Russlands Krieg gegen die Ukraine und Moskaus anhaltender Einfluss in Kasachstan

Von Dana Masalimova (Harvard University)

Seit Russlands vollumfänglicher Invasion in die Ukraine im Februar 2022 haben internationale Medien einen vermeintlichen Rückgang des russischen Einflusses in Zentralasien konstatiert. Jedoch übt Moskau in Zentralasien über eine Reihe von Druckmitteln weiterhin beträchtlichen politischen und wirtschaftlichen Einfluss aus. Im Jahr 2023 gab es zahlreiche Treffen zwischen Wladimir Putin und seinen zentralasiatischen Amtskollegen, weshalb alles Business as usual zu sein schien. Schließlich standen am 9. Mai 2023 die Präsidenten aller fünf zentralasiatischen Staaten bei der Parade zum sowjetischen Sieg im Zweiten Weltkrieg zusammen mit Putin am Roten Platz, was ihre anhaltenden Verbindungen zu Moskau und Russlands weiterhin starken Einfluss in der Region demonstrierte.

Aufgrund seiner mannigfaltigen wirtschaftlichen und geoökonomischen Abhängigkeiten von Russland ist Kasachstan in einem hohen Maße von Russlands Krieg in der Ukraine betroffen und mit entsprechenden Herausforderungen konfrontiert. Der Beitrag skizziert einen Überblick über die maßgeblichen Faktoren und die sich entwickelnde Dynamik von Russlands anhaltendem Einfluss in Kasachstan.

Kriegsbedingte Inflation

Seit seinem Einmarsch in die Ukraine hat Moskau das Finanzsystem von Kasachstan genutzt, um die westlichen Sanktionen zu umgehen und den nicht mehr frei konvertierbaren Rubel in US-Dollar umzutauschen. In der Folge wurde der kasachstanische Devisenmarkt mit Rubeln überschwemmt. Der Rubel-Zustrom nach Kasachstan hat die Inflation im Jahr 2022 auf über 20 Prozent hochschnellen lassen und lag 2023 noch bei 9,8 Prozent. Damit hat Kasachstan die höchste Inflation unter den Ländern der Eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU).

Kasachstan ist stark von Importen abhängig, weshalb Astana markteingreifende Maßnahmen erlassen hat, um die Preissteigerungen zu bremsen. Dies umfasste ein Exportverbot bestimmter landwirtschaftlicher Produkte und die Stärkung des Tenge-Wechselkurses durch Transferzahlungen aus dem Nationalen Wohlstandsfonds. Dadurch konnte die galoppierende Inflation zwar etwas gebremst werden, doch hat der künstlich gestärkte Tenge auch Exporte verteuert. Positiverweise hat das auch zu einer Reduzierung des Geschäftes mit dem Re-Export von Gütern aus der EU und China nach Russland geführt.

Ein weiterer Inflationstreiber war der Anstieg der Mietpreise in den Städten Kasachstans, nachdem Hunderttausende Menschen im Zuge des Überfalls auf die Ukraine aus Russland nach Zentralasien geflohen sind. Die Mobilmachung in Russland im September 2022 löste eine weitere Migrationsbewegung aus Russland nach Zentralasien aus, was zu einem landesweiten Anstieg der Mietpreise um 54,2 Prozent geführt hat, wobei die Mieten in Almaty (89,7 Prozent), Karaganda (64,2 Prozent) und Kostanai (58,5 Prozent) regelrecht explodiert sind. Zwar gingen die Mietpreise im Januar 2024 wieder zurück, bleiben mit 135 Prozent des Vorkriegsniveaus aber deutlich erhöht und verstärken weiter die Inflation.

Angesichts des beträchtlichen Rückgangs der Steuereinnahmen für den Haushalt im ersten Quartal 2024, steigenden Mietpreisen und Betriebskosten, hohen Staatsausgaben sowie der Unklarheit über die durch die Flut im April verursachten Schäden, werden Inflationsdruck und steigende Lebenshaltungskosten wohl anhalten. Die wachsende Abhängigkeit des Tenge-Wechselkurses von Transferzahlungen aus dem Nationalen Wohlstandsfonds erhöht vor dem Hintergrund der rohstoffabhängigen Wirtschaft das Risiko einer plötzlichen Währungsentwertung.

Russlands wachsende wirtschaftliche Präsenz in Kasachstan

Seit Kriegsbeginn hat die Registrierung russischer Unternehmen in Kasachstan rasant zugenommen. Laut Nationalem Statistikamt hat sich die Zahl russischer Unternehmen im Land zwischen Januar 2022 und Januar 2024 verdoppelt und steigt weiterhin. Während es im Januar 2022 11.515 waren, stieg die Zahl bis Januar 2023 auf 18.906 und 23.009 im Januar 2024. Im April 2024 lag die Zahl bereits bei 23.321. Unternehmen in russischem Besitz machen in Kasachstan jetzt 41 Prozent aller Unternehmen in ausländischem Besitz aus. Besonders bemerkenswert ist die Expansion russischer Unternehmen im kasachstanischen IT-Sektor, der ein unglaubliches Wachstum von 305 Prozent erlebt hat. Dieser Trend könnte durch die jüngste, kontrovers diskutierte Entscheidung der kasachstanischen Regierung weiter verstärkt werden. Hierbei sollen Ausländer durch einen digitalen Dienst direkt bei diplomatischen Auslandsvertretungen Kasachstans einen Antrag auf eine Individuelle Identifikationsnummer (IIN) stellen können. Im Rahmen des Pilotprojektes, das bis Ende 2024 laufen soll, können Ausländer schon jetzt eine IIN beantragen und erhalten, ohne dafür physisch in Kasachstan sein zu müssen. Dadurch wird russischen Staatsbürgern und anderen Ausländern der Weg dafür geebnet, aus dem Ausland kasachstanische Bankkonten zu eröffnen, Unternehmen in Kasachstan zu registrieren und die modernen Dienste der elektronischen Verwaltung des Landes für ihre Zwecke zu nutzen.

Laut Wirtschaftstheorie führt die Zunahme von Unternehmen in ausländischem Besitz zu mehr Investitionen in einem Land. Im Fall von Kasachstan zeichnet die Statistik der Zentralbank jedoch ein anderes Bild. Zwar ist Russland in der Tat einer der wichtigsten Investoren in Kasachstan, die russischen Nettodirektinvestitionen betragen mit gerade einmal 0,6 Milliarden US-Dollar aber weit weniger als jene der Vereinigten Staaten mit 2,2 Milliarden US-Dollar. Bemerkenswerterweise war Russland 2023 auch eine der wichtigsten Destinationen für Nettogeldabflüsse aus Kasachstan, mit einem verblüffenden Anstieg von 767 Prozent (von 158,6 Mio. US-Dollar im Jahr 2021 auf 1,4 Mrd. US-Dollar im Jahr 2023). Dieser Trend versieht die Aussagekraft der absoluten Zahlen zu russischen Direktinvestitionen in Kasachstan mit einem großen Fragezeichen.

Noch bedeutender – und angesichts der damit verbundenen geopolitischen Risiken auch besorgniserregender – ist die aggressive Ausweitung der Präsenz russischer Großunternehmen in wichtigen Sektoren der kasachstanischen Wirtschaft:

  • Stromversorger: Kasachstan verfügt über keine flexiblen Kapazitäten zur Stromerzeugung und ist stark auf den gemeinsamen Betrieb des seit der Sowjetzeit mit Russland geteilten Stromnetzes angewiesen. Dieser Umstand gibt dem Kreml ein Druckmittel gegenüber Astana, da Moskau im gesamten westlichen Kasachstan das Licht ausschalten könnte. Im April 2024 hat Astana mit dem russischen Unternehmen »Inter RAO – Export« ein Abkommen über den Bau von drei neuen Wärmekraftwerken geschlossen. Damit wächst Kasachstans Abhängigkeit von Russland weiter und untergräbt die restlichen Bemühungen für eine Diversifizierung und Dekarbonisierung des Energie- und Stromsektors.
  • Phosphat-Abbau: Kasachstan ist der weltweit zweitgrößte Phosphatproduzent hinter Vietnam. Anfang 2022 hat Astana ein Abkommen mit Moskau über den Bau einer Düngemittelfabrik durch den schweizer Konzern EuroChem ratifiziert; EuroChem befand sich bis März 2022 zu 90 Prozent in Besitz des russischen Oligarchen Andrei Melnitschenko. Nachdem Melnitschenko auf die westliche Sanktionsliste gesetzt wurde, hat er seine Anteile an dem Konzern veräußert. Dennoch exportiert EuroChem weiterhin Phosphatmehl zur dortigen Verarbeitung nach Russland, was Fragen zur Integrität des Unternehmens aufwirft.
  • Erdöl: Der russische Mineralölkonzern Lukoil besitzt Anteile an den kasachstanischen Ölfeldern Tengis und Korolewskoje, dem Gaskondensatfeld Karatschaganak und dem Caspian Pipeline Consortium (CPC), das die Erdölpipeline zwischen dem Tengis-Feld und der russischen Hafenstadt Noworossijsk am Schwarzen Meer betreibt. Obwohl die Vereinigten Staaten Lukoil bereits nach der russischen Annexion der Krim 2014 teilsanktioniert haben, ist der Konzern weiterhin an Offshore-Explorations- und Entwicklungsprojekten in Kasachstan beteiligt. Seit Kriegsbeginn hat Lukoil neue Verträge mit Astana unterzeichnet, u. a. über eine Reduzierung der Steuerabgaben sowie der Gewährung eines jeweiligen Anteils von 50 Prozent und Mineralienrechten an den Ölfeldern Kalamkas-Sea, Khazar und Auezov im Kaspischen Meer. Tatneft ist ein weiterer in Kasachstan aktiver Mineralölkonzern aus Russland. Im Februar 2024 hat der kasachstanische Konzern KazMunaiGaz Tatneft im Rahmen einer Eigentümerfinanzierung 50 Prozent der Anteile am Erdöl- und Erdgasblock Karaton-Sarkamys im Gebiet Atyrau verkauft.

Im März 2024 billigte der Senat Änderungen des Abkommens über den Transport von russischem Öl via Kasachstan nach China und verlängerte es um weitere zehn Jahre, mit einem festen Transittarif von mageren 2,1 US-Dollar pro Tonne. Dies ist deutlich niedriger als die Gebühren, die Russland von Kasachstan für den Transit von kasachischem Öl verlangt: 19 US-Dollar über Atyrau–Samara–Adamowo–Zastawa, 16 US-Dollar über Atyrau–Samara–Ust-Luga, 15 US-Dollar über Atyrau–Samara–Scheskharis und 38 US-Dollar über die Kaspische Pipeline des CPC. Diese erheblichen Unterschiede bei den Transitgebühren deuten darauf hin, dass Kasachstan erhebliche Einnahmen entgehen und möglicherweise seine eigenen Ölexporte weniger wettbewerbsfähig macht.

  • Gas: Trotz reicher Erdgasvorkommen sieht sich Kasachstan gewaltigen Herausforderungen gegenüber, weiter die Nachfrage im Land zu befriedigen und gleichzeitig eigene Exportverpflichtungen gegenüber China erfüllen zu können. Die Ursache hierfür sind die begrenzten Verarbeitungskapazitäten, weshalb Kasachstan weiterhin Erdgas zur Weiterverarbeitung in die Gasraffinerie im russischen Orenburg liefert. Aufgrund der harten Winter in den Jahren 2022 und 2023 gab es einen starken Anstieg beim Inlandsverbrauch, was zu Engpässen bei den Gasexporten nach China geführt hat. Die Regierung ist seitdem gezwungen, russisches Gas zu importieren, um die eigenen Exportverpflichtungen gegenüber China weiter erfüllen zu können. 2023 hat Astana mit Gazprom einen befristeten Vertrag über den Import von zwei Milliarden Kubikmetern Erdgas unterzeichnet. Die Gespräche zwischen Astana und Moskau über ein verbindliches Abkommen mit 15 Jahren Laufzeit dauern derweil an. Außerdem hat Gazprom in die Umkehrung der Pumprichtung der Zentrum–Zentralasien-Pipeline investiert, um Usbekistan, das ähnliche Energieprobleme wie Kasachstan hat, via Kasachstan mit Erdgas beliefern zu können; Usbekistan hat im Oktober 2023 mit dem Import von russischem Erdgas begonnen. Diese bestehende Abhängigkeit von Russland bei der Gasverarbeitung und die wachsende Abhängigkeit von Gasimporten bedeuten für Kasachstan ein erhöhtes Maß an Vulnerabilität, angesichts von Moskaus Neigung, Energie als geopolitisches Druckmittel einzusetzen.
  • Uran: Der russische Atomkonzern Rosatom genießt traditionell erheblichen Einfluss auf die Uranindustrie Kasachstans. Der Konzern hält beträchtliche Anteile an verschiedenen Urangesellschaften und -minen, unter anderem 70 Prozent an der Southern Mining & Chemical Company, 50 Prozent an Karatau und Akbastau, 30 Prozent an Khorasan-U und 4,67 Prozent an Saretschnoje. Anfang 2023 gab es eine große Überraschung, nachdem öffentlich bekannt wurde, dass Rosatom zu 100 Prozent das Stepnogorsk Mining and Chemical Plant übernommen hat und sich dazu noch einen erheblichen Anteil von 49 Prozent an der Budenowskoje-Mine sichern konnte.
Fazit

Das skizzierte Ausmaß der wirtschaftlichen Abhängigkeit und die Anfälligkeit der CPC-Pipeline für die Launen des Kremls sind eine Herausforderung für Kasachstans politische Souveränität. Russlands strategische Hinwendung nach Asien vertieft die bestehenden Abhängigkeiten und macht Kasachstan zu einer wichtigen Transit- und Pufferzone in der Region. Auch wenn der kasachstanische Präsident Russland und den Westen weiterhin gegeneinander ausbalanciert, werden die geopolitischen Langzeitfolgen von Russlands Krieg gegen die Ukraine Astana wirtschaftlich noch enger an Moskau binden. Die Stärkung der Souveränität des Landes hängt maßgeblich von der Frage ab, ob die Regierung mehr Investoren jenseits von Russland anziehen kann und währenddessen weiter die Wirtschaft, Handelspartner und Transportwege diversifiziert.

Aus dem Englischen von Hartmut Schröder

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