewerbsreformen beschreibt dabei zwei wesentliche strategische Zielrichtungen: Auf der einen Seite sollte die AMKU konsequent, aber weitgehend unbeachtet und unterhalb des politischen Radars seine Verfahren bewerkstelligen. Damit bestärkt die Behörde ihren Ruf als widerspenstiger, unvoreingenommener Reformagent. Auf der anderen Seite kann die AMKU sich behaupten, wenn die Behörde auch auf einige Leuchtturmverfahren gegen Staatskonzerne setzt und sich undurchsichtige Beihilferegime des Energiesektors (dieser empfängt mit mehr als 30 Prozent den größten Anteil staatlicher Hilfen für Unternehmen) vornimmt. Somit schärft die Behörde ihr Profil, indem sie sich massive Belastungen für den Haushalt durch intransparente Direkthilfen an verlustreiche und unter Korruptionsverdacht stehende Staatsunternehmen entgegenstellt. Auch die Entflechtung des Energiemarktes, die von internationaler Seite immer wieder gefordert wird, erhält ein ganz neues Instrument zur Hand – anhand Beihilfeverfahren kann mit rein regulatorischen Mitteln ein großer Modernisierungsdruck auf die betroffenen Unternehmen ausgeübt werden. Öffentlichkeitswirksame Wettbewerbsverfahren gegen Großkonzerne zählen auch innerhalb der EU als probates Mittel, was am Beispiel von Apple und Google deutlich wurde. Nicht zuletzt könnte aus der Entflechtung und den damit erhofften niedrigeren Konsumentenpreisen durch gezielte Kommunikation die Öffentlichkeit für die Beihilfereform gewonnen werden.
Was können die Erfolgsfaktoren der Beihilfereform sein? Allen voran müssen die industriellen Interessen im Parlament diszipliniert werden. Hinter jeder Fraktion in der Werchowna Rada, die vom Europäischen Parlament als Hauptgrund für den Reformstau in vielen Bereichen verantwortlich gemacht wird, stecken Großunternehmer und damit potenzielle Reformgegner. Die AMKU könnte jedoch, mit ihrem Sachwissen und Informationsvorsprung, geschickt die politische Aufsicht durch Parlament und Regierung gegeneinander ausspielen, sofern das Interesse zwischen Legislative (oder Einzelinteressen innerhalb des Parlaments) und Exekutive hinsichtlich der Frage, wer Subventionen erhalten soll, nicht deckungsgleich ist. Ungeachtet der inneren politischen Gemengelage kann die EU-Kommission die AMKU in den Prüfverfahren technisch entscheidend unterstützen und gewichtige Rückendeckung bei den politischen Stellen leisten. Dabei kann eine Reformverschleppung seitens der EU bei den Östlichen Partnerschaftsgipfeln oder im Assoziierungsrat angeprangert werden und im Sinne der Konditionalitätslogik eingeschritten werden.
Ausblick: Einschätzungen der Antimonopolkommission
Beim industriellen Strukturwandel in der Ukraine stellt die Beihilfereform ein willkommenes Instrument dar, durch marktorientierte Anreize messbare Ergebnisse im Bereich Privatisierung und Haushaltskonsolidierung zu erzielen und einen tieferen EU-Binnenmarktzugang und am Ende den Anspruch auf weitere EU-Integration einzufordern. Die Haushaltsmittel, welche auf unterschiedlichen Wegen an Unternehmen fließen, machen im Durchschnitt zwischen 2–3 Prozent der Jahreswirtschaftsleistung aus und liegen deutlich über dem EU-Beihilfedurchschnitt von 0,5–0,7 Prozent. In der Ukraine gibt es schätzungsweise 3.500 staatsnahe Betriebe (<http://reformsguide.org.ua/analytics/ukraines-state-owned-enterprises-what-is-their-future/>) (ohne die kommunale und regionale Ebene). Viele erhalten staatliche Zuschüsse und wären sonst insolvenzbedroht, einige befinden sich nun in langen, undurchsichtigen Liquidierungsverfahren. Laut einer Studie des EU-Unterstützungsprojekts betrugen 2013 die Mindereinnahmen des Staates durch allerhand Vorteilsgewährungen an Unternehmen 92 Milliarden Hrywnja, was bei Gesamtausgaben von 705 Milliarden Hrywnja einen Anteil von mehr als 13 Prozent ausmacht. Daher wird bedeutendes Einnahmepotenzial verspielt, zumal über drei Viertel aller Begünstigungen an einige wenige Staatsbetriebe im Landwirtschafts-, Energie-, Verkehrs- oder Maschinenbausektor geleitet werden, die potenziell auch Steuerzahler sein könnten.
Die Selbstwahrnehmung der AMKU zur ersten Umsetzungsphase der Reform deckt sich mit den oben ausgemachten Hindernissen. Im Interview, dass der Autor am 11. Oktober 2018 mit der AMKU geführt hat, bezeichnet die Behörde selbst das Verständnis der Beihilfestellen aber auch der Unternehmen zum Beihilfe-Konzept als unzureichend und erklärt dadurch, wieso bisher die Quote an Beihilfe-Neuanmeldungen eher mager ausfällt. Dennoch stellt die AMKU heraus, dass die Behörde als »Anwalt für den Wettbewerb« auftritt und sich aktiv durch Informationsveranstaltungen, einer »Beihilfe-Hotline« und Handbüchern zu den Gesetzestexten um den Reformerfolg bemüht.
Bei der Reformumsetzung ist die AMKU damit beschäftigt, verbindliche Leitlinien für zulässige und daher eher horizontale Beihilfen zu erstellen. In enger Anlehnung an die EU-Vorschriften werden auch zukünftig Weiterbildungsmaßnahmen, Forschungsprojekte, Regional- und KMU-Förderung unter gewissen Voraussetzungen durch den Staat zuschussberechtigt sein. Der interessante Aspekt bei der Ausarbeitung dieser Leitlinien ist, wie tolerant die Kriterien der zulässigen Beihilfen ausgelegt werden, vor allem im Bereich der Bergbauindustrie und der Firmen- und Bankenrestrukturierung. Weiter wird die Reduzierung der sektoralen Hilfen an verlustschreibende Unternehmen angestrebt. In der Ukraine haben diese sektoralen Beihilfen im Vergleich zu allen Beihilferegimen einen Anteil von 70 Prozent, in der EU hingegen nur ca. 24 Prozent. Die Umsetzung wird daher eine arbeitsintensive Aufgabe, da die bestehenden Hilfen in Einklang mit den oben beschriebenen Leitlinien gebracht werden, oder untersagt oder zu horizontalen Beihilfen umgewandelt werden müssen. In der Anfangsphase nach dem MOE-Beitritt 2004 sah man hierbei zwei gegenläufige Kurven: auf der einen Seite zurückgehende sektorale Beihilfen an Unternehmen oder ganze Industriezweige bei gleichzeitigem Anstieg der horizontalen Beihilfen. Die Leitlinien müssen durch die Regierung abgesegnet werden. In diesem Fall bahnt sich hier die Gefahr einer politischen Verwässerung an, indem die Leitlinien großzügiger gefasst werden und deshalb die Großkonzerne ihre millionenschweren Staatsbeihilfen weiter aufrechterhalten können. Allerdings bekräftigt die AMKU, dass die Entwürfe mit den relevanten EU-Stellen abgestimmt werden müssen. Auch werden die kürzlich verabschiedeten Leitlinien von 2018 im neusten Fortschrittsbericht zur EU-Ukraine Assoziierung (<https://eeas.europa.eu/printpdf/53485_en>) lobend erwähnt. Darüber hinaus bewertet die AMKU das Verhältnis zum Parlament als durchaus konstruktiv, und schwächt daher die oben benannten Bedenken zu den Einzelinteressen im Parlament als Reformbremser. Seit Sommer 2018 unterhält die Behörde auch ein digitales Beihilfe-Portal, bei dem sowohl alle bewilligenden Beihilfestellen aber auch Beihilfeempfänger ihre staatlichen Unterstützungsleistungen eintragen müssen. Die AMKU selbst hält bei ihren Reformbemühungen eine intensivere Zusammenarbeit mit den Beihilfestellen (quer über Verwaltungsebenen und Regionen verteilt) für notwendig, um einen besseren Überblick über bestehende oder anmeldepflichtige Zahlungen oder Vorteilsgewährungen an Unternehmen zu erhalten.
Abschließend betrachtet hängt der weitere Reformverlauf, wie auch in anderen Bereichen, wesentlich von der Entschlossenheit der EU ab, im Sinne einer beidseitig getragenen Verantwortung. Katalysatoren sind vor allem eine klare und glaubhafte Beitrittsperspektive und höhere Finanz- und Wirtschaftshilfen für die Ukraine, um den erwarteten Strukturwandel abzumildern. Aus sozioökonomischer Sicht ist die erwartete Rolle des Staates in der Wirtschaft zu beachten, welche auch innerhalb der EU von Land zu Land variiert. Ohne gesellschaftliches und politisches Verständnis droht andernfalls den beachtlichen Bemühungen, insbesondere durch die AMKU, das Schicksal einer ineffektiven »copy-und paste«-Reform – eine de jure Übernahme der EU-Regeln ohne wirkliche de facto Durchsetzung.