Einleitung: Territoriale Ordnung im frühen sowjetischen Zentralasien
Die komplexe administrative Aufteilung des heutigen Ferganatals zwischen den drei Republiken Kirgistan, Tadschikistan und Usbekistan ist das Ergebnis einer historischen Aushandlung der Frage, nach welchen Kriterien das frühe sowjetische Zentralasien territorial organisiert werden soll. Nach intensiven Debatten konnte sich im Jahr 1924 ein Lager politischer Akteure mit ihrem Ziel durchsetzen, in der Region eine Verwaltungsstruktur mit national definierten Republiken zu implementieren. Noch während des russischen Bürgerkriegs (1917–1922) und in den Jahren unmittelbar danach blieb die vom Russländischen Reich etablierte Territorialordnung Zentralasiens im Kern bestehen – nun jedoch unter sowjetischer Herrschaft. So wurde etwa aus dem ehemaligen Protektorat des Emirates von Buchara die Volkssowjetrepublik Buchara und aus dem Generalgouvernement Turkestan die Autonome Sozialistische Sowjetrepublik Turkestan (im Folgenden: Turkestanische ASSR). Taschkent blieb auch in der frühen sowjetischen Ära das administrative Zentrum der Region und war sowohl Hauptsitz der Kommunistischen Partei Turkestans als auch des Zentralasienbüros vom Zentralkomitee der Russländischen Kommunistischen Partei. Laut der Volkszählung von 1926 lebten zu diesem Zeitpunkt rund 14 Millionen Menschen in der Region, d. h. etwas mehr als neun Prozent der Gesamtbevölkerung des jungen Sowjetstaates. Das bevölkerungsreiche Ferganatal mit seinen großen Agrarflächen für die Baumwollproduktion war dabei ein wirtschaftliches und demografisches Zentrum der Region.
Während sich nationale Kriterien für die Organisation von politischen Gemeinschaften in Osteuropa bereits seit dem 19. Jahrhundert herausgebildet hatten, war die Idee der Nation in Zentralasien am Anfang des 20. Jahrhunderts noch kaum verbreitet. Auch waren bolschewikische Organisationen wie Gewerkschaften oder Arbeiter- und Soldatenräte unter der muslimischen Bevölkerung kaum verbreitet. Daher kooptierte die Parteiführung seit 1919 vor allem Vertreter von progressiven Strömungen, wie der muslimischen Reformbewegung der Dschadiden, als Funktionäre in den Partei- und Staatsapparat. Obwohl die Bolschewiki, wie überall auf dem Gebiet des ehemaligen Russländischen Reiches, unter der einheimischen Bevölkerung kaum Anhänger hatten, waren sie später maßgeblich an der Schaffung von national definierten Republiken beteiligt. Insbesondere lokale Parteieliten wie Fajzulla Chodschajew, Vorsitzender des Rates der Volkskommissare der Volkssowjetrepublik Buchara, sahen in der Nationalitätenfrage eine Möglichkeit, ihre eigene Machtbasis zu erweitern. Sie setzten sich daher aktiv für eine politisch-administrative Teilung der Region nach nationalen Kriterien ein. Neben diesen lokalen Befürwortern einer national-territorialen Aufteilung der Region gab es unter den zentralasiatischen Kommunisten jedoch auch Kritiker dieser Idee. Dazu zählten u. a. Turar Ryskulow, Vorsitzender des Rates der Volkskommissare der Turkestanischen ASSR zwischen 1922 und 1924, sowie Sultanbek Chodschanow, Volkskommissar für Bildung der Turkestanischen ASSR. Sie plädierten für die Schaffung einer zentralasiatischen Föderation nach dem Vorbild der Transkaukasischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (TSFSR). Beide Lager teilten jedoch die Befürchtung, dass die Schaffung von nationalen Republiken angesichts von intraregionalen Abhängigkeiten, vor allem bei der Wasserversorgung, die Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung der Region gefährden könnte. Aus diesem Grund wurde bei der Delimitation von nationalen Territorien bewusst darauf geachtet, dass deren Grenzen mit den wirtschaftlichen territorialen Einheiten der Region übereinstimmen. Die komplexe politische Geographie im heutigen Ferganatal ist ein Erbe von diesem territorialen Ordnungsprinzip des frühen Sowjetstaates.
Nach dem Beschluss zur national-territorialen Aufteilung der Region wurden zwischen 1924 und 1936 die fünf zentralasiatischen Sowjetrepubliken und damit die Vorläufer der heute unabhängigen Staaten der Region geschaffen. 1924 wurde die Unionsrepublik Usbekistan und 1925 die Unionsrepublik Turkmenistan gegründet. Die Usbekische SSR bekam Taschkent, Hauptstadt war jedoch zunächst Samarkand, bevor Taschkent 1930 dann zur Hauptstadt ernannt wurde. Tadschikistan wurde 1924 zunächst als autonome Teilrepublik der Usbekischen SSR gegründet, 1929 jedoch aus dieser ausgegliedert und zur Unionsrepublik hochgestuft. Kasachstan ist aus dem ehemaligen Generalgouvernement der Steppe hervorgegangen und wurde bereits 1920 als »Kirgisische ASSR« (1925 in Kasachische ASSR umbenannt) innerhalb der Russischen Sozialistischen Föderativen Sowjetrepublik (RSFSR) gegründet und 1936 zur Unionsrepublik hochgestuft. Kirgistan wurde 1924 als Kara-Kirgisisches Autonomes Gebiet innerhalb der Kirgisischen ASSR (Kasachischen ASSR) gegründet, dann 1926 zu einer autonomen Republik innerhalb der RSFSR und 1936 zur Unionsrepublik hochgestuft. Karakalpakstan wurde 1925 ebenfalls als autonomes Gebiet innerhalb der Kirgisischen ASSR (Kasachischen ASSR) gegründet und 1932 zur autonomen Republik innerhalb der RSFSR hochgestuft. 1936 hat die RSFSR die Karakalpakische ASSR an die Usbekische SSR abgetreten. Karakalpakstan blieb die einzige ASSR in Zentralasien, die nie zu einer eigenen Unionsrepublik hochgestuft wurde. Bis heute ist die Republik Karakalpakstan Teil von Usbekistan.
Lokale Eliten und die Frage der Nation in Zentralasien
Die Staats- und Parteiführung in Moskau war in der Frage der territorialen Neuordnung Zentralasiens lange ambivalent, jedoch bildeten Befürworter einer nationalen Aufteilung ab Frühjahr 1924 sowohl in Moskau als auch in Taschkent eine Mehrheit. Moskau verzichtete dabei auf detaillierte Vorgaben und verlangte lediglich, dass jeweils eine usbekische, eine turkmenische, eine kirgisische, eine kasachische, eine tadschikische und eine karakalpakische Territorialeinheit gegründet werden solle.
Für die Umsetzung der national-territorialen Aufteilung Zentralasiens und die Delimitation von nationalen Republiken hat die Moskauer Parteiführung ein Komitee lokaler Bolschewiki eingesetzt. Bei ihren Komiteesitzungen im Spätsommer 1924 in Taschkent wurde nicht nur heftig über die territoriale Zukunft des Ferganatals gestritten, sondern ebenso über die Bedeutung und Definition ethnischer Begriffe, die der Frage nach der Delimitation von nationalen Grenzen zugrunde lagen. Während nämlich Begriffe wie usbekisch oder kirgisisch in den Entscheidungen der Parteiführung klar definiert zu sein schienen, stellten sie für die tatsächliche Umsetzung solcher Entscheidungen eine große Herausforderung dar. Anders als es offizielle Dokumente suggerieren, war der Begriffsinhalt von Ethnonymen im frühen sowjetischen Zentralasien noch fluide. In einigen Fällen verwiesen Ethnonyme auf jene sozioökonomischen oder humangeographischen Bevölkerungsmerkmale, von denen sie abgeleitet wurden. So wurden Kirgisen und Kasachen vor 1925 noch nicht wie heute in rein ethnisch-nationaler Hinsicht unterschieden. Stattdessen nutzten sowjetische Institutionen kirgizy als Oberbegriff zur Denomination von nomadischen Pastoralisten der Steppe (heute: Kasachen) sowie semi-nomadischen Pastoralisten der Berge (heute: Kirgisen). Erst als kirgisische Parteieliten in den frühen 1920er Jahren damit anfingen, sich im Rahmen der sowjetischen Nationalitätenpolitik als eigene ethnische Gruppe deutlich von den Kasachen abzugrenzen, wurden zur stärkeren Unterscheidung in der sowjetischen Verwaltungspraxis neue offizielle Begriffe, wie kirgiz-kaisaki (heute: Kasachen) oder kara-kirgizy bzw. dikokamennye kirgizy (heute: Kirgisen), eingeführt. Eine administrativ eindeutige Unterscheidung zwischen Kirgisen und Kasachen (wie auch zwischen Usbeken und Tadschiken) kristallisierte sich jedoch erst nach der national-territorialen Aufteilung ab 1924 voll heraus.
Eng verbunden mit dieser Debatte war auch die Frage nach der Bedeutung der ethnischen Kategorie uzbek, für deren Definitionsfindung erneut sozioökonomische oder religiöse Bevölkerungsmerkmale mobilisiert wurden. Für die Unterstützer einer nationalen Aufteilung bezog sich der Begriff uzbek ausschließlich auf sesshafte Bevölkerungsgruppen, während kirgiz Menschen mit einer mobilen Lebens- und Wirtschaftsweise bezeichnete. Im Gegensatz dazu argumentierten die Befürworter einer föderalen territorialen Lösung, dass uzbek ein weitgehend arbiträrer Begriff sei, der auch für nicht-sesshafte Gruppen gelten könne. So erklärte etwa Sultanbek Chodschanow in einer programmatischen Stellungnahme:
Bis 1920 hatten wir keine Unterteilung zwischen Kirgisen, Kara-Kirgisen und Usbeken. Damals gab es nur eine muslimische Bevölkerung. […] Ich schlage deshalb vor, alle Muslime als Turki, Uzbek und so weiter zu bezeichnen, das heißt zentralasiatischer Turk oder zentralasiatischer Muslim.
Dem stellte Ryskulows Nachfolger als Regierungschef der Turkestanischen ASSR, Scharustam Islamow, eine sozioökonomische Definition entgegen: »Wer produziert die Baumwolle? Das machen die [sesshaften] Usbeken!« Schließlich sollte sich diese sozioökonomisch gefasste Definition als ausschlaggebendes Kriterium für die national-territoriale Aufteilung der Region durchsetzen.
Die national-territoriale Aufteilung Zentralasiens und das Primat der Wirtschaft
Für die Umsetzung der sowjetischen Nationalitätenpolitik in den 1920er Jahren war zunächst der Volkskommissar für Nationalitätenfragen, zu dem Zeitpunkt Joseph Stalin, zuständig. Stalin definierte die Nation unter anderem als »eine historisch entstandene stabile Gemeinschaft«, die sich insbesondere durch ihr »Wirtschaftsleben« und eine »wirtschaftliche Verbundenheit« auszeichne. Aus diesem Grund favorisierte ein Teil der sowjetischen Partei- und Staatsführung die Unterscheidung zwischen sesshaften und mobilen Bevölkerungsgruppen als wesentliches Kriterium zur Bestimmung zentralasiatischer »Nationalitäten«. Laut den Befürwortern einer national-territorialen Aufteilung zeichnen sich sesshafte Menschen durch eine unverwechselbare wirtschaftliche Lebensweise, ein zusammenhängendes Gebiet, in dem sie gemeinsam leben, sowie eine gemeinsame Kultur aus. Auf der Grundlage von diesem Verständnis wurde die größte »nationale« Bevölkerungsgruppe in Zentralasien bestimmt: die Usbeken. Im Gegensatz zu den Usbeken bildeten Kirgisen, bzw. Kirgisen und Kasachen, sowie Turkmenen die nicht-sesshaften »nationalen« Bevölkerungsgruppen der Region. Im Ergebnis wurde diese definitorische Dichotomie zwischen sesshafter und mobiler Bevölkerung Zentralasiens auch zum grundlegenden Kriterium für die Schaffung von nationalen Territorien. Die »föderalistische Fraktion« um Chodschanow und Ryskulow war damit endgültig marginalisiert und verlor nach 1924 maßgeblich an politischem Einfluss.
Während zentralasiatische Parteieliten in der national-territorialen Aufteilung von Zentralasien vor allem eine Möglichkeit zur Erweiterung ihrer Machtbasis sahen, bestand das Hauptmotiv der sowjetischen Führung darin, die wichtigsten wirtschaftlichen Ressourcen der Region aus administrativen Gründen in einer einzigen national-territorialen Einheit zu konzentrieren: in der Usbekischen SSR. Die Usbekische SSR sollte nicht nur die wichtigsten urbanen Zentren der Region wie Taschkent, Buchara und Samarkand bekommen, sondern auch die wichtigsten Agrargebiete der sowjetischen Baumwollproduktion im Ferganatal. In allen anderen national-territorialen Einheiten (mit Ausnahme der Tadschikischen ASSR) lebte eine überwiegend nomadische bzw. semi-nomadische Bevölkerung mit geringem Urbanisierungsgrad. Die in der sowjetischen Nationalitätenpolitik institutionalisierte Unterscheidung zwischen sesshafter und mobiler Bevölkerung ist schließlich auch der Grund für die komplizierte politische Geographie des Ferganatals: Während die von semi-nomadischen Viehhirten genutzten Steppengebiete auf den Hügeln und Berghängen 1924 Teil des Kara-Kirgisischen Autonomen Gebietes wurden, bekam die Usbekische SSR die fruchtbaren Ebenen und Flusstäler, die von einer dort sesshaften Agrarbevölkerung für den Ackerbau genutzt wurden.
Der Vorrang von wirtschaftlichen und administrativen Überlegungen bei der Delimitation von nationalen Grenzen zeigt sich vor allem auch in jenen Ausnahmefällen, in denen bewusst vom dichotomen Unterscheidungsmuster sesshaft/mobil abgewichen wurde. So wurde Osch, trotz einer mehrheitlich sesshaften (»usbekischen«) Bevölkerung, dem Kara-Kirgisischen Autonomen Gebiet gegeben: Die Stadt sollte als Verwaltungszentrum für den südwestlichen Teil des ansonsten kaum urbanisierten Gebietes fungieren. Trotz der Anfechtung dieser Entscheidung und der wiederholten Forderung nach einer Grenzrevision durch die usbekische Seite, blieb die Stadt Teil von Kirgistan. Bis heute ist Osch das kulturelle, wirtschaftliche und infrastrukturelle Zentrum Südkirgistans. Der Fall Osch sollte jedoch nicht davon ablenken, dass es bereits in den 1920ern zu einer ganzen Reihe an größeren und kleineren Revisionen der Grenzverläufe im Ferganatal kam. Beispielsweise hat die Usbekische SSR die Gemeinde Isfana (heute Razzakow, benannt nach Ischak Razzakow, dem Generalsekretär der Kommunistischen Partei Kirgistans zwischen 1950 und 1961) 1926 an das Kirgisische Autonome Gebiet abgetreten. Auch beschloss eine Kommission von lokalen Partei- und Staatsfunktionären 1927, den etwa 50 Kilometer südwestlich von Osch gelegenen Eisenbahnknotenpunkt Utsch-Kurgan von der Usbekischen SSR an die Kirgisische ASSR zu transferieren. Für beide Entscheidungen waren wieder wirtschaftliche Überlegungen, und nicht ethnographische Faktoren, ausschlaggebend: Obwohl Isfana und Utsch-Kurgan mehrheitlich von Usbeken bzw. Tadschiken bewohnte Siedlungen waren, war deren Umland wirtschaftlich von der mobilen Viehzucht durch semi-nomadische Kirgisen geprägt. Die Gebietstransfers sollten schließlich die wirtschaftliche Integration von Stadt und Umland sowie deren Symbiose aus sich ergänzenden sozioökonomischen Nischen gewährleisten.
Ende 1929 erreichte die Parteiführung der Tadschikischen ASSR unter ihrem damaligen Vorsitzenden Schirinschoh Schohtemur, dass ihre autonome Republik aus der Usbekischen SSR herausgelöst und zur Unionsrepublik hochgestuft wird. Zu diesem Zeitpunkt hatte Tadschikistan jedoch noch keine urbanen Zentren und selbst die Hauptstadt Duschanbe kam im Jahr 1926 auf gerade einmal 5.600 Einwohner. Daher erhob die tadschikische Parteiführung Anspruch auf die traditionell persischsprachigen Städte Buchara und Samarkand, die nach der national-territorialen Aufteilung auf dem Gebiet der Usbekischen SSR gelandet waren. Auch hierfür waren die Gründe wieder wirtschaftlicher Art, da beide Städte über den regionalen Markthandel mit ihrem jeweiligen Umland einen integrierten Wirtschaftsraum bildeten. Vor diesem Hintergrund einigte sich eine bilaterale Kommission 1929 auf den Kompromiss, dass die Usbekische SSR zwar Buchara und Samarkand behält, dafür jedoch den südwestlichen Teil des Ferganatals um die Großstadt Chudschand an die Tadschikische SSR abtritt. Als die Kirgisische ASSR dann 1936 ebenfalls zur Unionsrepublik hochgestuft wurde, war das Ferganatal durch ein komplexes territoriales Arrangement unter drei gleichrangigen politisch-administrativen Einheiten aufgeteilt. Auch danach wurden immer wieder kleinere Grenzrevisionen vorgenommen, um territoriale Verwaltungspraktiken an gelebte wirtschaftliche Realitäten anzupassen. So wurde etwa 1937 bei Landvermessungen festgestellt, dass tadschikische Kolchosen aus der Region Chudschand (damals Leninabad) Felder bestellten, die nominell zur Kirgisischen SSR gehörten. Um künftige »Missverständnisse« zu vermeiden, einigte sich eine von beiden Seiten eingesetzte Kommission auf die Anpassung der de-jure-Situation an den de-facto-Zustand. In diesem Zusammenhang wurden bis Mitte 1938 rund sieben Quadratkilometer von der Kirgisischen SSR an die Tadschikische SSR abgetreten.
Fazit: Das Grenzabkommen zwischen Kirgistan und Tadschikistan von 2025 als historische Kontinuität
Durch die gesamte Sowjetzeit hindurch führten unklar delimitierte Grenzabschnitte und komplexe territoriale Konstellationen im Ferganatal immer wieder zu interkommunalen Konflikten um den Zugang zu Wasserstellen oder Viehweiden. Nicht selten endeten durch Konflikte ausgelöste Auseinandersetzungen tödlich. Um das Konfliktpotenzial so weit wie möglich zu reduzieren, blieb es daher bis zum Zerfall der Sowjetunion üblich, dass Grenzverläufe im Ferganatal mittels bilateraler Übereinkommen angepasst wurden. Wie überall auf dem Gebiet der Sowjetunion galt dabei das Prinzip, dass die Grenzen von nationalen Republiken im besten Fall mit den Landnutzungsgrenzen von lokalen Gemeinden an der Grenze übereinstimmen. In der Praxis bedeutete dies, dass Abschnitte von Republikgrenzen immer wieder an sich verändernde Muster der Land- und Ressourcennutzung von lokalen Gemeinden angepasst wurden. Allerdings stellte die Übereinstimmung von Republikgrenzen und Landnutzungsgrenzen ein Ideal dar, dass bei Grenzrevisionen nicht immer eingehalten werden konnte. So waren die besonders konfliktreichen Grenzabschnitte im Ferganatal üblicherweise jene, bei denen aufgrund spezifischer Umstände keine Übereinstimmung der Grenzen erzielt werden konnte. Auch unterlagen Grenzrevisionen den üblichen Problemen der vertikalen und überzentralisierten Verwaltung des sowjetischen Staates. Zum Beispiel informierten lokale Funktionäre nicht immer ihre Vorgesetzten über die vor Ort vorgenommenen Anpassungen von Grenzverläufen. Auch ist es immer wieder vorgekommen, dass für höhere Verwaltungsebenen bestimmte Informationen aus den unteren Verwaltungsebenen in der gigantischen Sowjetbürokratie untergegangen sind. Die Existenz von unterschiedlichen aber formal gleichrangigen Karten des Ferganatals, die zu unterschiedlichen Zeiten abweichende Grenzverläufe anzeigen, ist auch ein Erbe von diesem sowjetischen Verwaltungschaos. Ein Grund, warum sich Kirgistan und Tadschikistan lange nicht auf die Delimitation bestimmter Abschnitte ihrer gemeinsamen Grenze im Ferganatal einigen konnten, war das Heranziehen solcher, teils einander widersprechender historischer Karten zur Untermauerung eigener Ansprüche. Dennoch zeigt die Geschichte der Grenzrevisionen im sowjetischen Ferganatal, dass die jüngste Einigung über den Austausch von kleineren Gebieten entlang der Grenze zwischen Kirgistan und Tadschikistan, zumindest in historischer Hinsicht, eher die Regel denn die Ausnahme darstellt. Das zwischen beiden Staaten im März 2025 unterzeichnete Abkommen steht dabei in der Kontinuität einer historisch vermittelten Praxis von Grenzrevisionen, mit denen bereits der sowjetische Staat versucht hat, die kulturelle und ethnische Diversität des Ferganatals auf sinnvolle Weise zu managen.