Das Jahr der Regimekonsolidierung in Kirgistan

Von Shairbek Dzhuraev (Crossroads Central Asia, Bischkek)

2021 kam der Prozess des politischen Wandels, der im Jahr zuvor in Kirgistan begonnen hatte, zu einem Abschluss. Der Sturz des amtierenden Präsidenten im Oktober 2020 hatte Entwicklungen in Gang gesetzt, welche die politische Landschaft des Landes nachhaltig verändert haben. In einem abstimmungsreichen Jahr wählte das Land sowohl einen neuen Präsidenten als auch ein neues Parlament und billigte darüber hinaus eine neue Verfassung. Zu Beginn des neuen Jahres 2022 lassen sich die jüngsten Veränderungen in drei Punkten zusammenfassen:

Erstens wurde durch die Verfassungsreform ein starker Präsidentialismus eingeführt, wodurch das Experiment des »Parlamentarismus« zu einem unrühmlichen Ende gekommen ist. Zwischen 2010 und 2020 hatten führende Politiker:innen des Landes immer wieder stolz betont, in Kirgistan eine parlamentarische Republik etablieren zu wollen. In der Praxis hatte das Land ein gemischtes System präsidial-parlamentarischer Prägung, was unter den sonst super-präsidialen Systemen in Zentralasien jedoch immer noch ein Sonderfall war. Durch das Referendum im April 2021 wurde eine neue Verfassung angenommen, die dem Parlament viele seiner bisherigen Kompetenzen entzieht, einschließlich der zur Ernennung und Kontrolle der Regierung. Der Präsident ist nun zugleich Oberhaupt von Staat und Exekutive. Das Land hat zwar weiterhin einen Premierminister, der als nun offiziell betitelter »Ministerkabinettsvorsitzender« jedoch ebenfalls nur eine untergeordnete Stellung einnimmt. Parallel zum Vorsitz des Ministerkabinetts dient der Premierminister als Leiter der Präsidialadministration, womit dieser letztlich nicht viel mehr ist als ein Spitzenbeamter im Stab des Präsidenten.

Zweitens konsolidierten die Entwicklungen von 2021 die politische Dominanz des neuen Präsidenten Sadyr Dschaparow. Der Wechsel zum Präsidialsystem formalisierte lediglich den Sieg Dschaparows. Wichtiger ist der kaum überraschende Erfolg der neuen Landesführung, sich durch die letzten Wahlen ein dem Präsidenten gegenüber möglichst »fügsames« Parlament zu schaffen. Die Parlamentswahlen im November 2021 resultierten in den üblichen Ergebnissen: drei dem Präsidenten loyal ergebene Parteien gewannen 36 der insgesamt 54 über Parteilisten vergebenen Mandate. Mit Talant Mamytow wurde außerdem ein langjähriger Verbündeter des Präsidenten zum Parlamentssprecher gewählt. Er erhielt 67 Stimmen, während sein Widersacher Adachan Madumarow lediglich auf zehn Stimmen kam. Die einzigen Oppositionsparteien, Butun Kirgistan, deren Vorsitzender Madumarow ist, und Allianz, konnten sich sechs bzw. sieben Sitze im neuen Parlament sichern. Gleichzeitig sehen sich die Parteianführer:innen von Butun Strafverfolgung von Seiten des Staates ausgesetzt (gegen Madumarow wird wegen des Verdachtes auf Verrat ermittelt, nachdem er 2009 ein umstrittenes grenzfragenbezogenes Protokoll mit Tadschikistan unterzeichnet haben soll; die Parteiaktivistin Orozaiym Narmatova wurde wegen angeblich gefälschter Universitätszertifikate vom Staatlichen Komitee für Nationale Sicherheit (GKNB) verhört).

In der Vergangenheit haben von schwacher Opposition geprägte Phasen zu Verwerfungen innerhalb der herrschenden Elite geführt. Es bleibt abzuwarten, ob das Gerüchten zufolge angespannte Verhältnis zwischen Präsident Dschaparow und seinem alten Weggefährten und aktuellem GKNB-Vorsitzenden Kamtschibek Taschijew politische Auswirkungen haben wird. Beide verfügen über loyale Parteien im Parlament. Wie sie ihre wechselseitigen Beziehungen gestalten werden, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht sagen.

Drittens wurde die Rolle politischer Parteien durch die geänderte Wahlgesetzgebung geschwächt. Sie konkurrieren nun um insgesamt 54 Parlamentssitze, während die restlichen 36 Sitze über Direktmandate in Einzelwahlkreisen vergeben werden. Das neue Gesetz hat außerdem offene Parteilisten etabliert, die den Wähler:innen ermöglichen, nicht nur für eine Partei, sondern auch für ihre bevorzugten Parteimitglieder zu stimmen. Dadurch soll der Einfluss der Wähler:innen auf bisher intransparente Parteientscheidungen erhöht werden. Trotzdem schwächt das neue Wahlgesetz, wenn auch unbeabsichtigt, die Institutionalisierung von Parteien, die in diesem Rahmen nicht mehr sind als Ad-hoc-Allianzen für um Sitze im Parlament ringende Kandiat:innen.

Kirgistan startet also mit einem starken Präsidialsystem und einem Präsidenten, der faktisch alle staatlichen Machtbereiche kontrolliert, in das neue Jahr 2022. Die Regierung hält an ihrer nationalistisch-populistischen Rhetorik fest und ist auch bereit diese in die Tat umzusetzen, wie zu sehen am Fall der Kumtor-Goldmine, die im Mai 2021 unter staatliche Kontrolle gestellt wurde. Zwar kam der Schritt bei den Wähler:innen gut an, hat Kirgistan jedoch in ein internationales Schiedsgerichtsverfahren verwickelt, während die wirtschaftlichen Implikationen der Übernahme noch unklar sind. Ähnlich unklar sind die Aussichten der großen Wirtschaftsagenda, deren von der Regierung erklärtes Ziel es ist, die Wirtschaft aus dem Schattenbereich zu holen. Angesichts der riesigen informellen Wirtschaft und der düsteren ökonomischen Lage wird dieses Ziel, so vernünftig es auch sein mag, die Regierung vor enorme Herausforderungen stellen. Die kommenden Jahre werden zeigen, was die 2021 abgeschlossene Regimetransformation gebracht hat und ob das neue politische System wirtschaftliche Erfolge aufweisen kann.

Aus dem Englischen von Armin Wolking

Zum Weiterlesen

Analyse

Präsidentschaftswahl und Referendum in Kirgistan. Zwei Schritte zurück im kirgisischen »Demokratie-Experiment«?

Von Mahabat Sadyrbek
Die kirgisische Parlamentswahl vom 4. Oktober 2020 mündete in Proteste und in den Rücktritt von Präsident Sooronbaj Dscheenbekow. Am 10. Januar fanden vorgezogene Präsidentschaftswahlen statt, 39 % der Wahlberechtigten beteiligten sich an der Abstimmung. Am selben Tag wurde per Referendum über eine mögliche neue Verfassung abgestimmt. (…)
Zum Artikel

Logo FSO
Logo DGO
Logo ZOIS
Logo DPI
Logo IAMO
Logo IOS