Quo vadis, Karakalpakstan?
Im Jahr 2000 stellte Reuel R. Hanks in einem wegweisenden Artikel die Frage »wohin Karakalpakstan?«, in welcher sich der erstarkende Autoritarismus Taschkents, die Aralseekatastrophe und die schwelenden Ansprüche Karakalpakstans auf Selbstbestimmung widerspiegelten. Damals schien die Region an einem Scheideweg zu stehen, konfrontiert mit einer Vielzahl von möglichen Wegen, aber unfähig einen Schritt nach vorne zu machen. Über Jahrzehnte hinweg war dieser ungelöste Schwebezustand der Status Quo in der Region, sowohl für Karakalpakstan als auch für Taschkent wurde er zur Normalität. Die Proteste im Juli 2022 – mit all ihren unmittelbaren tieferliegenden Ursachen – haben dieses politische Arrangement in eine tiefe Krise gestürzt und fast dessen Ende bedeutet. Nur durch massive Repressionen – die zum Zeitpunkt der Entstehung dieses Beitrags im September 2022 weiter anhalten – konnte Taschkent den Zusammenbruch des ungelösten Status Quo noch einmal aufschieben.
Die Republik Karakalpakstan ist eine Region Zentralasiens, die Außenstehenden kaum etwas sagt. Bekannt ist diese eher dünn besiedelte und hauptsächlich aus Wüste bestehende Region vor allem für die Austrocknung des Aralsees, eine menschengemachte Umweltkatastrophe, welche die jüngere Geschichte Karakalpakstans entscheidend geprägt hat. Laut der regionalen Verfassung ist Karakalpakstan eine autonome Republik, eine Form der territorialen Autonomie, die den regionalen Behörden einige Selbstverwaltungsrechte mit dem Charakter einer gewissen Eigenständigkeit gegenüber Taschkent einräumt.
Ende Juni geriet Karakalpakstan kurz in die internationalen Schlagzeilen, als in der Republik Proteste ausbrachen, die am 1. Juli 2022 ihren Höhepunkt erreichten, als sich große Menschenmengen in der karakalpakischen Hauptstadt Nukus versammelten. Unbekannt ist, wie viele Menschen genau an den Demonstrationen teilnahmen, einige Schätzungen gehen jedoch von Tausenden Teilnehmer:innen aus. Die Niederschlagung der Proteste durch die usbekische Regierung markierte das rasche Ende der Versammlungen und Demonstrationen. Am 3. Juli wurde über ganz Karakalpakstan der Ausnahmezustand verhängt, das Internet gesperrt und der Grenzschutz verstärkt. Die Medienberichterstattung wurde eingeschränkt und nur noch wenigen Reporter:innen aus dem In- und Ausland der Zugang in die Region gewährt. Eine verlässliche Untersuchung, von wem die Gewalt zuerst ausging, steht noch aus, Berichten zufolge verliefen die Proteste jedoch zunächst friedlich. Laut Angaben der usbekischen Regierung wurden über zweihundert Menschen verletzt und achtzehn weitere bei Auseinandersetzungen mit der Polizei getötet. Über fünfhundert Personen wurden während der Proteste festgenommen.
Obwohl es kaum verlässliche Informationen gibt, lässt der Ablauf der Ereignisse einen spontanen Ausbruch der Proteste vermuten. Auslöser waren von der usbekischen Regierung vorgeschlagene Verfassungsänderungen, die am 26. Juni online veröffentlicht wurden und die Teil eines von Präsident Schawkat Mirsijojew eingeleiteten Reformprozesses sind. Dieser Reformprozess war zu dem Zeitpunkt bereits seit einigen Monaten im Gang und sah mit Blick auf das Gebiet Karakalpakstan zwei wesentliche Änderungen vor: Die Aufhebung des autonomen Status sowie die Streichung des Rechts der Republik, ein eigenes Unabhängigkeitsreferendum abzuhalten. Direkt im Anschluss an die Veröffentlichung der vorgeschlagenen Verfassungsänderungen begannen sich die Proteste zu formieren.
Infolge der Proteste zog Mirsijojew seine Änderungsvorschläge zurück und versprach am 2. Juli, den autonomen Status Karakalpakstans in seiner aktuellen Form beizubehalten. Die Reaktionen der usbekischen Regierung waren jedoch wie üblich verworren. Sie veröffentlichte eine nur lückenhafte Darstellung der Ereignisse, in der nebulöse »externe Kräfte« für die Gewalt verantwortlich gemacht wurden. Demnach seien die Proteste keineswegs spontan ausgebrochen, sondern von langer Hand geplant gewesen. Ende August wurden einige der Inhaftierten in den Hausarrest überstellt, davon abgesehen wurden jedoch keine weiteren Schritte der Versöhnung unternommen.
Über eine formale autonome Selbstverwaltung verfügt Karakalpakstan seit der Sowjetzeit, ihr aktueller Status und ihre tatsächliche Funktionsweise lassen jedoch Zweifel daran aufkommen, ob die Autonomie in ihrer jetzigen Form verfassungsgemäß ist. Einerseits verfügt die Region zwar über zahlreiche Merkmale von Selbstverwaltung, etwa ein eigenes Parlament, eine eigene Verfassung und sogar eigene nationale Symbole wie Flagge und Nationalhymne. Andererseits ist allgemein bekannt, dass die regionalen Institutionen ihre Weisungen überwiegend aus Taschkent beziehen und Entscheidungen über politische Initiativen bis hin zu Personalfragen in der usbekischen Hauptstadt getroffen werden. Zudem sind die Gründe, die zur Rechtfertigung der politischen Integration Karakalpakstans in den usbekischen Staat angeführt werden, umstritten und der Umgang der Taschkenter Behörden mit dem Thema undurchsichtig. Die karakalpakische Autonomie wird deshalb von vielen als reine Augenwischerei betrachtet, die nur dazu dient, die umfassende Kontrolle zu verschleiern, die Taschkent über die Region ausübt.
Dieses Arrangement ist eigentlich schon seit Jahren nicht weiter tragbar, da es sowohl Taschkents Interesse einer flächendeckenden autoritären Konsolidierung und Herrschaftsdurchsetzung zuwiderläuft, als auch in deutlichem Gegensatz zum Wunsch der Karakalpaken nach mehr tatsächlicher Selbstverwaltung steht. Vor dem Hintergrund der zusätzlichen Belastungen durch die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Aralseekatastrophe ist die Frage »wohin Karakalpakstan?« weiterhin hochaktuell. Mögliche Hinweise, wie es mit der karakalpakischen Autonomie weitergehen könnte, liefert ein Blick in die Geschichte und auf die tieferliegenden Ursachen der Proteste.
Die Ursprünge der karakalpakischen »Staatlichkeit« von den 1920ern bis 1991
Die karakalpakische Autonomie mag auf den ersten Blick »künstlich« erscheinen, sie ist jedoch das Ergebnis eines historischen Prozesses, der im 20. Jahrhundert ganz Zentralasien betroffen hat. Der Verwaltungsstatus von Karakalpakstan als autonomer Republik stellt ein direktes Erbe der Sowjetzeit dar. In der Sowjetunion repräsentierte die Autonomie einen Status, der Territorien zuerkannt wurde, wenn in diesen ethnische oder nationale Minderheiten von bedeutender Bevölkerungszahl lebten. Diese Minderheiten wurden zu »Titularnationen« der jeweiligen Gebiete erklärt, die wiederum als ihre »Heimatländer« definiert wurden. Im Fall Karakalpakstans handelt es sich um die karakalpakische Minderheit, eine hauptsächlich südlich des Aralseebeckens lebende Bevölkerungsgruppe, die eine kiptschakische Turksprache spricht, die näher mit dem Kasachischen als dem Usbekischen verwandt ist. Da in Karakalpakstan zudem auch viele Kasach:innen leben, stellen ethnische Usbek:innen in der Region insgesamt nur eine Minderheit dar.
Auf dem Papier gab der Autonomiestatus der regionalen Regierung vor allem in den Bereichen Kultur und Bildung einen größeren Spielraum für eigene Entscheidungen ohne die Interferenz Moskaus. Als Grundlage dieser zusätzlichen Kompetenzen diente das Selbstbestimmungsrecht der Völker, das einen gewissen Schutz von Minderheiten verbrieft und auf das sich die Bolschewiki beriefen, als sie die territorial-administrative Struktur der Sowjetunion nach dem Prinzip der Delimitation von nationalen Republiken, autonomen Republiken und Gebieten nationaler Minderheiten gliederten. Im Gegensatz zu den Unionsrepubliken (z. B. der Ukrainischen SSR oder der Usbekischen SSR) galten diese autonomen Territorien jedoch nicht als souverän und waren administrativ den jeweiligen Unionsrepubliken unterstellt.
Unter der deklarativen Oberfläche sah die Realität jedoch anders aus, da der vor allem kulturell verstandene Autonomiestatus nicht das politische Monopol der Kommunistischen Partei berührte. Zudem wurden die Konzepte von »Titularnationen« und »Heimatländern« den komplexen sozialen Gegebenheiten vor Ort häufig nicht gerecht und führten wiederkehrend zur Benachteiligung von Bevölkerungsgruppen, die nicht der »Titularnation« des jeweiligen administrativen Territoriums angehörten. Vor dem Beginn der sowjetischen Herrschaft war das Gebiet der späteren autonomen Republik Karakalpakstan Teil des Khanats von Chiwa, einem nicht nach nationalen sondern dynastischen Prinzipien organisiertem Staat, in dem sich die soziale Rolle der Ethnizität komplexeren informellen Geflechten von Loyalität, Patronage und Gegenseitigkeit unterordnete, zumal es wie im Rest Zentralasiens noch keine klare Abgrenzung zwischen den verschiedenen ethnischen (und später »nationalen«) Gruppen gab. Die soziopolitischen Kategorien von Nation und Nationalität wurden erst mit der bolschewikischen Machtübernahme eingeführt und im Rahmen der sowjetischen Herrschaft wirkmächtig durchgesetzt, wobei es sich um einen Prozess gehandelt hat, der die Region bis heute prägt. Ungeachtet der vielen Transformationen seit der Unabhängigkeit Usbekistans 1991 hielten Taschkent und Nukus weiterhin an zentralen Aspekten der damaligen sowjetischen Nationalitätenpolitik und einer ihren wichtigsten Institutionen, der territorialen Autonomie, fest.
In Zentralasien gibt es heute nur noch zwei autonome Regionen (die zweite ist Berg-Badachschan in Tadschikistan), allerdings besaßen fast alle Verwaltungseinheiten der Region in der Sowjetzeit zu irgendeinem Zeitpunkt den Status nicht-souveräner, autonomer Territorien. Zu Beginn der Sowjetherrschaft war ein großer Teil Zentralasiens politisch in die Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik (RSFSR) eingegliedert. Bis 1924 gehörte der Großteil des karakalpakischen Territoriums zum sozialistischen Nachfolgestaat des Khanates von Chiwa, der Choresmischen Sowjetischen Volksrepublik, deren Staatsgebiet im Zuge der national-territorialen Delimitation Zentralasiens zwischen der Turkmenischen SSR, der Usbekischen SSR und der neugeschaffenen Karakalpakischen Autonomen Oblast aufgeteilt wurde. Die Karakalpakische Autonome Oblast war wiederum Teil der Kasachischen Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik, die ihrerseits Teil der RSFSR war. Im Jahr 1932 wurde Karakalpakstan von einer autonomen Oblast zu einer autonomen Republik hochgestuft. Ab da an bildeten sich die Grenzen des heutigen Zentralasiens heraus. Nachdem sich die kasachischen und usbekischen Sowjetbehörden eine Zeit lang um die administrative Zugehörigkeit Karakalpakstans gestritten hatten, konnte sich 1936 schließlich die usbekische Seite durchsetzen und die Region wurde Teil der Usbekischen SSR, während Kasachstan (wie auch Kirgistan) dafür als fortan eigene Unionsrepublik aus der RSFSR ausgegliedert wurde. Bis zur Perestroikazeit schien der Status Karakalpakstans damit weitestgehend geklärt.
Karakalpakstans schwierige Übergangszeit
Heute, dreißig Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, sind zahlreiche Quellen zur Geschichte Karakalpakstans auf Karakalpakisch, Usbekisch, Russisch und in anderen Sprachen verfügbar. Unter anderem wurden in Nukus und Taschkent eine Reihe Bücher zur Geschichte der Region veröffentlicht, die bisher vernachlässigte historische und politische Aspekte beleuchten und wichtige Informationslücken füllen. Nichtsdestotrotz sind die Entwicklungen der frühen 1990er Jahre immer noch viel zu wenig erforscht und Wissenschaftler:innen können nur auf wenige verlässliche Primär- oder Sekundärquellen zurückgreifen. Dabei ist diese historische Periode von entscheidender Bedeutung, da damals das politische Arrangement entstand, das Karakalpakstans Schicksal bis heute bestimmt. Offizielle Darstellungen aus Taschkent lassen diesen Zeitraum entweder komplett aus oder stützen sich auf eine Version der Entwicklungen, die Taschkent und nicht Nukus in den Mittelpunkt stellt.
Auch wenn die Region rasch begann, ihren eigenen Weg einzuschlagen, glich die politische Situation in Karakalpakstan zu Beginn der 1990er Jahre der in anderen Teilen der späten Sowjetunion. Während der Perestroikajahre entstanden in der gesamten Sowjetunion politische Bewegungen nationaler Minderheiten, die einen verbesserten Status ihrer Heimatländer bis hin zur Unabhängigkeit forderten. In Karakalpakstan wurde die politische Mobilisierung während der Perestroikazeit durch einen wachsenden Unmut über eine fehlende echte Autonomie und die Folgen der Aralseekatastrophe genährt. Am 14. Dezember 1990 verabschiedete der Oberste Sowjet von Karakalpakstan eine Souveränitätserklärung, die den Grundstein für eine tatsächliche karakalpakische Selbstverwaltung und möglicherweise sogar die Unabhängigkeit von Moskau und Taschkent legen sollte. Was genau in der Zeit zwischen der Souveränitätserklärung von 1990 und der Wiedereingliederung Karakalpakstans in den usbekischen Staat 1993 passierte, ist heute leider nur schwer rekonstruierbar, die Quellenlage lässt lediglich eine spekulative Sicht auf die Abfolge der Entwicklungen zwischen 1990 und 1993 zu.
Anstelle des vorherigen parlamentarischen Regierungssystems führte Karakalpakstan 1991 ein Präsidialsystem ein. Dauletbaj Schamschetow – der damalige Vorsitzende der Partei Khalyk Mapi (Volkswille) – wurde zum ersten Präsidenten der Republik Karakalpakstan gewählt, wobei an dieser Stelle keine Aussage darüber gemacht werden kann, wie er die Regierungsführung während seiner Amtszeit gestaltete. Im Februar 1992, kurz bevor Karakalpakstan wieder Teil Usbekistans wurde, trat er zurück. Was der Wiedereingliederung kurz darauf genau vorausging bleibt bis heute ein Mysterium. Einigen Darstellungen zufolge machte sich der usbekische Präsident Islam Karimow informelle Kanäle zunutze, um Schamschetow abzusetzen. Andere betonen die Konflikte und Zerwürfnisse innerhalb der karakalpakischen Eliten, was schließlich denjenigen Kräften zugutegekommen sei, die sich für eine Wiedereingliederung der Region in den usbekischen Staat aussprachen. Auch wenn offen bleiben muss, was genau passiert ist – das Ergebnis ist bekannt: 1993 stimmte die karakalpakische Regierung einer Wiedereingliederung in die Republik Usbekistan zu, allerdings unter der Bedingung, dass nach 20 Jahren ein Unabhängigkeitsreferendum abgehalten würde (manche Stimmen behaupten, die Bedingung war kein »Referendum in 20 Jahren« sondern »irgendwann nach 20 Jahren«). Da nie ein offizielles Dokument veröffentlicht wurde, sind die genauen Bedingungen des Abkommens bis heute unbekannt. Es wird sogar spekuliert, dass es ein solches Dokument nie gegeben hat und es sich bei dem Abkommen lediglich um eine mündliche Absprache zwischen Karimow und der karakalpakischen Verhandlungsseite gehandelt habe. Das vereinbarte Referendum hat nie stattgefunden.
In den 30 Jahren seit der Unabhängigkeit Usbekistans ist die Unzufriedenheit der karakalpakischen Bevölkerung gewachsen und die Aralseekatastrophe hat Jahrzehnte sozialer und wirtschaftlicher Verwerfungen zur Folge gehabt. Vor dem Hintergrund von Desertifikation und Wasserverknappung sind die Tuberkuloseraten in der Region massiv in die Höhe geschossen. Während Karimows Herrschaft wurde die Region durchgehend vernachlässigt und ihre Probleme größtenteils ignoriert. Karakalpakstan hat sich zwar bis heute die kulturelle Eigenständigkeit bewahrt (die karakalpakische Sprache wird nicht nur unterrichtet sondern ist als Alltagssprache auch weit verbreitet), dies bedeutet jedoch nicht, dass sich die Region auch tatsächlich selber verwaltet. Das Regierungskabinett in Nukus wird von Mitgliedern nationaler Parteien dominiert während regionale karakalpakische Parteien keine Rolle spielen. Ein Großteil der karakalpakischen Opposition befindet sich im Exil. Hinzu kommt der schwerwiegende Vorwurf, dass die usbekische Regierung gezielt den Umzug ethnischer Usbek:innen nach Karakalpakstan fördere, um das demografische Gleichgewicht durch assimilatorische Maßnahmen zugunsten einer von Taschkent bevorzugten Bevölkerungszusammensetzung zu verändern. Es existieren keine verlässlichen Umfragewerte darüber, wie viele Menschen in der Region für eine Unabhängigkeit Karakalpakstans sind, einige anekdotische Evidenzen lassen jedoch auf eine hohe Zustimmung schließen. Unzufriedenheit und Missstände bilden den Hintergrund der Proteste im Juli 2022 und werden den Widerstand gegen Taschkent auch in Zukunft weiter anfachen.
Karakalpakstan zwischen Eigenständigkeit und nationaler Zugehörigkeit
Trotz Wiedereingliederung Karakalpakstans 1993 wurde der verfassungsrechtliche Status der Region innerhalb Usbekistans nicht endgültig geklärt. Das verpasste Referendum im Jahr 2013 und das Vorhaben der usbekischen Regierung, das in der Verfassung verankerte Recht auf ein Referendum über die Unabhängigkeit Karakalpakstans zu streichen, haben aus einem latenten Konflikt eine offene Krise gemacht. Ziel von Mirsijojews Verfassungsprojekt ist es schließlich, seine Macht über alle Teile Usbekistans zu konsolidieren, weshalb er die »Karakalpakstanfrage« am liebsten durch eine vollständige Integration der Region in die politische und bürokratische Verwaltungsstruktur Usbekistans lösen würde. Die Einwohner:innen Karakalpakstans haben jedoch gezeigt, dass sie bereit sind, ihre Autonomie und ihr Recht auf Sezession zu verteidigen, auch wenn beides bisher nur auf dem Papier existiert.
Zum Entstehungszeitpunkt des Beitrags im September 2022 hat der Konflikt eine Pattsituation erreicht. Unter diesen Umständen werden sich wohl keine neuen Möglichkeiten mehr auftun, das bisherige politische Arrangement, das darauf beruhte, den Status Karakalpakstans über Jahrzehnte hinweg in der Schwebe zu halten, doch noch langfristig beizubehalten. Da die meisten Probleme in der Region bestehen bleiben, werden die Menschen sich wahrscheinlich auch in Zukunft versammeln, um ihre Autonomie und vor allem die Möglichkeit, sie eines Tages auch tatsächlich verwirklichen zu können, weiter zu verteidigen. Für Mirsijojews Ambitionen, unumschränkte Macht über das gesamte usbekische Staatsgebiet herzustellen, wird der autonome Status Karakalpakstans eine schwer zu überwindende Hürde bleiben.
Aus dem Englischen von Armin Wolking
Die Republik Karakalpakstan