Die Rüstungsindustrie als Wachstumsfaktor
»Es gibt offizielle Erklärungen der Regierung, dass die ukrainische Rüstungsindustrie Produkte im Wert von 20 Milliarden herstellen kann, allerdings ist die Ukraine nur in der Lage, für sechs Milliarden einzukaufen«, sagt Kateryna Mychalko, die Geschäftsführerin des Verbandes »Technolohitschni syly Ukrajiny« (dt.: »Technologische Kräfte der Ukraine«), »also stehen zwei Drittel der Kapazitäten still. Unter diesen Bedingungen sind nur schwer Investor:innen zu gewinnen. Es gibt allerdings einige staatliche Initiativen, die Unterstützung leisten.«
Zu den 5,3 Prozent Wirtschaftswachstum im Jahr 2023 hat die Rüstungsindustrie rund anderthalb Prozent beigetragen, besagen Berechnungen[1] des ukrainischen Ministeriums für strategische Industrien. Dieser Anteil könnte erheblich größer sein; es gibt bei der Industrie Wachstumspotenzial, das jedoch den Zufluss von Investitionskapital und die Lösung regulatorischer Probleme voraussetzt. Aus dem Verteidigungshaushalt 2024 von 2,2 Billionen Hrywnja (ca. 53 Mrd. USD) werden insgesamt 246 Milliarden Hrywnja (ca. 6 Mrd. USD) für den Kauf ukrainischer Waffensysteme ausgegeben, also etwas über zehn Prozent. Die übrigen Ausgaben sind für den Sold der Militärangehörigen, deren Verpflegung und medizinische Behandlung vorgesehen. Da die Militärausgaben im Staatshaushalt im Jahr 2025 auf dem gleichen Niveau bleiben sollen, wird die ukrainische Rüstungsindustrie nach jetzigem Stand [Anfang November 2024, Anm. d. Red.] wahrscheinlich 250 Millionen Hrywnja erhalten; 2023 war das Volumen noch halb so groß. »Jede ukrainische Waffenart hat ihre Vor- und Nachteile, aber es ist einfach sehr wichtig, dass es sie überhaupt gibt. Und unser militärindustrieller Komplex hat diese Aufgabe sehr gut bewältigt«, sagt der Militärexperte Iwan Kyrytschewskyj. Diese Analyse untersucht die Stärken der ukrainischen Rüstungsindustrie und die Faktoren, die ihre Entwicklung behindern.
Was den ukrainischen Rüstungssektor stark macht
Rund zwei Drittel des ukrainischen Rüstungsmarktes werden von dem staatlichen Konzern »Ukrajinska oboronna promyslowist« (Ukroboronprom; dt.: »Ukrainische Rüstungsindustrie«) kontrolliert, das übrige Drittel nehmen private Unternehmen ein. Auf dem Markt sind rund 500 Unternehmen mit 300.000 Mitarbeiter:innen vertreten. Auf drei Militärangehörige kommt ungefähr ein:e Mitarbeiter:in in der Rüstungsbranche. Zum Vergleich: Bei dem staatlichen Eisenbahnkonzern »Ukrsalisnyzja«, einem der größten Arbeitgeber des Landes, sind 190.000 Mitarbeiter:innen angestellt. Die ukrainische Verteidigungsindustrie verfügt gegenüber den Rüstungsindustrien vieler anderer Länder über einen wesentlichen Vorteil: Die in der Ukraine produzierten Waffen können in einem heißen Krieg unter Kampfbedingungen erprobt werden. Die Soldat:innen, die ukrainische Waffen einsetzen, teilen den Produzenten ihre Eindrücke mit; dadurch können die Rüstungsgüter laufend weiterentwickelt werden. »Im Laufe eines halben Jahres stellt sich der Feind auf unsere Waffen ein, dann ist die technische Lösung veraltet«, erklärt Taras Schandura (»Hauptmann Ajax«), der stellvertretende Kommandeur der 92. Selbständigen mechanisierten Brigade. »Wenn der Hersteller nicht mit den Militäreinheiten redet, versteht er die Situation einfach nicht. Nach diesem Austausch muss der Produzent umgehend Änderungen an seinem Erzeugnis vornehmen.« Das verschafft den ukrainischen Waffensystemen Vorteile. Schließlich ist die Kommunikation mit ausländischen Produzenten schwieriger.
Drohnen
Das ist jedoch nicht der einzige Vorteil. »Die ukrainische Rüstungsbranche ist besonders bei den robotergestützten Systemen sehr stark, bei jeder automatisierten Lösung für die Armee«, sagt Kateryna Mychalko von den »Technologischen Kräften der Ukraine«. »Wir verfolgen einen menschenzentrierten Ansatz, damit eben möglichst Roboter kämpfen und nicht Menschen. Deshalb müssen wir auf Drohnen setzen, auf Robotersysteme.« Das Verteidigungsministerium und das Ministerium für digitale Transformation (das ebenfalls Drohnen ankauft) haben bereits für 2024 und 2025 Verträge[2] über den Ankauf von 1,8 Millionen Drohnen in einem Umfang von 147 Milliarden Hrywnja (ca. 3,6 Mrd. USD) abgeschlossen. Dabei geht es um Angriffsdrohnen, die tief in den feindlichen Raum eindringen (Deepstrike-Kamikaze-Drones), FPV-Kamikadse-Drohnen, Aufklärungsdrohnen vom Typ »DJI Mavic«, Aufklärungsflugzeugen und Nurflügel-Drohnen und sogar Angriffs-Drohnen. Ukrainische Produzenten sind in der Lage, mindestens 20 verschiedene Arten von Aufklärungsdrohnen herzustellen wie auch die meisten anderen Drohnenarten. Das Unternehmen »Athlon Avia« ist bereits über zehn Jahre auf dem Drohnenmarkt vertreten und hat sich an ausländischen Ausschreibungen beteiligt. Sein Vorzeigeprodukt ist die Drohne »A1-SM Furija«, die auch Artillerieaufklärung unternehmen kann. Sie ist eines von zwei Drohnensystemen dieser Art, das von den Streitkräften der Ukraine eingesetzt wird.
»Das gehört zur Standardausstattung bei der Artillerieaufklärung, daher erfreut sich unser Produkt entsprechender Nachfrage«, erzählt Artjom Wjunnik, der Gründer des Unternehmens. »Furija unternimmt Artillerieaufklärung, begleitet den Beschuss, unterstützt ihn und erhöht dessen Effektivität.« »Wir verbessern unsere derzeitigen Produkte und entwickeln neue«, ergänzt er. »Wir werden auch weiterhin versuchen, den Bedarf der Armee an Drohnensystemen zu decken.« Auch Oleksij Babenko, der Leiter des Unternehmens »Vyriy Drone«, berichtet von der großen Nachfrage nach Drohnen. »Die Nachfrage nach Drohnen ist da; sie werden direkt für staatliche Zwecke gekauft, für die Einheiten im Militär, für die Freiwilligen«, sagt Babenko. »Man entscheidet sich für uns, weil unsere Drohnen innovativ sind: Steuerungs- und Leitsysteme, sichere Kommunikation, und einen geringen Preis, weil bei uns über 70 Prozent der Komponenten aus ukrainischer Produktion sind.«
Das ukrainische Unternehmen »Infosachyst« (dt.: »Infoverteidigung«) bietet ebenfalls ein großes Sortiment an Drohnen, Mitteln zur elektronischen Kriegsführung und Technologien für geschützte Kommunikation an, doch nicht alle sind stark nachgefragt. Unter allen Produkten von »Infosachyst« weckt das taktische System zur Funkaufklärung »Plastun« das größte Interesse. Schon seit 2018 liefert das Unternehmen diese Systeme an die Streitkräfte der Ukraine. »Plastun ist ein mobiles Funkpeilgerät, mit dem auf Brigadeebene eine situative Informationslage über die Schlachtordnung des Feindes erstellt werden kann«, erklärt Jaroslaw Kalinin, der Direktor von »Infosachyst«. »Bevor die Geräte auf den Markt kamen, wurden diese Informationen vom obersten Stab bereitgestellt. Das führte zu Problemen, weil die Informationen nicht vollständig oder unzutreffend waren und verspätet eintrafen.« »Jetzt verstehen wir die Situation auf dem Schlachtfeld besser in Bezug auf das radioelektronische Spektrum, wo sich die Stellungen befinden, wie der Gegner sich bewegt«, erklärt Kalinin weiter. »Allerdings hängt es natürlich auch davon ab, wie gut der Chef der Aufklärung ist, und die Brigade oder Kompanie, die ihm unterstellt ist.«
Es gibt rasche Fortschritte in der ukrainischen Drohnenproduktion, unter anderem aufgrund der starken Konkurrenz unter den Unternehmen. So haben sich allein bei den jüngsten Branchentreffen, die das Ministerium für strategische Industrien, das Verteidigungsministerium und das Ministerium für digitale Transformation gemeinsam veranstalteten, 17 Delegationen ukrainischer Produzenten eingefunden. Die Ministerien wollten sehen, inwieweit die ukrainischen Hersteller in der Lage sind, Drohnen herzustellen, die militärische Operationen als Schwarm durchführen können, das heißt, inwieweit sie sich also zu Gruppen zusammenschließen, gemeinsam agieren und ihre Kampfaufgaben erfüllen können. Sieben der 17 Delegationen stellten derartige Systeme aus ihrer Produktpalette vor.
Gepanzerte Fahrzeuge und Munition
Der Krieg wird jedoch nicht nur mit Drohnen geführt. »Private Hersteller können sich beispielsweise durchaus mit Drohnen befassen und auch die Produktion verschiedener Arten von Munition übernehmen. Aber was ist mit schweren Waffensystemen, Artillerie, gepanzerten Fahrzeugen oder der Luftwaffe?«, gibt der Militärexperte Iwan Kyrytschewskyj zu bedenken. Als Beispiel für erfolgreiche ukrainische Rüstungsprodukte nennt er den Schützenpanzer BTR-4, der von den Malyschew-Werken in Charkiw hergestellt wird. Dieser Schützenpanzer ist auch unter der Bezeichnung »Buzefal« (»Bukephalos«) bekannt; er transportiert die Soldaten sehr gut durch die Kampfzone. »Ein gutes Fahrzeug, unsere Militärs haben es gelobt«, sagt Kyrytschewskyj. Gerade auf solche gepanzerten Fahrzeuge hat sich – anders als Dutzende anderer ukrainischer Hersteller – das Unternehmen »Ukrajinska Bronetechnika« spezialisiert, das seit 2015 auf dem Rüstungsmarkt vertreten ist. »Wir liefern praktisch an sämtliche Militär- und Sicherheitsbehörden gepanzerte Fahrzeuge: An das Verteidigungsministerium, die Nationale Polizei der Ukraine, die Nationalgarde, an den Geheimdienst SBU. In all den Jahren haben wir ständig mit den Militärs zusammengearbeitet, die unsere Produkte nutzen«, heißt es von dem Unternehmen. Während des großangelegten Krieges gegen die Ukraine hat »Ukrajinska Bronetechnika« auch eine verbesserte Version des gepanzerten Mannschaftstransportwagens »Novator« entwickelt. »Novator 2« absolvierte 2023 die Testphase und wird bereits in Serie an die Streitkräfte geliefert. Eine weitere Neuentwicklung des Unternehmens ist der gepanzerte Mannschaftstransportwagen »Warta 2« mit der Maschinenkanone »Sitsch«, der auf einer Fachmesse in Polen präsentiert wurde. Darüber hinaus produziert das Unternehmen ein breites Sortiment an Granatwerfern, von den Kalibern 60 und 82 Millimeter bis zu 120 Millimetern. Die größte Nachfrage der Militärs gilt den Granatwerfern mit dem Kaliber 120 Millimeter. Das Unternehmen hat zudem in Zusammenarbeit mit einigen NATO-Ländern die Produktion von Munition aufgenommen. »Unter den Bedingungen des derzeitigen Krieges besteht ein weiterer Vorteil in der unverzüglichen Wartung, worauf unser Unternehmen großen Wert legt. Wir haben mobile Wartungsbrigaden zusammengestellt, die äußerst schnell und möglichst frontnah die notwendigen Reparaturen vornehmen«, ist vom Pressedienst von »Ukrajinska Bronetechnika« zu hören.
Ausländische Rüstungsproduzenten
Auch die Konkurrenz zu ausländischen Herstellern, die recht intensiv ihre Produktion auf dem ukrainischen Rüstungsmarkt zu platzieren versuchen, beeinflusst die Weiterentwicklung der ukrainischen Rüstungsindustrie. So plant der deutsche Rüstungskonzern »Rheinmetall«, in der Ukraine vier Waffenfabriken zu bauen.[3] »Die erste Fabrik ist bereits in Betrieb. Die ukrainische Rüstungsindustrie ist unsere Partnerin. Wir haben jetzt ein Unternehmen für die Produktion und eines für Service und Wartung«, erklärt Unternehmenschef Armin Papperger. 2025 soll eine Fabrik des türkischen Rüstungskonzerns Baykar, der sich auf die Herstellung von Drohnen vom Typ »Bayraktar« spezialisiert hat, ihren Betrieb in der Ukraine aufnehmen.[4] »Wir haben den Bau zu 80 Prozent abgeschlossen und bestellen bereits die Anlagen. Die Fabrik wird im August 2025 fertig sein«, erklärt Generaldirektor Haluk Bayraktar. Das lettische Unternehmen »Atlas Aerospace« wiederum, das Drohnen herstellt, hat in der Ukraine ein Zentrum für Forschung und Entwicklung errichtet. Der US-amerikanische Rüstungsgigant »Northrop Grumman« plant gemeinsam mit der staatlichen Holding »Ukroboronprom«, Munition mittleren Kalibers nach NATO-Standards herzustellen. Darüber hinaus hat sich »Ukroboronprom« mit dem tschechischen Unternehmen »Česká zbrojovka« auf die Produktion von Sturmgewehren verständigt, ebenfalls nach NATO-Standards. Der kanadische Hersteller von gepanzerten Fahrzeugen »Roshel« plant, in der Ukraine Produktionsstätten zu errichten.
»Es ist gut, dass große internationale Player aus dem Rüstungsbereich bereit sind, mit der Ukraine zusammenzuarbeiten und hier Werke zu errichten. Und das nicht nur aus militärischen Überlegungen heraus, sondern auch aus wirtschaftlichen. »Je mehr Unternehmen in die Ukraine kommen, desto stärker wird das Land, betont Kateryna Mychalko, Geschäftsführerin der »Technologischen Kräfte der Ukraine«. »Ob mehr Unternehmen in die Ukraine gekommen wären, wenn die staatliche Regulierung besser gewesen wäre? Ganz eindeutig: Ja!«, meint sie weiter. So sucht beispielsweise »Infosachyst«, ein privates Unternehmen, das das Funkaufklärungssystem »Plastun« herstellt, nach internationalen Partnern. »Wir wollen partnerschaftliche Beziehungen aufbauen, um die Wartung und die Reparatur von Systemen westlicher Unternehmen in der Ukraine zu gewährleisten, und damit unsere Streitkräfte möglichst schnell diese Technik erhalten«, sagt Jaroslaw Kalinin, der Direktor des Unternehmens. »Es ist unmöglich, den Markt nach außen abzuschotten und gleichzeitig die neuesten hochwertigen Erzeugnisse zu erhalten«, versichert er. »Ich fände es sehr gut, wenn hier neue Kapazitäten installiert würden.«
Anhaltende Probleme in der ukrainischen Rüstungsindustrie
Ungeachtet der günstigen Faktoren für das Wachstum der ukrainischen Rüstungsindustrie bestehen allerdings immer noch etliche Hindernisse. Die Waffenproduktion in der Ukraine könnte um ein Vielfaches gesteigert werden, doch müssten dafür zahlreiche anhaltende Probleme der Branche angegangen werden. 85 Prozent der ukrainischen Unternehmen, die zum Verband »Technologische Kräfte der Ukraine« gehören, haben ihre Standorte entweder bereits ins Ausland verlegt oder planen das in der näheren Zukunft. Einer der Gründe ist, dass das Ministerkabinett 2023 eine Rentabilitätsnorm für ukrainische Rüstungsunternehmen in Höhe von 25 Prozent festlegte. Diese Quote bezieht sich allerdings nur auf Produktionskosten, es dürfen beim Endpreis nicht mehr als 25 Prozent auf den tatsächlichen Selbstkostenpreis aufgeschlagen werden. Dabei sollen beispielsweise Kosten für Anmietungen, für Forschung und Entwicklung neuer Produkte bei der Berechnung der Rentabilität nicht berücksichtigt werden. Das verringert den allgemeinen Ertrag des Unternehmens. »Für alle Entwicklungen werden Eigenmittel aufgewandt, wobei die Ressourcen sehr knapp sind, weil ja auch der internationale Markt [die Möglichkeit zum Export] versperrt ist. Es gibt also keine marktwirtschaftlichen Bedingungen«, meint Kateryna Mychalko von »Technologische Kräfte der Ukraine«.
Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte jüngst, er prüfe die Möglichkeit, Exportfreigaben zu erteilen, sobald der Bedarf der Streitkräfte der Ukraine zu hundert Prozent gedeckt sei. Bislang allerdings hat er diese Idee nicht weiter forciert – mitunter hat er sie sogar kritisiert. »Wir setzen uns für einen kontrollierten Export überzähliger Waffensysteme ein«, erläutert hierzu Kateryna Mychalko. »Das heißt, für alles, was der Staat nicht bestellen und kaufen kann, muss eine Genehmigung zum Verkauf in ein befreundetes Land bestehen, also in die Länder der Ramstein-Gruppe und der NATO. Das würde die Unternehmen finanziell entlasten. Und es würde es leichter machen, Devisen ins Land zu holen. Dadurch würde das entsprechende Waffensystem für die ukrainischen Streitkräfte billiger als es jetzt der Fall ist.«
Ein weiteres wichtiges Problem sind die Jahresverträge. Rüstungsverträge werden derzeit zu Beginn des Haushaltjahres abgeschlossen. Erst nachdem alle notwendigen Verfahrensschritte durchlaufen sind, können die Unternehmen im Juni mit der Produktion beginnen. Das führt in der Branche zu Stillständen. Zudem müssen der Produktionszyklus und die Bereitstellung der fertigen Waffensysteme für das Verteidigungsministerium bis zum Ende des Haushaltsjahres abgeschlossen sein; so sind die Vorschriften. Dabei erfordert die Herstellung einiger Waffensysteme erheblich mehr Zeit. »Unser Wachstum wird durch die Rüstungsplanung erschwert, durch unsere militärindustrielle Politik. Es ist lediglich ein handgesteuertes Vorgehen zu beobachten, keine ausgewogene, systematische Politik«, meint Artjom Wjunnik vom Unternehmen »Athlon Avia«. »Einige Unternehmen stehen still, sie haben für 2025 noch keine Aufträge, weil es noch keinen Staatshaushalt gibt.« Deshalb ist es für die Unternehmen extrem schwierig, in Europa die notwendigen Komponenten zu kaufen. Der Erwerb solcher Komponenten kann drei bis sechs Monate dauern, das heißt, er hätte bereits im Juni 2024 angegangen werden müssen, um im neuen Jahr mit der Fertigung zu beginnen. Im November 2024 seien die meisten Beschaffungen für das kommende Jahr noch nicht getätigt gewesen, berichtet Wjunnik. »Selbst der ungefähre Umfang der Rüstungsbeschaffung für 2025 ist unklar, die staatlichen Beschaffungsstellen teilen uns das aus irgendeinem Grund nicht mit«, fügt er hinzu.
»Die »Technologischen Kräfte der Ukraine« fordern, dass sich die Planbarkeit der Rüstungsbeschaffung deutlich verbessern muss«, betont Kateryna Mychalko, die Geschäftsführerin des Verbandes. »Das heißt, die Verträge sollten für mehrere Jahre abgeschlossen werden, möglichst auf zwei, drei; sie sollten übertragbar sein ins nächste Haushaltsjahr. Das sollte zur gängigen Praxis des Staates werden, der Rüstungsaufträge erteilt.« »Dem ganzen Gerede von Dreijahresverträgen sind leider keine Taten gefolgt. Bis heute hat es für keinen einzigen Dreijahresvertrag Haushaltszusagen gegeben. Diese kurzfristigen Rüstungsverträge bringen nichts«, klagt man bei »Ukrajinska Bronetechnika«. Oleksij Babenko vom Unternehmen »Vyriy Drone« erinnert daran, dass die für die Herstellung verwendeten ukrainischen Komponenten mit 20 Prozent Mehrwertsteuer belegt werden, während die ausländischen Komponenten dieser Regelung nicht unterliegen. »Es wäre einfacher, wenn wir die gleichen Bedingungen hätten wie Hersteller in Europa oder China. Wenn wir chinesische Bauteile kaufen, zahlen wir keine Mehrwertsteuer«, erklärt der Manager. Des Weiteren schlägt er vor, dass alle Arten von Rüstungsaufträgen als elektronische Ausschreibungen erfolgen sollen, wie es das Ministerium für digitale Transformation und der »Staatliche Dienst für Spezialfernmeldewesen und Informationsschutz« [ukr. Abk.: »Dershspezswjasku«] zum Teil für den Ankauf von Drohnen praktizieren. Jaroslaw Kalinin von »Infosachyst« meint hierzu: Der Umstand, dass sich das Ministerium für digitale Transformation um die Beschaffung von Drohnen kümmere, zeige die Probleme, die es mit entsprechenden Verfahren im Verteidigungsministerium gibt.
Das Unternehmen »Ukrajinska Bronetechnika« nennt als wichtigste Herausforderungen, die das Wachstum der Branche behindern, das Fehlen einer langfristigen Planung, den fehlenden Zugang zu Krediten, die mangelnden Möglichkeiten, finanzielle Ressourcen zu mobilisieren und eine überzogene Bürokratisierung. »Der Prozess, bis neue Waffensysteme einmal in Serie gehen und eingesetzt werden können, ist unheimlich langwierig und bürokratisch«, heißt es vom Pressedienst des Unternehmens. »Während des Krieges hat praktisch nur der Bereich der drohnengestützten Systeme eine Vereinfachung im Beschaffungswesen erfahren. Das war dann auch der Hauptgrund für den rasanten Aufschwung dieser Branche.« Jaroslaw Kalinin von »Infosachyst« erinnert auch an den Druck, der traditionell auf die Unternehmen ausgeübt wird und wurde, etwa durch außerplanmäßige Wirtschaftsprüfungen. Das schaffe kein sonderlich günstiges Investitionsklima für die Rüstungsindustrie, meint er. Es erlaube nicht, frei verfügbare Gelder für die Forschung und Entwicklung einzusetzen, neue Produkte zu entwerfen und risikoreiche Neuentwicklungen in Eigeninitiative voranzutreiben.
Anmerkung: Dieser Text erschien am 7. November 2024. Die Ukraine-Analysen veröffentlichen die von Hartmut Schröder angefertigte Übersetzung mit Erlaubnis der Redaktion von Hromadske.
Verweise
[1] https://ain.ua/2024/08/12/baykar-and-others-in-ukraine/
[2] https://mod.gov.ua/news/2024/10/29/na-2024-2025-roki-minoboroni-spilno-z-minczifroyu-vzhe-zakontraktuvali-1-8-mln-bezpilotnikiv-na-sumu-majzhe-147-mlrd-grn
[3] https://hromadske.ua/ru/posts/rheinmetall-postroit-ne-menee-chetyreh-zavodov-v-ukraine-chto-tam-budut-proizvodit
[4] https://hromadske.ua/ru/posts/v-ukraine-uzhe-stroyat-zavod-po-proizvodstvu-bajraktarov-ministr