Die finale Krise des turkmenischen Rentierstaats

Von Luca Anceschi (Glasgow)

Rentierstaat

Eine extrem hohe wirtschaftliche Abhängigkeit von einem einzigen Rohstoff, die durch den Begriff Rentierstaat beschrieben wird, sorgt mittelfristig zwar für politische Stabilität, hat jedoch auch Nachteile: In der Regel geht sie mit verschiedenen Demokratiedefiziten einher, erstickt durch Marginalisierung nichtstaatlicher Wirtschaftsaktivitäten privates Unternehmertum bereits im Kern und bringt die Rentierstaaten in eine unangenehme Lage, sobald sie für eine Zukunft planen müssen, in der der Rohstoff nur noch begrenzt zur Verfügung steht.

Moderne Rentierstaaten, vor allem die auf der arabischen Halbinsel, haben versucht, mit einem Mix aus Wirtschaftsreformen, globalisierungsfreundlichen politischen Maßnahmen und einer ansatzweisen Diversifizierung der Wirtschaftsaktivitäten gegenzusteuern. Die zentralasiatischen Rentierstaaten haben ihre Rohstoffe dagegen relativ altmodisch verwaltet, in diktatorischem Stil. In diesem Zusammenhang stellt das postsowjetische Turkmenistan – auf dessen Territorium sich die weltweit viertgrößten Erdgasvorräte befinden – einen äußerst interessanten Fall dar.

Die turkmenische Abhängigkeit vom Erdgasexport ist sehr hoch: Laut Weltbank trug der Energiesektor in Turkmenistan 2014 insgesamt 35 % zum BIP bei und war verantwortlich für 90 % der Exporte und 80 % der Steuereinnahmen. Aufgrund der aktuell geringen Fördermengen werden die turkmenischen Gasreserven mittelfristig nicht versiegen. Während der Energiehandel mit Russland eingestellt wurde und die Gaslieferungen an den Iran längerfristig – wenn auch wohl nicht dauerhaft – unterbrochen wurden, konnte Turkmenistan eine stabile geschäftliche Partnerschaft mit China aufrechterhalten. Dorthin hat es seit der Inbetriebnahme der Zentralasien–China-Pipeline im Jahr 2009 steigende Erdgasmengen exportiert. Erdgasexporte sollten kurzfristig einen relativ einfachen Entwicklungspfad für das turkmenische Regime sicherstellen.

Zweifel am Erfolg

Das Bild des reichen Rentierstaats wird durch internationale Medien, die über die problematische Wirtschaftslage in Turkmenistan berichten, jedoch derzeit täglich infrage gestellt. Das Land scheint sich inmitten einer sehr schweren Krise zu befinden: Der Staatshaushalt schrumpft rapide, wie zahlreiche Berichte über drastische durch das Regime vorgenommene Umstrukturierungen zur Verkleinerung des öffentlichen Sektors belegen. Bargeld ist außerhalb der Hauptstadt Aschgabat praktisch nicht zu bekommen und auf dem Land wächst die Lebensmittelunsicherheit, ausgelöst entweder durch Preisspitzen für Nahrungsmittel oder durch plötzliche Nichtverfügbarkeit von Grundnahrungsmitteln. Was das Regime als Turkmenistans Altyn Asyr (Goldenes Zeitalter) bezeichnet, wird immer mehr zu einem Albtraum eines Rentierstaats.

Ursachen

Nach meiner Ansicht ist die Erklärung für die turkmenische Wirtschaftskrise unmittelbar verbunden mit dem chronischen Versagen des Regimes bei den Bemühungen, die rentierstaatliche Ausrichtung des Landes zu reformieren. Die Eröffnung der Zentralasien–China-Pipeline überzeugte den turkmenischen Präsidenten, Gurbanguly Berdymuchammedow, und seinen Stab von der Machbarkeit eines Modells der Rohstoffverwaltung, das ausländischen Energieunternehmen keinerlei Optionen zur Beteiligung an Onshore-Gasfeldern gewährt.

Gleichzeitig hat das turkmenische Regime die mittelfristigen Folgen des mit der »China National Petroleum Corporation« abgeschlossenen Pay-for-Purchase-Abkommens ignoriert. Dieses sieht vor, dass das von dem chinesischen Unternehmen in den Bau der Pipeline investierte Kapital in Form von nach China exportiertem Erdgas zurückgezahlt werden muss. Trotz der für das turkmenische Rechnungswesen typischen Undurchsichtigkeit gibt es ausreichend Belege dafür, dass die chinesischen Ankäufe von turkmenischem Gas 2014/15 zu extrem niedrigen Preisen stattgefunden haben. Turkmenistan generiert daher aus dem ständigen Export von Erdgas nach China praktisch keine Einnahmen. Zudem ist China wegen der jüngsten Entwicklungen der turkmenischen Gasbeziehungen mit Russland und dem Iran derzeit der einzige Partner im Energiehandel.

Die rapide sinkenden Einnahmen bedingen rückläufige Staatsausgaben, die Berdymuchammedow gezwungen haben, das breit angelegte Subventionssystem für Lebensmittel und Energie abzuschaffen, das seit der Unabhängigkeit den Energie-Sozial-Pakt zwischen dem turkmenischen Staat und seinen Bürgern getragen hatte.

Ausblick

Eine kleine, aber keinesfalls unbedeutende Änderung in der Logik des turkmenischen Umgangs mit seinen Rohstoffen bietet eine kurzfristige Antwort auf die lähmende Wirtschaftskrise. Dass sich ausländische Firmen jetzt in begrenzten Umfang an der Förderung der turkmenischen Onshore-Reserven beteiligen dürfen, könnte zur Wiederherstellung eines relativ stetigen Flusses an Einnahmen führen, der dann seinerseits zu einer gewissen wirtschaftlichen Erholung beitragen würde.

Mit dieser Reform nähert sich Turkmenistan ein wenig den aktuellen Standards des Rohstoffmanagements an, indem es sich den Kräften der Globalisierung stärker öffnet. Dies wird automatisch die Kontrolle des Regimes über die Gasreserven in Turkmenistan verringern – und die systematische Intransparenz aufbrechen, mit der die turkmenische Führung die Förderung und Entwicklung und vor allem den Export der Erdgasreserven des Landes bislang gehandhabt hat.

Das Ausmaß, in dem das Berdymuchammedow-Regime gewillt sein wird, die offensichtlich notwendige Reform des Rohstoffmanagements vorzunehmen, hängt direkt mit der Schwere der Einnahmenkrise zusammen, die – wird ihr nicht nachdrücklich begegnet – das Potential hat, zu einem Regimekollaps, wenn nicht gar zu einem kompletten Zusammenbruch des Staates zu führen. Dem turkmenischen Rentierstaat in seiner aktuellen Form bleibt mit anderen Worten nur noch eine Gnadenfrist – sein Fortbestehen scheint komplett von den Überlebensinstinkten des Regimes abzuhängen.

Aus dem Englischen von Sophie Hellgardt

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