Die Parlamentswahlen 2019 in der Ukraine: (k)ein Sprung ins Ungewisse?

Von Sergej Sumlenny (Heinrich-Böll-Stiftung, Büro Kiew – Ukraine)

Zusammenfassung
Am 21. Juli 2019 finden in der Ukraine vorgezogene Parlamentswahlen statt. Diese werden entweder den einschneidenden Machtwechsel in dem europäischen Staat zementieren oder eine Voraussetzung für künftige Turbulenzen schaffen. Beide Optionen stehen noch offen.

Einleitung

Eigentlich hatte Präsident Wolodymyr Selenskyj schon am Tag seiner Inauguration am 20. Mai 2019 angekündigt, er löse das Parlament mit sofortiger Wirkung auf und ziehe die Parlamentswahlen auf den 21. Juli vor. Trotzdem war lange nicht klar, ob die Wahlen tatsächlich an dem Tag stattfinden – erst am 20. Juni entschied das ukrainische Verfassungsgericht, dass die fragwürdige Auflösung nicht verfassungswidrig gewesen sei. Insofern finden die Parlamentswahlen, wie von Selenskyj geplant, Ende Juli statt.

Es steht viel auf dem Spiel

Bei den Wahlen tritt Selenskyjs Partei »Diener des Volkes« (Sluha narodu) an. Die Partei wurde nach der Fernsehserie benannt, in der Selenskyj seit 2015 den einfachen Bürger Wasyl Holoborodko spielte, der durch Zufall Präsident wird und als Außenseiter versucht, die Korruption zu bekämpfen. So, wie ein typischer Durchschnittsbürger es tun würde: naiv, nicht immer erfolgreich, aber immer mit ganzer Kraft und voller Wut sowie mit einer Menge Spaß – Holoborodko besetzt zum Beispiel wichtigste Posten mit seiner Ex-Frau oder seinem unerfahrenen alten Schulfreund. Die Sympathie für Holoborodko soll für vielen Bürger*innen das Hauptargument für die Wahl von Selenskyj gewesen sein und ihm die Unterstützung von 73 Prozent der Wähler*innen eingebracht haben. Jetzt soll die Serie Selenskyj erneut helfen. Der Name der Partei stammt wie gesagt aus der Serie, die Äußerungen von Holoborodko und Selenskyj ähneln sich, und das Parteilogo von »Diener des Volkes« entspricht einer vereinfachten Version des Plakats zur zweiten Staffel der Serie. Man sieht einen Rad fahrenden Holoborodko mit dem Fürstenstab in der Hand – das soll seine Bereitschaft, die korrupten Ringe zu zerschlagen, symbolisieren.

Laut Umfragen aus der ersten Juniwoche genießt »Diener des Volkes« eine beispiellose Unterstützung – wie Selenskyj vor wenigen Monaten. Sagenhafte 47,5 Prozent der Befragten gaben an, sie würden für »Diener des Volkes« stimmen – während die prorussische »Oppositionsplattform – Für das Leben« 10,4 Prozent der Stimmen, die Poroschenko-Partei »Europäische Solidarität« 7,9 Prozent der Stimmen, die »Vaterland«-Partei von Juljia Tymoschenko 7,5 Prozent und die neu gegründete Partei »Stimme« (Holos) des Rocksängers Swjatoslaw Wakartschuk 6,4 Prozent der Stimmen bekommen würden (vgl. http://ratinggroup.ua/research/ukraine/monitoring_elektoralnyh_nastroeniy_ukraincev_6-9_iyunya_2019_goda.html). Laut Umfragen aus der dritten Juniwoche bleibt die Unterstützung für »Diener des Volkes« stabil, während die Partei von Ex-Präsident Poroschenko massiv an Unterstützung verliert.

Doch es wäre falsch zu denken, dass der Wahlfeldzug von Selenskyj bloß improvisiert wäre. Ein Topmanager aus Selenskyjs Fernsehproduktionsfirma »Kwartal-95« hatte schon im April 2016 eine politische Partei mit dem Namen »Partei des entscheidenden Wandels« (Partija rischutschych smin) registrieren lassen. Im Dezember 2017 wurde diese in »Diener des Volkes« umbenannt (vgl. https://www.unn.com.ua/ru/news/1702069-v-ukrayini-zyavilasya-politichna-partiya-sluga-narodu). Zwei Jahre lang im Tiefschlaf gehalten, ist die Partei jetzt zum Leben erweckt worden – erfolgreich, und nicht unerwartet.

Warum war die Verschiebung der Wahlen für Selenskyj so wichtig?

Der aktuelle Erfolg von »Diener des Volkes« in den Umfragen ist der Grund, warum die vorgezogenen Parlamentswahlen für Präsident Selenskyj so wichtig sind. Die Unterstützung für Selenskyj vor den Präsidentschaftswahlen basierte im Wesentlichen auf der Tatsache, dass er – zumindest in den Augen der Wähler*innen – eine neue Figur war und keine klaren Versprechungen machte. »Keine Versprechungen – keine Entschuldigungen« hieß es auf einem seiner Wahlplakate. »Ich schulde euch gar nichts«, war seine Antwort auf die Fragen eines investigativen Journalisten kurz vor den Wahlen. Jede*r Ukrainer*in konnte auf die leere Leinwand genau das projizieren, was er oder sie sehen wollte – so hat Wolodymyr Selenskyj seinen triumphalen und beispiellosen Sieg mit über 73 Prozent der Stimmen eingefahren.

Das Vorziehen der Parlamentswahlen dient demselben Zweck: Der Newcomer-Effekt soll genutzt und Stimmenverluste nach den mit Sicherheit zu erwartenden Enttäuschungen sollen vermieden werden. Die vorgezogenen Parlamentswahlen sollen auch die Gegner Selenskyjs – vor allem die neu gegründete westlich-liberale Partei »Stimme« des Rocksängers Wakar­tschuk – daran hindern, sich vor den Wahlen formieren zu können.

Die Kontrolle über das Parlament ist für jeden ukrainischen Präsidenten von besonderer Bedeutung. Die ukrainische Verfassung begrenzt die präsidialen Kompetenzen sehr stark. Obwohl der Präsident formell das Oberhaupt des Staates und der Oberbefehlshaber der Streitkräfte ist und die Rahmenbedingungen der Sicherheits- und Außenpolitik bestimmt, ist er in der Ausübung dieser Kompetenzen sehr stark vom Parlament abhängig. Ein aktuelles Beispiel: Als der damalige Präsident Poroschenko Ende November 2018 nach dem russischen Angriff auf ukrainische Schiffe im Asowschen Meer versuchte, in der Ukraine das Kriegsrecht auszurufen, hat sich das Parlament nach einer fünfstündigen Sitzung kinderleicht über seinen Willen hinweggesetzt und das Kriegsrecht unter eigenen, viel milderen Bedingungen verhängt – trotz der vorherigen Entscheidung des Präsidenten und des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, der vom Präsidenten geleitet wird und laut Verfassung das wichtigste Organ zur Koordinierung der Sicherheitspolitik der Exekutive ist. Präsident Poroschenko musste sich also damals dem Parlament beugen.

Auch in anderen politischen Bereichen sind die präsidialen Kompetenzen massiv vom Parlament beschränkt. Der Präsident schlägt dem Parlament zwar den Premierminister, den Verteidigungsminister und den Außenminister vor, diese müssen aber vom Parlament bestätigt werden. Auch im Falle einer möglichen Entlassung des Generalstaatsanwalts auf Wunsch des Präsidenten ist das Votum des Parlaments einzuholen. Weder bei der Besetzung der Leitung der Ukrainischen Nationalbank noch bei der Besetzung des Nationalen Rundfunkrates des öffentlichen Fernsehens – nirgendwo hat der Präsident das letzte Wort. Ein oppositionelles Parlament kann den Präsidenten effektiv blockieren – und der Präsident kann das Parlament fast unter keinen Umständen auflösen. Die Auflösung ist eigentlich nur in drei Fällen zulässig: wenn die Fraktionen binnen eines Monats keine Koalition bilden, wenn das Parlament 30 Tage lang nicht tagt oder wenn 60 Tage lang keine neue Regierung gebildet wird.

Die massive Beschränkung der Kompetenzen des Präsidenten durch das Parlament führt zu einer dramatischen Spannung, da von Selenskyj laut einer Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie genau das erwartet wird, was er unter keinen Umständen machen darf oder kann. Über 39 Prozent der Befragten erwarteten von Selenskyj kurz vor seiner Inauguration, dass er binnen 100 Tagen die Gas- und Strompreise senken lässt. Gut 32 Prozent erwarteten eine »Beschleunigung« der Untersuchung der auffälligsten Korruptionsverbrechen und mehr als 18 Prozent erwarteten eine Senkung der Beamtenbesoldung (vgl. https://www.radiosvoboda.org/a/news-pershi-100-dniv/29884543.html). Keiner dieser Punkte fällt in den Kompetenzbereich des Präsidenten, und die Umsetzung mindestens einer dieser Forderungen wäre rechtswidrig. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Umsetzung von Selenskyj erwartet wird. Nur mithilfe eines vollkommen kontrollierten Parlaments wäre das möglich.

Ein Kontrollszenario

Der Traum von der absoluten Kontrolle über das Parlament wurde von Selenskyjs Team schon mehrfach vorgebracht. So sagte Ruslan Stefantschuk, Vertreter Selenskyjs im Parlament und offensichtlich sein wichtigster Rechtsberater, in einem Gespräch mit der Deutschen Welle am 12. Juni, die Partei »Diener des Volkes« solle eine »Monopartei« (monopartija) werden, welche »die Verantwortung für die Menschen in der Ukraine« auf sich nehme (siehe https://p.dw.com/p/3KINu). Es solle »zum ersten Mal in 28 Jahren Unabhängigkeit einen einzigen Verantwortlichen für die Lage im Lande« geben, sagte Stefantschuk – und drückte so deutlich den Wunsch aus, dass die Präsidentenpartei die absolute Mehrheit bei den Parlamentswahlen hole.

Man kann nicht behaupten, dass diese Pläne etwas ganz Neues für Selenskyjs Team wären. Der Wunsch, das politische System der Ukraine neu zu formieren und die eigenen Machtkompetenzen massiv auszubauen, wurde schon mehrmals artikuliert. Schon vor den Präsidentschaftswahlen sprach sich Stefantschuk dafür aus, in der Ukraine ein breit aufgestelltes System der Referenden einzuführen. Nicht nur über richtungsweisende, einschneidende Fragen – wie zum Beispiel über eine mögliche künftige NATO-Mitgliedschaft oder über Friedensverhandlungen mit Russland – solle in Referenden entschieden werden. In der Ukraine solle ein »Volksvetorecht« eingeführt werden, das es »dem Volke« ermögliche, jedes Gesetz, das durch die Werchowna Rada verabschiedet werde, durch ein Referendum zu blockieren. Dieser Punkt wird auch unter Punkt 1 des Parteiprogramms von »Diener des Volkes« erwähnt (vgl. https://www.ukrinform.ua/rubric-elections/2717746-partia-sluga-narodu-zatverdila-peredviborcu-programu.html). Insofern soll offensichtlich eine Hintertür offengehalten werden, die es dem Präsidenten ermöglicht, das Parlament und die Regierung zu umgehen, wenn keine absolute Mehrheit für »Diener des Volkes« erreicht werden kann.

Auch andere umfassende Reformen des Staatsapparats werden von Stefantschuk bereits angekündigt. Ein Zweikammerparlament solle die Ukraine bekommen (vgl. https://nv.ua/ukraine/politics/zelenskiy-predlagaet-sozdat-v-ukraine-dvuhpalatnyy-parlament-predstavitel-prezidenta-v-vr-50026650.html), mit einer neuen Kammer, die nach dem regionalen Prinzip formiert werde. Stefantschuk verwies auf ein Referendum aus dem Jahr 2000, in dem sich in der Tat über 80 Prozent der Ukrainer*innen für ein Zweikammerparlament ausgesprochen haben. Damals wurde über vier Veränderungsvorschläge zu Verfassungsreformen abgestimmt. Alle Veränderungsvorschläge wurden von den Wähler*innen mit deutlicher Mehrheit unterstützt, nur drei davon wurden umgesetzt (Reduzierung der Anzahl der Abgeordneten, Einführung der Immunität der Abgeordneten und Definition einer der Möglichkeiten, das Parlament aufzulösen). Unter Präsident Kutschma wurde im Zweikammerparlament ein Weg gesehen, die regionalen Eliten zu stärken. Was heute, 19 Jahren später, der Zweck der Reform sein soll, bleibt unklar. Einige Kritiker sehen hier eine Ähnlichkeit mit der Forderung nach einer »Föderalisierung« des Landes – jene wird seit 2014 von Moskau gefordert.

So oder so – die Partei »Diener des Volkes« hat offensichtlich vor, die Verfassung stark zu verändern und die Machtkompetenzen neu zu verteilen. Gewänne sie knapp 50 Prozent der Stimmen, wäre sie in der Lage, fast jedes denkbare Gesetz durchzusetzen – und mit ein wenig Kraftanstrengung auch die für eine Änderung der Verfassung notwendigen Stimmen zusammenzukriegen. Es steht der Präsidentenpartei allerdings eine Sache im Weg – die Erststimmen. Ähnlich wie in Deutschland wird das ukrainische Parlament aus zwei gleichgroßen Teilen gebildet. Die eine Hälfte der Abgeordneten kommt über Parteilisten ins Parlament, die andere Hälfte wird in ihren Wahlkreisen direkt gewählt. Da diese Mandate in der Vergangenheit überdurchschnittlich oft an die nicht immer durchschaubaren Vertreter*innen der »regionalen Fürsten« fielen, fordern seit Jahren viele Expert*innen – und auch der Westen –, das Wahlsystem zu reformieren. Eine Möglichkeit wäre die Abschaffung der Einzelwahlkreise, damit zum Beispiel der Besitzer einer großen Fabrik, von dem zigtausende Menschen abhängig sind, nicht mehr die Möglichkeit hätte, die Wahlergebnisse in seinem Wahlkreis durch Druck aufs Personal zu manipulieren. Präsident Selenskyj hat jetzt vorgeschlagen, diese Änderung endlich durchzusetzen, dabei die »geschlossenen Parteilisten« weiter zu behalten und die Sperrklausel von jetzt 5 Prozent auf 3 Prozent zu senken. Effektiv würde die Abschaffung der Einzelwahlkreise der Partei »Diener des Volkes« helfen, da sie unter Umständen nicht genug Einzelwahlkreise gewinnen kann, dafür aber ein sehr starkes Ergebnis als Gesamtpartei erzielt. Und die niedrigere Sperrklausel hätte die kleineren Parteien motivieren können, für die Reform zu stimmen – da insbesondere Parteien wie »Volksfront« oder »Radikale Partei von Oleh Ljaschko« keine Chance haben, bei den nächsten Wahlen über die Fünfprozenthürde zu kommen. Trotzdem wurde Selenskyjs Vorschlag vom Parlament abgelehnt, und die kommenden Wahlen werden wohl nach dem alten Wahlgesetz durchgeführt, also auch mit Einzelwahlkreisen – was für die Bekämpfung von Korruption bei den Wahlen nicht hilfreich ist.

Der Kampf um neue Gesichter

Ein weiteres Merkmal des aktuellen Wahlkampfes ist die gesellschaftliche Nachfrage nach neuen Gesichtern. Diese Nachfrage ist deutlich spürbar, sodass viele Parteien versuchen, ihre Wahllisten mit Newcomern zu füllen oder durch Fusionen oder Umbenennungen ihre Kräfte zu bündeln. Die liberale Partei »Stimme« von Sänger Wakartschuk ist wahrscheinlich die Partei mit den meisten neuen Gesichtern – doch ihre Chancen sind relativ bescheidend. Effektiv dagegen scheint der Aufruf der Partei »Diener des Volkes«, die massiv damit wirbt, dass bei ihr keine Personen antreten dürfen, die bisher im Parlament waren. Die Nachwuchspolitiker*innen und einfachen Bürger*innen sollen mithilfe des Internets in die Partei gerufen werden und endlich eine Chance bekommen, ins Parlament einzuziehen – so »Diener des Volkes«. Jede*r, der*die kandidieren will, solle sich über die Website der Partei bewerben – und wenn die Bewerbung überzeugend sei, werde er oder sie kontaktiert, so das Versprechen.

Das Aufsehen um die horizontal ausdifferenzierte und offene Partei ist groß. Da stören auch nicht die Skandale rund um das Auswahlverfahren. Ukrainische Medien berichten seit Anfang Juni von angeblichen Versuchen, Plätze auf der Liste von »Diener des Volkes« einfach zu verkaufen – die Preise sollen zwischen 300.000 und 2.000.000 US-Dollar liegen, je nach Region (vgl. https://antikor.com.ua/articles/308363-za_mesto_v_spiske__2_milliona_dollarov_partija_sluga_naroda_vlipla_v_gromkij_skandal). Iryna Pantschenko, Instagram-Model und Tochter eines Kiewer Geschäftsmanns, hat ihren 73. Kandidatinnenplatz auf der Wahlliste von »Diener des Volkes« verloren, nachdem in den Medien vermutet wurde, sie oder ihren reichen Vater habe ihre Aufnahme auf die Liste bis zu 2 Millionen US-Dollar gekostet (vgl. https://nv.ua/ukraine/politics/kievskaya-tusovshchica-vybyla-iz-spiska-slugi-naroda-posle-proverki-50026714.html, https://www.uaportal.com/ukr/news/irina-panchenko-yak-potrapila-do-zelenskogo-vidverti-foto-novoi-slugi-narodu.htm). Diese Nachrichten wurden aber vor allem in der Kiewer Blase registriert – generell gelingt es »Diener des Volkes« sehr gut, das Image einer ersten echten Volkspartei aufzubauen. Die Gerüchte über die Schmiergelder weisen auch darauf hin, dass ein Platz auf der »Diener des Volkes«-Liste als erfolgversprechend gesehen wird. Wenn sich eine Person darüber Gedanken macht, welcher Partei sie sich anschließen solle, um die eigenen Chancen maximal zu erhöhen, so ist es am ehesten die Selenskyj-Partei. Das wird bedeuten, dass über deren Liste viele Opportunist*innen in die Rada einziehen werden. Sogar Selenskyj selbst sagte Mitte Juni, seine Partei habe »nicht ausreichend Zeit gehabt, alle [Kandidat*innen] zu überprüfen, so kann es wohl sein, dass es auch unehrlichen Personen gelungen ist, uns ein bisschen zu betrügen« (siehe https://nv.ua/ukraine/politics/zelenskiy-o-kandidatah-ot-slugi-naroda-vozmozhno-komu-to-nedobroporyadochnomu-udalos-nas-obmanut-50026117.html). Er fügte hinzu, die Aufgabe der Presse sei es, solche Leute später zu entlarven.

Wer mit wem?

Wenn die Selenskyj-Partei keine absolute Mehrheit in der Rada bekommt, wird sie gezwungen sein, eine Koalition zu bilden. Hier bieten sich nur wenige mögliche Allianzen an, da es nur drei weiteren Parteien mit großer Wahrscheinlichkeit gelingt, ins Parlament einzuziehen: Das sind die prorussische »Oppositionsplattform – Für das Leben«, »Vaterland« von Tymoschenko und die »Europäische Solidarität« von Ex-Präsident Poroschenko. Mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit wird es auch die Partei »Stimme« von Wakartschuk schaffen, 5 bis 6 Prozent zu erreichen und so ins Parlament einzuziehen.

Umfragen zufolge wünschen sich die meisten Ukrainer*innen – knapp 13 Prozent – den prorussischen Politiker Jurij Boiko als Premierminister, gut 11 Prozent wollen Tymoschenko als Premierministerin sehen (vgl. https://hromadske.ua/posts/premyerom-najbilshe-hochut-bachili-bojka-timoshenko-abo-smeshka-opituvannya-kmis). Da die »Oppositionsplattform« eigentlich im gleichen Teich wie »Diener des Volkes« fischt – mit Themen wie russische Sprache oder Verhandlungen mit Moskau – und ziemlich toxisch belastet ist, vor allem im Westen, ist es wenig wahrscheinlich, dass eine Allianz mit Boiko und seinem Team gebastelt wird. Eine Koalition mit »Vaterland« ist viel wahrscheinlicher. Tymoschenko hat sich Selenskyj auch von Anfang an geschickt als Alliierte angeboten. Schon nach dem Fernsehduell zwischen Selenskyj und Poroschenko stellte sie sich so deutlich hinter Selenskyj, dass klar wurde: Sie sieht ihn als politischen Partner. Auch die Initiativen des neuen Präsidenten im Parlament hat »Vaterland« unterstützt. Tymoschenko empfahl Selenskyj sogar, die Entscheidung des Verfassungsgerichtes zu ignorieren, sollte dieses die vorgezogenen Wahlen für ungültig erklären (vgl. https://gordonua.com/ukr/news/politics/-timoshenko-ne-mozhna-dopustiti-shchob-konstitutsijnij-sud-zrujnuvav-dostrokovi-vibori-tse-rishennja-bude-nezakonnim-1037666.html). Jetzt kann sich Tymoschenko ihren Traum endlich erfüllen und als Premierministerin die Ukraine in eine parlamentarische Republik umwandeln und die Kompetenzen der Regierungschefin massiv ausbauen. Letztlich stand das Versprechen einer starken »Kanzlerin« wörtlich in ihrem Wahlprogramm »Der neue Kurs«, ebenso wie die Referenden und Volksvetos, die auch in Selenskyjs Programm auftauchen.

Fazit

Unabhängig davon, ob Selenskyjs Partei die von ihr angestrebte absolute Mehrheit erreicht oder nicht, ist klar: Die demokratischen Institutionen in der Ukraine erleben eine schlimme Zeit. Der Wunsch, politische Entscheidungen nicht an den Buchstaben oder dem Geist des Gesetzes auszurichten, sondern mit politischer Notwendigkeit oder gar mit einem noch weniger definierbaren »Willen des Volkes« zu begründen, ist so groß wie nie zuvor. Es ist nicht nur Wolodymyr Selenskyj, der versucht, die Institutionen auszuhöhlen. Hinter dieser Art des politischen Handelns stehen 73 Prozent der Wähler*innen, die für ein Versprechen der einfachen populistischen Schritte gestimmt haben. Letztlich macht Wolodymyr Selenskyj heute nichts, was er nicht vorher in seiner Serie oder in seinen Auftritten bereits angedeutet hätte. Deshalb werden die kommenden Parlamentswahlen – wie auch die nächsten Jahre – ein echter Elchtest für die ukrainische Demokratie.

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