Interview mit Anvar Nassirov, Direktor des Internationalen Institutes für Zentralasien in Taschkent

Zusammenfassung
Dr. Birgit Wetzel, Autorin des Leitartikels dieser Ausgabe, war Mitte Juli anlässlich der Konferenz »Central and South Asia: Regional Connectivity. Challenges and Opportunities« in Taschkent. Dort hatte sie Gelegenheit, zwei Interviews zu führen: Frau Dr. Wetzel sprach dort zum einen mit Eldor Tulyakov, Direktor des Zentrums für Entwicklungsstrategien in Taschkent. Das Institut dient als Koordinationsstelle für die usbekischen Reformprozesse, welche seit dem Amtsantritt von Präsident Schawkat Mirisjojew anhalten. Das Gespräch gibt einen Einblick in die strukturelle Umsetzung der Reformen in Usbekistan. Vorweg sei angemerkt, dass es sich hierbei um eine staatliche Perspektive auf die Prozesse handelt. Um diese Perspektive zu erweitern, bietet sich ein Blick in die Usbekistan-Chronik, aber auch auf unabhängige Beobachtungsstellen an. Das zweite Gespräch führte Frau Dr. Wetzel schriftlich mit Anvar Nassirov, Direktor des neugegründeten »International Institut for Central Asia«. Die Redaktion der Zentralasien-Analysen

Anvar Nassirov ist Direktor des »International Institute for Central Asia«. Das Institut arbeitet seit dem Herbst 2020. Am 15. Juli 2021 wurde es im Vorfeld der Konferenz »Central and South Asia: Regional Connectivity. Challenges and Opportunities« offiziell eröffnet. Es koordiniert die nach außen gerichteten Aktivitäten der regional zusammen arbeitenden Staaten Kasachstan, Kirgisistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan.

1. Was sind die Aufgaben des Internationalen Instituts in Usbekistan?

In seiner Rede vor der UN-Generalversammlung im Jahr 2017 erklärte der usbekische Präsident Schawkat M. Mirsijojew Zentralasien zur höchsten Priorität der usbekischen Außenpolitik. Er äußerte seine Bereitschaft, mit den anderen Staaten der Region in einen konstruktiven Dialog zu treten, um die nachbarschaftlichen Beziehungen zwischen den Ländern Zentralasiens zu verbessern und deren nachhaltige Entwicklung sicherzustellen.

Dank der vom usbekischen Präsidenten vorangetriebenen Politik ist es mittlerweile international anerkannt, dass sich die politische Atmosphäre in Zentralasien in den letzten Jahren massiv gewandelt hat. Das gegenseitige Vertrauen und die nachbarschaftlichen Beziehungen haben sich deutlich verbessert.

Die Länder Zentralasien sind durch ein gemeinsames historisches und kulturelles Erbe sowie eine gemeinsame Religion miteinander verbunden. In der Region besteht ein enormes Potenzial, bestehende Transportrouten zu diversifizieren, die industrielle Zusammenarbeit zu stärken, gemeinsam neue Märkte zu erschließen und ein günstiges Investitionsklima zu schaffen.

Im August 2020 wurde per Dekret des Präsidenten der Republik Usbekistan ein staatliches Forschungszentrum geschaffen – das Internationale Institut für Zentralasien (International Institute for Central Asia, IICA). Es ist die einzige Institution dieser Art in der Region.

Die Gründung des Instituts spiegelt die Prioritäten der usbekischen Außenpolitik wider,

einen offenen und konstruktiven Dialog mit unseren nächsten Nachbarn zu führen; sowieregionale Fragen und Probleme auf der Grundlage der Prinzipien der Gleichheit, der wechselseitigen Anerkennung von Interessen und des Strebens nach vernünftigen Kompromissen zu lösen.

Vor diesem Hintergrund sind die Hauptaufgaben des Internationalen Instituts:

Erstens, die interdisziplinäre Untersuchung kultureller Vielfalt und moderner, nachhaltiger Entwicklungsprozesse in Zentralasien.

Zweitens, umfassende Forschungen zur aktuellen Außenpolitik und den internen politischen und sozioökonomischen Entwicklungen in den Ländern der Region.

Drittens, die Entwicklung konkreter, praktischer Vorschläge und Empfehlungen, wie die Zusammenarbeit in den Bereichen Politik, Handel und Wirtschaft, Soziales, Energiewesen, Transport und Kommunikation, Wasser und Umwelt, Kultur und humanitäre Arbeit im beiderseitigen Interesse weiterentwickelt werden kann.

Viertens, die Analyse der gemeinsamen Aufgaben, vor denen die Staaten in der Region in verschiedenen Bereichen stehen. Dabei sollen sowohl der aktuelle Stand als auch die möglichen Aussichten für gemeinsame Lösungen untersucht werden. Zu den relevanten Themenfeldern gehören unter anderem Fragen der Sicherheit, der Wasserversorgung, des Grenzverlaufs, der industriellen Zusammenarbeit, des Transports und Transits, der Landwirtschaft, des Tourismus, der Wissenschaft usw.

Außerdem erforscht das Institut das historische und kulturelle Erbe Zentralasiens und untersucht, welche Erfahrungen sowohl die Länder in der Region als auch Staaten weltweit beim Erhalt und der Förderung kultureller und nationaler Werte gemacht haben.

Auch an der wissenschaftlichen Forschung zu den brennenden Umweltproblemen der Region möchte sich das Institut beteiligen, insbesondere rund um den Aralsee, der auf eine Initiative unseres Präsidenten hin von der UN zu einer Zone für ökologische Innovationen und Technologien erklärt werden soll.

Zu den Hauptaufgaben des Instituts gehört auch die Untersuchung der Probleme Afghanistans, womit zu einer positiven, friedlichen Entwicklung des Landes beigetragen werden soll. Afghanistans Stabilität und Sicherheit sind für die aktuellen Entwicklungen in Zentralasien von zentraler Bedeutung.

Wichtig ist, darauf hinzuweisen, dass das Internationale Institut eine unabhängige Forschungseinrichtung ist, die den Prinzipien von wissenschaftlicher Objektivität, Zuverlässigkeit und Relevanz verpflichtet ist.

Unserem Institut sind große Aufgaben anvertraut worden, um den Austausch zwischen den zentralasiatischen Staaten zu stärken und weiterzuentwickeln.

2. Mit welchen Partnern arbeitet das Internationale Institut zusammen?

Als staatliche Forschungseinrichtung mit einem internationalen Status ist unser Institut darauf ausgerichtet, einen engen Austausch zwischen nationalen und internationalen Wissenschaftszentren und Wissenschaftler:innen, internationalen Organisationen und dem Privatsektor zu ermöglichen.

Um die notwendige Objektivität und Unparteilichkeit zu gewährleisten, arbeitet das Internationale Institut eng mit Repräsentant:innen des öffentlichen und privaten Sektors, zivilgesellschaftlichen Akteur:innen und namhaften usbekischen Wissenschaftler:innen und Expert:innen zusammen. Dazu gehören unter anderem das Außenministerium, das Ministerium für Investitionen und Außenhandel, das Institut für Strategische und Interregionale Studien unter der Schirmherrschaft des Präsidenten der Republik Usbekistan, das Informations- und Analysezentrum für Internationale Beziehungen und das Zentrum für Ökonomische Forschung und Reformen.

Um Kontakte zu knüpfen und Kooperationen in die Wege zu leiten wurden Treffen mit Vertreter:innen der kasachischen und tadschikischen Botschaften in Usbekistan, dem Repräsentanten des UN-Regionalzentrums für Präventive Diplomatie in Zentralasien und dem Regionalbeauftragten der Konrad-Adenauer-Stiftung in Taschkent organisiert.

Wie sie wissen ist die Konrad-Adenauer-Stiftung für ihre starke Vernetzung mit führenden Think-Tanks bekannt. Vor diesem Hintergrund konnte eine Vereinbarung erzielt werden, gemeinsame Veranstaltungen, Projekte und Studien zu organisieren, die sowohl europäische Expert:innen als als auch Vertreter:innen der Länder Zentralasiens miteinbeziehen.

Während sich das Institut noch im Aufbau befindet, wollen wir vielfältige Beziehungen mit führenden Forschungseinrichtungen in und außerhalb von Zentralasien sowie den Zentralasienexpert:innen internationaler Organisationen knüpfen.

Im Augenblick ist es für das Institut von besonderer Bedeutung, führende regionale und internationale Think-Tanks im Bereich der Zentralasienforschung als Kooperationspartner:innen zu gewinnen, um mit ihnen zusammen neue Projekte zu entwickeln, die das Institut bekannter machen und seine Reichweite erhöhen können. Es ist für uns wichtig, dass unsere Arbeit wahrgenommen wird. Deshalb arbeiten wir daran, durch die Aktivitäten des Instituts auf breiter Ebene sichtbarer zu werden und Partnerschaften mit ausländischen Expert:innen aufzubauen.

Wir wollen eines der maßgeblichen Forschungsinstitute im Bereich der Zentralasienwissenschaften aufbauen, das sich aktiv an internationalen Forschungs- und Diskussionsforen beteiligt.

3. Wie bewertet das Internationale Institut das Potenzial für die weitere regionale Zusammenarbeit?

Bekanntermaßen ist Zentralasien aufgrund der wirtschaftlichen, kulturellen und humanitären Prozesse, die sich in der Region vollziehen, in den letzten Jahren vermehrt in den Fokus unterschiedlicher Fachkreise gerückt.

Immer mehr Forscher:innen, Institute, Think-Tanks und internationale Organisationen sind daran interessiert, mit Wissenschaftler:innen aus Usbekistan und anderen zentralasiatischen Ländern in Kontakt zu treten, um an gemeinsamen Forschungsprojekte zu arbeiten und Erfahrungen und Wissen auszutauschen.

Das Institut beschäftigt Fachleute, die über Erfahrung mit analytischer Arbeit in den verschiedenen, für die Region Zentralasien relevanten Feldern – Wirtschaft, Energiefragen, Ökologie, kulturelle und humanitäre Forschung – und auch mit diplomatischer Arbeit im Ausland, vor allem in anderen zentralasiatischen Ländern, verfügen.

Unser Ziel ist, eine Plattform zu schaffen, die es den Expert:innen, die mit uns zusammenarbeiten, ermöglicht, ihre Meinungen und Visionen zu aktuellen Prozessen und vielversprechenden Trends in der Region zu diskutieren.

Geplant ist die Veröffentlichung verschiedener Sammlungen von analytischen Materialien, die von Expert:innen des Internationalen Instituts und ausländischen Partner:innen erarbeitet werden. Auf unseren offiziellen Seiten in den sozialen Medien und auf unserer Internetseite werden wir täglich Nachrichten veröffentlichen und objektiv über die Länder Zentralasiens und die Entwicklungen in der Region informieren.

Gleichzeitig gehört es zu den zentralen Aufgaben des Instituts, internationale Konferenzen, Seminare, runde Tische und Meetings zu organisieren. Außerdem sollen gemeinsame Forschungsprogramme und Projekte mit ausländischen Partner:innen realisiert werden.

Deshalb soll im Juni diesen Jahres in Taschkent eine internationale Konferenz mit hochrangigen Teilnehmer:innen zum Thema »Regionale Verflechtung in Zentral- und Südasien. Herausforderungen und Chancen« stattfinden, die bereits in der Ansprache des usbekischen Präsidenten an das Parlament am 29. Dezember 2020 angekündigt wurde.

4. Mit welchen Herausforderungen ist das Internationale Institut konfrontiert?

Mit ihren unkontrollierten Informationsflüssen, der Verbreitung von Fehlinformationen und »Fake News« stellt die moderne globalisierte Welt alle Wissenschaftler:innen, Forscher:innen und Think-Tanks vor neue technologische und politische Herausforderungen.

Für das Internationale Institut ist die Objektivität seiner Forschung von hoher Bedeutung. Sie soll zur Annäherung zwischen den Ländern der Region beitragen und die Entwicklung gemeinsamer Lösungsansätze ermöglichen, welche die wechselseitigen Interessen der zentralasiatischen Staaten berücksichtigen.

Basierend auf den Prinzipien der Unabhängigkeit, Offenheit und Objektivität wird das Institut versuchen, seine verschiedenen Ansätze und Visionen weiterzuentwickeln, um die Konnektivität und Entwicklung der Region zu fördern.

Gleichzeitig sollen die Forschungsergebnisse praktische Relevanz besitzen und die Interessen der Länder in der Region berücksichtigen.

Aus dem Englischen von Armin Wolking

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