Ermittlungsverfahren und Urteile gegen ehemalige Mitglieder der Regierung Tymoschenko und hohe Beamte

  • Bohdan Danylschyn, ehemaliger Wirtschaftsminister (Dezember 2007 bis März 2010), wurde zunächst von der Ukraine über Interpol gesucht und dann am 18. Oktober 2010 in Tschechien verhaftet, wo er im Januar 2011 politisches Asyl erhielt. Ihm wird die Veruntreuung öffentlicher Gelder vorgeworfen. Dem ukrainischen Staat sollen dadurch Verluste in Höhe von 444.000 Euro entstanden sein.
  • Gegen Oleksandr Dawydow, den ehemaligen Stellvertretender Transportminister (Januar 2008 bis März 2010), wird wegen Amtsmissbrauchs in Zusammenhang mit einem Flugunternehmen ermittelt.
  • Der ehemalige Umweltminister Heorhij Filiptschuk (Dezember 2007 bis März 2010) wurde wegen Verdachts auf Amtsmissbrauch am 14. Dezember 2010 verhaftet. Die Ermittlungen sind abgeschlossen, die Sache liegt beim Gericht.
  • Tetjana Hryzun, ehemalige Erste Stellvertretende Vorsitzende der Staatskasse (September 2009 bis April 2010), wurde am 19. Juli 2010 festgenommen, weil sie bei der Privatisierung des Odessaer Hafenwerks die mitbietenden Unternehmen finanziell geschädigt habe.
  • Der ehemalige geschäftsführende Verteidigungsminister Walerij Iwaschtschenko (Juni 2009 bis März 2010) wurde am 25. August 2010 wegen mutmaßlichen ungesetzlichen Verkaufs von Eigentum des Schiffsmontagewerkes Feodossija inhaftiert. Am 20. Juni 2011 begann er einen Hungerstreik, musste diesen aber aus gesundheitlichen Gründen fünf Tage später abbrechen. Das Gericht hat seine Behandlung im Krankenhaus zwar für notwendig erklärt, ihn aber immer noch nicht überführt.
  • Jewhen Kornijtschuk, ehemaliger Vorsitzender der Sozial-demokratischen Partei der Ukraine und Erster Stellvertretender Justizminister (Dezember 2007 bis März 2010), wurde am 23. Dezember 2010 wegen Verdachts auf Amtsmissbrauch verhaftet. Am 15. Februar 2011 wurde er wieder auf freien Fuß gesetzt, darf aber das Land nicht verlassen.
  • Der ehemalige Innenminister Jurij Luzenko (Dezember 2007 bis Januar 2010) befindet sich seit dem 26. Dezember 2010 in Untersuchungshaft. Im April protestierte er dagegen mit einem 30-tägigen Hungerstreik. Der Vorwurf gegen ihn lautet: Amtsmissbrauch. Sein Dienstfahrer habe zu viel Gehalt erhalten und die Kosten für eine Jubiläumsfeier der Polizeibehörde seien zu hoch gewesen. Luzenko sagt, er habe sich mit beiden Dingen nicht befasst.
  • Am 19. Oktober 2011 wird die Wohnung des ehemaligen Kohleindustrieministers Wiktor Poltawez (Dezember 2007 bis März 2010) durchsucht. Laut offizieller Angaben ist er aber nicht selbst verdächtig.
  • Gegen Michail Poschiwanow, den ehemaligen Stellvertretenden Wirtschaftsminister (Dezember 2007 bis März 2010) und Leiter des Reservefonds der Ukraine, wurde am 31. Januar 2011 Haftbefehl erlassen. Er flüchtete daraufhin nach Österreich, wo er seitdem lebt und arbeitet. Er soll 3 Mio. Euro veruntreut haben.
  • Gegen den am 7. April 2010 verhafteten ehemaligen Stellvertretenden Leiter des Reservefonds, Mykola Sinkowskij (August 2007 bis April 2010), wurde am 21. Februar 2011 eine zehnjährige Haftstrafe wegen Amtsmissbrauchs im Jahr 2004 verhängt (unrechtmäßige Aneignung von Eigentum). Dies war die erste Verurteilung eines hohen Staatsbeamten aus der Regierung Tymoschenko.
  • Gegen Tetjana Sljus, die ehemalige Vorsitzende der Staatskasse, wurde am 24. Dezember 2010 Haftbefehl wegen nicht rechtmäßiger Verwendung von Mitteln aus dem Kyoto-Protokoll erteilt. Sie wird derzeit über Interpol gesucht.
  • Die wegen Unterschlagung von RosUkrEnergo gehörendem Gas Angeklagten Anatolij Makarenko (ehemaliger Chef des Zolldienstes, verhaftet am 23. Juni 2010) und Taras Schepitko (ehemaliger Stellvertretender Leiter des regionalen Zolldienstes für Energie, verhaftet am 23. Juli 2010) wurden am 5. Juli 2011 aus der Untersuchungshaft entlassen, das Verfahren ist aber noch nicht beendet und sie dürfen das Land nicht verlassen. Ihre Fälle werden vor dem Petschersker Kreisgericht verhandelt. Der ebenfalls angeklagte Ihor Didenko (ehemaliger Stellvertretender Leiter von Naftohas, verhaftet am 12. Juli 2010) wurde hingegen nicht auf freien Fuß gesetzt, sondern am 5. September 2011 zu 3 Jahren auf Bewährung verurteilt. Am 21. Juli 2010 wurde gegen Marija Kuschnir, Chefin der Buchhaltung bei Naftohas, Haftbefehl erlassen, weil sie ihre Position zur Vorteilsverschaffung für Dritte genutzt habe. Am 10. September 2010 wurde sie in Wolgograd/Russland verhaftet und am 29. September ihre Auslieferung angeordnet.

Zusammengestellt von Judith Janiszewski

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Analyse

Die Ukraine – ein streitbarer Rechtsstaat

Von Angelika Nußberger
Die Ukraine versteht sich nach ihrer Verfassung als »Rechtsstaat«. Strittig ist allerdings, wie diese verfassungsrechtliche Vorgabe eingelöst werden kann. Besonders großen Handlungsbedarf gibt es beim Umbau des Justizsystems, bei der Neudefinition der Rolle der Staatsanwaltschaft, bei der Verwirklichung der Grundrechte und bei der Stärkung der Autorität des Verfassungsgerichts. Die anhaltenden politischen Machtkämpfe haben zielgerichtete Reformen über Jahre hin sehr erschwert; seit der Machtübernahme von Viktor Janukowitsch wird versucht, den Reformstau im Eiltempo abzuarbeiten.
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Analyse

Neues Justizgesetz – alte Probleme

Von Caroline von Gall
Die ukrainische Justiz ist heute weniger unabhängig als noch vor zehn Jahren, eine Bilanz der Orangen Revolution fällt insofern negativ aus. Es ist nicht gelungen, den Rechtsstaat und die Unabhängigkeit der Justiz in der Ukraine zu festigen, denn die notwendigen Reformen scheiterten am politischen Nahkampf der Parteien. Nach der Wahl von Präsident Janukowytsch im Februar 2010 wurde innerhalb kürzester Zeit ein neues Justizgesetz verabschiedet. Damit demonstrierte der neue Präsident Handlungsfähigkeit, die Chancen für eine unabhängige Justiz stiegen indes nicht. Das unter Janukowytsch verabschiedete Gesetz trägt wieder eine stark politische Handschrift. (…)
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