Das Oberste Antikorruptionsgericht der Ukraine und die Gesetzesinitiativen von Präsident Selenskyj zur Bekämpfung der Korruption

Von Halyna Kokhan (EU-Anti Corruption Initiative in Ukraine, Kiew)

Zusammenfassung
Seit der Revolution der Würde haben die politischen Eliten in der Ukraine die Forderung der Gesellschaft, Korruption zu bekämpfen, verstanden und versuchen sie zu erfüllen. Dieser Forderung entsprechen auch die Verpflichtungen zur Korruptionsbekämpfung gegenüber der EU und dem IWF. Während Poroschenkos Präsidentschaft war der Kampf gegen die Korruption durch die Schaffung einer neuen Infrastruktur zur Korruptionsbekämpfung gekennzeichnet. Präsident Selenskyj hat seinen Kampf gegen die Korruption mit dem offiziellen Start des Obersten Antikorruptionsgerichts begonnen und versucht nun durch mehrere Gesetzesinitiativen, institutionelle und rechtliche Hürden zu beseitigen, damit die bereits bestehende Antikorruptionsinfrastruktur effektiv und effizient arbeiten kann. Es ist noch zu früh, um über die Resultate von Selenskyjs Antikorruptionsbemühungen zu sprechen, aber die ersten Schritte weisen in die richtige Richtung.

Das Oberste Antikorruptionsgericht

Das Oberste Antikorruptionsgericht (High Anti-Corruption Court, HACC) ist der finale Bestandteil des institutionellen Rahmens zur Bekämpfung der Korruption in der Ukraine. Die anderen Teile wurden bereits 2014 mit der Verabschiedung eines Gesetzespakets zur Korruptionsbekämpfung geschaffen: das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine (NABU), das strafrechtliche Ermittlungen gegen hochrangige Beamte und Politiker durchführt; eine Sonderstaatsanwaltschaft, die eigens für Korruptionsbekämpfung zuständig ist, und die Nationale Agentur für Korruptionsprävention (NAZK), die sich der Korruptionsprävention widmet. Ursprünglich wurde davon ausgegangen, dass die NABU-Fälle vor den normalen Gerichten verhandelt werden könnten. Nachdem jedoch erste größere NABU-Fälle vor Gericht versandeten und sich immer wieder verzögerten, wurde offensichtlich, dass es ohne eine Reform der Justiz, insbesondere der Gerichte in erster Instanz, nicht möglich sein würde, die Antikorruptionsreform voranzutreiben.

Die Einrichtung eines Gerichtes für Fälle hochrangiger korrupter Beamter war eine zentrale Forderung der internationalen Gemeinschaft und Voraussetzung für eine Zusammenarbeit mit der Ukraine. Die Schaffung eines Obersten Antikorruptionsgerichts war eine der Verpflichtungen, die die Ukraine gegenüber der Europäischen Union und dem Internationalen Währungsfonds (IWF) eingegangen ist. Alle internationalen Partner, einschließlich der Venedig-Kommission, erklärten nachdrücklich, dass die Auswahl der HACC-Richter in einem transparenten Verfahren erfolgen sollte. Die Auswahl der Richter erfolgte zwischen August 2018 und April 2019. Eine Besonderheit war, dass der Auswahlprozess erstmals in der Geschichte der Ukraine unter Mitwirkung internationaler Experten stattfand – dem aus sechs international renommierten Experten bestehenden Public Council of International Experts, kurz PCIE –, was sich letztlich als erfolgreich und produktiv erweisen sollte. Die Beteiligung des PCIE an diesem Prozess war die wichtigste Forderung der Zivilgesellschaft und internationaler Organisationen, um die Unabhängigkeit des Gerichtes und die Integrität der neuen Richter zu gewährleisten. Anhand mehrerer Bewertungskriterien wie Integrität, Ethik, Erfahrungen, Qualifikationen wurden vom PCIE letztlich 38 Richter ausgewählt und ernannt. Das Gericht besteht aus zwei Instanzen: dem HACC als Gericht erster Instanz mit 27 Richtern und der Berufungskammer mit 11 Richtern. Das Kassationsgericht am Obersten Gerichtshof der Ukraine fungiert als Kassationsinstanz.

Am 11. April 2019 ernannte Präsident Poroschenko die Richter des Obersten Antikorruptionsgerichts offiziell, und am 7. Mai 2019 hielt der Gerichtshof seine erste Sitzung ab und wählte Olena Tanasewytsch zu seiner Vorsitzenden. Am 5. September 2019 nahm das Gericht seine Arbeit offiziell auf.

Mitte September verabschiedete das Parlament Gesetzentwurf Nr. 1025 zur Klärung der Zuständigkeit des HACC. Hintergrund war, dass eine Überlastung drohte, da theoretisch alle landesweiten Korruptionsfälle (das wären rund 3.500 an der Zahl) in die Zuständigkeit des Antikorruptionsgerichts hätten übertragen werden können. Gesetz Nr. 1025 limitierte die Zuständigkeit des HACC lediglich auf die vom NABU behandelten Korruptionsfälle.

Die Anti-Korruptionsagenda war ein zentrales Thema des Wahlkampfs von Präsident Wolodymyr Selenskyj und seiner Partei »Diener des Volkes«, die eine absolute Mehrheit bei den jüngsten Parlamentswahlen erreichte. Diese Agenda lässt sich auf einige von Selenskyjs engen Mitstreitern zurückführen: den ehemaligen Anti-Korruptionsberater und aktuellen Generalstaatsanwalt Ruslan Rjaboschapka und die ehemaligen Antikorruptionsaktivistinnen Anastasija Krasnosilska, jetzt Leiterin des Ausschusses für Korruptionsbekämpfung, und Halyna Jantschenko, inzwischen stellvertretende Vorsitzende der Fraktion von »Diener des Volkes«. Nach den Wahlen gingen sie in die Politik in der Hoffnung, die Antikorruptionsreformen von innen heraus voranzutreiben. Einige Initiativen zur Korruptionsbekämpfung, deren Verabschiedung das vorherige Parlament versäumt hatte, wurden von ihnen wieder auf die aktuelle politische Agenda gerückt. Daher kann die Zeit nach den Parlamentswahlen 2019 als fruchtbar für die Korruptionsbekämpfung angesehen werden. Unter Präsident Selenskyj wurden neue Gesetzesinitiativen initiiert, die bereits verabschiedet worden sind oder kurz davor stehen, verabschiedet zu werden. Im Folgenden werden einige der wichtigsten Gesetzesinitiativen analysiert.

Gesetzentwurf über den Neustart der Nationalen Agentur für Korruptionsprävention (Nr. 1029)

Bereits 2017 wurde offensichtlich, dass die Nationale Agentur zur Korruptionsprävention nicht dazu in der Lage war, ihrer Arbeit effektiv nachzukommen. Zu tief war sie in politische Kämpfe verwickelt und zu abhängig von Anweisungen der Präsidialverwaltung. Das führte zu vielfältigen Missständen in der Institution und letztlich zu ihrer Ineffizienz.

Am 29. August 2019 legte Präsident Selenskyj einen Entwurf für das Eilgesetz Nr. 1029 »Über Änderungen bestimmter Gesetze der Ukraine zur Gewährleistung der Wirksamkeit eines institutionellen Mechanismus zur Korruptionsprävention« vor, der am 2. Oktober 2019 vom Parlament verabschiedet und am 16. Oktober vom Präsidenten unterzeichnet wurde.

Das Gesetz enthält sehr weitreichende und positive Änderungen. Der Schwerpunkt liegt auf den derzeit größten Herausforderungen im Bereich der Korruptionsprävention. So erlaubt es der Gesetzentwurf, die Nationale Agentur für Korruptionsprävention neu zu starten, indem das Management neu besetzt werden soll: Mit Inkrafttreten des Gesetzes wird die Leitung unverzüglich entlassen (das Gesetz trat am 18. Oktober in Kraft, Anm. d. Red.). Das Ministerkabinett ernannte am 21. Oktober Natalija Nowak zur vorläufigen amtierenden Leiterin der NAZK für einen Zeitraum von 60 Tagen und leitete das Auswahlverfahren für den neuen Leiter ein. Wie beim Auswahlprozess der Richter für das Oberste Antikorruptionsgericht, der als transparentester, demokratischster und erfolgreichster Auswahlprozess im Öffentlichen Dienst und im Justizwesen der letzten Jahre gilt, sollen auch bei der Neubesetzung der NAZK internationale Experten eine wichtige Rolle einnehmen: Mindestens 50 Prozent der Stimmen, die für die Wahl zum neuen Leiter benötigt werden, müssen von den internationalen Kommissionsmitgliedern stammen.

Weiterhin sieht das Gesetz vor, dass die NAZK einen automatisierten Zugang zu den Datenbanken des Justizministeriums bekommt, einschließlich des Einheitlichen Registers juristischer Personen und privater Unternehmer, des Eigentumsregisters und des Zivilrechtsregisters. Bisher hatte die Agentur keinen Zugriff darauf, was ein großes Problem für die vom NAZK durchgeführten Überprüfungen der elektronischen Vermögensdeklarationen (E-Deklaration) war. Darüber hinaus erhält die NAZK das Recht, zusätzliche Erklärungen von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Bürgern und Wirtschaftsunternehmen anzufordern, wenn eine vollständige Prüfung der elektronischen Vermögensdeklarationen erforderlich ist. Die Überprüfungsfunktion der NAZK wird weiterhin durch den erleichterten Zugang zu Registrierungsunterlagen, zu Kontoführungsunterlagen und zu notariellen Unterlagen gestärkt. Darüber hinaus soll die Agentur ein spezielles Verfahren für die Überprüfung von E-Deklarationen für Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes der Ukraine (SBU) und des Auslandsnachrichtendienstes (SZR) einrichten, die bisher nur eingeschränkt durchleuchtet werden.

Ein zentraler Punkt in dem Gesetz ist außerdem, dass das NABU, als wichtigste Ermittlungsbehörde für politische Korruptionsfälle, wieder direkten und automatisierten Zugriff auf die elektronische Datenbank mit Vermögensdeklarationen erhält, der ihr 2017 entzogen worden war. Außerdem wird der Kreis der Personen, die elektronische Vermögensdeklarationen abgeben müssen erweitert, zum Beispiel um die Assistenten von Richtern und Mitarbeitern des Präsidentenbüros, die beide als korruptionsgefährdende Gruppen gelten. Hingegen werden alle Mitglieder von öffentlichen Räten sowie nicht dauerhaft in der Ukraine lebende Ausländer, die z. B. in Aufsichtsräten und ähnlichen Gremien tätig sind, von der verpflichtenden Abgabe von Vermögensdeklarationen befreit.

Auch das externe Auditverfahren der Agentur wird erheblich geändert. Anstelle der drei »Auditoren«, die vom Ministerkabinett, dem Parlament und dem Präsidenten entsendet werden, erhalten nun internationale Organisationen das Recht, alle zwei Jahre drei Experten für das Auditing zu benennen. Im Falle eines negativen Audits kann der Leiter der Agentur vor Ablauf der Amtszeit entlassen werden.

Am Rande sei noch angemerkt, dass die im März 2017 verabschiedete und international heftig kritisierte Verpflichtung für Antikorruptionsaktivisten, elektronische Vermögensdeklarationen abzugeben, noch vor Selenskyjs Gesetzesinitiative gekippt wurde: Das Verfassungsgericht der Ukraine erklärte diesen Passus bereits am 6. Juni 2019 für verfassungswidrig.

Gesetzentwurf über die illegale Bereicherung (Nr. 1031)

Erst 2015 wurde die strafrechtliche Verantwortung für illegale Bereicherung in die ukrainische Gesetzgebung aufgenommen. Es war damals eine an den Aktionsplan zur Visa-Liberalisierung geknüpfte Forderung der EU sowie eine der zentralen Verpflichtungen der Ukraine gegenüber dem IWF.

Nach einem Beschluss des ukrainischen Verfassungsgerichts vom 26. Februar 2019 wurde der entsprechende Artikel im Strafgesetzbuch der Ukraine »Über die illegale Bereicherung Nr. 368-2« wieder gekippt. Als direkte Folge dieser umstrittenen Entscheidung wurden in 65 Fällen die Ermittlungen des NABU eingestellt, die nun auch nicht wieder aufgenommen werden dürfen. Im selben Monat legte der damalige Präsident Poroschenko einen Gesetzentwurf vor, um die strafrechtliche Haftung für illegal Bereicherung neu zu regeln. Der Entwurf wurde jedoch von der Zivilgesellschaft und internationalen Organisationen heftig kritisiert, da er noch schlechter sei als der des ehemaligen Präsidenten Janukowytsch. Poroschenkos Gesetzesentwurf wurde schließlich im März 2019 zurückgezogen, was den Weg für eine neue Initiative freimachte.

Am 29. August 2019 legte der neue Präsident Wolodymyr Selenskyj im Eilverfahren Gesetzentwurf Nr. 1031 vor, der unter anderem illegale Bereicherung und die Beschlagnahmung von durch Korruption angeeignete Vermögenswerte wieder strafrechtlich sanktionierte. Der Gesetzentwurf wurde am 11. September in erster Lesung verabschiedet. Seither gab es mehrere Versuche, ihn auf die parlamentarische Agenda zu nehmen, aber vor allem die geplante Beschlagnahmung wird von einer Mehrheit der Abgeordneten kritisch gesehen und gilt als Hürde für die endgültige Verabschiedung. Vor Kurzem wurde der Gesetzentwurf mit einer Reihe von Änderungen an die zuständigen Ausschüsse zurückgegeben.

Das Gesetz wäre, wenn es angenommen werden würde, sehr progressiv und von großem Mehrwert. Experten bescheinigen dem aktuellen Entwurf, dass er nicht nur im Einklang mit ukrainischen Gesetzen sei, sondern auch mit den europäischen Menschenrechtsstandards und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (einige Kritiker warfen dem Gesetz vor, nicht rechtskonform zu sein, Anm. d. Red.).

In der ersten Lesung wurde illegale Bereicherung definiert als die Differenz zwischen den erworbenen Vermögenswerten und dem legal erwirtschafteten Jahreseinkommen. Illegale Bereicherung läge vor, wenn diese Differenz das 15.000-fache des steuerfreien Mindesteinkommens beträgt. Der Parlamentsausschuss für Korruptionsbekämpfung senkte nach der ersten Lesung den Schwellenwert auf 6.500 steuerfreie Mindesteinkommen, was umgerechnet ca. 222.000 Euro entspricht. Das bedeutet in der Praxis: Überschreitet das Vermögen einer Person die Jahreseinkünfte um mehr als umgerechnet 222.000 Euro und kann diese Person diese Differenz nicht erklären, liegt ein Verdacht auf illegale Bereicherung vor. Der Vorschlag zur Senkung der Schwelle wurde von nationalen und internationalen Experten ins Spiel gebracht da der ursprüngliche, mehr als doppelt so hohe Schwellenwert, zu wenige Fälle von illegaler Bereicherung erfasst hätte.

Außerdem wird im Strafgesetzbuch die Definition von Vermögen erweitert und umfasst nun nicht nur Geld, Eigentum oder Dienstleistungen, sondern beispielsweise auch digitale Kryptowährungen. Eine Feststellungsklage, ob Vermögenswerte illegal sind, kann auch ohne Schuldurteil gegen eine Person eingereicht werden. Die Beschlagnahmung illegal erworbener Vermögenswerte von Amtsträgern erfolgt durch zivilgerichtliche Entscheidungen. Das Gesetz betrifft Vermögenswerte, die innerhalb der letzten vier Jahre vor Inkrafttreten des Gesetzes illegal erworben wurden und deren Wert rund 31.000 Euro übersteigt.

Es ist derzeit unklar, welche Änderungen es in der zweiten Lesung geben wird. Es sei darauf hingewiesen, dass das Oberste Antikorruptionsgericht und das NABU sich nur vorsichtig dazu äußern, wie zukünftig die Beschlagnahmung in der Praxis umgesetzt werden könnte. Auch sei vermerkt, dass trotz der potenziellen Nützlichkeit beider Bestimmungen die meisten europäischen Länder entweder die strafrechtliche Haftung für illegale Bereicherung anwenden oder die Beschlagnahmung. Die Abstimmung in der zweiten Lesung über Gesetzentwurf 1031 wird so oder so ein Lackmustest für den politischen Willen und die Geschlossenheit der Fraktion von »Diener des Volkes« sein sowie für die Bereitschaft der Ukraine, innovative Praktiken zur Korruptionsbekämpfung einzuführen.

Gesetzentwurf zum Schutz von Whistleblowern (Nr. 1010)

Ende August legte Präsident Selenskyj dem Parlament Gesetzentwurf Nr. 1010 »Zur Änderung bestimmter Gesetze der Ukraine zur Verbesserung bestimmter Bestimmungen der Strafprozessordnung« vor. Im Oktober wurde das Gesetz in erster Lesung verabschiedet und am 9. Oktober beendete der Ausschuss für Korruptionsbekämpfung die Überprüfung der Änderungen. Tatsächlich entspricht der Gesetzentwurf weniger einem eigenständigen Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern, wie es in vielen EU-Ländern Praxis ist, sondern erweitert stattdessen Artikel 53 des Gesetzes zur Korruptionsprävention.

Angelehnt an die US-Praxis zur Motivation von Whistleblowern sieht der Gesetzentwurf erstmals in der Ukraine vor, dass Hinweisgebern eine Belohnung von zehn Prozent der Korruptionssumme zusteht, wenn die gemeldeten Informationen zum Beweis des Korruptionsfalls beigetragen haben. Es liegt jedoch an den Richtern, über die genaue Höhe der Prämie zu entscheiden und darüber, ob die Informationen für die Untersuchung des Falles nützlich waren oder nicht. Hinweisgeber können Informationen im Zusammenhang mit ihrer Arbeit, Geschäftstätigkeit oder ihrem Studium melden. Außerdem können Hinweisgeber nicht für finanzielle oder sachliche Schäden verantwortlich gemacht werden, die sich aus den bereitgestellten Informationen ergeben – es sei denn, die von ihnen gemachten Angaben waren vorsätzlich falsch. Darüber hinaus können Hinweisgeber juristische Unterstützung durch die NAZK in Anspruch nehmen oder auch andere juristische Hilfe, inklusive der Beauftragung von Strafverteidigern.

Die Handhabung von zugriffsbeschränkten Informationen war ein weiterer Streitpunkt in den Diskussionen der Arbeitsgruppe, die das Gesetz vorbereitet hat. Laut aktuellem Entwurf können Informanten auch sensible Informationen uneingeschränkt veröffentlichen, z. B. anonym per Hotline oder über Medien. Allerdings ist die Frage der Haftung von Whistleblowern in dieser Hinsicht nicht eindeutig geklärt, da die Veröffentlichung von sensiblen Informationen in anderen Gesetzen als strafbare Handlung aufgefasst wird und die Rechtslage entsprechend angepasst werden müsste. Nicht zuletzt daher argumentieren zivilgesellschaftliche Beobachter und die Expertencommunity auch, dass ein umfassenderes Gesetz erforderlich wäre, das zudem alle Informanten umfasst – und nicht nur solche, die Korruption aufdecken. Sie schlagen vor, zunächst in einem Pilotprojekt alle Vor- und Nachteile zu testen und erst dann ein Rahmengesetz zum Schutz von Hinweisgebern zu entwerfen.

Weitere Änderungen des Strafgesetzbuches der Ukraine (bekannt als Änderungen des Abgeordneten Losowyj, Nr. 1009)

Schließlich hat Präsident Selenskyj im August auch den lang erwarteten Gesetzentwurf »Über Änderungen bestimmter Gesetze der Ukraine zur Verbesserung bestimmter Regelungen der Strafprozessordnung« vorgelegt, der Mitte Oktober in zweiter Lesung verabschiedet wurde und bereits in Kraft ist. Das Gesetz erlaubt es dem NABU und dem Staatlichen Ermittlungsbüro, im Rahmen von Korruptionsermittlungen Abhörmaßnahmen unabhängig vom Sicherheitsdienst SBU durchzuführen, was von internationalen Partnern und ukrainischen Antikorruptions-NGOs seit Jahren gefordert wurde.

Ausblick

Die Abstimmung über das Gesetz über die illegale Bereicherung (einschließlich des Teils über die Beschlagnahmung von Vermögenswerten), der Auswahlprozess und die Arbeit der neuen Leitung der NAZK sowie die vollständige Aufhebung der Abgeordnetenimmunität sind ein Lackmustest für die neue politische Elite, was ihre Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit hinsichtlich ihrer Versprechen zur Korruptionsbekämpfung betrifft. Der weitere Ausbau einer politisch unabhängigen Antikorruptionsinfrastruktur, selbst wenn diese sich gegen Kollegen, Freunde oder Familienmitglieder richtet, ist ein Indikator für die politische Reife und die Bereitschaft der neuen ukrainischen Führung unter Präsident Selenskyj, Korruption ernsthaft zu bekämpfen.

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