Warum Wahlen in der Ukraine den Russisch-Ukrainischen Krieg nicht beenden können

Von Andreas Umland (Stockholmer Zentrum für Osteuropastudien (SCEEUS), Stockholm / Kyjiw)

Zusammenfassung
Abgesehen davon, dass ukrainische Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in naher Zukunft unrealistisch sind, werden sie wenig an Kyjiws Außenpolitik und Haltung gegenüber Moskau ändern.

Zu den vielen Ungereimtheiten des neuen amerikanischen Ansatzes zum Russisch-Ukrainischen Krieg gehört die Annahme, dass baldige Wahlen in der Ukraine hilfreich oder gar entscheidend für eine Beendigung der Kämpfe sein könnten. Insbesondere die Behauptung, dass ein schneller Wechsel an der Spitze der Ukraine, d. h. ein neuer Präsident, zur Erreichung des Friedens beitragen kann, findet heute nicht nur in Moskau, sondern auch in Washington, D.C. und anderen Hauptstädten Befürworter. Diese Akteure halten ein solches Szenario für plausibel, obwohl ein politischer Wandel in der Ukraine angesichts der Realitäten vor Ort in naher Zukunft unwahrscheinlich ist.

Die Durchführung sinnvoller ukrainischer Präsidentschafts- und Parlamentswahlen während eines Krieges und auch kurz nach Abschluss eines Waffenstillstands ist illusorisch. Die seit 2022 andauernde vollumfängliche Invasion Russlands macht eine landesweite Abstimmung derzeit unmöglich und setzt deren längere Vorbereitung nach Kriegsende voraus. Der Krieg hat die Gesellschaft und Infrastruktur der Ukraine so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass es in der Ukraine mittlerweile einen Konsens darüber gibt, dass ein neues Gesetz für Nachkriegswahlen verabschiedet und umgesetzt werden muss, um den neuen Umständen Rechnung zu tragen. Die Vorbereitung von Wahlen nach Kriegsende würde mindestens ein halbes Jahr benötigen und könnte bis zu einem Jahr dauern.

Die jüngsten Forderungen nach politischer Erneuerung in der Ukraine sind daher bestenfalls verfrüht und naiv, schlimmstenfalls manipulativ und subversiv. Der Beginn von Russlands Großangriff vor drei Jahren hat die Durchführung geordneter Wahlen während der ständigen Kämpfe im Osten und Luftangriffe im ganzen Land unmöglich gemacht, solange der Krieg andauert. In einem von der führenden ukrainischen Wahlbeobachtungsgruppe Opora organisierten öffentlichen Aufruf ukrainischer NGOs vom 20. Februar 2025 heißt es: »Die instabile Sicherheitslage, die Gefahr von Beschuss, Terroranschlägen und Sabotage sowie die großflächige Verminung von Gebieten stellen in allen Phasen des Wahlprozesses erhebliche Hindernisse dar.« (siehe Dokumentation).

Moskaus Begründung seiner Forderung nach ukrainischen Wahlen ist angebliche Sorge um die Legitimität der ukrainischen Führung. Russlands Ziel ist es jedoch nicht, Volksherrschaft in der Ukraine zu schützen, sondern eine erhöhte Verwundbarkeit des Landes während eines nationalen Wahlkampfs und Votums für staatliche Unterwanderung zu nutzen. Das Motiv der russischen Kampagne für baldige nationale Wahlen in der Ukraine ist nicht ein stabiler Frieden zwischen den beiden Ländern, sondern innenpolitische Destabilisierung und anschließende Unterwerfung der Ukraine.

Wahrscheinliche Ergebnisse künftiger Präsidentschafts- und Parlamentswahlen

Einige Kommentatoren außerhalb Russlands sind sich möglicherweise nicht bewusst oder halten es für unwichtig, welche verborgenen Motive Moskau hinter dessen scheinbarem Interesse an ukrainischer Demokratie stecken. Die Hinterlist und Subversivität von Moskaus Forderung nach Wahlen sollte jedoch nicht unterschätzt werden. Ein Indiz, dass das Ziel staatlicher Zerrüttung und nicht eines geordneten Führungswechsels hinter Russlands angeblicher Sorge um demokratische Legitimität in der Ukraine steht, ist, dass selbst erfolgreich durchgeführte Wahlen, wie Moskau weiß, die Außenpolitik der Ukraine kaum ändern werden. Ein hypothetischer baldiger Machtwechsel – einschließlich des Präsidenten – in der Ukraine wird, entgegen der Meinung einiger externer Beobachter, nicht zu substanzieller russisch-ukrainischer Annäherung führen.

Erstens deuten die meisten soziologischen Umfrageergebnisse sowie die größere parteipolitische Konstellation seit Beginn der russischen Großinvasion im Februar 2022 bislang auf einen zweiten Sieg von Wolodymyr Selenskyj bei Präsidentschaftswahlen in naher Zukunft hin. Selenskyj wird seinen Erdrutschsieg von 2019 mit über 73 Prozent der Stimmen im zweiten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen womöglich nicht wiederholen können. Auch schwankte die Unterstützung für den amtierenden Präsidenten seit drei Jahren und ist daher nicht genau vorherzusagen, falls es tatsächlich zu Wahlen kommt. Zu guter Letzt hat die Beliebtheit des ehemaligen Oberbefehlshabers der ukrainischen Streitkräfte und derzeitigen ukrainischen Botschafters im Vereinigten Königreich, General Waleri Saluschnyj, in mehreren Umfragen diejenige Selenskyjs überholt.

Jedoch liegt Selenskyj weiterhin weit vor allen derzeit aktiven ukrainischen Politikern mit mehr oder weniger funktionierenden politischen Parteien. Sein bisher schärfster Rivale mit offiziellen politischen Ambitionen ist der ehemalige Präsident Petro Poroschenko. Der Expräsident hat jedoch nicht nur 2019 spektakulär gegen Selenskyj verloren. Derzeit erhält Poroschenko in Meinungsumfragen weniger als die Hälfte der Unterstützung Selenskyjs.

Laut aktuellen Umfragen wäre General Saluschnyj – dessen Karriere 2021 von einer steilen Beförderung zum Oberbefehlshaber durch Selenskyj profitierte – zwar ein potenter politischer Konkurrent für Selenskyj bei Präsidentschaftswahlen. Allerdings hat Saluschnyj bisher weder solche Ambitionen angedeutet noch sich in puncto Parteiaufbau oder anderer Vorbereitungen für einen Einstieg in die Politik und einen Wahlkampf engagiert. Seit seiner Entsendung als Botschafter nach London im Jahr 2023 ist er im ukrainischen öffentlichen Leben weniger präsent, obwohl die Unterstützung der Bevölkerung für ihn immer noch höher ist als für jeden anderen hypothetischen Konkurrenten von Selenskyj. Solange Saluschnyj nicht in die Partei- und Wahlpolitik einsteigt, bleibt Selenskyj absoluter Favorit bei den nächsten Präsidentschaftswahlen der Ukraine.

Zweitens kommt die Hauptkonkurrenz und wichtigste Kritik an Wolodymyr Selenskyj und seiner Partei »Diener des Volkes« eher von Mitte-Rechts sowie der national orientierten Zivilgesellschaft als aus dem politischen Zentrum oder von der politischen Linken der Ukraine. Es gibt nur noch wenige nennenswerte öffentlich gemäßigte, Mitte-Links- oder pro-russische Akteure, die in der Ukraine ein Restpublikum haben. Seit Beginn der großangelegten Invasion Russlands im Jahr 2022 haben sie entweder – wie Juri Bojko oder Dmytro Rasumkow – viel von ihrer Anziehungskraft bei Wählern verloren oder – wie Wiktor Medwedtschuk oder Jewhen Murajew – das Land verlassen. Im Frühjahr 2025 kommt keiner von ihnen mehr als ernstzunehmender künftiger Anwärter auf die ukrainische Präsidentschaft in Frage.

Selenskyj wird trotz seines jüdischen Familienhintergrunds von Moskau als »Nazi« bezeichnet und von einigen nicht-ukrainischen Beobachtern als »Falke« angesehen. Doch wird er seit Beginn seiner politischen Karriere Anfang 2019 von den meisten ukrainischen Journalisten und Experten als relativ gemäßigter Politiker wahrgenommen. Seit ihrer Machtübernahme 2019 werden Selenskyj und sein Team in der Ukraine oft dafür kritisiert, dass sie Russland gegenüber zu optimistisch, nachgiebig und unentschlossen seien. Die hohe Beliebtheit Saluschnyjs beruht teils auf der Hoffnung, dass der General gegenüber Russland entschlossener und effektiver sein würde als die relative »Taube« Selenskyj.

Unter politischen Beobachtern der Ukraine ist die Annahme weit verbreitet, dass Kriegsveteranen und ihre Parteien in der ukrainischen nationalen, regionalen und lokalen Politik nach dem Krieg eine wichtige Rolle spielen werden. Gegenwärtige oder ehemalige Militärangehörige mit Fronterfahrung werden heute von vielen Ukrainern nicht nur als gut geeignet angesehen, ihr Land vor der russischen Bedrohung zu schützen. Sie gelten auch als weniger korrupt, patriotischer und besser qualifiziert für Führungspositionen als traditionelle Politiker.

Wahrscheinlich werden Männer und Frauen mit militärischem Hintergrund als Ergebnis künftiger nationaler und subnationaler Wahlen ihre Präsenz in der Werchowna Rada, der Regierung, den Regionalverwaltungen sowie den Selbstverwaltungsorganen erhöhen. Dies kann durch ihre Aufnahme in die Listen bestehender Parteien, unabhängige Kandidaturen oder Bildung neuer politischer Gruppierungen mit militärischem Profil geschehen. Ein wahrscheinlicher künftiger massiver Eintritt ehemaliger Soldatinnen und Soldaten in die ukrainische Politik wird die Haltung Kyjiws gegenüber Moskau eher verhärten als aufweichen.

Trumps ungeschickte Kontaktaufnahme mit der ukrainischen Opposition

Die jüngsten inoffiziellen amerikanischen Kontakte mit dem ehemaligen Präsidenten Petro Poroschenko und der ehemaligen Premierministerin Julija Tymoschenko als mögliche Nachfolger von Selenskyj deuten auf eine dreifache Fehleinschätzung in Washington hin. Erstens würden die meisten mit ukrainischer Politik vertrauten Beobachter eine künftige Präsidentschaft Tymoschenkos und Poroschenkos als unrealistisch abtun. Die beiden Politiker sind zwar heute im öffentlichen Leben, in den Massenmedien und in der Werchowna Rada präsent. Doch sind sie Vertreter einer vergangenen Ära und Symbole der problematischen Vergangenheit der frühen postsowjetischen Ukraine. Ihre Parteien, »Europäische Solidarität« und »Vaterland«, werden wahrscheinlich auch im nächsten ukrainischen Parlament wieder mit Fraktionen vertreten sein. Poroschenko und Tymoschenko haben jedoch kaum eine Chance, erneut Präsident, Premierminister oder Minister in der Ukraine zu werden.

Zweitens haben Poroschenko und Tymoschenko gegenüber ihren US-amerikanischen Gesprächspartnern deutlich gemacht, dass auch sie gegen baldige Wahlen sind. Stattdessen teilen sie die weit verbreitete ukrainische Ablehnung von Wahlkampf und Abstimmungen in Kriegszeiten. Die beiden Politiker wären wahrscheinlich auch skeptisch gegenüber Wahlen unmittelbar nach Aufhebung des Kriegsrechts und würden eine längere Vorbereitung erwarten, bevor ein ordnungsgemäßes Wahlprozedere auf sinnvolle Weise stattfinden kann.

Drittens werden die politischen Folgen einer hypothetischen Nachfolge Selenskyjs durch Tymoschenko, Poroschenko oder einen anderen heute denkbaren Präsidentschaftskandidaten in Washington und vielleicht auch anderswo überschätzt. Selbst wenn es zu einem solchen Führungswechsel kommen sollte, würde dies wenig an der außenpolitischen Ausrichtung der Ukraine im Allgemeinen und ihrer Haltung gegenüber Russland im Besonderen ändern. So sind die Parteien von Tymoschenko und Poroschenko, wenn überhaupt, nationalistischer als Selenskyjs »Diener des Volkes«. Beide Politiker haben sich in der Vergangenheit durch bellizistische Äußerungen gegenüber Russland im Allgemeinen und Putin im Besonderen hervorgetan.

Schlussfolgerungen

Es besteht eine offensichtliche Diskrepanz zwischen den in letzter Zeit häufiger werdenden Forderungen nach Wahlen in der Ukraine und ihren entweder geringfügigen oder – im Hinblick auf ukrainische Konzessionsbereitschaft – negativen politischen Auswirkungen. Dieser Widerspruch hängt mit der zweifelhaften Herkunft und destruktiven Funktion der Idee zusammen, dass Wahlen in der Ukraine zur Beendigung des Russisch-Ukrainischen Krieges beitragen können. Weder die kriegsbedingte Verschiebung der ukrainischen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen noch die Person Wolodymyr Selenskyjs sind für die Ergebnislosigkeit der aktuellen Verhandlungen zwischen den USA, der Ukraine und der Russischen Föderation verantwortlich.

Die Verbreitung der irreführenden Vorstellung, dass die schnelle Wahl eines neuen ukrainischen Präsidenten oder/und Parlaments zu einem stabilen Waffenstillstand oder gar dauerhaften Frieden zwischen Russland und der Ukraine führen kann, ist eine gezielte Verschleierung der historischen Gründe und Wege zur Beendigung des Krieges. Das Trugbild, das ukrainische Wahlen für ein Ende der Kämpfe notwendig sind, wurde in Moskau entworfen. Seine Übernahme wäre ein schwerwiegender Fehler weiterer involvierter internationaler Akteure.

Lesetipps / Bibliographie

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Analyse

Hürden und Herausforderungen für Wahlen in der Ukraine

Von Olha Ajwasowska, Andrij Sawtschuk
Ohne dauerhaften Frieden ist es unmöglich, in der Ukraine demokratische Wahlen abzuhalten. Bei Wahlen geht es zum einen um die Sicherheit und die Freiheit, den politischen Willen der Bevölkerung zum Ausdruck zu bringen. Zum anderen geht es um die Einhaltung demokratischer Standards bei der Vorbereitung und Durchführung von Wahlen. Beides ist unter den anhaltenden Kriegsbedingungen nicht gegeben. Die Abhaltung von Wahlen nach Ende des Krieges erfordert jedoch bereits im Vorfeld Vorbereitungen und die Schaffung rechtlicher Regelungen.
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