Die Hintergründe
Obwohl das kirgisische Präsidentenamt inzwischen ein riskanter Job ist, bleibt es weiterhin ein beliebter und auch umkämpfter Posten. Askar Akajew – der erste Präsident nach der Unabhängigkeit im Jahr 1991 – floh nach der sogenannten »Tulpenrevolution« im Februar 2005 mit seiner Verwandtschaft nach Moskau. Auslöser der damaligen Proteste waren unfreie und manipulierte Parlamentswahlen. Sein Nachfolger Kurmanbek Bakijew musste Kirgistan nach fünfjähriger Amtszeit ebenfalls verlassen: Im April 2010 fand er mitsamt Gefolgschaft Zuflucht beim belarussischen Machthaber Aleksandr Lukaschenko in Minsk. Die Übergangsregierung unter Ex-Außenministerin und Oppositionsführerin Rosa Otunbajewa beschränkte die präsidialen Befugnisse und schuf so die Grundlage für eine parlamentarische Republik. Anderthalb Jahre später gewann der Sozialdemokrat Almasbek Atambajew die Präsidentschaftswahl und konnte sich während seiner sechsjährigen Amtszeit im höchsten Amt Kirgistans halten. Im Wahlkampf um die Präsidentschaft im Herbst 2017 unterstützte er seinen Parteikollegen Sooronbaj Dscheenbekow. Im Laufe von Dscheenbekows Amtszeit fiel Atambajew jedoch in Ungnade und wurde wegen Korruption angeklagt. Ein Gericht in Bischkek verurteilte ihn schließlich im Juni 2020 zu elf Jahren Haft.
Nach Wahlfälschungen entwickelte sich die Parlamentswahl vom 4. Oktober 2020 zu einer neuen politischen Krise, geprägt durch schwere Unruhen und Ausschreitungen. Mehrere inhaftierte Politiker wurden dabei aus Gefängnissen befreit, darunter der frühere Präsident Atambajew (mittlerweile wieder in Haft), Ex-Premierminister Sapar Isakow, sowie die ehemaligen Parlamentsabgeordneten Rawschan Dscheenbekow und Sadyr Dschaparow. Letzterer übernahm die Leitung der Übergangsregierung und die Interimspräsidentschaft, womit er zeitweise sowohl Staats- als auch Regierungsoberhaupt war. Dschaparow und seine Anhänger*innen forderten den Rücktritt des damaligen Präsidenten Dscheenbekow, der schließlich am 15. Oktober 2020 zurücktrat. Mit knapp 80 % der Stimmen ist Sadyr Dschaparow am 10. Januar zum sechsten Präsidenten der Kirgisischen Republik gewählt worden. Sein Verfassungsreferendum wurde ebenfalls angenommen, womit Kirgistan nun wieder zu einem präsidialen Regierungssystem zurückkehrt, nachdem es zehn Jahre zuvor abgeschafft wurde.
Das »Phänomen Dschaparow«
Als Reaktion auf die Großdemonstrationen hat die Zentrale Wahlkommission das Ergebnis der umstrittenen Parlamentswahl vom 4. Oktober 2020 aufgehoben. Die anschließende Beförderung des verurteilten Geiselnehmers Sadyr Dschaparow an die Spitze der Exekutive überraschte selbst die protesterprobte Gesellschaft Kirgistans. Ein derart steiler Aufstieg überforderte sowohl Expert*innen als auch erfahrene Politiker*innen im Land, weshalb in kirgisischen und ausländischen Medien rasch von einem »Phänomen« gesprochen wurde.
Mit seinen äußerst strittigen und widersprüchlichen Handlungen ist Dschaparow eine gleichsam außergewöhnliche wie bekannte Figur in der kirgisischen Politik. Er begann seine Karriere als professioneller Sportler, leitete anschließend verschiedene Öl- und Gasunternehmen, bevor er unter Akajews Präsidentschaft in die Politik eintrat. In der Regierungszeit von Bakijew wurde er Mitglied des nationalen Parlaments, absolvierte zeitgleich sein Jurastudium und arbeitete von 2008 bis 2009 in der Nationalen Agentur für Korruptionsprävention. Nach dem Sturz von Bakijew wurde er zum zweiten Mal Parlamentsabgeordneter für die Partei »Ata-Zhurt« (Vaterland). Während dieser Zeit waren er und seine Schwester aufgrund ihrer Verbindungen zu Bakijew in hochkarätige Skandale verwickelt. In den Jahren 2012 und 2013 organisierte Dschaparow mehrfach Kundgebungen und Demonstrationen zur Verstaatlichung der Kumtor-Goldmine (im Gebiet Yssyk-Köl). Im Herbst 2012 versuchte er gemeinsam mit Anhänger*innen das Weiße Haus in Bischkek zu stürmen, wofür er sich anschließend vor Gericht verantworten musste. Schließlich wurde Dschaparow wegen des Versuches der gewaltsamen Machtergreifung zu anderthalb Jahren Gefängnis verurteilt, allerdings nach neun Monaten vorzeitig entlassen. Nach seiner Haftentlassung nahm Dschaparow erneut an Protestaktionen in Karakol (Hauptstadt des Gebiets Yssk-Köl) teil. Nachdem Demonstrant*innen den Gebietsgouverneur zwischenzeitlich als Geisel genommen hatten, wurde Dschaparow polizeilich gesucht und floh ins Exil nach Zypern. Im Jahr 2017 kehrte er nach Kirgistan zurück, um an den Präsidentschaftswahlen teilzunehmen. Unmittelbar nach seiner Einreise wurde er erneut festgenommen und anschließend wegen mehrerer Straftaten aus der Vergangenheit zu elfeinhalb Jahren Haft in einer Hochsicherheitskolonie verurteilt. Nachdem Dschaparow im Oktober 2020 von Anhänger*innen aus dem Gefängnis befreit wurde, mischte er sich mithilfe der Unterstützung äußerst engagierter und aktiver Kräfte erneut in die Politik ein. Auch wenn sein Gefängnisurteil zu diesem Zeitpunkt juristisch noch nicht aufgehoben war, ließ er sich unter fragwürdigen Umständen dennoch von der Mehrheit der Parlamentarier zum kommissarischen Premierminister wählen. Zuvor war Premierminister Kubatbek Boronow zurückgetreten. Nach dem Rücktritt von Präsident Dscheenbekow hätte verfassungsgemäß der Parlamentssprecher seine Aufgaben übernehmen müssen. Da der damalige Parlamentssprecher Kanatbek Isajew hierauf verzichtete, ging die Interimspräsidentschaft, wie in der Verfassung vorgesehen, an den Premierminister über.
Kurz nachdem Dschaparow einigermaßen sattelfest auf seinem Posten saß, besetzte er die Schlüsselpositionen mit Vertrauenspersonen und sprach sich »auf Ersuchen des Volkes« für eine Verfassungsänderung aus. Das Parlament, dessen offizielle Amtszeit am 28. Oktober 2020 auslief, verabschiedete kurzfristig eine Änderung des Wahlgesetzes (Art. 38 und 63). Dadurch wurde die Wiederholung der Parlamentswahlen auf unbestimmte Zeit verschoben, obwohl diese bereits von der Zentralen Wahlkommission für den 20. Dezember 2020 festlegt war. Die Änderungsanträge wurden unter Verstoß gegen die Verfahrensnormen angenommen und an einem Tag durch drei Lesungen im Parlament durchgepeitscht.
In seiner kurzen Übergangsamtszeit ging Dschaparow sehr strategisch vor. Indem er Einzelgespräche mit seinen möglichen Gegnern führte, die sich nacheinander zurückzogen, zersplitterte er die Opposition. Gleichzeitig sorgte er mit der Festnahme bekannter Krimineller für sensationelle Berichterstattungen, leitete eine Wirtschaftsamnestie ein und entließ Hunderte von Gefängnisinsassen aus der Haft. Er schaffte sukzessiv Fakten und verstand es nur allzu gut, seine Kritiker*innen und die Öffentlichkeit mit teilweise belanglosen Themen zu beschäftigen. Viele dieser Themen, wie z. B. der Status der russischen Sprache, der Bergbau im Land und die Frage der Tilgung von Auslandsschulden, zielten eindeutig auf die Aktivierung moralischer und nationalistischer Gefühle ab, wodurch ein großer Teil der Bevölkerung mobilisiert werden sollte. Schließlich gab Dschaparow seinen Wunsch bekannt, an der vorgezogenen Präsidentschaftswahl am 10. Januar 2021 teilzunehmen, wofür er seine Ämter als Interimspräsident und kommissarischer Premierminister am 14. November niederlegte.
Dschaparow, seine Gegner und »die Anderen«
Für die vorgezogene Präsidentschaftswahl waren zunächst 63 Personen in der Kandidatenliste registriert. Durch verschiedene Anforderungen (rechtzeitige Unterlagenabgabe, Sprachprüfung, Registrierungsgebühr und Unterschriftensammlung) reduzierte sich die Zahl der Kandidat*innen, sodass am Ende 18 Präsidentschaftsanwärter die Zulassung zur Teilnahme an der Wahl erhielten. Ein Kandidat ist inmitten der Kampagne ausgestiegen. Aus der Anzahl der Wettbewerber und ihren Programmen ergab sich tatsächlich ein gewisser Pluralismus. Der Wahlkampf war zwar kontrovers und lebhaft, doch auch stark personenbezogen. Dschaparow war eindeutiger Favorit und hatte das größte Kampagnenbudget, über dessen Herkunft nur spekuliert werden kann. Er nutzte administrative Ressourcen und die Unterstützung seiner Vertrauten in unterschiedlichsten Ämtern. Unter Missachtung des Infektionsschutzes bereiste er mit einem dicht getakteten Programm die einzelnen Provinzen (Oblast) Kirgistans. So versuchte er Volksnähe zu zeigen, während er – als sei er bereits gewählt worden – von staatlichen Sicherheitsbeamten begleitet wurde. Die zahlreichen landesweiten Auftritte dienten Dschaparow als Ausrede, um nicht an Fernsehdebatten zur Wahl teilnehmen zu müssen. Dafür hielt er seine Neujahrsansprache im nationalen Fernsehen, ebenfalls so, als habe er die bevorstehende Wahl bereits gewonnen.
Globale populistische Trends schlagen sich auch in Dschaparows Politikstil nieder: Appelle gegen »die Elite« und Populismus prägen seine Programminhalte und weisen gewisse Parallelen zu Donald Trump auf, obwohl dieser konkrete Vergleich mit Vorsicht zu betrachten ist. Die Wut der Bevölkerung auf das von Korruption und Skandalen geprägte Parlament baute Dschaparow geschickt in seine Rhetorik ein. Seine straffällige Vergangenheit verhalf ihm zum Ruf eines politischen Märtyrers mit einer starken Anziehungskraft auf die Benachteiligten und »Entrechteten«. In zahlreichen Regionen wurde er mit theatralischen Auftritten und folkloristischen Bühnenprogrammen wie ein Volksheld inszeniert.
Das »Phänomen Dschaparow« kann mit den Ausführungen von Gustave Le Bon (1982), einem der Begründer der Massenpsychologie, verglichen werden: Sein Konzept der »Massenseele« beschreibt, wie der Einzelne unter bestimmten Umständen seine Kritikfähigkeit verliert und sich nur noch affektiv verhält. Auch die Anhänger*innen Dschaparows sind wahrhaft überzeugt davon, dass dieser das Land aus der Krise befreien würde. Viele von ihnen scheinen von patriotischem Fanatismus und einer gewissen Ungeduld getrieben zu sein. Entsprechend impulsiv verlief auch die politische Auseinandersetzung vor der Wahl. Dschaparows Unterstützer*innen wirkten kritischen Stimmen, auf der Straße durch physische Einschüchterungen und in den sozialen Medien mittels Troll-Fabriken, massiv entgegen. Kritiker*innen von Dschaparows politischem Weltbild oder Gegner seines Kurses wurden im virtuellen Raum konstant als »Westler«, »NGOler« oder »LGBT-Aktivisten« bezeichnet.
Als bedeutendster politischer Gegner von Dschaparow galt der Parteichef von »Bütün Kirgistan« (Einiges Kirgistan), Adachan Madumarow, der zum dritten Mal kandidierte. Mit seiner ebenfalls nationalistischen Positionierung zielte er auf dieselbe Kernwählerschaft wie Dschaparow ab, jedoch mir einer stärkeren Fokussierung auf die Bevölkerung im Süden und die Arbeitsmigrant*innen in Russland. Klara Sooronkulowa, einstige Verfassungsrichterin und Gründerin der jungen »Reforma«-Partei, vertrat Bevölkerungsteile, welche gegen Dschaparow eingestellt sind. Sie hat Klage gegen die Verschiebung der Parlamentswahl und die Wahlgesetzänderung eingereicht. Zudem ging sie auch gegen die Entscheidung der Wahlkommission für Dschaparows Kandidatur juristisch vor. Gemeinsam mit weiteren Kandidat*innen unterzeichnete sie ein »Memorandum zur Wahrung der Rechtsstaatlichkeit« und sprachen sich auf mehreren Pressekonferenzen gegen die rechtswidrigen Handlungen von Dschaparow aus.
Während zahlreiche Kandidat*innen versuchten, sich durch wiederholte Verweise auf das verfassungswidrige Verhalten Dschaparows zu profilieren, war die andere Hälfte während des Wahlkampfes überwiegend damit beschäftigt, sich selbst und ihre Programme bekanntzumachen. Einige Bewerber*innen unternahmen auch Reisen durch das Land und erhielten vonseiten der Bevölkerung Segen und Schenkungen (Pferde, Mäntel, Fellmützen usw.). Im Vergleich zu früheren Wahlkämpfen nutzten die Kandidaten aktiv Facebook, Telegram und Instagram und suchten den direkten Dialog mit den Wähler*innen. In zwei TV-Debatten traten 16 Kandidat*innen in jeweils vier Gruppen gegeneinander an. Ihre Ansprachen waren geprägt von den üblichen allgemeinen Leitlinien und populistischen Programminhalten. Hierzu zählen der Kampf gegen die Korruption, Engagement für Stabilität, »moralische Erneuerung«, Versprechen von wirtschaftlichem Aufschwung, Schuldentilgung und das Streben nach der »Einheit des Volkes«. Die meisten Gegenkandidat*innen Dschaparows legten das Hauptaugenmerk ihres Wahlprogramms auf dessen frühere Straftaten, seine Verbindungen zu Bakijew und die gegenwärtigen Rechtsverletzungen in Bezug auf seine Kandidatur und die angestrebten Verfassungsänderungen. Die scharfe Rhetorik einiger der Kandidat*innen zeugt dabei auch von einer starken Polarisierung in der kirgisischen Politik und Gesellschaft.
Fragwürdiges Referendum und Verfassungsänderung
Obwohl häufige Verfassungsänderungen für jedes Rechtssystem lähmend wirken, sind diese neben gewaltsamen Machtwechseln zum festen Bestandteil der kirgisischen Politik geworden. In den Jahren 1994, 1996, 1998, 2001, 2003, 2006, 2007, 2010 und 2016 wurden jeweils Verfassungsänderungen vorgenommen. Durch die vorletzte Verfassung wurde ein parlamentarisches Regierungssystem in Kirgistan eingeführt. Die zusätzlichen Änderungen im Jahr 2016 haben die Rechte des Präsidenten weiter eingeschränkt und die des Regierungschefs erweitert. Die Initiative für die Rückkehr zum präsidialen Regierungssystem geht scheinbar auf Dschaparow persönlich zurück. Vor seinem ersten Amtsantritt im Oktober 2020 war keine Rede von einer Verfassungsänderung und derartige Forderungen waren auch kein Katalysator für die Proteste nach der Parlamentswahl. Als Übergangspremierminister und -präsident besaß Dschaparow de jure kein Recht, eine solch grundlegende Gesetzesänderung einzuleiten oder ein Referendum einzuberufen. Sein Vorhaben wurde mehrheitlich vom Parlament unterstützt, obwohl dieses nach dem Ablauf der Legislaturperiode nicht mehr berechtigt war, Änderungsanträge anzunehmen oder gar neue Gesetze zu verabschieden. Des Weiteren wurde sowohl die Parlamentsordnung als auch das Gesetzgebungsverfahren mehrfach verletzt. So fehlte ein entsprechender Beschluss der Verfassungskammer des Obersten Gerichtshofes, der für die Initiative zur Verfassungsänderung (laut Verfassung) nötig gewesen wäre. Zudem gab es keine Beratungstreffen von unabhängigen Expert*innen, juristischen Fachleuten und Parlamentsabgeordnet*innen, nachdem eine eigens dafür eingesetzte Kommission den Entwurf zur Änderung der Verfassung hinter verschlossenen Türen ausgearbeitet hatte. Der Verfassungsentwurf wurde nicht öffentlich diskutiert und hat nicht ordnungsgemäß drei Anhörungen im Parlament durchlaufen. Die Veröffentlichung des ersten neuen Verfassungsentwurfs am 17. November 2020 löste eine heftige Kontroverse aus. Inhaltlich kommt die neue Verfassung der Version von 1993 nahe und überträgt die Macht zur Regierungsbildung vom Parlament zurück zum Präsidenten, wie es während der Regierungszeiten von Akajew und Bakijew bereits der Fall war. Die wichtigsten Änderungen betreffen die Erweiterung der Präsidentengewalt und seine Amtszeit, die Einführung eines Volksrates (kirg. kurultai), die Verringerung der Zahl der Parlamentarier und ihre Zuständigkeiten. Allerdings sind kaum Kontrollmechanismen enthalten, um einen Machtmissbrauch durch den Präsidenten zu verhindern. Zu den kritischsten Änderungen zählt Artikel 23, welcher gedruckte und elektronische Veröffentlichungen verbietet, die »allgemein anerkannten moralischen Werten und Traditionen der Menschen in Kirgistan« zuwiderlaufen. In der neuen Verfassung sind auch Klauseln entfernt worden, welche das bürgerliche Recht auf Informationsfreiheit regeln. Ebenfalls entfallen ist die Definition der Kirgisischen Republik als »säkularer Staat«.
Auf dem Stimmzettel für das Referendum konnte zwischen den beiden Regierungssystemen abgestimmt werden, ohne jedoch zu erwähnen, dass eine Entscheidung für ein präsidiales System eine neue Verfassung voraussetzt. Die endgültige Verfassungsversion könnte ebenfalls per Referendum beschlossen werden. Letztlich wählten die Menschen die Präsidentschaft in Person und System mit der Annahme, dass damit ein »richtiger« Kampf gegen Korruption, unverantwortliche Führungsmentalität und Unzulänglichkeit des gegenwärtigen Regierungssystems starten würde. Für sie ist dem Parlamentarismus, der mit einem chaotischen, verantwortungslosen Zustand und einem gescheiterten Demokratie-Experiment gleichgesetzt wird, mit dieser Wahl ein Ende gesetzt.
Quo vadis Kirgistan?
Nach wiederholten Staatsstreichen, die zu mehreren Verfassungsänderungen und Machtwechseln führten, scheint erneut ein »gesetzesuntreuer« und »skrupelloser« Politiker die Führung übernommen zu haben. Die Schlüsselpositionen und Ämter wurden von den dominierenden Interessengruppen und den althergebrachten Clans ergriffen, die weiterhin nach klientelistischen Gewohnheiten und nicht nach dem Gesetz und demokratischen Regeln handeln. Das Eilreferendum und die Art der angestoßenen Verfassungsreform zeigen, dass Gesetze und Justiz weiterhin bloße Instrumente im Machtkampf sind. Die potenziell kriminellen Strukturen um Dschaparow sowie die jüngsten autoritären Signale lassen eine Stabilisierung des Landes oder gar demokratischen Fortschritt in weite Ferne rücken. Die Polarisierung unterschiedlicher Gesellschaftsschichten hat sich zugespitzt und die Wirtschaftskrise vertieft weiterhin die bestehenden Ungleichheiten. Die Pandemie stellt immer mehr Menschen vor existenzielle Herausforderungen. Die strukturellen Probleme des politischen Systems und die bevorstehenden Neuwahlen für das Parlament werden wahrscheinlich neue Turbulenzen und Konfliktkonstellationen mit sich bringen. Es bleibt abzuwarten, ob die progressiven Teile der Zivilgesellschaft die von Dschaparow initiierten Entwicklungen mittragen werden. Demokratische Rahmenbedingungen, Pressefreiheit und andere politisch-gesellschaftliche Spielräume drohen künftig beschnitten zu werden. Schließlich ist Dschaparows überwältigender Erfolg größtenteils von informellen, unsichtbaren und auch unberechenbaren Kräften geprägt. Diese werden versuchen, seine frisch erkämpfte, uneingeschränkte Exekutivgewalt als Präsident mit allen Mitteln zu festigen. Der neue politische Kurs könnte sämtliche demokratischen Errungenschaften der vergangenen fünfzehn Jahre zunichtemachen und die einstige »Insel der Demokratie« erneut im Autoritarismus versinken lassen.