Die Entwicklung der ukrainischen Rüstungsindustrie

Veränderungen in der ukrainischen Rüstungsindustrie in Kriegszeiten, SIPRI, 21.02.2025

Kateryna Kuzmuk und Lorenzo Scarazzato vom Stockholmer Friedensforschungsinstitut (SIPRI) analysieren die Veränderungen der ukrainischen Rüstungsindustrie während des Krieges mit Russland. Die Analyse vom 21. Februar 2025 beleuchtet die Entwicklung seit der Unabhängigkeit bis hin zu den Herausforderungen nach dem Jahr 2014 und die Veränderungen seit Beginn der russischen Vollinvasion im Februar 2022. Die Autor:innen legen dar, wie die Ukraine versucht, ihre Abhängigkeit von ausländischen Waffenlieferungen zu verringern und eine robuste heimische Rüstungsindustrie aufzubauen. Dabei werden sowohl Erfolge wie Produktionssteigerungen und technologische Innovationen als auch weiterhin bestehende Probleme wie Korruption und veraltete Technologien thematisiert. Die Analyse betont die Bedeutung internationaler Partnerschaften und Investitionen für die langfristige Entwicklung des ukrainischen Rüstungssektors. Die SIPRI-Expert:innen kommen zu dem Schluss, dass die ukrainische Rüstungsindustrie trotz Fortschritten kurzfristig weiterhin stark auf ausländische Hilfe angewiesen sein wird.

Die Entwicklung der ukrainischen Rüstungsindustrie seit der Unabhängigkeit: eine Zeitleiste

  • 1991: Zerfall der Sowjetunion. Die unabhängige Ukraine erbt rund 30 Prozent der sowjetischen Rüstungsindustrie, das sind rund 700 Unternehmen mit über einer Million Beschäftigten.
  • 1993: Die Anzahl der Rüstungsbetriebe in der Ukraine ist bereits auf 267 gesunken, ein Rückgang um fast zwei Drittel seit 1991.
  • 1994: Das Budapester Memorandum wird unterzeichnet. Die Ukraine verzichtet auf Atomwaffen und reduziert konventionelle Waffen.
  • 1993 bis Anfang der 2010er: Die Ukraine gehört fast durchgehend zu den 15 größten Waffenexporteuren der Welt.
  • 2014: Russland annektiert die Krym und führt Krieg im Donbas. Die Ukraine erhöht ihre Militärausgaben. Die Ausgaben für Rüstungsbeschaffung betrugen 62 Millionen US-Dollar.
  • 2015: 25 Prozent der staatlichen Aufträge gehen an private Rüstungsunternehmen.
  • 2020: Die Ukraine hat begonnen, die Rüstungsindustrie zu reformieren, um Korruption und Ineffizienz zu bekämpfen. Die Staatsausgaben für die Beschaffung von Rüstungsgütern erreichen 836 Millionen US-Dollar, was einer Steigerung um das 13-fache gegenüber 2014 entspricht. 54 Prozent der Staatsaufträge gehen an private Unternehmen, 36 Prozent an staatliche Unternehmen, 10 Prozent werden für Importe ausgegeben.
  • Februar 2022: Die russische Vollinvasion der Ukraine beginnt. Zahlreiche Rüstungsbetriebe werden durch Kämpfe und Bombardierungen beschädigt.
  • 2022–2024: Die Ukraine stellt auf Kriegswirtschaft um und erhöht die Rüstungsausgaben massiv.
  • 2023: Die Staatsausgaben für die Beschaffung von Rüstungsgütern steigen auf das 20-fache des Niveaus von 2021 und erreichen 30,8 Milliarden US-Dollar. Der Umsatz von UkrOboronProm steigt um 69 Prozent auf 2,2 Milliarden US-Dollar.
  • 2024: Etwa 500 Rüstungsunternehmen sind in der Ukraine tätig und beschäftigen fast 300.000 Angestellte. Die Ukraine hat über 1,5 Milliarden Dollar für Investitionen in ihre heimische Rüstungsindustrie von neun Geberländern eingeworben.
  • 2025: Die Ukraine modernisiert und erweitert ihre Waffenproduktion, ist aber weiterhin stark auf westliche Militärhilfe angewiesen.

Quelle: Kateryna Kuzmuk und Lorenzo Scarazzato: The transformation of Ukraine’s arms industry amid war with Russia, 21. Februar 2025, https://www.sipri.org/commentary/topical-backgrounder/2025/transformation-ukraines-arms-industry-amid-war-russia.



Daten und Fakten zu wichtigen Errungenschaften der ukrainischen Rüstungsindustrie in den Jahren 2023 und 2024

Entwicklungen im Jahr 2023

Kapazität der Rüstungsindustrie (gemessen an der Finanzierung)

  • von 2022 auf 2023: 3-fache Steigerung
  • von 2023 auf 2024: 6-fache Steigerung

Budget für Forschung und Entwicklung im Bereich Rüstung

  • 2022: 2,5 Mrd. Hrywnja
  • 2023: 12+ Mrd. Hrywnja
  • 2024: 51+ Mrd. Hrywnja

Drohnenproduktion

  • 100-fache Steigerung der Drohnenproduktion
  • 200+ Unternehmen haben mit der Entwicklung von Drohnen begonnen

Rüstungsproduktion

Panzerhaubitzen »Bohdana«: 30 Stück (155mm)

  • Neue Produktionsraten: 6 Panzerhaubitzen pro Monat
  • Neue Serienproduktion: 152mm-Artilleriegeschosse

Fertigung von Munition, insbesondere im Ausland

Erstmals seit der Unabhängigkeit stellt die Ukraine Artilleriemunition (152mm) in Serie her.

Fertigung im Ausland:

  • Panzergeschosse: 125mm
  • Artilleriegeschosse: 122mm
  • Mörsergranaten: 120mm
  • Mörsergranaten mit Splitterwirkung: 82mm

Außerdem: gemeinsame Panzerreparatur und -modernisierung mit Polen und Tschechien

Forschung und Entwicklung:

  • Neue Modifikation der Rakete für das Neptun-System

Geplante Herstellung:

  • Produktion von 750+ ukrainischen gepanzerten Fahrzeugen
  • Produktion von 155-mm-Artilleriegeschossen
  • Gemeinsame Produktion deutscher Panzerfahrzeuge des Typs »Fuchs« und »Lynx«

Quelle: Slowo i Dilo. Dosjahnennja ukrainskoho OPK pid tschas pownomasschtabnoi wijny, 8. Dezember 2023, https://www.slovoidilo.ua/2023/12/18/infografika/bezpeka/dosyahnennya-ukrayinskoho-opk-povnomasshtabnoyi-vijny.


Entwicklungen im Jahr 2024

Budget für die Entwicklung der ukrainischen Rüstungsindustrie, Forschung, Einführung neuer Technologien und Ausbau bestehender Produktionskapazitäten:

  • 2022: 2,5 Mrd. Hrywnja
  • 2023: 12+ Mrd. Hrywnja
  • 2024: 39,6 Mrd. Hrywnja
  • 2025: 54,6 Mrd. Hrywnja

TOP-3 Entwicklungen für Langstreckenschläge

Start der Serienproduktion:

  • Marschflugkörper: R-360 »Neptun«
  • Raketen-Drohne: »Paljanyzja«
  • Raketen-Drohne: »Peklo«

Drohnenproduktion

  • Drohnenproduktion: 100-fache Steigerung
  • Vom Staat gekaufte, in der Ukraine produzierte Drohnen: 96 Prozent
  • Produktionskapazitäten der Drohnenhersteller: 4 Mio. Einheiten
  • Bereits vertraglich abgesicherte Herstellung: 1,5+ Mio. Einheiten

Produktion der Panzerhaubitze »Bohdana« (155 mm)

  • Dezember 2023: 6 Stück pro Monat
  • Oktober 2024: 15+ Stück pro Monat

Erste ukrainische Serienproduktion

  • Vollständiges Sortiment an Mörser- und Artilleriegeschossen
  • Serienproduktion von Artilleriegeschossen: 152mm, 155mm
  • Kaliber nach NATO-Standards

Neue Kooperationen

  • Zusammenarbeit zwischen UkroboronProm und Rheinmetall Group
  • Erstes gemeinsames Werk für Panzerfahrzeug-Reparatur und Produktion in der Ukraine
  • Angekündigt: Erste Produktion vom Schützenpanzer des Typs »Lynx«

Quelle: Slowo i Dilo. Jakymi sdobytkamy widsnatschywsja ukrainskyj OPK sa tschas pownomasschtabnoi wijny. 23. Dezember 2024, https://www.slovoidilo.ua/2024/12/23/infografika/bezpeka/yakymy-zdobutkamy-vidznachyvsya-ukrayinskyj-opk-chas-povnomasshtabnoyi-vijny.


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SIPRI-Daten 2010 bis 2023: Die Ukraine als Waffenexporteur

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Analyse

»Wir können mehr tun«. Wovon die ukrainische Rüstungsindustrie lebt und was ihr Wachstum behindert

Von Iwan Werstjuk
Diese Analyse beleuchtet die Stärken und Schwächen der ukrainischen Rüstungsindustrie. Der Text hebt ihren Beitrag zum Wirtschaftswachstum der Ukraine hervor und geht auf Stärken insbesondere im Bereich Drohnen, gepanzerte Fahrzeuge und bei der Erprobung unter realen Kampfbedingungen ein. Gleichzeitig werden Herausforderungen wie mangelnde Investitionen, regulatorische Probleme, kurzfristige Verträge und bürokratische Hürden thematisiert, welche das Wachstum der Branche behindern. Auch wächst die Konkurrenz mit ausländischen Rüstungskonzernen, die Produktionsstätten in der Ukraine errichten wollen. Die Analyse argumentiert, dass die staatliche Planung im Beschaffungswesen verbessert, langfristige Verträge garantiert und faire Wettbewerbsbedingungen geschaffen werden müssen, um die ukrainische Rüstungsindustrie zu stärken und ihr Exportpotenzial zu steigern.
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