Die ersten Reformbestrebungen(Präsidentschaft von Leonid Kutschma, 1995 – 2004)
Auf der gesetzlichen Ebene wurde der Begriff »öffentlicher Rundfunk« bzw. »öffentliches Fernsehen und Hörfunk« zum ersten Mal im Gesetz »Über Fernsehen und Hörfunk« aus dem Jahre 1995 verwendet, nachdem das Parlament erst bei der dritten Abstimmung das Veto des Präsidenten überstimmen konnte. Die darin enthaltenen Bestimmungen sahen ein Nebeneinander des staatlichen und des öffentlichen Rundfunks vor. Inspiriert vom »öffentlichen« russischen Fernsehsender »ORT« sollte der neue Rundfunkveranstalter mehrheitlich durch den Staat, aber auch durch öffentliche Vereinigungen, Rundfunkorganisationen und natürliche Personen geführt werden.
In eine andere Richtung ging das im Jahr 1997 verabschiedete Gesetz »Über das System des Öffentlichen Fernsehens und Hörfunks«. Darin wurde der öffentliche Rundfunk als ein landesweites, nicht-gewinnorientiertes System der Massenkommunikation im Eigentum des ukrainischen Volkes definiert. Weitreichende Einflussmöglichkeiten auf den Veranstalter erhielt das Parlament, indem es dessen Satzung und Programmauftrag verabschieden sowie die Kompetenzen und die Zusammensetzung der Organe maßgeblich bestimmen sollte.
Bereits vier Monate später fasste das Parlament den Beschluss über die Gründung des öffentlichen Rundfunkveranstalters »HURT«. Dieser bezog sich auf das obige Gesetz, hatte vornehmlich aber das Ziel, die von 16 Aktionären gegründete geschlossene Aktiengesellschaft »HURT« zu einem öffentlichen Rundfunkveranstalter zu erklären und sich die begehrenswerten landesweiten Frequenzen sowie die übergangsweise staatliche Finanzierung zu sichern. Als Verfechter des »HURT«-Projekts galt der damalige Parlamentspräsident Oleksandr Moros, der sich davon eine mediale Unterstützung seines Präsidentschaftswahlkampfes im Jahr 1999 versprach. Das Parlament konstituierte sogar einen Öffentlichen Rat, der aus 39 Mitgliedern bestehen sollte, davon 28 Vertreter politischer Parteien und staatlicher Institutionen. Der für die Frequenzvergabe zuständige Nationalrat für Rundfunk entschied jedoch, die Umsetzung des »HURT«-Beschlusses zu verweigern.
Die Diskussionen über HURT, aber auch über die Einführung eines »echten« öffentlichen Veranstalters rückten danach in den Hintergrund. Allein Witalij Schewtschenko, der auch als Hauptautor des Gesetzes aus dem Jahre 1997 gilt, unternahm dazu weiterhin gesetzgeberische Initiativen. Er schaffte es sogar, im Jahr 1998 ein Gesetzesprojekt durch das Parlament zu bringen, das die Transformation der staatlichen in öffentliche Hörfunk- und Fernsehgesellschaften vorsah, scheiterte damit jedoch am Veto des damaligen Präsidenten Kutschma.
Im Jahr 2002 initiierte dann Oleksandr Krywenko, ein bekannter Journalist und Politiker (der ein Jahr später bei einem Autounfall ums Leben kam), das Projekt »Öffentliches Radio«. Die Sendungen entwickelten sich zu einer unabhängigen Plattform für öffentliche Diskussionen in kleinerem Rahmen. Trotz wiederholter Verbreitungsprobleme, Niederlagen in Frequenzausschreibungsverfahren und zeitweise ausschließlicher Verbreitung per Internet erfreuten sich dessen Hörergespräche großer Beliebtheit. Finanziell wurde der Sender vor allem durch die Soros-Stiftung »Renaissance« getragen. Nachdem diese dem Sender ihre Unterstützung mit Verweis auf den damals erwarteten Durchbruch der Demokratie entzog, stellte das Radio seine Sendetätigkeit allerdings ein. Wiktor Juschtschenko ließ das Projekt fallen, obwohl er als Oppositioneller von den Sendungen des Radios profitierte.
Die misslungenen Diskussionen(Präsidentschaft von Wiktor Juschtschenko, 2005 – 2010)
Nach der sogenannten Orangen Revolution im Jahr 2004 erschien die Einführung eines öffentlichen Rundfunks in greifbarer Nähe. Die neu aufgenommenen Diskussionen wurden besonders stark von der von zivilgesellschaftlichen Organisationen gegründeten Koalition »Öffentlicher Rundfunk« geprägt. Im Vorfeld der im April 2005 stattgefundenen Anhörungen im Parlament zu »Perspektiven der Gründung eines Öffentlichen Rundfunks in der Ukraine« und auch danach fanden verschiedene Sitzungen der Arbeitsgruppen der Initiative statt, bei denen recht ausführliche Konzepte der Programm- und Redaktionspolitik sowie ein Gesetzeskonzept formuliert wurden. Ergebnisse und zahlreiche andere Beiträge wurden auf der Webseite der beteiligten NGO »Telekrytyka« (http://www.telekritika.ua/) publiziert, die auch bis heute die wichtigste Plattform für Diskussionen zum öffentlichen Rundfunk geblieben ist. Auch andere Wissenschaftler und Persönlichkeiten präsentierten ihre Konzepte. Unterstützung gab es z. B. vom damaligen Stellvertretenden Ministerpräsidenten Mykola Tomenko, der unter anderem durch eine Umfrage seines »Instituts für Politik«, der zufolge 68 % der Bürger die Einführung eines öffentlichen Rundfunks befürworteten, versuchte, diese Pläne zu befördern.
Im Anschluss an die Parlamentsanhörungen wurde von Taras Stezkiw (einer von vier »Feldkommandeuren« der Orangenen Revolution, Abgeordneter der Juschtschenko-Fraktion »Nasha Ukrajina«), Witalij Schewtschenko (Hauptautor des Gesetzes über öffentlichen Rundfunk aus dem Jahre 1997, Vorsitzender des Nationalrates für Rundfunk, Abgeordneter der Juschtschenko-Fraktion »Nasha Ukrajina«,) und Serhij Prawdenko (Abgeordneter der Tymoshenko-Fraktion »Bat’kiwshyna«, Vorsitzender des Medienausschusses) ein Gesetzesprojekt zur Neufassung des Gesetzes zum öffentlichen Rundfunk aus dem Jahre 1997 eingebracht. Gleichzeitig wurden Taras Stezkiw und Andrij Schewtschenko (ein während der Orangen Revolution bekannt gewordener Journalist des oppositionellen Fernsehsenders »5. Kanal«, Sohn von Witalij Schewtchenko und späterer Abgeordneter) zum staatlichen Fernsehen berufen, um dessen Transformation zu einem öffentlichen Veranstalter vorzubereiten. Doch schon im Herbst verließ die neue Mannschaft den Sender wieder, nachdem Wiktor Juschtschenko im Sommer 2005 angekündigt hatte, vor allem wohl im Hinblick auf die bevorstehenden Parlamentswahlen im März 2006, den öffentlichen Rundfunkveranstalter lediglich parallel zum staatlichen einzuführen.
Sukzessive sind dann auch die Diskussionen im Parlament zurückgefahren worden. Das oben erwähnte Gesetzesprojekt scheiterte Ende 2005 bei der wiederholten zweiten Lesung im Parlament an den Stimmen der Abgeordneten der Regierungskoalition. Das unvollendete, jedoch entwicklungsfähige Gesetzesprojekt berücksichtigte zahlreiche Elemente, die schon in den Konzepten der Koalition »Öffentlicher Rundfunk« und des Instituts für Medienrecht enthalten waren. Serhij Prawdenko kommentierte das Ergebnis so: »Diejenigen (Abgeordneten), die an der Macht sind, wollen ihren nationalen (staatlichen) Sender nicht abgeben, diejenigen, die morgen an die Macht kommen werden, hoffen, dass der Sender ihnen gehören wird«.
Am 15.3.2007 versuchten verschiedene Politiker, sich über Partei- und Institutionengrenzen hinweg zu einigen: Eduard Prutnik, der Leiter des Staatlichen Rundfunkkomitees (ein der Regierung unterstelltes Zentralorgan, welches unter anderem die staatlichen Medienbeteiligungen verwaltet), Witalij Schewtschenko, der Vorsitzende des Nationalrates für Rundfunk (ein für die Aufsicht über kommerzielle Rundfunkveranstalter und Verteilung von Frequenzen zuständiges Organ; wird je zur Hälfte vom Präsidenten und vom Parlament benannt), Andrij Schewtschenko, der Vorsitzende des Medienausschusses des Parlaments, und Taras Petriw, der Vorsitzende der Nationalkommission für Meinungsfreiheit beim Präsidenten. Die Arbeitsgruppe hat im Folgenden mit Unterstützung der OSZE ein Konzept entwickelt, das allerdings nicht zu einem Gesetzesentwurf ausgereift ist.
Ungefähr zur gleichen Zeit versuchte das Staatliche Rundfunkkomitee unter Eduard Prutnik, ein Fernsehinformationsprogramm (»Erstes Öffentliches«) als Kooperation der staatlichen regionalen Fernsehstudios zu etablieren. Das Programm startete kurz vor den vorgezogenen Parlamentswahlen im Jahr 2007. Im Frühjahr 2008 gab man das Projekt wieder auf.
Mit der Neufassung des Gesetzes »Über Fernsehen und Hörfunk« im Jahre 2006 sollten die staatlichen Rundfunkgesellschaften durch die Einführung eines Öffentlichen Rates zumindest punktuell demokratisiert werden. Nach den im März 2006 stattgefundenen Wahlen formierte sich jedoch eine neue Mehrheit, die die Benennung von Vertretern für diesen Rat blockierte. Außerdem regelte das Gesetz weder die Befugnisse des neuen Organs noch die Amtsdauer seiner Mitglieder. Durch ein bereits in der ersten Lesung abgelehntes Gesetzesprojekt von Andrij Schewtschenko aus dem Jahre 2008 sollten diese Lücken geschlossen werden. 2009 folgte ein neuer Versuch, ähnlich formulierte Vorschriften nun auf den öffentlichen Rundfunk anzuwenden, doch auch dieses Gesetzesprojekt kam nicht durch. Die schon genannten Bestimmungen des Gesetzes »Über Fernsehen und Hörfunk« wurden noch im gleichen Jahr vom Verfassungsgericht ohnehin für verfassungswidrig erklärt, weil die Vollmachten des Parlaments und des Präsidenten in der Verfassung enumerativ und ausschöpfend festgelegt seien.
Der einstige Hoffnungsträger Juschtschenko hat als Präsident eines seiner wichtigsten Versprechen nicht eingelöst. Vielmehr beschränkte er sich darauf, diverse Arbeitsgruppen einzuberufen, ohne deren Ergebnisse umzusetzen (erwähnenswert ist hier ein Gesetzeskonzept der »Nationalkommission für Meinungsfreiheit beim Präsidenten der Ukraine«). Seine Erlasse zum öffentlichen Rundfunk nutzte Juschtschenko außerdem dazu, Vorgaben des Europarates und der NATO umzusetzen, wohl aber auch dazu, die in dieser Sache nicht handlungsfähige Regierung Tymoschenko unter Druck zu setzen (mit Erlass vom 21.2.2008 sollte der öffentliche Rundfunk parallel zum staatlichen Rundfunk eingeführt werden) und deren Untätigkeit zu demonstrieren (Erlass vom 18.2.2010).
Die neueren Bestrebungen (die Präsidentschaft von Wiktor Janukowytsch, 2010 bis heute)
Viele Journalisten verbanden den Amtsantritt Janukowytschs mit der Rückkehr zu den aus der Kutschma-Ära bekannten Einflussmethoden, die mit der liberalisierten, jedoch käuflichen Berichterstattung in der Juschtschenko-Zeit überwunden zu sein schienen. So wird unter anderem von einer Rückkehr der Zensur, von der Gleichschaltung des staatlichen Fernsehens mit der Berichterstattung des Fernsehsenders »Inter« (dessen angeblicher Eigentümer Walerij Choroschkowskyj gleichzeitig Leiter des Geheimdienstes ist), von zunehmender Gewalt gegenüber Journalisten und von Unregelmäßigkeiten bei der ukrainischen Version von »Euronews« berichtet. Und obwohl die staatliche Fernsehgesellschaft im April 2010 ankündigte, in naher Zukunft öffentlich-rechtliche Programmprinzipien anzuwenden, postulierte ihr Vizepräsident Walid Arfusch, sie dürfe die Handlungen der staatlichen Gewalt nur in positivem Licht beleuchten und habe die Pflicht, die Hoheitsträger zu unterstützen.
Befördert wurden die Diskussionen um die Einführung des öffentlichen Rundfunks vom neu gegründeten »Humanitären Rat beim Präsidenten der Ukraine«. Die innerhalb dieses Rates gebildete Arbeitsgruppe, die vom Wissenschaftler Walerij Bebyk geleitet wurde, legte am 24.6.2010 ein erstes Konzept vor. Dieses wurde trotz der bei öffentlichen Besprechungen daran geäußerten Kritik in weitgehend unveränderter Form beschlossen. Erwartungsgemäß fanden die Beratungen unter Ausschluss der Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen statt. Die Bestimmungen des Konzepts waren zudem stark deklaratorischer Natur.
Obwohl der Humanitäre Rat erst bis Anfang Dezember 2010 einen ausformulierten Gesetzesentwurf vorbereiten sollte, legte Walerij Bebyk bereits am 18.10.2010 einen Entwurf vor, wohl aus taktischen Gründen, da Andrij Schewtschenko et al. am 11.10.2010 ein eigenes Gesetzesprojekt ins Parlament eingebracht hatten und die Zeit für die Registrierung eines alternativen Gesetzesprojekts knapp wurde. Dessen Inhalt war mit der Präsidialadministration nicht abgestimmt. Eine solche Vorgehensweise stieß jedoch auf Unmut bei der politischen Führung und das Gesetzeskonzept wurde zur Überarbeitung an die Regierung weitergeleitet.
Von dort kam fast ein halbes Jahr später ein zugunsten der ausführenden Staatsorgane stark überarbeiteter Entwurf zurück. Dieser wurde von Medienexperten kritisiert, auch Walerij Bebyk sprach von einem »bis zur Unkenntlichkeit veränderten Gesetzeskonzept«. Eine erste informelle Prüfung durch die Medienexpertin Eve Salomon fiel zwar zufriedenstellend aus; eine offizielle Bewertung durch den Europarat wurde jedoch erst für die Zeit nach der Einbringung ins Parlament in Aussicht gestellt.
Besonders hervorzuheben ist die geänderte Regelung zum Eigentum, das die Regierung lediglich zur Benutzung an den öffentlichen Rundfunk übergibt und jederzeit im Fall einer nicht näher definierten, unzweckmäßigen Benutzung wieder zurückfordern kann. Änderungen wurden außerdem bei der Zusammensetzung des Aufsichtsrats vorgenommen: So kamen zu den 14 Vertretern zivilgesellschaftlicher Organisationen 7 Vertreter der Regierung bzw. verschiedener ausführender Staatsorgane hinzu. Neu geregelt wurde auch, dass die Parlamentsfraktionen und der Präsident keine Vertreter mehr entsenden dürfen und dass eine Kommission aus staatlichen Vertretern eine öffentliche Auslosung vornimmt, falls sich die NGOs einer Gruppe nicht auf einen einheitlichen Kandidaten einigen können (ein sehr wahrscheinliches Szenario).
Die Anforderungen an die Mitgliedschaft im Aufsichtsrat wurden einerseits verschärft, so dass Amtsträger verschiedener staatlicher Organe von der Mitgliedschaft ausgeschlossen sind. Andererseits wird es durch eine Gesetzeslücke möglich, dass Staatsbedienstete niedrigeren Ranges als Minister dem Aufsichtsrat angehören. Neben der ukrainischen Staatsbürgerschaft und einem Hochschulabschluss wurde ein mindestens fünfjähriger Aufenthalt im Inland (wie für Parlamentsabgeordnete) als weitere Voraussetzung für die Mitgliedschaft eingeführt.
Neben der Finanzierung aus der Rundfunkgebühr und übergangsweise aus dem Staatshaushalt erweiterte das Gesetzeskonzept die Finanzbasis um mögliche Einnahmen aus einer Sonderabgabe in Höhe von 1 %, die die Rundfunkveranstalter aus der Werbetätigkeit erhalten sollen. Als mögliche Finanzierungsform wurde wieder die staatliche Bestellung (bis max. 20 % des Sendeumfangs) eingeführt, wie sie beim staatlichen Rundfunk seit langem praktiziert wird und die dem Staat erlaubt, bestimmte Programminhalte zu diktieren. Die Regelungen zur Einführung der Rundfunkgebühr sind nicht näher ausgeführt, sie sind von der Regierung zu beschließen.
Das von Andrij Schewtschenko et al. am 11.10.2010 eingebrachte Gesetzesprojekt wurde noch immer nicht vom Parlament gelesen. Insgesamt lässt sich sagen, dass das darin enthaltene Konzept eines Rundfunkveranstalters nicht frei von staatlichem Einfluss ist. Die Bestimmungen sind jedoch deutlich besser ausgearbeitet (z. B. für die Kompetenzen des Rates und des Intendanten) als im Regierungsdokument und im Gesetzeskonzept von Walerij Bebyk. Das Gesetzesprojekt enthält auch detaillierte Bestimmungen zur Benennung von Aufsichtsratsmitgliedern für strittige Fälle, zum Beispiel, falls eine Fraktion keine Vertreter benennt, um die Konstituierung dieses Gremiums zu verhindern. Fortschrittlich ist auch die darin enthaltene Formulierung, nach der der Veranstalter allein die Entscheidungen über die Verwendung von Staatsmitteln zu treffen hat. Nachteilig ist andererseits die darin zum Ausdruck gebrachte Machtfülle des Ministerkabinetts, das die Gründung des Senders vollziehen, die Satzung verabschieden, die Mitglieder des Aufsichtsrates formal benennen und aus bestimmten Gründen abberufen kann. Sie könnte aber auch auf taktische Überlegungen zurückgehen, da das Gesetzesprojekt dadurch eher eine Mehrheit im Parlament erzielen könnte.
Abschließende Bemerkungen
Es stellt sich die Frage, warum die medienbezogenen Diskussionen in der Ukraine so stark auf die Einführung eines öffentlichen Rundfunks fixiert sind. Das liegt vor allem daran, dass die existierenden Medienstrukturen eine Vielzahl von gesellschaftlichen Bedürfnissen unbefriedigt lassen. Schuld daran ist der noch immer vom Marktversagen geprägte kommerzielle Mediensektor. Obwohl einige größere Akteure bereits in der Gewinnzone angekommen sind, lassen sie sich noch immer von ihren politisch orientierten, nicht eindeutig identifizierbaren Eigentümer instrumentalisieren. Die geringe Marktgröße erschwert zudem die Eigenproduktion von Medienprogrammen und fördert die Zweitverwertung von Medienprodukten aus dem russischen Markt, was wiederum zu einer dominierenden Präsenz russischsprachiger Medieninhalte und latenter Propaganda russischer Kultur führt. Andererseits vermag der ebenfalls chronisch unterfinanzierte (faktisches Budget im Jahr 2008 – 36,55 Mio. US$) und inhaltlich eng angeleinte (Stichwort »staatliche Bestellung von Inhalten«) staatliche Rundfunk nicht, die Bürger zu erreichen (1,8 % Zuschaueranteil im Jahr 2009). Vom öffentlichen Rundfunk erhofft man sich deshalb vor allem eine ausgewogene Berichterstattung, hochwertige Informations- und Unterhaltungsinhalte, die auf die Zuschauer in der Ukraine zugeschnitten sind, sowie Angebote, die auf die Überwindung der historisch entstandenen sprachlichen und kulturellen Spaltung der Gesellschaft abzielen.
Aus den bisherigen Aktivitäten zur Einführung eines öffentlichen Rundfunks in der Ukraine lassen sich folgende Schlüsse ziehen:
Die Konstruktion des politischen Systems der Ukraine mit einem Präsidenten, der als direkt gewählter Amtsträger weder der exekutiven noch der legislativen Gewalt angehört, schränkt die Reformfähigkeit des Staates im allgemeinen und des Mediensystems im Besonderen extrem ein. Da der Präsident meistens einer größeren politischen Gruppierung angehört, kann er die Parlamentsmehrheit einer gegnerischen Partei blockieren oder durch die Mehrheit seiner eigener Partei absolute Macht erlangen. Seine Haltung zum öffentlichen Rundfunk war bisher ausschlaggebend für die Reformbestrebungen. Das erklärt auch die im vorliegenden Beitrag deutlich gemachte Deckungsgleichheit zwischen den einzelnen Präsidentschaftsperioden und den Perioden, die für die Diskussion bzw. Reform des staatlichen Rundfunks unterschieden werden können.Ein Großteil der politischen Eliten betrachtet die Medien als ein zentrales Instrument der Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Die Politiker unterstützen die Idee eines öffentlichen Rundfunks vor allem dann, wenn sie sich in der Opposition befinden. In der Regierung befürworten sie demgegenüber den quotenmäßig unbedeutenden staatlichen Rundfunk; mit ihren Vorschlägen zur Reform des öffentlichen Rundfunks versuchen sie dann, den staatlichen Einfluss auf den Rundfunk zu sichern oder sogar auszuweiten. Eine Handvoll von Idealisten kann keinen Umschwung der herrschenden Meinung herbeiführen.Die langjährigen Diskussionen verdeutlichen erfreulicherweise, dass die kritische Einstellung der Journalisten und der zivilgesellschaftlichen Organisationen, die in den vergangenen Jahren nicht zuletzt durch die Unterstützung internationaler Stiftungen und NGOs gewachsen ist, durch die neu hinzugetretenen Rundfunkangebote zusätzlich stimuliert wird. Die Forderungen nach einem öffentlichen, vom Staat unabhängigen Rundfunk sind immer wieder vorgebracht und verteidigt worden. Wie der Vergleich von Gesetzesprojekten und -konzepten zeigt, sind dabei auch die von zivilgesellschaftlichen Organisationen eingebrachten Vorschläge im Zeitablauf vermehrt einbezogen worden. Die bisherigen Diskussionen sollten fortgeführt werden. Sie sollten insbesondere darauf ausgerichtet sein, möglichst viele zivilgesellschaftliche, politische Gruppen sowie staatliche Akteure, vor allem den ukrainischen Präsidenten, in die Gespräche einzubeziehen und von der Wichtigkeit eines staatsfernen öffentlichen Rundfunks zu überzeugen. Das Ziel der Gespräche sollte die Erarbeitung eines gemeinsamen Nenners sein. Die bisher vorgestellten Konzeptionen und Gesetzesprojekte sollten vor allem die Staatsferne sichernde Elementen genauer diskutieren und – auch gesetzestechnisch – präzisieren. Ein öffentlicher Rundfunk hat die sozialen, kulturellen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Gesellschaft zu thematisieren. Zugleich ist er in die jeweilige Gesellschaft eingebettet und wird durch sie beeinflusst. Das schließt für die Ukraine unter anderem verschiedene Probleme ein, die seine Funktionsfähigkeit beeinträchtigen, sei es die Korruption, die Armut vieler Bürger, das Versagen von Politikern oder die Schwäche des Rechtsstaats. Selbst ein perfektes Gesetzesprojekt kann deshalb keinen perfekten öffentlichen Rundfunk garantieren; vielmehr müssen all diese Probleme, ganz unabhängig von ihrer gesellschaftlichen Dringlichkeit, auch als flankierende Maßnahmen einer Einführung eines öffentlichen Rundfunks angegangen werden. Betrachtet man die beiden aktuellen Gesetzesprojekte bzw. -konzepte, so ist der von Andrij Schewtschenko et al. präsentierte Entwurf deutlich besser ausformuliert. Nichtdestotrotz ist zu erwarten, dass der Entwurf der Regierung höhere Chancen hat, realisiert zu werden. Möglicherweise sollte man versuchen, aus beiden Dokumenten eine gemeinsame, konsensuale Version zu erarbeiten. Sollte dieses Vorhaben scheitern, empfiehlt sich vielleicht ein Schritt zurück: die Gründung eines neuen »Öffentlichen Radios«. Damit könnten die Bürger ein Gefühl dafür erlangen, was ein von der Zivilgesellschaft gespeistes und von ihnen durch Zuwendungen finanziertes Medium leisten kann.