Von den drei zentralasiatischen Staaten, die an Afghanistan grenzen, hat Usbekistan die mit 137 km kürzeste, aber am stärksten gesicherte Grenze zu Afghanistan sowie das größte militärische Potenzial. Dennoch war Usbekistan stets das Land, in dem die stärkste Besorgnis über die Lage in Afghanistan gehegt wurde. Traditionell wurde die Politik Taschkents gegenüber seinem südlichen Nachbarn von Sicherheisbedenken und wirtschaftlichen Interessen geleitet. Aus wirtschaftlichen Gründen hat Usbekistan – ein durch zwei internationale Grenzen vom Meer abgeschnittener Staat – Afghanistan immer als aussichtsreichen Zugang zu den Verbindungslinien über See betrachtet, wie auch als vielversprechende Möglichkeit, seine Handelsrouten zu diversifizieren und auszubauen. Allerdings haben jahrelang Sicherheitsbedenken den usbekischen Diskurs zu Afghanistan dominiert, während wirtschaftliche Überlegungen zunehmend in den Hintergrund traten. Das führte in der Konsequenz zu einer äußerst stark auf Kontrolle bedachten und begrenzten Art der Zusammenarbeit. Durch den Machtwechsel Ende 2016 nach dem Tod von Islam Karimow entwickelte sich ein neues Muster in der Außenpolitik. Anders als sein Vorgänger verfolgt der neue Präsident Schawkat Mirsijojew eine proaktive Außenpolitik, in der die bilateralen Beziehungen verbessert, die Handels- und Wirtschaftszusammenarbeit intensiviert und die regionale Konnektivität, das Netz der regionalen Verbindungen, verstärkt werden. Vor dem Hintergrund dieses allgemeinen Wandels der usbekischen Außenpolitik hat sich auch die Interaktion mit Afghanistan verändert. Dieser Wandel tritt vor allem in der Intensivierung und der Ausweitung der bilateralen Beziehungen zu Tage. Mehr noch: Dieses Engagement umfasst nun auch die Bereiche Bildung und Kultur, was in den usbekisch-afghanischen Beziehungen seit 1991 ein Novum darstellt.
Die Afghanistanpolitik unter Karimow
Die usbekische Außenpolitik im Allgemeinen und die Afghanistanpolitik im Besonderen wurde unter der Herrschaft von Islam Karimow von einer Kombination aus ideellen und objektiven Faktoren geprägt. Zu den ideellen Faktoren gehörten bestimmte außenpolitische Prinzipien, die von Karimow formuliert und vorangetrieben wurden, etwa politische Unabhängigkeit, Eigenständigkeit, Bilateralismus und Äquidistanz. Das hat eine außenpolitische Praxis hervorgebracht, die auf Distanz zu externen Akteuren bedacht war, supranationale Strukturen mied und Interessen verfolgte, die häufig mit den Interessen benachbarter oder anderer Staaten außerhalb der Region kollidierten. In den Augen dieser Akteure war die usbekische Außenpolitik eine Manifestation von Ambivalenz, Arroganz und überzogenen Ambitionen. Karimows Politik gegenüber Afghanistan stand sicherlich auch unter der Wirkung der Entwicklungen vor Ort. Allerdings führte letzteres mit der Zeit lediglich zu einer Verstärkung jener Prinzipien, von denen seine Außenpolitik von Beginn an geleitet wurde.
Afghanistan ist immer ein integraler Bestandteil des offiziellen usbekischen Diskurses gewesen. Das Land wurde stets mit Sicherheitsfragen in Verbindung gebracht, wie z. B. die Bedrohung durch religiösen Extremismus, Terrorismus sowie Drogen und Waffenschmuggel. Bemerkenswerterweise sind usbekische Offizielle sowohl wegen Waffenlieferungen an aufständische Gruppen als auch an die Regierung besorgt gewesen. Aus Sicht Taschkents hätte die mangelnde Kompetenz der afghanischen Armee und deren möglicher Zusammenbruch dazu führen können, dass ihr militärisches Arsenal den Aufständischen in die Hände fällt. Darüber hinaus hat Instabilität in einem anderen Nachbarstaat – der Bürgerkrieg in Tadschikistan und dessen grenzüberschreitende Auswirkungen auf Afghanistan – dazu geführt, dass Taschkent die Leistungsfähigkeit Tadschikistans im Sicherheitsbereich traditionell skeptisch einschätzte und die tadschikisch-afghanische Grenze gewissermaßen als seine »zweite« Grenze zu Afghanistan betrachtete. Diese Haltung verstärkte sich später, nachdem die »Islamische Bewegung Usbekistans« (IMU) tadschikisches Territorium für Angriffe auf Usbekistan nutzte, bevor sie nach Afghanistan umzog.
Bereits 1993 war Usbekistan in der Lage, sich als weiterer einflussreicher und unabhängiger externer Akteur auf der politischen und militärischen Bühne Afghanistans zu etablieren. In dem Bürgerkrieg, der dem Sturz des Regimes von Nadschibullah im Jahr 1992 folgte, setzte Taschkent auf Abdul Raschid Dostum, einen Militärführer in Nordafghanistan (und Angehörigen der usbekischen Minderheit), der seine Basis in Masar-e-Scharif hatte, der Hauptstadt der Provinz Balch, der einzigen afghanischen Provinz mit einer Grenze zu Usbekistan. Dostum wurde von Taschkent mit Waffen, Ausrüstung und Treibstoff versorgt. Später spielte Usbekistan eine wichtige Rolle bei der Schaffung der Nordallianz im Oktober 1996. Diese sollte die unterschiedlichen afghanischen Fraktionen gegen den stärker werdenden gemeinsamen Gegner, die Taliban, vereinigen. Es war vor allem der Einfluss Taschkents, der Dostum dazu brachte, sich der Allianz gegen die Taliban anzuschließen, was die militärische Stärke der Allianz erhöhte.
Die Unterstützung Dostums war nicht durch ethnische Solidarität diktiert, sondern vielmehr von pragmatischen Interessen. Karimow unterstützte ihn, so lange er Usbekistans wichtigstes Interesse bedienen konnte, nämlich eine Pufferzone in Nordafghanistan sicherzustellen. Diese Konditionalität wurde offenbar, als sich das Verhältnis zu Dostum drastisch verschlechterte, nachdem die Taliban nach Norden vorgerückt waren und er aus dem Land fliehen musste. Das geschah zweimal, 1997 und 1998, und beide Male floh er nicht nach Usbekistan, sondern in die Türkei. Der Vorrang geopolitischer Überlegungen vor ethnischer Gemeinsamkeit wurde ab Mitte der 2000er Jahre noch deutlicher, als Usbekistan informelle Beziehungen auch zu anderen einflussreichen Anführern aus Nordafghanistan aufnahm, etwa zu Atta Mohammad Nur (einem tadschikischen Politiker, der 2004 bis 2018 Gouverneur der Provinz Balch war) und zu Mohammad Mohaqiq (einem hasarischen Politiker). Diese Persönlichkeiten kamen gelegentlich sogar zur medizinischen Behandlung und zum Urlaub nach Usbekistan.
Die puritanisch islamische Ideologie der Taliban war der Hauptgrund, warum Usbekistan sich hinter die Nordallianz stellte. Ende der 1990er Jahren jedoch änderte das Land seine Position: Karimow stoppte seine Unterstützung für die Allianz und begann, sich gegen eine Einmischung in die inneren Angelegenheiten Afghanistans auszusprechen. Darüber hinaus wurde seine Rhetorik gegenüber den Taliban weniger konfrontativ und es wurden geheime Unterredungen mit ihnen aufgenommen. Dieser Wandel in der Haltung Taschkents wurde durch den Vormarsch der Taliban in Nordafghanistan bis an die Grenze zu Usbekistan einerseits und durch die Infiltrierungsversuche der IMU andererseits verursacht.
Seit den frühen 1990er Jahren waren diplomatische Bemühungen zur Beförderung eines Friedensprozesses in Afghanistan zentraler Bestandteil der usbekischen Afghanistanpolitik. Auf Karimows Betreiben unterstützten die Vereinten Nationen die Einrichtung einer sogenannten 6 + 2-Kontaktgruppe, die von 1997 bis 2001 tätig war und sechs Nachbarstaaten Afghanistans sowie zwei Akteure außerhalb der Region – Russland und die USA – umfasste. Im Juli 1999 fand in Taschkent ein Treffen dieser Kontaktgruppe statt, zu dem auch Vertreter der Nordallianz und der Taliban erschienen. 2008 schlug Karimow vor, diese diplomatische Plattform in verändertem Format wiedereinzuführen, diesmal als 6 + 3-Gruppe unter Beteiligung der NATO. Diese Initiative erhielt international jedoch keine Unterstützung und 2013 stellten die Vertreter Usbekistans ihre Bemühungen ein.
In der Zeit nach dem 11. September 2001 spielte Afghanistan in Karimows Schaukelpolitik bei der Zusammenarbeit mit externen Akteuren eine wichtige Rolle. Usbekistan unterstützte die NATO/ISAF-Mission in Afghanistan, indem es Militäreinrichtungen zu logistischen Zwecken zur Verfügung stellte – in Karschi-Chanabad (für US-Streitkräfte, bis Mitte 2005) und in Termes (für deutsche Streitkräfte, bis Ende 2015). Nach der erheblichen Verschlechterung der Beziehungen zum Westen in Folge des Aufstandes in Andischan 2005, die unter anderem die Schließung des US-amerikanischen Luftwaffenstützpunktes nach sich zog, ging Karimow Bündnisbeziehungen mit Russland ein und kehrte in die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (CSTO) zurück. Später allerdings bewirkten die logistischen Bedürfnisse der Koalition in Afghanistan eine Wiederbelebung der Zusammenarbeit Usbekistans mit dem Westen. Usbekistan wurde zu einem der wichtigsten Transitbereiche für die neue zusätzliche Versorgungskette, das Northern Distribution Network, das 2009 gestartet und seit Mitte 2012 für den Abzug der internationalen Streitkräfte aus Afghanistan genutzt wurde. Mitte 2012 verließ Usbekistan die CSTO erneut. Während die offizielle Erklärung darauf verwies, dass Usbekistan den kollektiven Ansatz der CSTO zu Afghanistan ablehnte, interpetierten Beobachter den Austritt als einen Versuch Taschkents, einen Teil der militärischen Ausrüstung zu erhalten, die die USA und die NATO aus Afghanistan abzog. Es ist nicht endgültig klar, ob dies tatsächlich eine Rolle gespielt hat, aber 2015 überließen die USA Usbekistan über 300 gepanzerte Fahrzeuge. Sie stammten zwar von Standorten außerhalb Afghanistans, dies soll aber die größte Spende gebrauchter militärischer Ausrüstung gewesen sein, die die USA bis zu diesem Zeitpunkt an ein anderes Land getätigt haben.
Allgemein tendierte die Afghanistanpolitik Usbekistans angesichts des Rückzugs der internationalen Streitkäfte aus Afghanistan seit Mitte 2012 stärker zu Alarmismus und Isolationismus. Wenige Monate nach dem Austritt aus der CSTO verabschiedete Usbekistan ein neues außenpolitisches Konzept, das unter anderem eine Reihe von Beschränkungen einführte, etwa hinsichtlich der Mitgliedschaft in militärischen Bündnissen und der Errichtung ausländischer Militärstützpunkte auf usbekischem Boden. In Bezug auf Afghanistan betonte das Konzept, neben den Gefahren für die Sicherheit, den Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten, und es bestimmte »Bilateralismus« als Usbekistans einziges Format zur Interaktion mit diesem Staat. Letzteres war eher eine Formalität als eine Neuerung, da Usbekistan auch vorher in seinen Außenbeziehungen stets bilaterale Beziehungen bevorzugt hat, auch zu Afghanistan.
Die neue Afghanistanpolitik unter Mirsijojew
Die außenpolitische Praxis unter Schawkat Mirsijojew steht in klarem Kontrast zu der seines Vorgängers. Am offensichtlichsten manifestiert sich dieser Unterschied in seiner Nachbarschaftspolitik. Anstelle von Selbstisolierung, Konfrontation und Skepsis betreibt der neue Präsident eine Nachbarschaftspoltik, die auf proaktivem Engagement, intensivem Dialog und gegenseitigem Vertrauen gründet. Diesem Muster unterliegt auch seine Afghanistanpolitik, die zu einer signifikanten Intensivierung in den usbekisch-afghanischen Beziehungen geführt hat. In den letzten beiden Jahren haben sich die Präsidenten beider Staaten sechs Mal zu Gesprächen getroffen. Darüber hinaus gab es Dutzende Besuche unterschiedlicher Regierungsdelegationen in beiden Richtungen. Auch das Spektrum der Beziehungen hat sich erweitert. Jenseits der traditionell wichtigen Bereiche Sicherheit und Wirtschaft hat Usbekistan die Zusammenarbeit auch auf humanitäre Bereiche wie Bildung und Kultur ausgeweitet.
In Taschkent ist man immer noch über die Situation in Afghanistan besorgt, aber der tradionelle, von Sicherheitsüberlegungen dominierte Ansatz hat der Vereinfachung wirtschaftlicher Verbindungen und der Konnektivität den Vorrang gegeben. 2017 verabschiedeten beide Seiten eine Roadmap über Zusammenarbeit in Handel und Wirtschaft, die ein ambitioniertes Ziel beinhaltet: Das bilaterale Handelsvolumen soll in den kommenden Jahren auf über 1,5 Mrd. US-Dollar gesteigert werden (2018 hatte es ca. 601 Mio. US-Dollar betragen). Seit November 2017 gibt es eine direkte Flugverbindung zwischen Kabul und Taschkent. Darüber hinaus hat Usbekistan in Termes, einer usbekischen Stadt an der Grenze zu Afghanistan, die grenzüberschreitende Konnektivität verbessert. Afghanische Unternehmer hatten sich z. B. beschwert, dass ihre Fracht andauernd an der usbekischen Zollstation festgesetzt wurde, was zu häufigen Verspätungen führte. Seit August 2018 gibt es nun ein Abkommen, das das Transitregime vereinfachen soll. Ebenso wird über die Einrichtung einer Freihandelszone an der Grenze diskutiert. Darüber hinaus hat Afghanistan im Oktober 2018 in Termes ein Konsulat eröffnet.
Energie- und Verkehrsprojekte sind traditionelle Prioritäten der usbekischen Afghanistanpolitik. Bereits 2011 wurde die Eisenbahnstrecke Termes–Hairatan bis nach Masar-e-Sharif verlängert. Diese grenzüberschreitende Route ist zu einer strategisch wichtigen Transitstrecke in Nordafghanistan geworden, und zwar für den Handel wie für den militärischen Nachschub (für die NATO-Mission). Jetzt stehen zwei Projekte zum Ausbau dieser Verbindung auf der Tagesordnung. Das erste ist die Eisenbahnstrecke Masar-e-Scharif–Herat, über die während des Staatsbesuchs des afghanischen Präsidenten Aschraf Ghani in Usbekistan im Dezember 2017 ein Abkommen unterzeichnet wurde. Das zweite ist das Projekt Masar-e-Scharif–Kabul–Peschawar, das im Dezember 2018 eine vorläufige Unterstützung durch Usbekistan, Afghanistan, Pakistan, Kasachstan und Russland erfuhr.
Mit der Unterstützung dieser beiden Projekte verfolgt Usbekistan das Ziel der Schaffung von grenzüberschreitenden Korridoren, die von Termes bis in die iranischen Seehäfen Tschabahar und Bendar Abbas einerseits, und bis zum pakistanischen Hafen Karatschi andererseits reichen sollen.
Ebenso beabsichtigt Usbekistan, seine Stromexporte nach Afghanistan zu erhöhen. Die Präsidenten beider Staaten haben ein Abkommen über den Bau der Stromtrasse Surchan–Puli-Chumri unterzeichnet, mit der die Stromlieferungen um 70 % auf bis zu 6 Mrd. kWh erhöht werden können. Zusätzlich reduzierte Usbekistan den Preis für Stromlieferungen nach Afghanistan von 7,6 auf 5 US-Cent pro kWh. Darüber hinaus verkündeten usbekische Offizielle, dass die neue Stromtrasse Afghanistan in das zentralasiatische Energiesystem integrieren und Teil des »Zentralasien-Südasien-Stromprojektes« (CASA-1000) sein werde. Usbekistans Unterstützung für CASA-1000 erscheint logisch, da Mirsijojew die Wasserkraftprojekte Rogun (Tadschikistan) und Kambar-Ata (Kirgistan) bereits akzeptiert und eine Wiederherstellung des einheitlichen zentralasiatischen Energiesystems befürwortet hat.
Auch die jüngste Kooperation Usbekistans mit Afghanistan im humanitären Bereich kann als Neuerung in Taschkents Afghanistanpolitik betrachtet werden. Ende Januar 2018 wurde in Termes ein Bildungszentrum für afghanische Studierende eröffnet. Bis Anfang 2019 hat das Zentrum rund 130 afghanische Studierende aufgenommen, die in einem zweijährigen Programm usbekische Sprache und Literatur sowie technische Fächer mit Bezug zur Eisenbahnindustrie studieren. Eine andere neue Institution ist die »Usbekisch-afghanische Freundschaftsgesellschaft«, die Mitte September 2018 in Taschkent gegründet wurde. Die Gesellschaft plant für das Jahr 2019 Kulturveranstaltungen, die den »100 Jahren usbekisch-afghanischer Freundschaft« gewidmet sein sollen.
Diplomatische Aktivitäten, die sich auf den Friedensprozess konzentrieren, bilden aber nach wie vor das Hauptmerkmal der usbekischen Afghanistanpolitik. Die internationale Afghanistan-Konferenz, die im März 2018 in Taschkent stattfand, erinnerte in vielem an die früheren Bemühungen Usbekistans, in den Friedensverhandlungen zu Afghanistan seine Vermittlung anzubieten. Gleichzeitig sind aber auch neue Nuancen in der usbekischen Diplomatie zu erkennen. Erstens war diese Konferenz verglichen mit den 6 + 2-Verhandlungen sehr viel breiter angelegt, sowohl hinsichtlich der Tagesordnung wie auch der Anzahl der teilnehmenden Länder. Neben Afghanistan waren dessen unmittelbare Nachbarn sowie die USA und Russland und eine Reihe anderer wichtiger Akteure vertreten, u. a. Indien, Saudi-Arabien, die VAE, Katar, Japan, die Türkei und die EU. Zweitens verkündete die Abschlusserklärung der Konferenz u. a. die Unterstützung einer Integration Afghanistans in das regionale Netz der Wirtschaftsbeziehungen in Süd- und Zentralasien. Dies ist mit Blick auf Usbekistan deshalb besonders bemerkenswert, weil sich das Land nun, im Gegensatz zu früher, aktiv für eine bessere Konnektivität der Region einsetzt. Diese neue Tendenz wird auch in anderen Aktivitäten Taschkents sichtbar, etwa in dem jährlichen Ministertreffen unter dem Titel »Indien–Zentralasien–Afghanistan–Dialog«, das im Januar 2019 in Samarkand gestartet wurde, oder auch bei der 8. Afghanistan-Konferenz für regionale wirtschaftliche Zusammenarbeit (RECCA-VIII), die in der zweiten Jahreshälfte 2019 erstmals in Taschkent stattfinden soll. Drittens besteht die Taschkenter Plattform diesmal nicht auf Exklusivität. Zuvor war das Scheitern des 6 + 3-Formats als eine Art persönliche Beleidigung wahrgenommen worden. Als Reaktion hat Usbekistan andere, alternative Plattformen wie den »Istanbul-Prozess« ignoriert. Jetzt treibt Taschkent nicht nur die eigene Verhandlungsplattform voran, sondern unterstützt auch andere Formate wie den »Kabul-Prozess«, den »Istanbul-Prozess«, das »Moskau-Format« sowie die Kontaktgruppe »SCO – Afghanistan«, die von 2005 bis 2009 tätig war und 2017 reaktiviert wurde.
Entgegen allen Erwartungen nahmen die Taliban nicht an der internationalen Afghanistan-Konferenz in Taschkent teil. Gleichwohl haben Vertreter der usbekischen Diplomatie (in erster Linie Außenminister Abdulasis Kamilow und der Sonderbeauftragte des Präsidenten für Afghanistan, Ismatulla Irgaschew) Gespräche mit den Taliban geführt. Im Juni 2018 fanden in Doha und im August 2018 in Taschkent bilaterale Unterredungen statt. Neben den Taliban unterhält die usbekische Seite auch zu anderen wichtigen afghanischen Politikern Kontakte. Offensichtlich möchte Usbekistan, dass seine Vermittlerrolle von allen interessierten Seiten – sowolhl innerhalb, wie auch außerhalb Afghanistans – akzeptiert wird, um die Taschkenter Plattform als passender und stärker auf Konsens basierend darzustellen.
Fazit
Sicherheitsfragen, wirtschaftliche Interessen und Diplomatie sind die traditionellen Komponenten der usbekischen Afghanistanpolitik. Seit dem Machtwechsel 2016 hat die usbekische Außenpolitik einen Wechsel weg von ihrem seit langem vorherrschenden isolationistischen und restriktiven Ansatz hin zu einem Vorgehen vollzogen, das stärker auf proaktivem Engagement und intensivem Dialog gründet. Dieser neue Ansatz leitet auch die usbekische Afghanistanpolitik. Usbekistan setzt nun stärkere Akzente auf wirtschaftliche Zusammenarbeit und regionale Konnektivität. Darüber hinaus markiert die Kooperation in den Bereichen Bildung und Kultur den Beginn eines neuen Kapitels in der Geschichte der usbekisch-afghanischen Beziehungen nach 1991. Letztlich steht aber der Friedensprozess in Afghanistan auf der Prioritätenliste der usbekischen Diplomatie nach wie vor ganz oben. Das Fortbestehen dieser neuen Dynamik in der Afghanistanpolitik Usbekistans kann die Stabilität im südlichen Nachbarn begünstigen und die Chancen der praktischen Realisierung der transregionalen Verbindungen deutlich erhöhen.
Aus dem Englischen von Hartmut Schröder