Der Krieg hat die Profile der EU und der USA in der Ukraine gefestigt

Von Susan Stewart (Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin)

Zusammenfassung
Während die USA vor allem auf die militärischen und sicherheitspolitischen Bedürfnisse der Ukraine reagieren, ist die Hilfe aus der EU vielfältiger in ihrem Charakter.

Der russische Angriffskrieg hat zu einer starken Intensivierung der Beziehungen zwischen der Ukraine und dem Westen geführt. Dies betrifft vor allem die USA, die EU und das Vereinigte Königreich. Bereits vor der Invasion wurde es offensichtlich, dass die ukrainische Außenpolitik eine immer höhere Priorität auf Sicherheitsaspekte legte. Seit Februar 2022 sind militärische und Sicherheitsfragen unweigerlich zum Thema Nummer eins auf der ukrainischen Agenda avanciert.

Welche Folgen hat dies für das ukrainische Verhältnis zu den USA einerseits und der EU andererseits? Auch wenn eine Intensivierung der Beziehung zu beiden Akteuren erfolgt ist, ist diese von unterschiedlicher Natur. Während die USA vor allem auf die militärischen und sicherheitspolitischen Bedürfnisse der Ukraine reagieren, ist die Hilfe aus der EU vielfältiger in ihrem Charakter. Dies hat verschiedene Implikationen sowohl für die derzeitigen Beziehungen als auch für die Zukunft.

USA: Bislang der sicherheitspolitische Anker

Das ukrainische Verhältnis zu den USA war in den Jahren vor dem Krieg alles andere als einfach. Dies gilt nicht nur für die Zeiten der Trump-Präsidentschaft, als die Ukraine wider Willen in die US-amerikanische Innenpolitik hineingezogen wurde. Auch nach dem Machtwechsel im Weißen Haus haben sich die ursprünglichen Erwartungen der ukrainischen Seite nicht erfüllt, da Joe Biden klar gestellt hat, dass er eindeutige Reformerfolge von der Ukraine erwartet. Schließlich kam es direkt vor dem Krieg zu unterschiedlichen Einschätzungen der beiden Seiten darüber, wie wahrscheinlich ein russischer Großangriff auf die Ukraine sei.

Seit dem Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 haben die USA der Ukraine mehr als 70 Milliarden Euro bereitgestellt. Etwa 48 Prozent dieser Gelder waren der Militärhilfe gewidmet. Auch wenn nicht alle Forderungen der Ukraine aufgegriffen wurden, waren es bislang vor allem die USA, die zuverlässig und im großen Stil die Ukraine mit Waffen und militärischem Gerät beliefert haben. Es hat eine klare Unterstützung sowohl vom Präsidenten als auch vom Kongress gegeben. Allerdings wächst bereits seit Monaten eine Opposition innerhalb eines Flügels der Republikaner gegen weitere Waffenlieferungen auf dem bisherigen Niveau. Deswegen ist die Zukunft der US-amerikanischen Hilfe nicht zwingend gesichert.

Die USA spielen aber nicht nur eine wichtige Rolle im bilateralen Verhältnis mit der Ukraine, sondern sind auch tonangebend und wirken koordinierend innerhalb der NATO sowie im Rahmen der G7. Deswegen werden sie von der ukrainischen Seite auch in dieser Hinsicht geschätzt und als sicherheitspolitischer Schlüsselakteur wahrgenommen. Schließlich ist auch die Art der Beziehungen zwischen den USA und Russland für die amerikanischen Handlungen in Kriegszeiten relevant. Das russisch-amerikanische Verhältnis der letzten Jahrzehnte hat sich stark auf sicherheitspolitische Themen konzentriert. Dies hat es leichter und selbstverständlicher gemacht, dass die USA seit Beginn des Krieges eine Rolle spielen, die insbesondere auf die Sicherheitsbedürfnisse der Ukraine eingeht, sowohl was konkrete Militärhilfe anbelangt als auch im Hinblick auf die Entstehung und Koordination einer sicherheitspolitischen Linie.

Vielfalt und Ambivalenzen prägen die komplexen EU-Ukraine Beziehungen

Die Rolle der EU und ihrer Mitgliedsstaaten ist gleichzeitig vielfältiger und ambivalenter. Klar ist, dass Brüssel sich sofort nach Ausbruch des Krieges hinter die Ukraine gestellt und ihr Waffenlieferungen versprochen hat. Dies war ein schwieriger Schritt, da die EU solche Lieferungen in ein Kriegsgebiet noch nie finanziert hatte. Selbst das Instrument, mit dem dies geschah (die Europäische Friedensfazilität), existiert erst seit März 2021. Dennoch war die meiste Hilfe, die von der EU kam, finanzieller Natur. Nicht zu vergessen ist auch das Ausmaß der humanitären Hilfe, insbesondere die Aufnahme von Millionen ukrainischer Kriegsflüchtlinge in vielen Mitgliedsstaaten. Sie konnten von einer EU-weiten Sonderregelung profitieren, die ihren Aufenthalt ermöglicht und ihnen erlaubt, in den Aufnahmestaaten zu arbeiten.

Etliche EU-Mitgliedsstaaten haben auch Waffen und Militärgüter an die Ukraine geliefert und entsprechende Trainings angeboten. Aufgrund der heterogenen Natur der EU als eine Entität, die aus 27 verschiedenen Ländern besteht, war diese Hilfe jedoch uneinheitlich und im einzelnen Länderkontext oft umstritten. Dies betrifft auch die Sanktionen gegen Russland, auf die sich die EU dennoch immer wieder geeinigt hat. Selbst wenn sie denen der USA meist ähnelten, gingen ihnen oft heftige Diskussionen voraus, und das vorläufige Ergebnis musste manchmal modifiziert werden, um das Veto eines oder mehrerer Mitgliedsstaaten zu vermeiden.

Die Ukraine versucht, dieser Vielfalt gerecht zu werden, indem sie unterschiedlich auf die einzelnen Mitgliedsstaaten reagiert. Es hat sich ein enges Verhältnis zu der Brüsseler Spitzenelite gebildet, und die zahlreichen Arten der EU-Unterstützung werden in der Ukraine gesehen und gewürdigt. Dennoch lag und liegt für Kyjiw auch im Fall der EU und ihrer Mitgliedsstaaten der Hauptschwerpunkt auf der Möglichkeit, die Waffenlieferungen in ihrer Qualität und Quantität ständig zu steigern.

Ein wichtiger Pfeiler der EU-Unterstützung für die Ukraine ist die Verleihung des Kandidatenstatus, die am 23. Juni 2022 erfolgt ist. Kyjiw hatte den Antrag auf Mitgliedschaft bereits am 28. Februar eingereicht, also kurz nach der russischen Invasion. Dies zeigt vor allem die Intensität des Ausbaus der Beziehungen zum Westen, den die Ukraine seit dem Großangriff betreibt. Kyjiw drückt aufs Tempo, wie die großen Erwartungen im Vorfeld des EU-Ukraine-Gipfels am 3. Februar in Kyjiw gezeigt haben. Dies betrifft sowohl den Termin für die Aufnahme in die EU als auch den Beginn der Verhandlungen über die 33 Kapitel, vor dem die Ukraine sieben Vorbedingungen erfüllen muss. Es ist wahrscheinlich, dass die Aufmerksamkeit in Kyjiw lediglich dafür reichen wird, was kurzfristig zu erreichen ist. Dies war bereits vor der Invasion meistens der Fall, und zu Kriegszeiten ist es kaum zu erwarten, dass eine komplexe Reformagenda zügig durchgeführt werden kann.

Die Invasion zementiert die amerikanisch-europäische »Arbeitsteilung«

Die oben beschriebenen Unterschiede haben offensichtlich den Umgang der Ukraine mit den USA einerseits und der EU andererseits beeinflusst. Als einheitlicher Akteur mit einem wesentlich stärkeren sicherheitspolitischen Profil sowohl in der NATO als auch vis-à-vis Russland, und als der Staat mit dem mächtigsten Militär im globalen Maßstab, waren die USA aus ukrainischer Sicht der bislang zuverlässigste Partner in einer Situation des Krieges. Hiervon zeugt, dass der erste Besuch Selenskyjs im Ausland seit Beginn der Invasion ihn nach Washington führte. Der Krieg hat also die bereits existierende Arbeitsteilung in der Wahrnehmung der Ukraine zementiert, wobei die USA primär für Sicherheit zuständig sind, die EU hingegen für finanzielle und wirtschaftliche Fragen. Trotz der unmittelbaren Gefahr für den Kontinent, die von Russland ausgeht, hat die EU den Krieg (noch) nicht zum Anlass genommen, einen Quantensprung in ihrer Kapazität als Sicherheitsakteur zu vollziehen. Die Ukraine akzeptiert dies als gegeben und agiert entsprechend. Somit stellt sie sich in eine Reihe mit einigen östlichen EU-Mitgliedsstaaten, die ihren hauptsächlichen Sicherheitsgaranten in den USA sehen.

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