Belarus-Analysen

Ausgabe 47 (29.01.2020) — DOI: 10.31205/BA.047.01, S. 2–6

10 Jahre Östliche Partnerschaft für Belarus – Erfolg, Misserfolg oder etwas dazwischen?

Von Katsiaryna Shmatsina (Belarussisches Institut für Strategische Studien (BISS), Minsk)

Zusammenfassung
Die Bilanz der Beteiligung von Belarus an der Östlichen Partnerschaft (ÖP) fällt gemischt aus. Vor dem Beginn der ÖP waren die bilateralen Kontakte zwischen Belarus und der EU aufgrund der dürftigen Bilanz der belarussischen Regierung im Bereich der Menschenrechte begrenzt. Die Aufnahme von Belarus in die ÖP im Jahr 2009 hatte den Beziehungen zwischen Minsk und Brüssel zu einem Neustart verholfen. Dabei hatte die belarussische Führung allerdings wirtschaftlichen Interessen den Vorrang vor einer politischen Transformation gegeben, wie sie im Rahmen der ÖP angeregt ist. Die seit 2015 angestrebte Normalisierung in den Beziehungen zwischen der EU und Belarus brachte positive Veränderungen, da regelmäßige politische Kontakte zunahmen und Belarus stärker in Initiativen der ÖP eingebunden wurde. Gleichwohl sind nur langsame Fortschritte zu verzeichnen, sind die Verhandlungen zu den Prioritäten der Partnerschaft ins Stocken geraten und es liegt immer noch kein ratifiziertes Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen Belarus und der EU vor. Während die politische Annäherung und Zusammenarbeit bescheiden ausfällt, ergibt sich durch die Teilnahme an der ÖP einiger Nutzen für Belarus: Technische Unterstützung befördert politische Reformen und sorgt für einen Wandel in der Wirtschaft. Beides zielt auf die wirtschaftliche Widerstandsfähigkeit sowie eine nachhaltige Entwicklung von Belarus ab. Darüber hinaus ist die belarussische Regierung angesichts des Umstandes, dass die Finanzierung in der ÖP an die Achtung der Menschenrechte und demokratische Standards geknüpft ist, genötigt, erträgliche Bedingungen für die Zivilgesellschaft in Belarus zu gewährleisten.

Einleitung

Das Programm der Östlichen Partnerschaft ist eine gemeinsame politische Initiative der EU, der Mitgliedsstaaten der EU und von sechs Partnerländern in Osteuropa und dem Südkaukasus (Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau und der Ukraine). Die Östliche Partnerschaft wurde im Jahr 2009 auf polnische und schwedische Initiative hin gestartet, um über die bestehende Europäische Nachbarschaftspolitik (ENP) hinaus eine spezifische politikfördernde Zusammenarbeit zwischen der EU und ihren östlichen Nachbarn zu unternehmen. Hinter diesen Vorschlägen stand die Überlegung, eine umfassende Politik gegenüber den unmittelbaren östlichen Nachbarn der EU aufzunehmen, ähnlich dem Programm der Südlichen Partnerschaft im Mittelmeerraum. Eines der gewichtigen Argumente für diese neue Politik war der russisch-georgische Krieg von 2008, der Sorgen hinsichtlich der Sicherheit in der Region geweckt hatte.

»Das ist der Grund, warum wir die Östliche Partnerschaft gestartet haben – um eine Lücke in der allgemeinen Nachbarschaftspolitik der EU zu schließen, und um anzuerkennen, wie wichtig die Entwicklungen in der Region in den kommenden Jahren für die EU sein werden.« Carl Bildt and Radoslaw Sikorski, ehemalige Außenminister von Schweden und Polen, die gemeinsam 2009 die Politik der Östliche Partnerschaft mitgestaltet haben. (New Eastern Europe, Mai/August 2019)

Die ÖP umfasst sowohl bilaterale wie multilaterale Felder des Engagements mit den Nachbarstaaten, die die Stabilisierung und Widerstandskraft der Mitgliedsstaaten der ÖP stärken sollen, indem die EU Normen, Standards und technische Hilfe anbietet. Zu den vier wichtigsten Schwerpunktbereichen der ÖP gehören eine stärkere Wirtschaft (wirtschaftliche Entwicklung und Marktchancen), eine bessere Regierungsführung (Stärkung der Institutionen und gute Regierungsführung), eine bessere Konnektivität (Konnektivität, Energieeffizienz, Umwelt und Klimawandel) und eine Stärkung der Gesellschaft (Mobilität und People-to-people-Kontakte). 2012–2013 erfolgte die ÖP-Förderung im Umfang von 2,5 Milliarden Euro über das Europäische Nachbarschafts- und Partnerschaftsinstrument (ENPI). Für den Zeitraum 2014–2020 wurde die Förderung über das Europäische Nachbarschaftsinstrument (ENI) ausgeweitet und beträgt insgesamt 15 Milliarden Euro. Wegen der Politik eines kritischen Engagements der EU gegenüber Belarus wurde die Förderung 2009–2013 auf der bilateralen Ebene eingeschränkt. Nach der Normalisierung des Dialogs jedoch kam Belarus 2014–2018 in den Genuss von 110 Millionen Euro Unterstützung durch die EU.

Die politische Dimension

Die Teilnahme von Belarus am Programm der Östlichen Partnerschaft entwickelte sich vor dem Hintergrund eines Wechsels von Isolierung und Annäherung. Als die ÖP entwickelt wurde, war Belarus wegen der schlechten Bilanz der Regierung im Bereich der Menschenrechte de facto von der Europäischen Nachbarschaftspolitik (ENP) ausgeschlossen. Die Ratifizierung des 1995 ausgehandelten Partnerschafts- und Kooperationsabkommens (PKA) war wegen des verfassungswidrigen Referendums und der Repressionen gegen die Opposition gestoppt worden. Nach der Niederschlagung der Proteste anlässlich der Wahlen von 2006 ging die EU zu einem »kritischen Engagement« in Bezug auf Belarus über, das bei Kontakten auf offizieller Ebene eine Isolierung bedeutete, während gleichzeitig die Zivilgesellschaft unterstützt wurde. 2009 schuf die – trotz der engen Bindungen zu Russland – neutrale Haltung von Belarus hinsichtlich einer Anerkennung von Südossetien und Abchasien das Momentum für eine Annäherung. Das ermöglichte die Wiedereröffnung der EU-Vertretung in Belarus, eine Reihe hochrangiger Besuche in Minsk (einschließlich eines Treffens des Hohen Vertreters der EU für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, mit Präsident Aljaksandr Lukschenka) sowie eine teilweise Aufhebung der Sanktionen.

Die Einbeziehung von Belarus in das Programm der ÖP bedeutete – neben dem übergeordneten politischen Ziel, nun einen umfassenden Ansatz gegenüber den östlichen Nachbarn der EU zu verfolgen – einen Neustart in den Beziehungen der EU zu Belarus. Diese Annäherung war allerdings nur von kurzer Dauer, und es folgte ein weiter Zyklus von Spannungen: 2011 führte die EU neue Sanktionen ein, nachdem die Regierung in Minsk die Proteste nach den Präsidentschaftswahlen 2010 gewaltsam niedergeschlagen hatte.

In Zeiten, in denen die bilateralen Beziehungen zwischen der EU und Belarus auf einem Tiefpunkt waren, ermöglichte das multilaterale Format der ÖP eine Fortführung des Engagements gegenüber Belarus. Ungeachtet der eingeschränkten bilateralen Kontakte zwischen Minsk und Brüssel vertrat der belarussische Außenminister Uladsimir Makej das Land bei den Gipfeln der Östlichen Partnerschaft. Während die bilaterale Förderung für Belarus in der ÖP eingeschränkt blieb, erlaubte das multilaterale Format der ÖP eine Einbeziehung von Belarus in die Vorzeigeprojekte zum Umweltschutz und zur grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, die das Land mit der EU und den Nachbarn in der ÖP verbanden und zu einer nachhaltigen Entwicklung der Region beitrugen. So unterstützte das grenzüberschreitende Programm Polen-Belarus-Ukraine nicht nur belarussische Grenzinfrastruktur, sondern auch das lokale Gesundheits-, Fremdenverkehrs- und Bildungswesen.

Während der Krise um die Ukraine erfolgte in den Beziehungen zwischen Belarus und der EU ein beträchtlicher Wandel, als die Stabilität östlich der Union (einschließlich Belarus) zu einer Priorität der EU wurde und die aktive Rolle von Minsk bei den Friedensgesprächen dort es ermöglichte, ein neues Kapitel der Annäherung zu öffnen. Seit 2015 entwickeln sich die Beziehungen zwischen Belarus und der EU in einem »Normalisierungsmodus«; wichtige Sanktionen wurden 2016 aufgehoben und die politischen Kontakte wurden intensiver.

Als die EU sich entschied, in den Beziehungen wieder einen Neustart zu unternehmen, wurde das von der belarussischen Führung begrüßt, wobei eher die Gemeinsamkeiten betont wurden, und nicht problematische Themen wie etwa demokratische Standards. Diese Annäherung sorgte aber für Befürchtungen, die EU könnte ihre Haltung gegenüber der Menschenrechtslage aufgeben. Einerseits ist ein Dialog zwischen Minsk und Brüssel besser als eine Isolierung, da er es erlaubt, trotz der ideologischen Differenzen einen stabilen Kommunikationskanal zu unterhalten. Die EU ist für die belarussische Führung ein mächtiger regionaler Akteur. Die Beziehungen zu diesem unmittelbaren Nachbarn helfen ein wenig, die engen Bindungen zu Russland etwas auszubalancieren. Gleichzeitig werfen verbesserte Beziehungen zu Belarus für die EU die schwer zu lösende Frage auf, wie angesichts der geopolitischen Ambitionen Russlands eben diese Verbesserung der Beziehungen zu Minsk und eine Stärkung der Unabhängigkeit des Landes bewerkstelligt werden können, ohne dem autoritären Regime Legitimität zu verleihen.

Die Annäherung brachte allerdings nur wenige spürbare Resultate. Die gegenwärtigen bilateralen Beziehungen werden immer durch ein Abkommen geregelt, das 1989 noch mit der UdSSR abgeschlossen wurde. Die Verhandlungen über die Schwerpunkte der Partnerschaft [Partnership Priorities] (eine Roadmap, die den Weg zu einem umfassenden Partnerschafts- und Kooperationsabkommen ebnen könnte) sind aufgrund der Besorgnis Litauens anlässlich des Atomkraftwerks Astrawez in der Nähe der litauischen Grenze ins Stocken geraten. Die Verhandlungen über ein Visaerleichterungs- und Rückübernahmeabkommen wurden nach fünf Jahren in diesem Jahr endlich abgeschlossen. In der ÖP bleibt Belarus gegenüber den anderen Partnerländern ein Sonderfall: Selbst in Armenien und Aserbaidschan, für die ebenfalls die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU den Vorrang gegenüber einer politischen Assoziierung hat, besteht eine bessere Grundlage für Kooperation, da hier Partnerschafts- und Kooperationsabkommen, Partnerschaftsschwerpunkte sowie 2014 in Kraft getretene Visaabkommen vorhanden sind.

Im Juli 2019 erklärte Präsident Aljaksandr Lukaschenka bei einem Treffen mit der Leiterin der EU-Delegation in Belarus, Andrea Wiktorin, die Bereitschaft, den Dialog mit der EU nicht nur zu Wirtschaftsfragen, sondern auch in politischen Angelegenheiten zu verstärken. Solche Stellungnahmen sind in der Praxis kaum umsetzbar. Minsk und Brüssel bewegen sich auf unterschiedlichem Boden: Belarus ist nicht bereit, politische Reformen zu unternehmen oder einen Weg Richtung Europa einzuschlagen. Die belarussische Führung strebt eher einen pragmatischen Kompromiss und die Aufhebung bestehender Sanktionen. Minsk sucht nach einer gemeinsamen Grundlage zur Aushandlung von Rahmenabkommen wie etwa einem Partnerschafts- und Kooperationskommen (PKA). Wie es die Stellvertretende Generaldirektorin für die Nachbarschaftspolitik und Erweiterungsverhandlungen, Katarina Mathernova, formuliert sprechen Belarus und die EU »auf unterschiedlichen Frequenzen«. Die Plattform der ÖP macht es da möglich, den bilateralen Dialog zu entwickeln und das gegenseitige Verständnis zu fördern. Um es zusammenzufassen: Der Rahmen der ÖP erlaubt zwar eine Förderung der bilateralen Verbindungen, doch gibt es nur langsame Fortschritte.

Wirtschaftliche Zusammenarbeit und technische Hilfe

Die über die ÖP erfolgende technische Hilfe ist für Belarus von besonderer Bedeutung, weil sie auf eine langfristige nachhaltige Entwicklung und Stärkung der Wirtschaft abzielt. Im Rahmen der ÖP-Linie »Stärkere Wirtschaft«(EaP Stronger Economy track) unterstützte ein 2017–2019 durchgeführten Twinning-Projekt die Nationalbank von Belarus, und zwar in Zusammenarbeit mit der deutschen Bundesbank und den Zentralbanken von Polen und Litauen. Das Twinning-Projekt hatte zum Ziel, die Kapazität der Zentralbank zu stärken, die Finanzrisiken zu steuern die Bankenaufsicht zu stärken und langfristige Verbesserungen wie eine Stabilisierung des Belarussischen Rubel und eine Eindämmung der Inflation anzustreben. Der Erfolg des Pilotprojekts ebnete den Weg für weitere Twinning-Zusammenarbeit mit anderen Regierungsstellen wie dem Nationalen Katasteramt und dem Katastrophenschutzministerium. Weitere Projekte sind in Arbeit. 2019 starteten die EU und die Weltbank ein Beratungsprogramm für die Entwicklung des privaten Sektors. Die EU stellt mit der ideellen Unterstützung der Weltbank Hilfen im Umfang von 4,8 Millionen Euro zur Verfügung, bei der Experten der Weltbank kleinen und mittleren Unternehmen beratend zur Seite stehen. Die Unterstützung zielt auf Unternehmensentwicklung, die Attraktivität und Zurückbehaltung von Investitionen (einschließlich einer Mobilisierung privater Finanzen für öffentliche Infrastruktur).

Ein weiteres Projekt von EU und Weltbank, das 2018 gestartet wurde, zielt auf eine Stärkung des öffentlichen Finanzsystems, eine Förderung des Wirtschaftswachstums und einen Anstieg der Einkommen gewöhnlicher Belarussen ab. Die Weltbank betont nachhaltig, wie sehr für die belarussische Wirtschaft Reformen vonnöten sind, und wie mit finanzieller Unterstützung der EU einige politische Veränderungen möglich gemacht werden können.

Die EU-Initiative zur Konnektivität, der Aktionsplan für Verkehrsnetze (»Indicative TEN-T Investment Action Plan«), der über den ÖP-Schwerpunkt Konnektivität unterstützt wird, ist ein großes Infrastrukturprojekt, das Straßenverbindungen von insgesamt 890 Kilometern sowie 200 Kilometer verbesserte Eisenbahnstruktur in Belarus und darüber hinaus in der Region herstellt, was das Wirtschaftswachstum steigern und Arbeitsplätze schaffen soll. Durch den finanziellen »Mischungsansatz« bei diesem Projekt, erhalten die belarussischen Behörden nicht nur eine Finanzierung über die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (EBWE) und die Europäische Investitionsbank (EIB), sondern werden auch dazu ermutigt, Gelder über Öffentlich-Private Partnerschaften zu »acquirieren« und ein transparentes Beschaffungssystem einzusetzen.

Die Tätigkeit der EBWE und der EIB über die Kanäle des Schwerpunkt Stärkung der Wirtschaft trägt zur wirtschaftlichen Modernisierung des Landes bei. Nach einem Tauwetter in den Beziehungen der EU zu Belarus weitete die EBWE ihre Unterstützung für öffentliche Institutionen aus, wo sie doch früher nur mit der Privatwirtschaft zusammengearbeitet hatte. Auf ähnliche Weise hat die EIB ihr Mandat in Belarus 2017 erweitert, wobei sie 84 Millionen Euro zur Modernisierung des Abwassersystems der belarussischen Hauptstadt aufgebracht hat, wie auch Anleihen von 75 Millionen Euro für die »Belagroprombank« und die »Belarusbank«, um 200 kleine und mittlere Unternehmen zu unterstützen. Insgesamt beläuft sich das Portfolio der EIB-Investitionen in Belarus 2017–2019 auf 335 Millionen Euro. Die Präsenz der EBWE und der EIB in Belarus ist – neben der Unterstützung für Infrastrukturprojekte – auch in dem Maße wichtig, in dem es die Anleihemöglichkeiten für Belarus diversifiziert. Wenn ein Land externe Anleihen nachsucht, müssen nicht nur die von Seiten der Entwicklungsbank gestellten finanziellen Bedingungen für eine Anleihe betrachtet werden, sondern auch die potentielle politische Agenda, die durch den Kreditgeber verfolgt werden könnte. So besteht eine der allgemeinen Befürchtungen hinsichtlich der chinesischen »Belt and Roar Initiative« (BRI) darin, dass hinter der Initiative geopolitische Ambitionen stecken könnten, wenn die BRI im Empfängerland auf sensible Infrastruktur gerichtet ist. Die BRI könnte womöglich auch eine alles andere als nachhaltige finanzielle Belastung auferlegen, die dann in einer Übernahme der Infrastruktur resultieren könnte, wie im berüchtigten Fall des Hafens in Sri Lanka. Wenn Belarus Kredite von der Eurasischen Entwicklungsbank (EDB) erlangen wollte, müssten in ähnlicher Weise die potenziellen politischen Interessen der an der EDB beteiligten Seiten in Bezug auf Belarus berücksichtigt werden. Gerechterweise ist zu erwähnen, dass die Präsenz der EIB und der EBWE ebenfalls an die politischen Beziehungen zwischen Minsk und den europäischen Partnern geknüpft ist. Andererseits ermöglicht diese Präsenz eine Diversifizierung der Kreditoptionen von Belarus; weitere Vorteile sind die Ansprüche an Transparenz und die hohen Umweltstandards.

Zu den herausragenden ÖP-Projekten gehört auch die Initiative »EU4Business«, die 4.500 Firmen über eine Finanzierung und Exportförderung für neue Märkte unterstützt. Sie half auch bei der Schaffung von 4.000 neuen Arbeitsplätzen in kleinen und mittlernen Unternehmen.

Darüber hinaus erleichterte die Beteiligung von Belarus an der ÖP Unterhandlungen, die das Land mit EU-Mitgliedsstaaten über einen WTO-Beitritt führt; sie werden derzeit bilateral mit jedem der Mitgliedsstaaten abgeschlossen.

Während der politische Dialog zwischen Minsk und Brüssel volatil bleibt und auf beiden Seiten Begrenzungen für ein politisches Engagement bestehen, bringen die Instrumente der ÖP für technische Hilfe und Zusammenarbeit die dringend benötigte Unterstützung für politische Veränderungen, die auf eine langfristige, nachhaltige Entwicklung des Landes abzielen.

Östliche Partnerschaft und die belarussische Gesellschaft

Im Rahmen der ÖP-Linie »Stärkere Gesellschaft« (EaP Stronger Society track) fördert die EU Mobilität und Kontakte zwischen den Menschen. Seit 2009 haben über 3.000 Studenten und wissenschaftliche Mitarbeiter von akademischen Austauschmaßnahmen profitiert. Über 3.400 junge Menschen aus Belarus haben an gemeinsamen Austausch- und Freiwilligenprojekten teilgenommen. Diese Zahlen mögen zwar zusammengenommen beeindruckend klingen, doch ist der Umfang des akademischen Austauschs verglichen mit der Gesamtzahl belarussischer Studenten (die im Studienjahr 2018/19 insgesamt 252.600 betrug) gering. Eine der Herausforderungen, durch die die akademische Mobilität (unter anderem die Attraktivität des Landes für ausländische Studierende) beeinträchtigt wird, ist die fehlende Einhaltung der Kriterien des Bologna-Prozesses durch Belarus.

Über 3.200 Belarussen haben von dem Programm MOST (»Mobility Scheme for Targeted People-to-People-Contacts«) profitiert, von kurzzeitigen fachlichen Austauschaufenthalten in unterschiedlichen Bereichen, angefangen von Kultur und Bildung bis hin zu Technologie und Unternehmenswesen. Dabei sollen professionelle Kontakte zu Kollegen in den Mitgliedsstaaten der EU geknüpft werden. Zu den vielen MOST-Projekten, die 2019 gefördert wurden gehören der Besuch einer belarussischen Ärztedelegation auf der »Vereinigten Gastroenterologie-Woche 2019« in Barcelona oder aber der Besuch von belarussischen Bibliothekaren zum Aufbau netzwerkartiger Kontakte zu Bibliotheken in den Niederlanden. Solche Besuche sind deshalb von besonderem Wert, weil sie eine Unterstützung für die betreffenden Organisationen und Personen bedeutet, die nicht unbedingt in der Lage wären, solche Reisen selbst zu finanzieren.

Eine der konkreten Leistungen des Dialogs EU–Belarus im Rahmen der ÖP ist der Abschluss der Verhandlungen über ein Visaerleichterungs- und Rückübernahmeabkommens, das in den kommenden Monaten unterzeichnet werden soll. Zu den Visaerleichterungen würden eine Gebührenreduzierung für ein Schengenvisum von 60 auf 35 Euro, eine längere Gültigkeit sowie mehr Möglichkeiten für eine Gebührenbefreiung gehören. Das käme sozialen Gruppen wie Menschen mit Behinderungen oder Kindern unter 12 Jahre zugute. Auf diese Schritte hatte man seit langem gewartet, ist doch Belarus das einzige Land in der ÖP ohne geltendes Visaerleichterungs- und Rückübernahmeabkommen mit der EU und die Belarussen hatten im Vergleich zu ihren Nachbarn einen hohen Visumspreis zu zahlen.

Das Zivilgesellschaftsforum der ÖP ist ein Instrument, das die Stimmen der Zivilgesellschaft verstärken soll. Das Forum verfügt zwar über keine rechtlichen Befugnisse, doch haben die Mitglieder des CSF die Möglichkeit, bei den Jahresversammlungen ihre Besorgnis zu äußern und die Offiziellen der EU auf Menschenrechtsfragen aufmerksam zu machen. Die belarussische Plattform des CSF hat 80 Mitglieder, die innerhalb des Landes zusammenarbeiten und sich mit Partnern in anderen ÖP-Ländern vernetzen. Dank der Möglichkeiten des Forums, Fördermittel weiter zu verteilen (re-granting), unternehmen Mitglieder des CSF gemeinsame Initiativen über die Grenzen der einzelnen ÖP-Länder hinweg, beispielsweise den ÖP-Index, der die Fortschritte der Partnerländer hinsichtlich einer nachhaltigen demokratischen Entwicklung beleuchtet. Darüber hinaus hat das CSF nach den Protesten in Belarus gegen das sogenannte Gesetz gegen Sozialschmarotzertum und den Verhaftungen dort eine Monitoring-Mission unternommen und dabei auf die Menschenrechtslage verwiesen.

Die Auswirkungen der ÖP auf die Zivilgesellschaft in Belarus lassen sich mit den Worten des belarussischen Koordinators des Zivilgesellschaftsforums (CSF) der ÖP, Mikalaj Kwantaljani zusammenfassen: Immerhin »haben sich die Bedingungen nicht verschlechtert«. Dies könnte als nicht einmal bescheidene Leistung betrachtet werden, bedeutet aber in Wirklichkeit, dass die ÖP die belarussische Regierung dazu zwingt, der Zivilgesellschaft Räume zuzugestehen, auf drastische Repressionen zu verzichten und Vertreter der Zivilgesellschaft in den Dialog mit der EU einzubeziehen. Ungeachtet des Umstandes, dass sich sowohl Offizielle aus der EU wie auch die belarussischen zivilgesellschaftlichen Organisation darüber im Klaren sind, dass die belarussische Regierung die Zivilgesellschaft nur dann in politische Diskussionen einbezieht, wenn die EU darauf besteht, räumen die belarussischen Mitgliedsorganisationen des Zivilgesellschaftsforums ein, dass in den vergangenen Jahren ihre Möglichkeiten, Entscheidungsträger auf nationaler Ebene zu erreichen, »beträchtlich zugenommen« hätten. Insbesondere Mitglieder der nationalen Plattform des CSF haben die Möglichkeit, im Rahmen des Dialogs Entscheidungsträgern der EU ihre Berichte vorzulegen und ihnen gegenüber ihre Sorgen zu formulieren.

Bei den Feierlichkeiten zum 10. Jahrestag der Östlichen Partnerschaft im Mai 2019 in Brüssel sprach beispielsweise Maryna Korsch, eine Aktivistin, die sich für ein Gesetz zum Schutz vor häuslicher Gewalt einsetzt, diese Frage in Anwesenheit des belarussischen Außenministers Uladsimir Makej an. Im Nachfeld dieser Diskussion trafen sich Maryna Korsch und Uladsimir Makej später in Minsk und diskutierten Probleme rund um häusliche Gewalt und die Notwendigkeit eines Gesetzes. Das Gesetz war früher vom Präsidenten abgelehnt worden, was wiederum eine gesellschaftliche Kampagne zugunsten des Gesetzes auslöste. Maryna Korsch zufolge hätte ein solches Treffen früher nicht stattfinden können. Jetzt habe das Internationale Forum es ermöglicht, diese Frage anzusprechen, und der Minister habe reagieren müssen. Das Treffen brachte zwar nicht die erwünschten Veränderungen hinsichtlich der Verabschiedung des Gesetzes (und zudem liegt die Frage häusliche Gewalt außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des Außenministeriums), doch sorgte diese Diskussion für internationale Aufmerksamkeit für das Problem, während es innenpolitisch von der Regierung ignoriert wurde.

Schlussfolgerungen

Das Programm der ÖP ist für Belarus in dem Maße wichtig, als es erlaubt, einen stabilen Kommunikationskanal zur EU zu unterhalten. Es ermöglicht zudem auf unkonfrontative Weise die Suche nach gemeinsamen Grundlagen. Während die ÖP dem Land keine bedeutsamen politischen Veränderungen bringen dürfte, betont die EU, dass Fortschritte in ihren Beziehungen zu Belarus an die Menschenrechtslage im Land geknüpft sind. Dank der ÖP wird die Zivilgesellschaft wenigstens formal in den Dialog mit der Regierung eingebunden, was die Regierung ohne Druck der EU wohl eher vermeiden würde. Ungeachtet der bescheidenen Fortschritte in der politischen Dimension der ÖP erleichtert die technische Hilfe für die belarussische Wirtschaft nicht nur notwendige Politikreformen und die Schaffung neuer Arbeitsplätze und Infrastrukturprojekte, sondern leistet auch einen Beitrag zur langfristigen und nachhaltigen Entwicklung des Landes. Die Stärkung von Belarus wiederum trägt zur allgemeinen politischen Stabilität des Landes bei.

Ausblickend ist festzuhalten, dass die Europäische Kommission 2020 wohl eine revidierte Politik gegenüber der ÖP-Region verkünden wird. Es ist wichtig, dass die neue Politik der EU eine Balance zwischen politischem Pragmatismus (etwa einer Zusammenarbeit mit der autoritären belarussischen Führung, um Stabilität an den EU-Grenzen zu gewährleisten) und einer fortgesetzten Unterstützung für die Zivilgesellschaft sowie für demokratische Standards in Übereinstimmung mit dem wertebasierten Ansatz der EU. Belarus ist für die EU eindeutig nicht der Nachbar, mit dem sie es am einfachsten hat, obwohl es ein wichtiger Anrainer ist. Schließlich stellt die Stabilität von Belarus ein Puzzle dar, dessen Lösung unabdingbar für die regionale Sicherheit ist.

Übersetzung aus dem Englischen: Hartmut Schröder

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