Eine wacklige Konstruktion bis zur NATO: die bilateralen Sicherheitsabkommen der Ukraine

Von Julia Kazdobina (Foreign Policy Council »Ukrainian Prism«, Kyjiw/Ukrainian Foundation for Security Studies)

Zusammenfassung
Dieser Artikel untersucht die bilateralen Sicherheitsabkommen, die die Ukraine mit ihren Partnern geschlossen hat, um der russischen Aggression zu begegnen und die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine voranzubringen. Die bilateralen Vereinbarungen, die getroffen wurden, sind zwar rechtlich nicht bindend, schaffen aber einen Rahmen für bilaterale und multilaterale Sicherheitskooperationen. Die Abkommen zielen in erster Linie darauf ab, den militärischen Ausrüstungsbedarf der Ukraine sicherzustellen. Auch wenn die Sicherheit der Ukraine kurzfristig so kaum hergestellt werden kann, sind die Abkommen ein wichtiger Schritt, um eine glaubwürdige Abschreckung aufzubauen und die Ukraine vollumfänglich in ein kollektives Sicherheitskonzept zu integrieren.

Einleitung

Innenpolitisch ambivalent und von der NATO und deren Gipfel 2008 in Bukarest ausgeschlossen, blieb die Ukraine in einer Grauzone der europäischen Sicherheit – auch nach dem Beginn der russischen Besetzung 2014 auf der Krim und im Donbas. Die Vollinvasion 2022 zeigte dann das wahre Ausmaß der russischen Bedrohung und die öffentliche Unterstützung für den NATO-Beitritt stieg in der Ukraine auf 89 Prozent[1]. Am 30. September 2022 unterzeichnete Präsident Selenskyj als Reaktion auf die Entscheidung des russischen Präsidenten Wladimir Putin, vier weitere ukrainische Regionen zu annektieren, einen Antrag auf beschleunigte Aufnahme in die NATO. Auf dem NATO-Gipfel 2023 in Vilnius erhielt die Ukraine allerdings lediglich das vage Versprechen, in die Allianz eingeladen zu werden, »wenn die Alliierten zustimmen und die Bedingungen erfüllt wurden«.

Angesichts der allgemein herrschenden Auffassung, dass die Ukraine vor einem Endes des Krieges nicht NATO-Mitglied werden wird, begann diese gemeinsam mit ihren Partnern ein Interimssicherheitsgefüge zu errichten. Bis zum 17. Oktober 2024 hat die Ukraine 26 nicht bindende bilaterale Sicherheitsabkommen mit einzelnen Ländern geschlossen, außerdem ein langfristiges Kooperationsabkommen mit Kroatien und Gemeinsame Sicherheitszusagen mit der Europäischen Union. Die Partner der Ukraine errichten zudem ein Netzwerk von »Fähigkeitskoalitionen«, um die Ukraine in ihrem andauernden Kampf zu unterstützen. Wie tragfähig ist dieses Gefüge unter den zunehmend ungewisser werdenden sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen? Und reichen die getroffenen Vereinbarungen, um die Sicherheit der Ukraine kurz- und langfristig zu gewährleisten?

Bilaterale Sicherheitsabkommen

Das Sicherheitsgefüge basiert auf den Empfehlungen des Kyiv Security Compact (KSC), den die Rasmussen-Yermak International Working Group on Security Guarantees im September 2022 in Kyjiw vorgestellt hat[2]. Der KSC erkennt an, dass die Ukraine entschieden hat, NATO-Mitglied zu werden, betont jedoch, dass dies eine langfristige Perspektive ist. Bis dahin braucht sie belastbare Sicherheitsgarantien, wobei die Fähigkeit zur Selbstverteidigung als stärkste Sicherheitsgarantie ausgemacht wird. Der KSC sieht vor, dass die Ukraine und ihre Garantiestaaten ein Dokument zur gemeinsamen strategischen Partnerschaft unterzeichnen, das positive Sicherheitsgarantien für die Ukraine und eine Reihe rechtlich bindender bilateraler Sicherheitsvereinbarungen enthält. Diese Garantien sollen die ukrainische Selbstverteidigung ermöglichen, damit die Ukraine einen bewaffneten Angriff oder einen aggressiven Akt abwehren und im Fall eines Angriffs ihre Souveränität, territoriale Integrität und Sicherheit verteidigen kann.

Diese Konstruktion wurde auf dem NATO-Gipfel 2023 in Vilnius vorgestellt, nachdem die dringlichen Forderungen der Ukraine nach NATO-Mitgliedschaft keine unmittelbare Unterstützung fanden. Da eine Einladung in die NATO nicht infrage kam, unterzeichneten die G7-Staaten eine Gemeinsame Erklärung zur Unterstützung der Ukraine[3]. In dieser bekräftigten sie, dass die Sicherheit der Ukraine von zentraler Bedeutung für die Sicherheit der euroatlantischen Region ist, und brachten Verhandlungen mit der Ukraine über bilaterale Sicherheitsmaßnahmen voran, um ihre Unterstützung zu formalisieren. Die Erklärung war offen für andere Länder, die sich ihr anschließen wollten.

Die Vereinbarungen zur Sicherheitskooperation oder BSAs (Bilateral Security Agreements), die aus dieser Initiative hervorgingen, betonen erneut die territoriale Integrität der Ukraine und versprechen, die Ukraine zu unterstützen, »solange es nötig ist«. Indem sie die Notwendigkeit der Abschreckung gegenüber Russland betonen, vollziehen sie einen Bruch mit der nach dem Kalten Krieg entstandenen Vision des einigen und freien Europa. Um ein Signal der andauernden Unterstützung zu senden, haben die Sicherheitskooperationen eine Laufzeit von zehn Jahren und können verlängert werden. Für die Ukraine war es wichtig zu betonen, dass sie kein Ersatz für eine NATO-Mitgliedschaft sind, sondern als Brücke dorthin dienen. Die meisten dieser Vereinbarungen halten fest, dass die Zukunft der Ukraine in der NATO liegt. Deutschland und Italien sind hierzu weniger deutlich, indem sie lediglich ihre Unterstützung der Reformbemühungen in der Ukraine zusagen und betonen, dass diese entscheidend für die NATO-Aufnahmebestrebungen der Ukraine sind. Die ukrainische Regierung präsentiert die Vereinbarungen zwar als Sicherheitsgarantien – tatsächlich verpflichten sie die Partner der Ukraine aber nicht zu entschiedenem Handeln.

Die BSAs enthalten keine rechtlich bindenden Garantien. Weil eine beschleunigte Unterzeichnung der Vereinbarungen nötig war, wurde beschlossen, sie nicht durch die jeweiligen Parlamente ratifizieren zu lassen. Die Sicherheitsvereinbarung zwischen den USA und der Ukraine hat eine Sonderstellung als einzige rechtlich verpflichtende Vereinbarung, die bei den Vereinten Nationen registriert werden wird. Sie ist allerdings eine Regierungsvereinbarung, so dass Präsident Trump sie ohne Zustimmung des Kongresses aufkündigen kann. Außerdem wird sie für ihre schwachen Formulierungen kritisiert, bei denen die USA sehr darauf geachtet haben, sich nicht zu entschiedenem Handeln zu verpflichten[4].

Die BSAs folgen in den meisten Fällen demselben Muster, bei dem die Partner der Ukraine versprechen, eine breite Palette an militärischer und nichtmilitärischer Hilfe zur Verfügung zu stellen. Versprochen wird etwa Hilfe bei der Entwicklung der Streitkräfte und die Bereitstellung militärischer Unterstützung, Hilfe beim Schutz von kritischer Infrastruktur, der Abwehr von Beeinflussungsmaßnahmen und der Bekämpfung der organisierten Kriminalität sowie nuklearer und chemischer Bedrohungen, beim Erhalt der wirtschaftlichen Stabilität, der juristischen Verfolgung der russischen Aggressoren und weiterem mehr. Im Gegenzug verspricht die Ukraine, demokratische, wirtschaftliche und militärische Reformen voranzutreiben, ihre Fähigkeit zur Zusammenarbeit mit der NATO auszubauen und in manchen Fällen auch, ihrerseits militärisch zu unterstützen, sollte Bedarf entstehen. Außerdem verspricht die Ukraine, geheimdienstliche Informationen und Expertise zu teilen.

Zusätzlich zu ihren allgemeinen Bestimmungen enthalten die Vereinbarungen länderspezifische Klauseln. Polen verspricht zum Beispiel die Schaffung einer polnischen Legion – einer militärischen Einheit, die aus in Polen ansässigen Ukrainern besteht, die in Polen trainiert und ausgestattet werden und nach Kriegsende wieder nach Polen zurückkehren sollen. Schweden verspricht die Bereitstellung von Kontroll- und Überwachungsflugzeugen des Typs ASC 890 sowie des Kampfflugzeugs JAS 39 Gripen inklusive der dafür notwendigen Personalschulungen. Insgesamt stellen die Vereinbarungen einen Rahmen für bilaterale Kooperation dar und sehen vor, dass auf ihnen aufbauend weitere spezifischere Vereinbarungen geschlossen werden können.

Die am 27. Juni 2024 unterzeichneten Gemeinsamen Sicherheitszusagen der Europäischen Union und der Ukraine versprechen Unterstützung bereitzustellen – so lange wie nötig und »so intensiv wie nötig«. Wichtig ist dabei, dass das Dokument zwischen sämtlichen EU-Mitgliedstaaten koordiniert wurde und ihm alle zugestimmt haben, auch diejenigen, die kein BSA mit der Ukraine geschlossen haben. Im Übrigen ergänzen die Sicherheitszusagen die mit Einzelstaaten geschlossenen BSAs. So fordern sie beispielsweise eine »stärkere Kooperation zwischen den Verteidigungsindustrien im Sinne der Strategie der europäischen Verteidigungsindustrie«. Außerdem können sie dabei helfen, die aus den eingefrorenen russischen Vermögenswerten generierten Mittel zur Unterstützung der Ukraine einzusetzen.

Obwohl erklärtes Ziel der Vereinbarungen ist, ein Signal der langfristigen Unterstützung der Ukraine zu senden, geben die meisten Unterzeichner keine Finanzgarantien über 2024 hinaus. Das BSA mit Schweden gehört zu den wenigen mit einem weiteren Horizont und garantiert, dass von 2024 bis 2026 jährlich 2,2 Milliarden Euro Hilfe zur Verfügung gestellt werden. Auch Dänemark und Norwegen versprechen mit 8,5 Milliarden Euro von 2023 bis 2028 beziehungsweise 6,4 Milliarden Euro von 2023 bis 2027 längerfristige Unterstützung. Die baltischen Länder versprechen, jährlich 0,25 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts zur Verfügung zu stellen. Die EU stellte die mit 50 Milliarden Euro ausgestattete sogenannte Ukraine-Fazilität auf, um von 2024 bis 2027 »vorhersehbare finanzielle Unterstützung« für die Ukraine bereitzustellen. Über 2024 hinaus ist die Hilfe in den meisten Fällen Gegenstand innenpolitischer Entscheidungsprozesse. Die kritische Hängepartie um die US-Hilfen zu Beginn des Jahres 2024 und die Versprechen des neuen US-Präsidenten Trump, die Ukraine-Hilfe zu verringern oder gar einzustellen, zeigen die Unsicherheit, die mit diesem Ansatz einhergeht.

Der KSC wurde vor der russischen Teilmobilmachung am 30. September 2022 geschlossen und geht davon aus, dass die Kämpfe irgendwann aufhören und in einen Waffenstillstand und Verhandlungen münden werden. Um dieser Annahme Rechnung zu tragen, enthalten alle BSAs die Bestimmung, dass sich die Unterzeichnerländer im Fall einer erneuten Aggression binnen 24 Stunden mit der Ukraine kurzschließen werden, um zu entscheiden, was getan werden muss, um die Aggression abzuwehren, und um Hilfe bereitzustellen. Die BSAs sehen ein bilaterales Konsultationsformat vor, erlauben aber auch ein multilaterales. In Anbetracht der Zeit, die zur Koordinierung der Details und bis zum Start der Lieferungen vergeht, scheint das Versprechen alles andere als stark.

Auf dem NATO-Gipfel in Washington im Sommer 2024 unterzeichneten die BSA-Staaten ein Ukraine-Paket, das sämtliche bilateralen Sicherheitsvereinbarungen unter einem gemeinsamen Dach versammelt. Die Unterzeichnerländer erklären ihre Absicht, die Ukraine zu unterstützen, bis sie sich gegen die russische Aggression durchgesetzt hat, und formulieren damit ein spezifischeres Ziel als »solange es nötig ist«. Außerdem geben sie drei Versprechen: die unmittelbaren Sicherheits- und Verteidigungsbedürfnisse der Ukraine in bilateralen und multilateralen Formaten (Ramstein-Format, NATO, EU und andere) zu unterstützen, die Bemühungen zum Aufbau einer künftigen ukrainischen Armee, die mit der NATO vereinbar ist, zu beschleunigen und »rasch und auf höchsten Ebenen zusammenzutreten«, sollte die Ukraine nach Beendigung der gegenwärtigen Kriegshandlungen von Russland angegriffen werden.

»Fähigkeitskoalitionen«

Ein anderer Ansatz, der sich mit diesem allerdings teilweise deckt, sind die 2023 gestarteten »Fähigkeitskoalitionen«, die eine höhere Effizienz der von den Partnerländern geleisteten Ukraine-Unterstützung bewirken sollen. Sie funktionieren im Rahmen der Ukraine-Kontaktgruppe, auch bekannt als Ramstein-Format. Diese wurde zwei Monate nach der russischen Vollinvasion unter Führung der USA ins Leben gerufen, um für die unmittelbaren Sicherheitsbedürfnisse der Ukraine Sorge zu tragen und Hilfen zu koordinieren. Bis November 2023 entwickelte sich die Kontaktgruppe zum sogenannten Ramstein-2-Format, dessen Mitglieder einen längerfristigen Ansatz verfolgen. Ursprünglich hatte die Ramstein-Koalition 41 Mitglieder, mittlerweile besteht sie aus über 50 Ländern.

Alle BSA-Unterzeichnerstaaten gehören einer oder mehreren Fähigkeitskoalitionen an, entweder in leitender Rolle oder als Teilnehmer. Insgesamt gibt es acht Fähigkeitskoalitionen zu jeweils spezifischen Ausstattungsbedürfnissen: Artillerie, Luftabwehr, Drohnen, Panzerfahrzeuge, IT und Cybersicherheit, Luftwaffe, maritime Sicherheit und Minenräumung. Bis zum 23. September 2024 sind 34 Länder der Ukraine-Kontaktgruppe verschiedenen Koalitionen beigetreten, darunter auch Nicht-NATO-Staaten wie Australien, Neuseeland und Japan. Im ukrainischen Verteidigungsministerium wurde eine Abteilung zur Koordinierung der Arbeit der Koalitionen geschaffen.

An einer Institutionalisierung der Koalitionen wird bereits gearbeitet. Etliche Koalitionen, etwa die zu Minenräumung, Drohnen und IT, haben Memoranden unterzeichnet, deren Ziel ein gemeinsamer Topf zur Ausrüstungsbeschaffung ist. Bis Ende Dezember 2024 sollten alle Koalitionen einen Mehrjahresplan zur Unterstützung der Ukraine entwickeln. Auf ihrem Treffen in Ramstein am 9. Januar 2025 haben die Fähigkeitskoalitionen acht Roadmaps verabschiedet, die die wichtigsten Ziele der ukrainischen Verteidigungskräfte bis 2027 definieren und als Grundlage für ihre Unterstützung dienen sollen. Priorität hat dabei die Unterstützung der ukrainischen Verteidigungsindustrie. Während angesichts des neuen US-Präsidenten Trump erwartet wird, dass die NATO in der Ukraine-Kontaktgruppe künftig eher eine koordinierende Rolle spielen wird, wird auf Ersuchen der ukrainischen Seite davon ausgegangen, dass das Ramstein-Format, wie auch die Koalitionen, aktiv bleiben wird.

In einer separaten Entwicklung zum Ausbau der militärischen Fähigkeiten der Ukraine brachte das ukrainische Verteidigungsministerium am 20. November 2024 eine Kooperation zwischen der Northern Group und der Ukraine auf den Weg. Der Initiative traten die nordischen und die baltischen Staaten sowie Deutschland, die Niederlande, Polen und Großbritannien bei. Thema der ersten Sitzung waren die dringenden Bedarfe der Ukraine und wie diese so schnell wie möglich erfüllt werden können. Priorisiert wurden Investitionen in die Verteidigungsindustrie der Ukraine.

Rezeption in der Ukraine

In ukrainischen Expertenkreisen werden die BSAs oft als Neuausgabe des Budapester Memorandums bezeichnet, also jenes Dokuments, das die Ukraine 1994 mit Atomwaffen-Staaten unterzeichnet hat, als sie ihren von der Sowjetunion geerbten Bestand an Nuklearwaffen abgab. Dieser Vertrag wird allgemein als nutzlos und unfair angesehen, da seine Unterzeichner der Ukraine ihre Waffen abgenommen haben, ohne ihr zu Hilfe zu kommen oder die Aggression einer Atommacht gegen sie zu stoppen. Diese Sicht ist unpräzise. Die Unterzeichner des Budapester Memorandums haben nicht versprochen, der Ukraine zu helfen, und der Inhalt der bilateralen Vereinbarungen unterscheidet sich grundlegend von dem des Memorandums. Die Unterzeichnerländer des Memorandums haben negative Verpflichtungen übernommen – die Ukraine nicht anzugreifen, sie nicht wirtschaftlich unter Druck zu setzen und so weiter –, die BSA-Unterzeichnerländer gehen positive Verpflichtungen ein. Sie versprechen, die militärischen Fähigkeiten der Ukraine zu stärken und im Fall weiterer Aggression Unterstützung zu leisten. Die BSAs sind definitiv ein Schritt nach vorne, auch wenn sie angesichts des militärischen, wirtschaftlichen und demografischen Übergewichts des Angreifers kaum reichen, um diesen abzuschrecken oder zu stoppen.

Die ukrainische Bevölkerung hat eine positivere Sicht auf die BSAs. Laut einer KIIS-Umfrage im Mai und Juni 2024 glauben 65 Prozent der Ukrainer:innen, dass die Sicherheitsvereinbarungen gut für die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine sind. Die Gesamtsicht auf sie ist allerdings deutlich zurückhaltender[5]. Nur 18 Prozent halten sie für sehr nützlich zur Stärkung der ukrainischen Verteidigungsfähigkeit, 47 Prozent für eher nützlich. 27 Prozent gehen davon aus, dass sie wahrscheinlich keinen deutlichen Einfluss haben oder überflüssig sind. Eine weitere Umfrage vom Dezember 2024 hat ergeben, dass die Ukrainer:innen die Entwicklung von Atomwaffen (31,3 Prozent) und die schrittweise Annäherung an die NATO (29,3 Prozent) vorziehen, um die Sicherheit der Ukraine zu gewährleisten[6].

Der größere Kontext der ukrainischen Bemühungen

Donald Trump als neuer US-Präsident bringt eine Menge Unsicherheit mit sich, sowohl für die Zukunft der NATO als auch für die Aussichten der Ukraine auf Mitgliedschaft in ihr. Nach seiner Wahl hat der designierte Präsident seine früheren Drohungen wiederholt, sich aus der Allianz zurückzuziehen, sollten die europäischen Mitglieder »ihre Rechnungen nicht bezahlen«. Mitglieder seines Teams haben die Idee verbreitet, die NATO-Mitgliedschaft der Ukraine zu verschieben und zu einem Bestandteil des Friedensvertrags mit Russland zu machen, auf den Trump drängt. Auch einige NATO-Länder, unter anderem, aber nicht ausschließlich Deutschland, die Slowakei und Ungarn, könnten den Mitgliedsantrag der Ukraine blockieren, denn ihre Ansichten über den Krieg unterscheiden sich tendenziell sehr von denen der Allianz. Eine NATO-Mitgliedschaft bleibt allerdings das höchste Sicherheitsziel der Ukraine und das Land fordert weiterhin eine Einladung.

Obwohl Russlands »rote Linien«, etwa Angriffe auf russisches Territorium oder die Lieferung von Langstreckenwaffen, schon mehrfach ohne erhebliche Konsequenzen überschritten wurden, verfolgt die NATO nach wie vor die Politik der Vermeidung einer direkten Konfrontation mit Russland. Putins Atomwaffenbesitz und seine Bereitschaft, zur Abschreckung zu nuklearem Säbelrasseln zu greifen, verleiten die Allianz und die USA dazu, Eskalationsmanagement zu betreiben. Die aus dieser Politik resultierenden langsamen Waffenlieferungen und die Beschränkungen für den Einsatz der Waffen fesseln der Ukraine die Arme hinterm Rücken. Die Strategie der NATO, die Mitgliedschaft der Ukraine in der Allianz auf nach dem Krieg zu verschieben, hat schon zum erwarteten Ergebnis geführt – Russland investiert in eine Verlängerung des Kriegs gegen die Ukraine und macht sich für weitere Aggressionen bereit. Europäische Geheimdienste gehen zunehmend davon aus, dass Russland den Angriff eines NATO-Landes vorbereitet[7].

Die westlichen Länder sind allerdings nicht bereit für einen großen Krieg. Ihre Waffenvorräte sind klein, da sie nach dem Ende des Kalten Krieges beschlossen haben, sich auf das Just-in-time-Prinzip zu verlassen. Ihre Armeen sind klein, sie haben nicht genügend Reserven und ihre Rüstungsindustrie fällt hinter die russische zurück. Bis zum Gipfel in Washington 2024 haben zwar 23 der 32 NATO-Alliierten das Zwei-Prozent-Ziel erreicht. Das ist ein starker Anstieg im Vergleich zu den nur sechs Ländern, die dieses Ziel im Jahr 2021 erreicht haben – allerdings werden zwei Prozent inzwischen als Untergrenze angesehen. Die Erfahrung des Ukraine-Kriegs hat auch gezeigt, dass eine Steigerung der Ausgaben nicht zu schnellen Ergebnissen führt. Obwohl die Munitionsproduktion erhöht wurde, bleibt der Westen noch unter seinen Möglichkeiten. Der Aufbau einer ausgereifteren Rüstungsindustrie erfordert mehr Zeit und Ressourcen.

Während die Ukraine weiter kämpft, ist ihre Bevölkerung immer erschöpfter vom Krieg. Zwischen Oktober und Dezember 2024 ist der Anteil der Ukrainer:innen, die für den Frieden territoriale Zugeständnisse machen würden, von 32 auf 38 Prozent gewachsen (ein Jahr zuvor lag er bei 19 Prozent). Diesen Trend gibt es in allen Regionen, auch wenn laut einer Umfrage des Kyjiwer Internationalen Instituts für Soziologie eine knappe Mehrheit überall weiterhin stark gegen territoriale Zugeständnisse ist[8]. Es ist allerdings unwahrscheinlich, dass territoriale Konzessionen zu Frieden führen werden, denn Russlands hinter den Begriffen Entmilitarisierung und Entnazifizierung verstecktes Ziel ist weiterhin, die Souveränität und Identität der Ukraine zu zerstören, und seine Fähigkeit zur Kriegsführung ist nicht erschöpft. Frieden kann also nur erreicht werden, indem zuerst die russische Aggression gestoppt und dann eine wirksame Abschreckung gegen sie errichtet wird.

Fazit

Die russische Aggression gegen die Ukraine markiert eine wesentliche Zäsur in den letzten 30 Jahren europäischer Geschichte, in denen ein großer zwischenstaatlicher Krieg auf europäischem Boden für unmöglich gehalten wurde. Die neue Realität und die Neubewertung der russischen Bedrohung hat einige westliche Länder dazu bewegt, ihre Sicherheitspolitik zu überdenken und der Ukraine zu helfen. Die psychologische wie auch die praktische Anpassung an die neue Realität kommen allerdings nur langsam voran. Die großangelegte russische Invasion in die Ukraine geht in ihr viertes Jahr und die europäischen Länder befinden sich in einer unsicheren Situation. Ihre militärischen Kapazitäten sind ungenügend und der wichtigste NATO-Verbündete droht offen damit, die Allianz zu verlassen.

Unter diesen Bedingungen erscheint der flexible Rahmen, der aus den ukrainischen Sicherheitsbemühungen resultiert, hinsichtlich seiner Mechanismen ideal. Er erlaubt bilaterale und multilaterale Kooperationen unter willigen Staaten ohne die Notwendigkeit zum Konsens. Die Vereinbarungen helfen der Ukraine, sich gegen die fortgesetzte russische Aggression zu verteidigen, und bringen sie der NATO durch eine höhere Interoperabilität und Reformen näher. Die Fähigkeitskoalitionen ermöglichen die koordinierte Bereitstellung kurz- und mittelfristig notwendigen Equipments. Die Kooperation der Northern Group und der Ukraine ergänzt diese, indem sie Investitionen in die ukrainische Verteidigungsindustrie priorisieren. Die im Ukraine-Pakt versammelten BSAs konzentrieren sich auf gegenwärtige Hilfe, die Entwicklung zukünftiger Stärke und eine gemeinsame Antwort auf eine erneute Aggression. Außerdem stellen sie den ersten Schritt hin zu einer neuen Sicherheitsordnung in Europa dar, die gegenüber Russland nicht auf Integration, sondern auf Abschreckung setzt.

Die BSAs haben zwar mehr Substanz als das Budapester Memorandum, dennoch besteht eine erhebliche Diskrepanz zwischen ihrem erklärten Ziel und der Realität. Zur Abschreckung der russischen Aggression gegen europäische Staaten wäre die gesamte NATO nötig. Stattdessen wird von der Ukraine erwartet, dass sie diese Abschreckung alleine leistet, mit nur langsamer und unsicherer Hilfe durch ihre Partner. Diese Erwartung erscheint unrealistisch. Das Ausmaß der Unterstützung, die die Alliierten zu leisten bereit und zu der sie in der Lage sind, hängt jedoch davon ab, inwieweit sie sich und ihre Fähigkeiten auf das Ausmaß des Risikos eingestellt haben. Die Ukraine sollte die Gelegenheit nutzen, im Rahmen der Vereinbarungen Sicherheitskooperationen zu entwickeln, und gleichzeitig weiter Lobbyarbeit betreiben und sich auf ihre Aufnahme in den gemeinsamen Sicherheitsrahmen vorbereiten.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt


Verweise

[1] “Ukrainian Support for NATO and Demand for Inclusive Democracy Reach Record Highs”, Kyjiwer Internationales Institut für Soziologie, 30. Juni 2023, https://www.kiis.com.

[2] “The Kyiv Security Compact”, Working Group On International Security Guarantees for Ukraine, 13. September 2022, https://www.president.gov.ua/storage/j-files-storage/01/15/89/41fd0ec2d72259a561313370cee1be6e_1663050954.pdf.

[3] G7: Joint declaration of support for Ukraine, 12. Juli 2023, https://www.consilium.europa.eu/en/press/press-releases/2023/07/12/g7-joint-declaration-of-support-for-ukraine/.

[4] Jack Goldsmith, „Some Thoughts on the Weak U.S.-Ukraine Security Agreement”, Lawfare, 14. Juni 2024, https://www.lawfaremedia.org/article/some-thoughts-on-the-weak-u.s.-ukraine-security-agreement.

[5] “Perception of Security Agreements by Ukrainians”, Kyjiwer Internationales Institut für Soziologie, 5. Juli 2024, https://www.kiis.com.ua/?lang=eng&cat=reports&id=1419&page=1.

[6] “Foreign policy and security. Opinions of Ukrainian Society”, New Europe Center, 10. Dezember 2024, https://neweurope.org.ua/en/analytics/zovnishnya-polityka-i-bezpeka-nastroyi-ukrayinskogo-suspilstva/.

[7] Andrius Sytas, “Russia preparing for military confrontation with West, says Estonia,” Reuters, 14. Februar 2024, https://www.reuters.com/world/europe/russia-preparing-military-confrontation-with-west-says-estonia-2024-02-13/. Angela Skujins, “Russia could attack NATO by end of decade, German intelligence chief warns,” Deutsche Welle, 15. Oktober 2024, https://www.euronews.com/my-europe/2024/10/15/russia-could-attack-nato-by-end-of-decade-german-intelligence-chief-warns.

[8] “Dynamics of Readiness for Territorial Concessions and the Factor of Security Guarantees for Reaching Peace Agreements”, Kyjiwer Internationales Institut für Soziologie, 3. Januar 2025, https://kiis.com.ua/?lang=eng&cat=reports&id=1465&page=1.

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