Die ukrainische Beschaffungsagentur für Rüstungsgüter (BfR), Libmod-Newsletter, 6. Februar 2025
Wechsel an der Spitze der Rüstungsbeschaffungsbehörde
Im Sommer 2022 gründete das ukrainische Verteidigungsministerium mit Unterstützung westlicher Partner die Beschaffungsagentur für Rüstungsgüter (BfR). Sie sollte die Armee mit Munition, Fahrzeugen und Ausrüstung versorgen, doch die Ergebnisse blieben hinter den Erwartungen zurück. Nach anhaltender Kritik wurde die Leiterin der Agentur entlassen. Ukrainische Medien analysieren die Ursachen des Scheiterns.
»Die Frontlinie würde längst in der Westukraine verlaufen«
Serhii Rakhmanin, Mitglied des Verteidigungsausschusses im ukrainischen Parlament, erläutert im Podcast der Ukrajinska Prawda, warum die Arbeitsweise der Beschaffungsagentur in der Kritik stand:
»Nehmen wir [zum Beispiel] den Bedarf des Generalstabs […] und schauen uns die kritischen Munitionsarten an, die die Beschaffungsagentur in einem Jahr geliefert hat.
Von einer Munitionsart hat diese Agentur mit 300 Mitarbeitenden, hohen Gehältern, großer Unabhängigkeit […] und enormen Möglichkeiten in einem Jahr gerade so viel geliefert, dass es für knapp drei Monate reicht. Bei einer zweiten Munitionsart [reicht die in einem Jahr gelieferte Menge] für etwas mehr als einen Monat. Bei einer dritten eine Woche, bei einer vierten vier Tage, bei einer fünften einen Tag und bei einer sechsten gerade einmal für vier Stunden Gefecht. […]
Das sind Zahlen, über die sich schwer streiten lässt, weil sie zeigen, wie [in]effektiv die BfR als Beschaffer arbeitet. Wenn die Streitkräfte nur mit dem [Material] kämpfen würden, das die Agentur bereitstellt, würde die Frontlinie längst hinter [dem Fluss] Sbrutsch [in der Westukraine] verlaufen.«
»Der Generalstab kämpft nicht mit Facebook-Likes«
Auch Forbes berichtet kritisch über die Ineffizienz der BfR unter der früheren Leitung:
»Der Skandal um die Suspendierung [der ehemaligen Leiterin der BfR Maryna] Bezrukova sei ein erzwungener Reputationsverlust für [Verteidigungsminister Rustem] Umerov, um Probleme bei der Beschaffung für die Streitkräfte 2025 zu vermeiden, so ein Gesprächspartner [von Forbes]. ›Bezrukova genießt breite öffentliche Unterstützung, aber der Generalstab kämpft nicht mit Facebook-Likes‹, erklärt er.
Die BfR habe unter Bezrukowas Führung zwar transparent, aber langsam gearbeitet, sagt ein ukrainischer Drohnenhersteller, der anonym bleiben möchte. Sein Unternehmen erhielt Ende Januar 2025 den Zuschlag für die Lieferung von Aufklärungsdrohnen bis zum 1. April. ›Wir wissen, dass wir das nicht rechtzeitig schaffen und eine Strafe zahlen müssen, aber anders funktioniert das System nicht‹, klagt er.
Ein anderer Drohnenhersteller hält es für falsch, Bezrukova allein die Schuld zu geben. ›Es gibt immer noch keine klaren Prozesse und Entscheidungsverfahren für die Beschaffung von Waffen. Der Abschluss von Verträgen hängt von der Genehmigung des Generalstabs, der Streitkräfte und der zuständigen Abteilung im Verteidigungsministerium ab, nicht allein von der Beschaffungsagentur‹, erklärt er. ›Bezrukova hätte das alles ignorieren können, um die Prozesse zu beschleunigen, aber sie hat es nicht riskiert, weil das strafrechtliche Konsequenzen gehabt hätte‹.«
»Nicht zusehen, wie eine für den Staat sehr wichtige Agentur zusammenbricht«
Nach der Entlassung von Bezrukova wurde Arsen Zhumadilov, Leiter des weithin als erfolgreich angesehenen Beschaffungsamtes für nicht-letale Ausrüstung der Armee im Hinterland, zum kommissarischen Leiter der BfR ernannt. In einem Interview mit Babel äußerte er sich dazu:
»Macht mir diese Situation Angst? Ist sie angenehm? Nein, sie ist nicht angenehm. Aber unter diesen Umständen konnte ich unmöglich ›Nein‹ sagen. Ich fände es unverantwortlich, tatenlos zuzusehen, wie eine für den Staat sehr wichtige Agentur zusammenbricht.«
Quelle: Bei diesem Beitrag handelt es sich um Ausschnitte aus der Libmod Presseschau vom 6.2.2025, der Artikel in voller Länge unter: https://ukraineverstehen.de/presseschau-us-gelder-fuer-lebenswichtige-projekte-eingefroren/
Der ukrainische Verteidigungsminister Umerow hat die Unabhängigkeit der Rüstungsbeschaffungsbehörde mit der Zustimmung von Jermak zerstört, AntAC Newsletter vom 5. Februar 2025
Nach zwei Wochen Durcheinander und regelwidrigen Verhaltens durch das ukrainische Verteidigungsministerium entließ Verteidigungsminister Rustem Umerow am 31. Januar Maryna Besrukowa, die Leiterin der Beschaffungsagentur für Rüstungsgüter (BfR). Eine Woche zuvor hatte der Minister den Aufsichtsrat der BfR aufgelöst, indem er zwei vom Verteidigungsministerium ernannte Aufsichtsratsmitglieder abberief.
Umerows Vorgehen steht im Widerspruch zu der rechtmäßigen Entscheidung des Aufsichtsrats der BfR vom 21. Januar, den Vertrag mit Besrukowa zu verlängern. Die Entscheidung des Ministers verstößt auch gegen die Grundsätze guter Unternehmensführung und macht die Erfolge der Reform der Rüstungsbeschaffung zunichte.
Besonders beunruhigend ist, dass das Präsidialamt offensichtlich in die Affäre involviert war. Am 25. Januar spielte ein privater Notar Umerow in die Hände und nahm illegale Änderungen am staatlichen Register vor, das Informationen über die Führung staatlicher Unternehmen enthält. Der Notar Andrij Lihun, der diese Änderungen vorgenommen hat, ist Mitglied einer von Jermak gegründeten NGO, der wiederum der Leiter von Selenskyis Präsidialamt ist. Diese NGO wird von Jermaks ehemaligem Geschäftspartner Artem Koljubajew geleitet, der Miteigentümer von Culver Aerospace ist, einem der größten Drohnenlieferanten der ukrainischen Streitkräfte. Diese persönliche Verbindung wirft ernsthafte Fragen über Absprachen und die Absicht auf, die hinter dieser offensichtlichen Einmischung steht.
Das Nationale Antikorruptionsbüro der Ukraine leitete als Reaktion auf den Einspruch von AntAC im Zusammenhang mit Umerows Machtmissbrauch ein Strafverfahren ein.
Verschiedene Interessengruppen, darunter internationale Partner und die ukrainische Zivilgesellschaft, äußerten ihre Bedenken hinsichtlich der Entscheidung von Umerow. Es besteht insbesondere die Gefahr, dass sich Waffenlieferungen verzögern und die Reformen im Bereich der Unternehmensführung und des Beschaffungswesens im Verteidigungssektor zunichte gemacht werden.
Umerows Entscheidung verstößt gegen geltendes Recht und Gesetz. Die Beschaffung von Rüstungsgütern unterliegt wieder der vollen Kontrolle des Verteidigungsministers. Er entscheidet, was, von wem und zu welchem Preis gekauft wird. Dieser Interessenkonflikt war die institutionelle Grundlage für die »Korruptionshölle« bei der Rüstungsbeschaffung unter dem früheren Verteidigungsminister Resnikow.
Dieses alte Modell, das Umerow wieder rehabilitiert hat, führte in den Jahren 2022–2023 zur Unterzeichnung von Verträgen im Wert von 350 Milliarden UAH (8 Mrd. EUR) (die größtenteils im Voraus bezahlt wurden), wobei die Waffen noch nicht geliefert wurden (Stand: November 2024).
Leider hat Präsident Selenskyi die rechtswidrigen Handlungen von Umerow in Bezug auf das BfR nicht öffentlich verurteilt. Selenskyi erklärte, dass Umerow das Recht habe, alles zu tun, um »Lieferverzögerungen zu verhindern«. Leider wurde der Präsident nicht darüber informiert, dass das angebliche Modell der »schnellen Lösungen« nur zu einem beschädigten internationalen Ansehen, Verlusten für den Staatshaushalt und nie gelieferten Waffen (im Wert von 350 Milliarden UAH) führt – Waffen, die unsere Soldaten jetzt dringender denn je benötigen.
Quelle: AntAC Newsletter vom 5. Februar 2025. Mehr zu AntAC: https://antac.org.ua/en/.
Statement der Unterstützungsgruppe der Botschafter der G7 in der Ukraine zur »Situation« bei der Rüstungsbeschaffungsbehörde, 28. Januar 2025
Die Unterstützungsgruppe der Botschafter der G7 in der Ukraine empfiehlt, die Situation in der BfR [Beschaffungsagentur für Rüstungsgüter, Anm. d. Red.] zügig zu lösen und sich auf die Fortführung der Beschaffung von Verteidigungsgütern zu konzentrieren. Die Einhaltung der Grundsätze der guten Regierungsführung und der NATO-Empfehlungen ist wichtig, um das Vertrauen der Öffentlichkeit und der internationalen Partner zu bewahren.
Quelle: Post auf X, 28. Januar 2025, https://x.com/G7AmbReformUA/status/1883968159851634927.
Naschi Groschi über einen mutmaßlichen Korruptionsskandal im ukrainischen Verteidigungsministerium
Die Investigativjournalist:innen vom Antikorruptionsportal Naschi Groschi [Unser Geld, https://nashigroshi.org/, Anm. d. Red.] untersuchen in einem Artikel für Dserkalo Tyschnja mutmaßliche Korruption im ukrainischen Verteidigungsministerium. Sie analysieren Vorgänge in einer Größenordnung von 23 Milliarden Hrywnja, die auf Anweisung von Verteidigungsminister Umerow von der Beschaffungsagentur für Rüstungsgüter (BfR) des Verteidigungsministeriums an den Grenzdienst im Zuge eines Liefervertrags mit der polnischen Firma Lechmar umgeleitet wurden. Die Autor:innen zeigen, dass die Vertragssumme überteuert war und dass das polnische Unternehmen Lechmar, das ein Zwischenhändler ohne eigene Rüstungsproduktion ist, bereits in einen früheren Skandal verwickelt war, der durch massive Lieferverzögerungen von Rüstungsgütern und Korruptionsvorwürfen ausgelöst wurde. Die Antikorruptionsexpert:innen decken Verbindungen zwischen Lechmar und Personen auf, die in den »Lwiw Arsenal«-Skandal verwickelt sind [hierbei geht es um Korruptionsvorwürfe in Bezug auf Gelder, die an einen slowakischen Zwischenhändler für Rüstungsgüter hätten überwiesen werden sollen, die aber nach Überweisung durch das Verteidigungsministerium an »Lwiw Arsenal« zu Großen teilen verschwanden, Anm. d. Red.], was Fragen nach den Motiven von Verteidigungsminister Umerow aufwirft. Der Artikel impliziert, dass Umerow bewusst Mittelsmänner begünstigte und damit Reformen im Bereich der Korruptionsbekämpfung in der Rüstungsbeschaffung torpediert. Außerdem thematisiert der Artikel die Gründung einer Stiftung und einer Tochterfirma in der Ukraine durch Lechmar. Der Hintergrund des mutmaßlichen Korruptionsskandals ist ein Konflikt zwischen Verteidigungsminister Umerow, der beschuldigt wird, die BfR unter der Leitung von Maryna Besrukowa zu schwächen, indem er der BfR Gelder entzog und versuchte, die BfR mit einer anderen, dem Verteidigungsministerium unterstehenden Behörde zu fusionieren, was zur Entmachtung von Besrukowa führen und Korruption begünstigen würde. Besrukowa genießt bei internationalen Geldgebern und der ukrainischen Zivilgesellschaft einen guten Ruf aufgrund der Reformen, die sie beim staatlichen Energieunternehmen Ukrenergo durchgeführt hatte, die wiederum entscheidend zur Korruptionsbekämpfung im Energiesektor beigetragen und aufgrund von verbesserter Unternehmensführung begünstigend für Hilfslieferungen in Kriegszeiten seit der Vollinvasion gewirkt hatten. Die Journalist:innen gehen davon aus, dass Besrukowa in der ukrainischen Elite über keinen hohen Patron verfügt und sie Umerow im Hinblick auf Reformen in der Rüstungsbeschaffung und der Unabhängigkeit der BfR nicht jeden Wunsch erfüllt hatte, was zunehmend zu Konflikten führte.
Quelle: Jurij Nikolow, Maryna Ansiforowa. Komu Umerow i Dejneko slili 23 miljardy. 21. Januar 2025, Dserkalo Tyschnja, https://zn.ua/ukr/anticorruption/komu-umjerov-i-dejneko-zlili-23-miljardi-zvjazok-lechmar-z-orhanizatorom-oborudki-lvivskoho-arsenalu.html.
Ukrainische Rüstungsindustrie in Bedrängnis, Jamestown, 11. Februar 2025
Die ukrainische Rüstungsindustrie steht vor großen Herausforderungen, die ihre Eigenständigkeit ernsthaft gefährden. Interne Konflikte zwischen dem Verteidigungsministerium und der Rüstungsbeschaffungsagentur, insbesondere im Zusammenhang mit mangelhafter Munition, haben die Situation verschärft. Finanzierungsprobleme, Qualitätsmängel bei der Munition und fehlende Schlüsselkomponenten gefährden die Kriegsführung gegen Russland. Die Abhängigkeit von ausländischen Importen und Ineffizienzen im Beschaffungswesen tragen ebenfalls zu den Problemen bei. Diese innenpolitischen Schwächen und Skandale untergraben das Vertrauen der westlichen Partner und beeinträchtigen die Fähigkeit der Ukraine, sich effektiv zu verteidigen. Für die Zukunft der ukrainischen Rüstungsindustrie sind eine bessere Koordinierung und die Beseitigung der Missstände von strategischer Bedeutung.
Quelle: Der vollständige Artikel »Ukrainian Defense Industry at Risk of Disarray« von Tamerlan Vahabov, veröffentlicht bei Jamestown am 11. Februar 2025, ist frei abrufbar unter https://jamestown.org/program/ukrainian-defense-industry-at-risk-of-disarray/
Wie die Ukraine einem Unternehmen zig Millionen Euro zu viel für Waffen zahlt, die sie dann auch noch zu spät erhält, Mychailo Tkatsch, 3. Oktober 2024
Der Journalist Mychailo Tkatsch von der Ukrainska Prawda schreibt in seinem Artikel über Korruption und Verzögerungen bei der Waffenbeschaffung in der Ukraine. Trotz des dringenden Bedarfs während des Krieges sind Waffenkäufe oft überteuert, vertraglich festgelegte Fristen werden dabei häufig nicht eingehalten. Es fehlt eine systematische Preiskontrolle im öffentlichen Beschaffungswesen, unbekannte Importeure tragen zur Intransparenz und zu den Verzögerungen bei. Die Beschaffung erfolgt häufig nicht über die reformierte Beschaffungsagentur für Rüstungsgüter (BfR) und ohne Beachtung von NATO-Standards. Besonders auffällig ist diesbezüglich das Staatsunternehmen Speztechnoexport, ein Sonderimporteur, der seit 2022 dem Militärgeheimdienst HUR unterstellt ist. Tkatsch weist darauf hin, dass Firmen, die früher ukrainische Waffen exportierten, nun Rüstungsgüter in die Ukraine importieren, was zu potenziellen Interessenkonflikten und finanziellen Verlusten führt. Diese systematischen Probleme im Beschaffungswesen schwächen somit die Verteidigungsfähigkeit der Ukraine.
Quelle: Mychailo Tkatsch. «Kupije HUR». Jak Ukraina pereplatschuje kompanii desjatki miljoniw jewro sa osbrojennja, jake newtschasno otrymuje. Ukrainska Prawda, 3. Oktober 2024, https://www.pravda.com.ua/articles/2024/10/3/7477878/.