Feministische Außenpolitik für die Ukraine – (k)ein Härtefall?

Von Niklas Balbon (Global Public Policy Institute (GPPi), Berlin/Freie Universität Berlin)

Zusammenfassung
Die russische Aggression gegen die Ukraine hat tiefgreifende geschlechterspezifische Dynamiken und betrifft marginalisierte Gruppen anders als die Mehrheitsgesellschaft. Die dadurch entstehenden unterschiedlichen Bedürfnisse können durch eine feministische Analyse besser verstanden und adressiert werden. Die feministische Außenpolitik stellt eine Chance dar, um die Ukraine bei ihrer Verteidigung und bei der Abmilderung der gesellschaftlichen Konsequenzen des Krieges und von Militarisierung zu unterstützen.

Einleitung

Russlands Krieg gegen die Ukraine wird gerne als »besonderer Härtefall« für die feministische Außenpolitik bezeichnet. Auf den ersten Blick erscheint ein solches Urteil durchaus intuitiv – viele Menschen assoziieren Feminismus nicht mit Krieg, sondern mit der gewaltfreien Überwindung gesellschaftlicher Missstände. Dieses stereotypische Denken führt übertragen auf die Ukraine jedoch zu drei folgenschweren Fehleinschätzungen. Erstens ist es ein analytischer Fehlschluss, den feministischen Fokus auf Gewaltfreiheit als Wehrlosigkeit gegenüber imperialistischen Unterwerfungsversuchen wie dem russischen Überfall zu verstehen. Zweitens wird dieses Denken der komplexen Realität des russischen Überfalls auf die Ukraine und der vielschichtigen Geschlechterdimension des Krieges nicht gerecht. Anders ausgedrückt: wer welche Rollen im Krieg einnimmt und von welchen Folgen betroffen ist, unterscheidet sich häufig entlang geschlechtlicher Identitäten. So sind Frauen beispielsweise deutlich stärker von negativen Kriegsfolgen wie Vertreibung, sexualisierter Gewalt und Armut betroffen, während Männer weiterhin den Großteil der Kampfhandlungen tätigen. Diese Unterschiede werden meist erst durch eine dezidiert feministische Analyse-Brille sicht- und adressierbar. Drittens lässt dieses Denken keinen Platz für die Perspektiven ukrainischer Feminist:innen und marginalisiert somit die Stimmen derer, die mit am stärksten vom Krieg betroffen sind. Wer diesen jedoch aufmerksam zuhört, realisiert schnell, dass Russlands Krieg gegen die Ukraine dringend feministische Analysen und Antworten – auch von ausländischen Unterstützer:innen der Ukraine – braucht. Wie diese Unterstützung konkret aussehen kann, wurde am Global Public Policy Institute in einem Forschungsprojekt gemeinsam mit ukrainischen Feminist:innen erkundet. Die Ergebnisse zeigen: die feministische Außenpolitik bietet eine Vielzahl an Instrumenten, um die Ukraine bei der Abwehr von Russlands patriarchalem Feldzug und die ukrainische feministische Zivilgesellschaft bei der Abmilderung der negativen gesellschaftlichen Konsequenzen des Krieges und von Militarisierung zu unterstützen.

Deutsche Debatten vs. ukrainische Realitäten

Die Klarheit, mit der ukrainische Feminist:innen die internationale Gemeinschaft zur gleichzeitigen militärischen und zivilen Unterstützung der Ukraine aufrufen, findet in der deutschen Debatte kaum Widerhall. Ganz im Gegenteil: selten wird Feminismus so simplifiziert und bewusst missverstanden wie in der hiesigen Debatte um den russischen Krieg gegen die Ukraine. Dabei entzünden sich sowohl zwischen den Gegner:innen und Befürworter:innen der noch jungen feministischen Außenpolitik, wie auch innerhalb der feministischen Gemeinschaft hitzige Grabenkämpfe. Im Zentrum dieser Debatten steht die Frage, ob die militärische Unterstützung der Ukraine in Einklang mit feministischen Prinzipien zu bringen ist. Teile der deutschen feministischen Prominenz um Alice Schwarzer haben diese Frage in einer Reihe offener Briefe und Demonstrationen öffentlich wirksam verneint. Mit Blick auf die feministische Ideengeschichte ist diese Positionierung nicht unbedingt überraschend: Dekaden feministischer Forschung zeigen detailliert, wie Militarismus[1] kriegerische Gewalt fördert und gleichzeitig patriarchale Gesellschaftszustände zementiert. So warnen auch ukrainische Feminist:innen mit Nachdruck vor den negativen Konsequenzen der Militarisierung, wie beispielsweise zunehmender häuslicher Gewalt[2]. Dennoch mahnen sie ebenso den Kontext zu berücksichtigen, in dem sie sich befinden, sowie das Dilemma, vor dem sie stehen: entweder die Ukraine verteidigt und militarisiert sich selbst, oder sie wird durch russische Okkupationstruppen zwangsmilitarisiert. Dass die überwiegende Mehrheit ukrainischer Feminist:innen[3] angesichts dieser Möglichkeiten die eigene Militarisierung wählen, sollte niemanden verwunden. Die deutsche Debatte zeigt sich jedoch erstaunlich ignorant gegenüber dieser klaren Positionierung. Das Festbeißen an theoretischen Debatten zur militärischen Unterstützung führt auch dazu, dass weiterführende Handlungspotenziale der feministischen Außenpolitik gegenüber der Ukraine unergründet bleiben.

Feministische Außenpolitik in Theorie und Praxis

Um es gleich vorwegzunehmen: Feministische Unterstützung für die Ukraine wird nicht nur von Staaten geleistet, welche sich einer feministischen Außenpolitik verpflichten. Das Alleinstellungsmerkmal der feministischen Außenpolitik ist jedoch, dass sie Feminismus nicht als Teilgebiet der Außenpolitik, sondern als deren Kernanliegen versteht und – im Idealfall – entsprechend mit politischem Kapital und Ressourcen ausstattet. In der Theorie ist die feministische Außenpolitik ein Ansatz, der Geschlechtergerechtigkeit, die Rechte marginalisierter Gruppen und menschliche Sicherheit ins Zentrum internationaler Politik stellt. Sie hinterfragt Machtstrukturen, betont Inklusion und Diversität in Entscheidungsprozessen und erweitert das konventionelle Sicherheitsverständnis, indem sie Gewaltprävention, nachhaltigen Frieden und soziale Gerechtigkeit priorisiert. Im Gegensatz zur herkömmlichen Außenpolitik, die oft stärker militärisch und nationalistisch geprägt ist, strebt eine feministische Außenpolitik nach einem kooperativen Miteinander, das strukturelle Ungleichheiten und die Ursachen von Gewalt bekämpft.

Die konkrete Umsetzung der feministischen Außenpolitik durch Nationalstaaten weicht empirisch meist von ihren theoretischen Potenzialen ab. Dennoch können wir bei vielen Ländern – inzwischen sind es 13[4] – realpolitische Veränderungen nach Auslobung einer feministischen Außenpolitik beobachten, welche auf mehreren Ebenen stattfinden: (1) durch die Förderung von Gleichstellung und Diversität innerhalb von außenpolitischen Ministerialbürokratien, (2) durch Einfluss auf außenpolitische Richtungsentscheidungen, (3) durch die Einbeziehung von marginalisierten Gruppen in diplomatische Konsultationen und Verhandlungen und (4) durch die Berücksichtigung der Bedürfnisse marginalisierter Gruppen sowie Förderung der feministischen Zivilgesellschaft in der programmatischen Arbeit, beispielsweise in den Bereichen humanitäre Hilfe[5] und Friedensförderung[6]. Mit Blick auf die Umsetzung einer feministischen Außenpolitik für die Ukraine erscheinen hierbei insbesondere die letzten drei Ebenen unmittelbar relevant.

Politische Richtungsentscheidungen und Feministische Diplomatie

Wie bereits erläutert, ist die Richtungsentscheidung, die von Russland angegriffene Ukraine militärisch zu unterstützen, konsistent mit feministischen Prinzipien. Mit Blick auf die Lebensrealität[7] von Menschen unter russischer Besatzung sowie Russlands offen anti-feministischer politischen Agenda, fordern viele ukrainische Feminist:innen[8] sogar eine noch stärkere militärische Unterstützung, welche die Ukraine dazu befähigt, weitere Gebiete zurückzuerobern. Diese Forderung ist nicht nur mit Blick auf das bereits diskutierte Spannungsfeld zwischen Feminismus und Militär bemerkenswert, sondern unterstreicht auch, dass es durchaus zu Überschneidungen zwischen feministischen und klassischen außenpolitischen Denkarten kommen kann.

Mit Blick auf das diplomatische »Alltagsgeschäft« ergibt sich aus feministischer Perspektive die Möglichkeit einer regelmäßigen Einbindung der feministischen Zivilgesellschaft und marginalisierter Gruppen in diplomatische Aktivitäten von Botschaften und Konsulaten. Ein Beispiel hierfür ist der Austausch von Botschaften in Kyjiw mit diesen Gruppen, um deren Bedürfnisse zu verstehen, gegebenenfalls direkt zu adressieren oder ihren Zentralen zu melden. Von größerer Brisanz noch dürfte ein feministischer Blick auf potenzielle Waffenstillstands- oder gar Friedensverhandlungen sein. Zwar ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht ersichtlich, ob und wann es zu solchen Verhandlungen kommen wird (vgl. dazu Ukraine-Analysen 306[9] von November 2024). Sollten sie stattfinden, zeigen robuste Erkenntnisse[10] aus der Friedens- und Konfliktforschung, dass die Inklusion von Frauen in Friedensverhandlungen die Wahrscheinlichkeit eines nachhaltigen Friedens erhöht, was die Diversität von Verhandlungsdelegationen auch zu einem relevanten Faktor bei möglichen Verhandlungen zwischen der Ukraine, Russland und potenziellen Drittstaaten macht. Darüber hinaus lehren uns Erfahrungen aus dem Donbas-Konflikt (2014 – 2022), dass das Einfrieren der ehemaligen Konfliktlinie im Donbas erhebliche vergeschlechtliche Konsequenzen hatte. So berichteten OHCHR[11] und Amnesty International[12] von weitreichender sexualisierter Gewalt gegen Frauen in den besetzten Gebieten und an Grenzübergängen zur Ukraine. Sollte es zu einem Waffenstillstandsabkommen und einer neuen Kontaktlinie mit vertraglich festgelegten Grenzübergängen kommen, wäre es aus feministischer Perspektive sinnvoll, diese mit internationalem und geschlechtlich gemischtem Personal auszustatten, um erneuter sexualisierter Gewalt vorzubeugen. Solche Arrangements müssten bereits bei möglichen Verhandlungen berücksichtigt werden.

Feministische Zugänge zu humanitärer Hilfe, Friedensförderung und Wiederaufbau

Während Fragen rund um Verhandlungen (noch) im Konjunktiv diskutiert werden müssen, können wir derzeit in Echtzeit beobachten, wie stark sich die persönlichen und gesellschaftlichen Folgen des russischen Überfalls je nach geschlechtlicher Identität oder Zugehörigkeit zu marginalisierten Gruppen unterscheiden. Im Rahmen des Projektes »Feminist Perspectives for Supporting Ukraine«[13] haben wir diese Konsequenzen zusammen mit ukrainischen und internationalen Feminist:innen (Maryna Shevtsova, Galyna Kotliuk, Yuliia Siedaia, Hanna Hrytsenko, Kseniya Oksamytna und Felicity Gray) erkundet und Handlungsempfehlungen für feministische Unterstützer:innen der Ukraine erstellt. Die daraus gewonnen Erkenntnisse illustrieren den Handlungsspielraum, den Außenministerien in ihrer programmatischen Arbeit im Bereich humanitäre Hilfe, Friedensförderung und Wiederaufbau haben.

Ein zentraler Ausgangspunkt des Projektes war die Berücksichtigung der Bedürfnisse marginalisierter Gruppen, wie beispielsweise der ukrainischen LGBTQ+-Gemeinschaft. So sind zum Beispiel die spezifischen Herausforderungen von LGBTQ+ Binnengeflüchteten (IDPs)[14] in der Ukraine beachtenswert. Diese sind häufig von doppelter Marginalisierung betroffen, beispielsweise weil sie sowohl als IDPs wie auch als queere Personen am Wohnungsmarkt diskriminiert werden. Internationale Akteur:innen können hier gezielt eingreifen, indem sie Schutzräume schaffen, psychosoziale Unterstützung anbieten und den Zugang zu rechtlichem Schutz sicherstellen. Weitere marginalisierte, aber oft vernachlässigte, Personen sind Individuen mit Behinderung[15]. Ein dezidierter Blick auf die Situation von Menschen mit Behinderung zeigt, dass die russische Aggression das ohnehin fragile Unterstützungssystem in der Ukraine erheblich belastet, da sie Ressourcen begrenzt und gleichzeitig die Zahl der Menschen mit Behinderungen erhöht. Zudem werden die spezifischen Bedürfnisse von Menschen mit Behinderung häufig sowohl von der eigenen Regierung wie auch von internationalen Unterstützer:innen übersehen, so gibt es beispielsweise kaum rollstuhlgerechte Luftschutzräume und Unterkünfte für IDPs. Aus feministischer Perspektive sind deshalb kurzfristige Maßnahmen wie die Verteilung von Smartwatches an Menschen mit Hörbehinderung notwendig, da diese nicht durch Sirenen vor Raketen, Drohnen und Artillerie gewarnt werden können.

Ein weiteres zentrales Thema ist der Umgang mit geschlechterspezifischer Gewalt[16] in der Ukraine. Bereits seit 2014, aber verstärkt seit 2022 sehen wir, wie sexualisierte Gewalt als Kriegswaffe eingesetzt wird und wie häusliche Gewalt in Zeiten des Krieges drastisch zunimmt. Diese Gewaltformen spiegeln nicht nur individuelle Verbrechen wider, sondern basieren auf vergeschlechtlichten Machtstrukturen und sozialen Normen, welche Gewalt legitimieren und durch den Krieg verstärkt werden. Darüber hinaus tragen auch kriegsbedingte Armut und Traumata zu einem Anstieg an häuslicher Gewalt bei. Mit Blick auf sexualisierte Gewalt durch russische Truppen gibt es nur eine präventive Maßnahme, welche die Ukraine und ihre Unterstützer:innen ergreifen können: die Befreiung besetzter Gebiete. Mit Blick auf häusliche Gewalt gibt es jedoch einen größeren Werkzeugkasten für ukrainische und internationale Akteur:innen. Dazu gehören Programme zur medizinischen, psychologischen und rechtlichen Betreuung von Betroffenen sowie Kampagnen zur Entstigmatisierung geschlechtsspezifischer Gewalt. Durch diese kann ein gesellschaftliches Klima geschaffen werden, in dem Betroffene leichter nach Hilfe fragen und befähigt werden, gewalttätige Partner:innen zu verlassen.

Die Rolle von Frauen in der Verteidigung und im zivilen Sicherheitssektor stellt einen weiteren Bereich dar, welcher feministisch analysiert werden sollte. So nehmen Frauen in der Ukraine zunehmend Aufgaben im Militär wahr, ihre Bedürfnisse[17] werden allerdings nicht hinreichend adressiert. Die Konsequenzen fehlender Sensibilität gegenüber Frauen im Militär reichen von fehlender körperlicher Schutzausrüstung, über unzureichende medizinische und psychologische Versorgung bis hin zur fehlenden gesellschaftlichen Anerkennung ihrer Leistungen. Diese Dynamik spiegelt ein tieferliegendes Problem wider: Die Leistungen von Frauen im Militär werden zwar zunehmend sichtbar, doch gesellschaftlich nicht auf dieselbe Weise wie die Leistungen ihrer männlichen Kameraden wertgeschätzt. So erfahren Frauen während oder nach ihrer Dienstzeit im Militär häufig Diskriminierung und sexistische Beleidigungen. Diese Probleme erfahren Frauen im Militär, sowie ihre Kolleginnen im zivilen Sicherheitssektor[18], insbesondere in der Nationalpolizei und bei staatlichen Notfalldiensten wie Katastrophenschutz und Feuerwehr. Diese Institutionen spielen eine zentrale Rolle in der Resilienz der ukrainischen Gesellschaft und erhalten nennenswerte Unterstützung durch internationale Geldgeber:innen. Trotzdem besteht dort die Notwendigkeit, die Arbeitsbedingungen von Frauen zu verbessern sowie die mentale Gesundheit von Mitarbeiter:innen zu fördern. Zudem können Schulungen zu Menschenrechten, Geschlechtergleichstellung und Inklusion dabei helfen, zivile Sicherheitsakteur:innen für den Umgang mit marginalisierten Bevölkerungsgruppen zu sensibilisieren. Ebenso sind vertrauensbildende Maßnahmen[19] zwischen Bevölkerung und Sicherheitsorganen in frontnähe wichtig, um die dort besonders vulnerable Bevölkerung besser schützen zu können.

Dass der Krieg nicht nur die humanitären Bedürfnisse, sondern auch gesellschaftliche und politische Machstrukturen[20] verändert, wird mit Blick auf die Verteilung politischer Macht zwischen Geschlechtern deutlich. Zwar übernehmen Frauen in formellen sowie informellen lokalen und regionalen politischen Strukturen verstärkt Verantwortung, jedoch stellen das Kriegsrecht und die zunehmende Versicherheitlichung ziviler Entscheidugsstrukturen strukturelle Hürden für eine noch stärkere politische Partizipation dar. Darüber hinaus fehlen Frauen häufig politische Netzwerke und sie werden mit Vorurteilen, beispielsweise dem Absprechen von Führungsqualitäten, konfrontiert. Die Förderung der politischen Partizipation von Frauen erfordert die Schaffung von Networking- und Mentoring-Programmen und Bildungsinitiativen sowie die Anpassung institutioneller Rahmenbedingungen, insbesondere innerhalb politischer Parteien. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die während des Krieges entstandenen Verantwortungsgewinne nach dem Krieg wieder verloren werden.

Eine Makroanalyse internationaler Unterstützungsmaßnahmen der Ukraine offenbart zudem, dass es häufig grundsätzlich an geschlechtersensiblen Ansätzen in internationalen Hilfsmaßnahmen[21] fehlt. So zielen viele Programme zwar auf schnelle humanitäre Hilfe ab, ohne dabei jedoch die geschlechtsspezifischen Auswirkungen ihrer Maßnahmen ausreichend zu berücksichtigen. Dies führt zu einer ungleichen Verteilung von Ressourcen und verstärkt bestehende Ungleichheiten. Ein feministischer Ansatz in der internationalen Hilfe würde eine systematische Berücksichtigung geschlechtsspezifischer Dynamiken in der Planung, Durchführung und Evaluierung von Programmen verlangen. Dies erfordert nicht nur die Einbindung lokaler Akteur:innen, sondern auch eine stärkere Schulung und Sensibilisierung internationaler Teams für die geschlechterspezifischen Auswirkungen und Verteilungseffekte ihrer Arbeit.

Fazit

Die aufgeführten Beispiele zeigen eindrücklich, dass feministische Blickwinkel nicht nur in Zeiten des Friedens, sondern gerade in Kriegszeiten von Bedeutung sind. Russlands Krieg gegen die Ukraine hat tiefgreifende geschlechterspezifische Dynamiken und betrifft marginalisierte Gruppen anders als die Mehrheitsgesellschaft. Dies wird erst durch eine feministische Analyse sichtbar und – in einem zweiten Schritt – adressierbar. Die feministische Außenpolitik kann hierbei ein wirksames Vehikel sein, um die vielseitigen feministischen Kämpfe mit politischem Kapital und Ressourcen auszustatten. Dass dies noch nicht in ausreichendem Maß stattfindet, darf uns nicht von den Potenzialen der feministischen Außenpolitik ablenken. Der Krieg gegen die Ukraine sollte deshalb eher als Bewährungsprobe denn als Härtefall für die feministische Außenpolitik verstanden werden.

Die feministische Auseinandersetzung mit Russlands Krieg gegen die Ukraine verdeutlicht außerdem, wie wichtig lokale Stimmen und Perspektiven für die analytische Klarheit in kontroversen Debatten, etwa im Spannungsfeld zwischen Militarisierung und Feminismus, sind. Die meisten ukrainischen Feminist:innen lassen keine Zweifel daran, dass die Militarisierung ihres Landes negative geschlechterspezifische Folgen hat, gleichzeitig jedoch alternativlos ist. Ihr Pragmatismus zeigt, dass es möglich ist, einen emanzipatorischen Abwehrkrieg zu führen und zugleich die gesellschaftlichen Auswirkungen der Militarisierung aktiv zu bekämpfen. Denselben Pragmatismus sollten wir bei unserer Unterstützung der Ukraine beweisen.


Verweise

[1] https://www.degruyter.com/document/doi/10.1525/9780520397682/html?lang=en&srsltid=AfmBOordhNAK2KTVKX0YO9F2mvT_vxN4kWLlChdtrp4wdPkV8-p7hHze

[2] https://gppi.net/media/Kotliuk_2024_Hidden-Front-of-Russias-War_ENG.pdf

[3] https://rowman.com/ISBN/9781666932904/Feminist-Perspective-on-Russia's-War-in-Ukraine-Hear-Our-Voices

[4] https://www.unwomen.org/sites/default/files/2023-09/gender-responsive-approaches-to-foreign-policy-and-the-2030-agenda-feminist-foreign-policies-en.pdf?utm_source=chatgpt.com

[5] https://odi.org/en/publications/where-next-for-feminist-foreign-policy-on-humanitarian-response/

[6] https://gppi.net/2023/08/01/feminist-foreign-policy

[7] https://gppi.net/2024/07/30/life-under-russian-occupation-in-ukraine

[8] https://gppi.net/2024/09/30/gender-considerations-in-the-international-response-to-russias-invasion-of-ukraine

[9] https://laender-analysen.de/ukraine-analysen/306/

[10] https://www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/03050629.2018.1492386?needAccess=true

[11] https://www.ohchr.org/sites/default/files/Documents/Countries/UA/UAReport16th_EN.pdf

[12] https://www.amnesty.org/en/documents/eur50/3255/2020/en/

[13] https://gppi.net/project/feminist-perspectives-ukraine

[14] https://gppi.net/2024/04/04/queering-displacement-ukrainian-lgbtq-community

[15] https://gppi.net/media/Balbon_2024_From_Awareness_to_Action_ENG.pdf

[16] https://gppi.net/2024/06/26/the-hidden-front-of-russias-war-addressing-gender-based-violence-in-ukraine

[17] https://gppi.net/2024/07/24/ukrainian-women-veterans-experience-from-2014-to-the-present

[18] https://gppi.net/media/Hrytsenko_2024_Capacity-Building-Civil-Security-Institutions.pdf

[19] https://gppi.net/media/Friedrich_2024_A_Matter_of_Trust_ENG_final.pdf

[20] https://gppi.net/2024/04/04/political-participation-in-kharkiv-gendered-wartime-changes-and-opportunities

[21] https://gppi.net/2024/09/30/gender-considerations-in-the-international-response-to-russias-invasion-of-ukraine

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