Beachtliche wirtschaftspolitische Stabilisierungserfolge prägen die letzten Jahre
Nach dem heftigen Wirtschaftseinbruch in 2014/2015 (kumulierter BIP-Rückgang von fast 15 Prozent) ist es in den letzten Jahren gelungen, reale BIP-Zuwachsraten von 2–3 Prozent zu erzielen. Im vergangenen Jahr wurde mit 3,2 Prozent sogar das höchste Wirtschaftswachstum seit sieben Jahren verbucht. Gerade letztes Jahr entwickelten sich die Investitionen sowie die Binnennachfrage stärker als erwartet, unterstützt durch wieder stärker steigende Löhne, einen hohen Zufluss an Auslandsüberweisungen und eine graduelle Erholung der Kreditvergabe. Insofern zeitigt die harte Restrukturierung des Bankensektors (inklusive der Privatbank-Verstaatlichung), der 2018 erstmals seit Jahren wieder profitabel agieren konnte, erste Erfolge.
Angesichts der skizzierten Trends wurden teils auch achtsamere Prognosen übertroffen, die der Ukraine kurzfristig kaum ein Wachstumspotenzial von mehr als 2 Prozent zugeschrieben haben. In Fremdwährung gerechnet überstieg die Wirtschaftskraft des Landes zum Jahresende sogar wieder den Wert von 2014. Der akzeptable Zuwachs an Wirtschaftsleistung der letzten Jahre ging zudem mit sinkenden Schulden einher. Das ist ein Novum in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte. Die Staatsschuldenquote konnte seit dem Hoch (2015) um 25 Prozentpunkte, auf knapp 60 Prozent des BIP, gesenkt werden. Ausschlaggebend hierfür war, dass das Budgetdefizit über Jahre bei etwa 2 Prozent des BIP gehalten werden konnte. In der letzten Dekade ist es nicht gelungen, so eine fiskalische Nachhaltigkeit zu bewahren; solche Defizitwerte konnten nur zeitweilig und bei höherem Wirtschaftswachstum erzielt werden. Auch die Auslandsschulden sind in den letzten Jahren von in der Spitze fast 150 Prozent des BIP auf ca. 80 Prozent gedrückt worden.
Der Entschuldungs- und Stabilisierungskurs hat dazu beigetragen, dass aktuell keine handfesten wirtschaftlichen Ungleichgewichte erkennbar sind. Die Inflation befindet sich auf akzeptablen einstelligen Niveaus und könnte dieses Jahr noch weiter auf sechs bis sieben Prozent sinken. Begünstigt wurden die Disinflation und das Nichtentstehen von außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten durch eine restriktive Geldpolitik, also ein Leitzinsniveau deutlich über der Inflation. Dieser geldpolitische Kurs der Nationalbank der Ukraine (NBU), mit einem hohen Realzinsniveau bzw. einem Fokus auf die Inflationssteuerung, deutet auf ein Primat der Stabilisierung hin, nicht der Wachstumsstimulierung. Das Leistungsbilanzdefizit verharrt daher, genauso wie das Fiskaldefizit, schon für eine längere Zeit auf kurzfristig tragfähigen Niveaus. Die makroökonomische Stabilisierung hat im Zusammenspiel mit einer restriktiven Geldpolitik begünstigt, dass der Hrywnja-Wechselkurs 2017 und 2018 vergleichsweise stabil geblieben ist. Dies ist vor dem Hintergrund der letztjährigen starken Währungsschwankungen in anderen Schwellenländern und der zeitweisen Unsicherheit bezüglich der weiteren Kooperation zwischen der Ukraine und dem IWF im zweiten Halbjahr 2018 beachtlich. Allerdings musste die NBU 2018 mit maßvollen Zinserhöhungen, von hohen 16 Prozent auf 18 Prozent, auch leicht gegensteuern. Wobei NBU-Kritiker mutmaßen, dass durch die Zinserhöhungen die lokale Politik in ein neues IWF-Abkommen geschoben werden sollte.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass derzeit eine wirtschaftspolitische Konstanz gegeben ist und die Ukraine angesichts der skizzierten Besserungen etwas weniger anfällig ist in Bezug auf kurzfristige externe Schocks. Wobei einige Indikatoren der makrofinanziellen Verwundbarkeit weiter in besorgniserregend schwachem Terrain verharren (z. B. der Devisenreservebestand, der Importdeckungsgrad durch Devisenreserven oder der relativ hohe Schuldenstand in Relation zu Vergleichsländern). Insofern sehen die international führenden Ratingagenturen die Ukraine weiterhin als sehr verwundbares Land mit einer geringen Resilienz an, auch wenn sie ihre Bonitätseinstufung 2018 teils leicht verbessert haben.
Angesichts des aus Stabilisierungs- und Investorensicht adäquaten NBU-Kurses ist es nicht verwunderlich, dass Finanzmarktinvestoren mit hohem Risikoappetit wieder Ukraine-Investitionen vornehmen – wenn auch in überschaubarem Ausmaß. Dem Finanzministerium ist es so gelungen, 2017 und 2018 mit großvolumigen Anleihen an den internationalen Finanzmarkt zurückzukehren und so ukrainischen Firmen wieder den internationalen Fremdkapitalmarkt zu öffnen. Auch 2019 will man international gehandelte Staatspapiere im Wert von zwei Milliarden US-Dollar platzieren. Zudem investierten internationale Anleger, vor dem Hintergrund der Stabilität von Wirtschaftspolitik und Währung sowie des hohen Zinsniveaus, in 2018 verstärkt in Hrywnja-Staatsanleihen. Als Voraussetzung wurden die gesetzlichen Bestimmungen für solche Investitionen von ausländischen Kapitalgebern in den letzten Jahren angepasst. Noch im ersten Quartal 2019 will die internationale Zentralverwahrstelle Clearstream (der Deutschen Börse Gruppe) gemeinsam mit der NBU ukrainische Staatspapiere in dieses Zahlungs- und Abwicklungssystem integrieren. Über dieses internationale System werden die Abwicklung der Hrywnja-Staatsanleihen ermöglicht, internationale Standards in diesem Marktsegment etabliert und zugleich Kosten für Investoren gesenkt. So wäre die Ukraine in Zukunft weniger auf die Platzierung von großvolumigen Fremdwährungsanleihen angewiesen, der lokale Kapitalmarkt könnte sich entwickeln und die Resilienz des Landes würde sich durch mehr Lokalwährungsfinanzierung erhöhen. Die Entwicklung des Hrywnja-Anleihemarktes unterstützten in den letzten Jahren auch aktiv supranationale und nationale Entwicklungsbanken (wie die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBRD) oder die niederländische Entwicklungsbank), indem sie Anleihen auf ihren Namen in Hrywnja begeben haben. Auch risikoorientierte Wagniskapitalinvestoren mit Ukraine-Engagements verzeichnen derzeit beachtliche Zuflüsse. Allerdings ist bei großvolumigeren Ausländischen Direktinvestitionen – trotz zunehmender Ausrichtung des Außenhandels auf die EU und Gültigkeit des tiefen und umfassenden Freihandelsabkommen mit der EU seit 2016 – bis dato noch kein eindeutiger Anstieg erkennbar. Insofern sind ausländische Eigenkapitalinvestoren offenbar noch zögerlicher, als Fremdkapitalinvestoren. Auch der Zufluss an Gastarbeiter-Rücküberweisungen (derzeit geschätzt auf ca. 10 Milliarden Euro pro Jahr) ist höher als der Zufluss an Ausländischen Direktinvestitionen.
Positive gesamtwirtschaftliche Bilanz der Amtszeit Poroschenko …
Zusätzlich zur gesamtwirtschaftlichen Stabilisierung wurden in den letzten Jahren einige »technokratische« wirtschaftspolitische Reformen graduell und erfolgreich implementiert (z. B. Sanierung des Bankensektors, Festigung der politischen Unabhängigkeit der NBU, Transition zu flexiblem Wechselkurs, Entwicklung des lokalen Kapitalmarktes) und teils sogar Umbrüche ohne massive gesamtwirtschaftliche Schäden vollzogen. Etwa ist in den letzten Jahren eine beachtliche Handelsumlenkung in Richtung EU erfolgt.
Versucht man eine gesamtwirtschaftliche Bilanz der Amtszeit von Präsident Poroschenko zu ziehen, dann ist festzustellen: Die letzten fünf Jahre können gemäß Indikatoren der makrofinanziellen Stabilität und auch der handelspolitischen Ausrichtung durchaus als die erfolgreichste Periode der letzten 10–15 Jahre angesehen werden. Diese Quintessenz lässt sich durch die Auswertung von fünfzehn relevanten Faktoren absichern. Hierfür wurden jeweils die entsprechenden Werte für die Perioden 2005 bis 2010, 2010 bis 2014/2015 und 2014/2015 bis 2019 herangezogen. Zur Bewertung wurden folgende Indikatoren herangezogen: BIP-Wachstum, Inflation, Budgetsaldo, Leistungsbilanz, Arbeitslosigkeit, kurzfristiger Realzins, Umfang der Disinflation, Veränderung der Arbeitslosigkeit, Veränderung der Schulden der öffentlichen Hand und im Ausland, Veränderung des nominalen BIP, Wohlstand in Relation zur EU, die Außenhandelsverflechtungen jeweils mit Russland und der EU sowie das externe Umfeld (BIP-Wachstum in Russland und der EU). Vergibt man in jeder Kategorie für die drei Perioden jeweils eine »Note« von 1–3 (1=gut, 3=befriedigend; je nach Skalierung des Indikators), dann errechnet sich für 2014/2015 bis 2019 ein Durchschnittswert von 1,6; für 2010 bis 2014/2015 ein Wert von 2,3 und für die Periode von 2005 bis 2010 ein Wert von 1,9.
Das ermittelte Ranking zeigt aber auch: Die Gesamtbewertung fällt nicht sehr eindeutig aus. Dies liegt vor allem an der Entwicklung der Arbeitslosenquote, dem absoluten Niveau der Wirtschaftskraft sowie dem Wohlstandsniveau in Relation zu Westeuropa bzw. der Eurozone in der Periode 2014/2015 bis 2019. Bezüglich des letzten Indikators wurden in den letzten 1–2 Jahren sogar absolute Tiefstwerte von unter 20 Prozent erreicht; womit der Wunsch einer EU-Beitrittsperspektive bis 2024, wie vom amtierenden Präsidenten formuliert, fast utopisch erscheint (derzeit glaubwürdige EU-Kandidatenländer weisen bezogen auf diesen relativen Wohlstandsindikator immerhin Werte von 35–40 Prozent auf). Zudem ist zu beachten: Der Stabilisierungserfolg ist nicht nur selbstgemacht, sondern basiert auch auf einer massiven externen finanziellen Unterstützung (inklusive einer beachtlichen Auslandschuldenrestrukturierung in 2015), die wiederum auch die Währung und Leistungsbilanz stabilisiert. Insofern sollte man die vorsichtig optimistische wirtschaftspolitische Erfolgsbilanz der Periode 2014/2015 bis 2019 nicht zu stark einzelnen heimischen Akteuren zuschreiben, sei es dem Präsidenten oder auch der Nationalbank.
… mit begrenzter Breitenwirkung nährt Wunsch nach »Neuanfang«
Angesichts der differenziert zu bewertenden wirtschaftlichen Bilanz der letzten Jahre ist es auch verständlich, dass eine gewisse »Austeritätsmüdigkeit« spürbar ist. Teils bezieht sich diese »Austeritätsmüdigkeit« auf den Sparkurs im öffentlichen Sektor oder die massiven Gas- bzw. Energiepreisanhebungen der letzten Jahre. Kritiker hinterfragen z. B. die Notwendigkeit, die Energiepreise für Haushalte an das Importpreisniveau anzuheben, solange der heimische Energiebedarf der Privathaushalte aus heimischen Quellen gedeckt wird. Angesichts der »Austeritätsmüdigkeit« ist es auch nicht verwunderlich, dass der Budgetentwurf für 2019 etwa eine merkliche Anhebung des Mindestlohns beinhaltet. Der gerade offiziell bestätigte Präsidentschaftskandidat Poroschenko wird nicht müde zu betonen, dass »[…] statistische Daten zwar nicht mit der Stimmung und dem Gefühl der Menschen übereinstimmen, es aber klar ist, dass das Schlimmste hinter uns liegt« und er den sozialen Aspekt in einer zweiten Amtszeit betonen würde. Gegenkandidaten werben mit dem Versprechen, in wenigen Jahren das polnische Lohnniveau zu erreichen, welches derzeit fünfmal (!) höher liegt als in der Ukraine (ca. 1.000 Euro in Polen vs. 200 Euro in der Ukraine).
Vor allem die restriktive Geldpolitik der letzten Jahre provoziert Kritik auf nationaler und teils auch auf internationaler Ebene. Daher ist es auch nicht verwunderlich, dass eine Abkehr vom aktuellen wirtschaftspolitischen Politikmix, der auch der IWF-Kooperation zugeschrieben wird, durchaus Teil der (innen-)politischen Diskussion ist. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahl werben Poroschenkos Herausforderer unter anderem damit, Bausteine der makrofinanziellen Stabilisierungsagenda (Notenbankunabhängigkeit, IWF-Kooperation) zumindest teilweise in Frage zu stellen. Zumal angesichts der erfolgreichen ökonomischen Stabilisierung gemäß solchen Denkmustern Spielraum für wirtschaftspopulistische Experimente besteht, während die Politikspielräume in der Außen- und Sicherheitspolitik begrenzt sind. Als größte politische Risikofaktoren sehen reformorientierte Akteure im Land, der IWF oder Auslandsinvestoren die Wahl eines sozialpopulistisch agierenden Präsidenten, eine möglicherweise daraus resultierende andauernde Konfrontation mit dem Parlament (vor und nach den Wahlen im Herbst) oder einen wieder wachsenden Einfluss der Oligarchen im Parlament (und der daraus resultierenden Klientelpolitik) an.
Angesichts schleppender institutioneller Reformen (immerhin lag das vorige IWF-Abkommen auch deswegen seit April 2017 auf Eis), des breiten Spektrums an möglichen Wahlergebnissen – v. a. bei den Präsidentschaftswahlen – sowie dem erkennbaren Hinterfragen der wirtschaftspolitischen Agenda der letzten Jahre ist verständlich, warum der IWF der Ukraine zum Jahresende 2018 nur eine sehr begrenzte Unterstützung auf Zeit hat zukommen lassen. Das derzeitige, auf 14 Monate angelegte IWF-Abkommen (mit Unterstützung im Bereich von 3,9 Milliarden US-Dollar), stellt nur eine Minimalabsicherung dar, die für beide Seiten gerade noch tragbar ist. Einerseits steht der IWF »nur« für einen kurzen Zeitraum als Unterstützer bereit, andererseits ist damit auch die Konditionalität etwas schwächer. Zudem lässt sich der IWF so die Option offen, Druck aufzubauen, falls es einen Zug zu wirtschaftspolitischem Populismus gibt. Denn die Ukraine muss wohl schon im zweiten Halbjahr 2019 bzw. zumindest bis zum Jahresende 2019 Klarheit darüber herstellen, wie es mit der IWF-Kooperation weitergeht. Es scheint kaum möglich, dass die Ukraine nach dem Auslaufen des aktuellen Abkommens ab 2020 gänzlich ohne IWF-Absicherung auskommen kann. Zudem wurde auch 2018 wieder deutlich, dass die internationale Staatengemeinschaft und vor allem die EU ihre (weiteren) Unterstützungshilfen für die Ukraine an die IWF-Kooperation koppeln. Derzeit ist nicht erkennbar, dass diese Verknüpfung prinzipiell aufgelöst werden wird.
Immerhin ermöglicht die limitierte IWF-Unterstützung es der Ukraine, sich teilweise am internationalen Kapitalmarkt, teils auch lokal, zu refinanzieren. Wobei internationale Ukraine-Anleihen trotzdem weiter klar im Segment der hochriskanten Emerging-Markets-Staatsanleihen gehandelt werden. In Bezug auf aktuelle Marktpreise sind hier eher Anleihen von konfliktbelasteten Staaten (innenpolitisch und/oder außenpolitisch) Vergleichsmaßstäbe, d. h. US-Dollar Anleihen der Ukraine werden am Finanzmarkt ähnlich gepreist wie solche Wertpapiere aus dem Irak, Ägypten oder Pakistan. Somit wird auch deutlich, dass am Markt in Bezug auf die Ukraine wohl nicht nur ökonomische Risiken gepreist werden. Immerhin könnten die anstehenden Wahlen auch Auswirkungen auf die innenpolitische Stabilität und/oder die Konfliktlage in der Ostukraine haben. Auch besteht das Risiko einer versuchten Einflussnahme Russlands auf die Wahlen. Eine solche Einflussnahme könnte vor dem Hintergrund der skizzierten Stimmungslage sowie der Fragmentierung des (partei-)politischen Spektrums brisant werden. Insofern ist es auch nicht erstaunlich, dass am internationalen Finanzmarkt gerade im zweiten Halbjahr 2018 und auch nach der Eskalation im Asowschen Meer eine deutlich vorsichtigere Investorenhaltung in Bezug auf die Ukraine erkennbar war. Bei spezialisierten globalen Risikobewertungsagenturen wird die Ukraine, unter Berücksichtigung des Wahlkalenders in 2019, teils unter den globalen Top-10 Risiken geführt.
Fazit: Wirtschaftspolitischer Neuanfang notwendig?
Rational und längerfristig gedacht scheint in vielen Bereichen der Wirtschaftspolitik kein wirklicher Neuanfang angezeigt. Eher gilt es, die Erfolge der letzten Jahre zu bewahren. Zumal die Ukraine weiterhin substanziell auf externe finanzielle Unterstützung und Investitionen von internationalen Finanzinstitutionen, aber auch von (Risiko-)Kapitalgebern angewiesen ist. Des Weiteren sind einige der thematisierten »technokratischen« Reformagenden noch nicht abgeschlossen. Etwa steht die Entwicklung des lokalen Kapitalmarktes noch ganz am Anfang, im Bereich der Bankensektor-Restrukturierung wird es noch Zeit brauchen, bis eine Reprivatisierung der Privatbank möglich ist. Und für Erfolge in diesen Bereichen ist weitere makroökonomische Stabilität eine zentrale Voraussetzung. Des Weiteren existieren abseits der genannten politischen Risiken (Wahlen mit Risiko des Kurswechsels, Möglichkeit der Blockade zwischen Präsident und Parlament, potenzielle Einmischung Russlands) einige mittelfristige gesamtwirtschaftliche Risiken. Etwa könnte sich das Leistungsbilanzdefizit, je nach Ausgang der Gastransitgebührenfrage bzw. der Nord Stream 2 Thematik, mittelfristig wieder ausweiten. Zudem könnte ein Wirtschaftsabschwung in Westeuropa und eben auch Polen die Rücküberweisungen der Gastarbeiter geringer ausfallen lassen. Angesichts weiterbestehender Verwundbarkeiten kann sich die Ukraine derzeit noch nicht allzu viel wirtschaftspolitische Laxheit erlauben. Wie in dem vorliegenden Beitrag dargelegt, wäre es daher erstrebenswert, massive wirtschaftspolitische Kehrtwenden zu vermeiden. Ansonsten wird es schwierig sein, die Früchte der erfolgten makroökonomischen Anpassung und Konsolidierung in den kommenden Jahren zu ernten. Sollte es aber im laufenden Jahr gelingen, die Stabilisierungserfolge der letzten Jahre zu bewahren, dann könnte es mittelfristig möglich sein, eine weniger auf Austerität und hohe Realzinsen ausgerichtete Fiskal- und Geldpolitik zu verfolgen.
Die Unsicherheit in Bezug auf personelle Weichenstellungen (v. a. auch die Präsidentschaftswahl) und die daraus resultierende wirtschaftspolitische Unsicherheit zeigen exemplarisch einen der größten Schwachpunkte des Landes: Das Handeln im politischen System der Ukraine ist noch viel zu abhängig von Einzelpersonen. Zumal angesichts der schwachen institutionellen Umgestaltung der letzten Jahre neben wirtschaftspolitischen Experimenten nach den Präsidentschaftswahlen derzeit auch ein steigender Einfluss der Oligarchen nach den Parlamentswahlen befürchtet wird.