Sie sind alleine für zwölf Staaten, nahezu die gesamte ehemalige Sowjetunion, zuständig. Wieviel Raum bleibt da für die weit entfernten und vergleichsweise stabilen Staaten Zentralasiens?
Auch wenn ein Großteil der medialen Berichterstattung zu den Ländern meines Zuständigkeitsbereichs auf Russland und die Ukraine entfallen, bleibt Zentralasien eine strategisch bedeutsame Region an der Schnittstelle zwischen Asien und Europa, die einen wichtigen Teil meiner Arbeit ausmacht. So führe ich mit allen fünf Ländern regelmäßig politische Konsultationen durch, bei denen wir alle Facetten unserer bilateralen Beziehungen, aber auch internationale und multilaterale Themen besprechen. Die Botschafter der zentralasiatischen Länder hier in Berlin sind für mich natürlich sehr wichtige Ansprechpartner. Aber auch darüber hinaus pflegen wir den Dialog mit den Menschen aus der Region. So laden wir etwa Fachleute und Multiplikatoren im Rahmen des Besucherprogramms des Auswärtigen Amtes zu verschiedenen Themen und Anlässen nach Deutschland ein, etwa zu Wasserfragen oder zum Vorgehen gegen gewaltbereiten Extremismus. Das Interesse an Austausch und einer engen Kooperation mit Deutschland ist in der Region groß. Davon habe ich mich auch während meiner Reisen in die fünf zentralasiatischen Republiken überzeugen können.
Im Frühjahr 2016 war Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Taschkent, Bischkek und Duschanbe und Bundeskanzlerin Angela Merkel besuchte im Juli Kirgistan. Würden Sie dies als Zeichen eines neuen Interesses deutscher Politik an Zentralasien bewerten?
Deutschland pflegt bereits seit der Unabhängigkeit der zentralasiatischen Staaten enge Beziehungen zu den fünf Ländern. Deutschland war einer der ersten Staaten, der die zentralasiatischen Republiken nach ihrer Unabhängigkeitserklärung anerkannt und mit ihnen diplomatische Beziehungen aufgenommen hat, deren 25jähriges Bestehen wir in diesem Jahr feiern. Deutschland unterhält seit langem Botschaften in allen fünf zentralasiatischen Ländern. Darüber hinaus haben wir uns bereits im Jahr 2007 mit der Initiierung der EU-Zentralasienstrategie auch für eine umfassende, vertiefte EU-Politik gegenüber Zentralasien eingesetzt. Zentralasien war immer schon eine wichtige Region, nicht nur, aber auch wegen seiner geographischen Lage in unmittelbarer Nachbarschaft zu Russland, China, Afghanistan und Iran.
Der Besuch von Minister Steinmeier in der Region im vergangenen Jahr hat dieser Bedeutung Zentralasiens Rechnung getragen. Das Programm der Reise war zum einen bilateraler Natur, zum anderen aufgrund des deutschen OSZE-Vorsitzes 2016 auch durch OSZE-Themen geprägt. Die Reise von Bundeskanzlerin Merkel nach Bischkek im Juli 2016 kann auch als Würdigung der seit 2010 erreichten Demokratisierungsfortschritte Kirgisistans im regionalen Vergleich gesehen werden.
In die Beziehungen zwischen Zentralasien und dem Westen ist nach anfänglich hohen Erwartungen inzwischen eine gewisse Ernüchterung eingekehrt. Wie würden Sie die deutschen Beziehungen zu den einzelnen Staaten heute einschätzen?
Auch wenn vielleicht noch nicht alle unsere Erwartungen an die Zusammenarbeit erfüllt sind, zahlt es sich aus, dass Deutschland in Zentralasien langfristig engagiert ist und bleibt. Unsere Beziehungen zu den zentralasiatischen Ländern umfassen ein breites Spektrum an Bereichen, so zum Beispiel Politik, Wirtschaft, Kultur, Wissenschaft und Entwicklungszusammenarbeit. Natürlich spielen auch sicherheitspolitische Erwägungen eine Rolle, nicht zuletzt aufgrund der unmittelbaren Nachbarschaft zu Afghanistan.
Seit vielen Jahren setzen wir uns für eine Stärkung der regionalen Kooperation der zentralasiatischen Staaten untereinander ein, die aus verschiedenen Gründen noch unter ihrem Potential geblieben ist. Nun hat der neugewählte usbekische Präsident den Ausbau der Beziehungen zu den zentralasiatischen Nachbarrepubliken als eine seiner politischen Prioritäten benannt, und wir konnten im letzten Quartal 2016 eine Intensivierung der Beziehungen Usbekistans mit seinen Nachbarn beobachten. Diese Entwicklung wollen wir weiterhin begleiten und nach Kräften unterstützen. Wir hoffen, dass die Akzente, die die neue Führung in Taschkent setzt, zu einer verstärkten Zusammenarbeit mit Usbekistan führen.
Auch mit den anderen Staaten der Region sehen wir eine Vielzahl gemeinsamer Interessen – Zentralasien ist langfristig bedeutsam z. B. für unsere Sicherheit und unsere Energieversorgung. Politisch und wirtschaftlich ist Kasachstan der wichtigste Partner in Zentralasien und für deutsche Unternehmen der interessanteste Markt. Mit der EXPO in diesem Sommer in Astana, die unter dem Thema Energie der Zukunft steht, setzt sich Kasachstan für erneuerbare Energien ein. Auch hier gibt es Anknüpfungspunkte für verstärkte Zusammenarbeit.
Welches Deutschlandbild begegnet Ihnen in den Hauptstädten der zentralasiatischen Staaten?
Bei meinen Besuchen in den zentralasiatischen Republiken habe ich festgestellt, dass das Deutschlandbild in der Region ein überaus positives ist. Unser Land wird als verlässlich, glaubwürdig und innovativ wahrgenommen. Deutschland wird von den zentralasiatischen Staaten auch als wichtigster Partner in der EU gesehen – politisch, wirtschaftlich und kulturell. Die deutsche Wirtschaft und ihre Produkte genießen in Zentralasien hohes Ansehen, die deutsche Sprache ist nach Russisch und Englisch die am meisten gelernte Fremdsprache, und auch als Studienstandort ist Deutschland sehr beliebt. Zudem gibt es in einigen zentralasiatischen Ländern eine deutsche Minderheit, der in den bilateralen Beziehungen eine wichtige Brückenfunktion zukommt.
Deutschland hat sich 2007 während seines EU-Vorsitzes mit der Zentralasien-Strategie für die Region stark gemacht. Welche Rolle spielen die Strategie bzw. ihre Fortschreibungen in Ihrer Arbeit?
Die EU-Zentralasienstrategie hat wichtige Impulse für die EU-Politik gegenüber Zentralasien gegeben. Die EU engagiert sich in Zentralasien beispielsweise für Rechtsstaatlichkeit, Bildung, Wasser und Umwelt. Auch bei der Grenzsicherheit und der Bekämpfung des Drogenhandels ist die EU aktiv und wird von den zentralasiatischen Ländern als Kooperationspartner geschätzt. Ein positives Signal war, dass die EU für die Periode 2014–2020 ihr Budget für die fünf Länder der Region um 250 Millionen Euro auf rund eine Milliarde Euro erhöht hat. Bei einer Überprüfung der Zentralasienstrategie haben wir 2015 vereinbart, die Kooperationsangebote noch stärker auf die einzelnen Länder auszurichten. So wollen wir den unterschiedlichen Bedürfnissen und Interessen der fünf Staaten noch besser Rechnung tragen.
Welche Aktivitäten hat Deutschland im Rahmen seines OSZE-Vorsitzes 2016 in Zentralasien ergriffen?
Als OSZE-Vorsitz engagierte sich Deutschland vielfältig in der Region: zum einen durch die politische Unterstützung und personelle Förderung der fünf OSZE-Feldmissionen sowie durch Finanzbeiträge für Projekte der OSZE in der Region; zum anderen durch die Arbeit an Themen, die auch für die zentralasiatischen Teilnehmerstaaten von besonderem Interesse waren. Ein Beispiel dafür ist die Konnektivität – also Energienetze, Transportrouten, Infrastruktur und Logistik –, die während unseres Vorsitzjahres hoch auf der Agenda stand. Bei unserer Wirtschaftskonferenz »Connectivity for Commerce and Investment« im Mai 2016 war Zentralasien prominent vertreten. Diese Staaten haben ein Interesse daran, ihre Brückenfunktion zwischen Ostasien und Europa auszubauen. Wir haben daher bewusst den Blick über die OSZE hinaus gerichtet, Teilnehmer etwa aus China eingeladen und auch die Privatwirtschaft beteiligt. Wir freuen uns, dass der österreichische OSZE-Vorsitz das Thema Konnektivität in diesem Jahr weiterführen möchte.
Deutschland unterstützt in Zentralasien Projekte in allen drei Dimensionen der OSZE, also in der politisch-militärischen, in der wirtschaftlichen und ökologischen sowie in der menschlichen Dimension. Hervorzuheben sind dabei das Border Management Staff College in Duschanbe, das durch Fortbildungskurse zur Ertüchtigung von Führungskräften von Polizei und Zoll aus der Region und darüber hinaus einen wichtigen Beitrag leistet, sowie die OSZE-Akademie in Bischkek, die Studierenden aus der gesamten Region Masterstudiengänge anbietet und zur Schaffung eines wichtigen Netzwerks künftiger zentralasiatischer Führungskräfte beiträgt. Mit der Unterzeichnung eines neuen Memorandums of Understanding sicherte Außenminister Steinmeier während seines Besuchs in Bischkek ihr weiteres Bestehen.
Im Verhältnis der zentralasiatischen Staaten zur OSZE hat sich nach dem letzten Human Dimension Implementation Meeting in Warschau im September 2016 eine bisher unbekannte kritische Haltung gezeigt. Welche Perspektive haben die OSZE und ihre Prinzipien in den zentralasiatischen Staaten?
Der Auftritt einiger oppositioneller Teilnehmer beim Human Dimension Implementation Meeting führte in der OSZE zu Diskussionen über die Überarbeitung der Verhaltensregeln für Veranstaltungen der menschlichen Dimension. Eine generelle Abkehr der zentralasiatischen Staaten von der OSZE sehen wir allerdings nicht. Nachdem Kirgisistan und Tadschikistan ihren Wunsch einer Mandatsänderung äußerten, gelang es uns, einen transparenten und glaubwürdigen Dialogprozess in die Wege zu leiten, an dessen Ende ein Ergebnis stehen soll, das sowohl die Interessen der Gaststaaten als auch die Ziele der OSZE wahrt.
Die OSZE basiert auf einem umfassenden Sicherheitsbegriff. Wir werden uns daher weiter dafür einsetzen, dass die OSZE die Staaten Zentralasiens bei der Stärkung und Umsetzung ihrer Verpflichtungen in allen drei Dimensionen unterstützt. Themen wie Grenzschutz und wirtschaftliche Konnektivität können uns dabei helfen, weil sie die Attraktivität der OSZE als Partner stärken.
Wo sehen Sie die größten zukünftigen Herausforderungen für Zentralasien, wo positive Entwicklungen?
Zentralasien befindet sich auf dem Weg einer nicht einfachen Transformation in einem schwierigen geostrategischen Umfeld. Wasser bleibt eine Herausforderung für die Region. Deswegen engagiert sich das Auswärtige Amt seit 2008 im Rahmen der Wasserinitiative Zentralasien für die Stärkung der regionalen Wasserkooperation. Daneben besteht – wie in vielen Teilen der Welt, so auch in Zentralasien – eine Gefahr durch Terrorismus und gewaltbereiten Extremismus. Diplomatie und Kooperation werden weiterhin gefragt bleiben!
Positive Entwicklungen haben wir, wie bereits erwähnt, zuletzt in den nachbarschaftlichen Entwicklungen gesehen. Diese waren lange Zeit unter anderem durch Rivalitäten um Wassernutzung und ungeklärte Grenzverläufe schwer belastet. Inzwischen werden auf Initiative des neugewählten usbekischen Präsidenten Verhandlungen über die Grenzdemarkation mit den Nachbarn vorangetrieben. Auch ist im Gespräch, zwischen Duschanbe und Taschkent wieder direkte Flugverbindungen einzurichten.
Wir stehen am Beginn eines neuen Jahres. Was wünschen Sie den Staaten Zentralasiens und ihren Bürgern für das Jahr 2017?
Für das neue Jahr wünsche ich den Menschen in Zentralasien Frieden und Wohlergehen, eine gute wirtschaftliche Entwicklung, die eine Steigerung des Lebensstandards für die Bevölkerung mit sich bringt, sowie innenpolitische Reformen für mehr politischen Pluralismus, größere Freiheiten und umfassende Menschen- und Bürgerrechte.
Vielen Dank.
Die Fragen stellte Beate Eschment