Belarus-Analysen

Ausgabe 52 (11.11.2020) — DOI: 10.31205/BA.052.02, S. 10–13

Die belarusische »Evalution« hat ein weibliches Gesicht

Von Veranika Laputska (East Center, Warschau)

Zusammenfassung
2020 wurde zum Jahr der Evolution weiblicher Führung, weiblichen Protests und weiblicher Selbstidentifikation. Niemals zuvor bewarben sich so viele belarusische Frauen im Präsidentschaftswahlkampf, organisierten und beteiligten sich an massiven Protesten und zeigten so viel Mut und Stolz, Frauen zu sein. Der Artikel klärt das erste Symbol der weiblichen Proteste (»Eva«), erläutert das Bild der Frauen in der belarusischen Gesellschaft vor den Wahlen, beschreibt das Verhalten der Frauen im Präsidentschaftswahlkampf sowie die staatliche Reaktion und analysiert die Rolle der ersten Solidaritätsketten der Frauen nach den Wahlen.

Text auf dem Stand vom 27.09.2020

#Evalution als Evolution belarusischer Frauen

Bilder weiß gekleideter belarusischer Frauen mit Blumen in der Hand verbreiteten sich weltweit und gaben weltweit starke Impulse für die Evolution von Feminismus und Frauenprotesten. Gesichter von Frauen illustrierten die Schlagzeilen von New York Times, Guardian, Deutscher Welle, The Atlantic, BBC, Al Jazeera und Euronews. Traditionelle und soziale Medien wurden von energischen und intelligenten weiblichen Gesichtern und Stimmen überflutet. Die belarusischen Frauen wollen gehört und anerkannt werden. Sie wollen die Gewalt beenden und die belarusische Gesellschaft vor ihr schützen. Als das erste Symbol des weiblichen belarusischen Protests sichtbar wurde, erwartete niemand, dass es ein komplett neues Phänomen in den belarusischen Protesten lostreten würde. Denn als die belarusischen Behörden Lukashenkas Hauptkonkurrenten, den langjährigen Leiter der Belgazprombank Viktar Babaryka verhafteten, war dies eine übliche repressive Maßnahme des belarusischen Regimes gegen seine Gegner.

Babaryka war nicht nur wegen seiner beruflichen Erfolge, sondern auch als leidenschaftlicher Kunstliebhaber bekannt. Über viele Jahre hatte er belarusische Kunstwerke von unschätzbarem Wert gesammelt und es geschafft, diese aus vielen Ländern der Welt nach Belarus zurückzubringen. Viele der bedeutenden Kunstwerke wurden in verschiedenen Galerien in Belarus gezeigt und dank ihres Leiters wuchs die Kunstsammlung der Belgazprombank stetig weiter an.

Einige Tage vor der Registrierung der Präsidentschaftskandidaten wurden Viktar Babaryka und sein Sohn Eduard wegen angeblicher Finanzverbrechen der Belgazprombank und ihrer Führung und wegen Geschäften, an denen ihre Familie beteiligt sein soll, festgenommen. Ein weiteres »Opfer« der Strafermittlungen wurde die Kunstsammlung der Bank. Sämtliche Sammlungsstücke wurden beschlagnahmt, darunter eines der derzeit teuersten Kunstwerke in Belarus, das Gemälde »Eva« von Chaim Soutine, einem in Belarus geborenen Expressionisten jüdischer Herkunft. Im belarusischen Internet tauchten unmittelbar darauf zahlreiche Collagen auf, die Eva darstellten, die Heldin des Gemäldes. Auf solchen Collagen und Memes kommentiert zeigt Eva grobe Gesten und kommentiert damit die Einstellung der belarusischen Behörden gegenüber dem belarusischen Volk. So wurde Eva zu einem sehr beliebten Motiv auf T-Shirts, Tassen und Aufklebern. Im Zuge des weiteren Wachstums der weiblichen Protestbewegung in Belarus wurde Evas Porträt weiter vielfach umgestaltet. Auf einigen Bildern ist sie wie die protestierenden belarusischen Frauen weiß gekleidet und mit Blumen in der Hand abgebildet, auf anderen ist sie hinter Gittern, wie viele friedliche Protestierende, die für ihre politischen Aktivitäten bestraft wurden. Auf vielfältige Art und Weise reproduzierten Tausende von Menschen im In- und Ausland Bilder von Eva – und schufen damit ein neues belarusisches Pop-Art-Phänomen.

Die belarusische Verfassung gilt nicht für Frauen?

Zu Beginn des Präsidentschaftswahlkampfs 2020 deutete nichts auf den herannahenden Wandel der Rolle der Frauen in der belarusischen Politik hin. Dass vier Frauen erklärten, bei den Präsidentschaftswahlen kandidieren zu wollen, schien Aliaksandr Lukashenka vielmehr nicht zu beunruhigen. Bekannt für seine zahlreichen sexistischen Äußerungen und umgeben von Männern und Frauen, die ihre Misogynie und ihren männlichen Chauvinismus zahlreiche Male demonstriert hatten, spielte der starke Mann von Belarus weiterhin seine bekannte Rolle als sich selbst genügender Anführer, der keine Frauen braucht.

Wie schon in den vorangegangenen Wahlkämpfen trat Lukashenka auch in diesem Wahlkampf niemals gemeinsam mit seiner Frau auf. In der Öffentlichkeit begleiteten ihn dagegen stets attraktive junge Frauen des Präsidialen Protokolldiensts. Dieses Staatsorgan – der Präsidiale Protokolldienst – wurde berühmt dafür, dass es attraktive Frauen aus Schönheitswettbewerben rekrutierte, die den belarusischen Anführer und sein direktes Umfeld bei formellen und informellen Gelegenheiten begleiteten.

Als die Präsidentschaftskandidatin Sviatlana Tsikhanouskaya, die anstelle ihres inhaftierten Ehemanns Siarhei Tsikhanouski antrat, anfing, große Demonstrationen im ganzen Land zu organisieren, überrumpelte sie den belarusischen Anführer damit. Lukashenka setzte auf seine üblichen Taktiken, die ihm bislang erfolgversprechend erschienen waren. Die Idee einer weiblichen Präsidentin verurteilte er und führte dies aus, indem er sagte, die belarusische Verfassung sei »nicht für eine Frau geschrieben« und das Präsidentenamt »zu hart, um von einer Frau geschultert zu werden«.

Die belarusische Öffentlichkeit reagierte sofort. Zahlreiche belarusische Frauen, unter ihnen auch viele Prominente, wiesen Lukashenkas Statement zurück, viele Medien berichteten darüber. Die populärsten sozialen Medien verbreiteten ein Video, das später viral wurde, in dem viele Frauen solche Äußerungen zurückweisen. Die belarusischen Frauen waren irritiert, fühlten sich durch die Äußerungen des Staatsoberhaupts schwer beleidigt und bezogen sich bei den Protesten nach der Wahl immer wieder auf sie.

Frauen im Präsidentschaftswahlkampf

Nachdem mit Viktar Babaryka und Valery Tsapkala Lukashenkas Hauptrivalen um die Präsidentschaft die Registrierung verweigert wurde, war Sviatlana Tsikhanouskaya die einzige starke Oppositionskandidatin. Vor der weiblichen Kandidatin hatte der belarusische Präsident offensichtlich keine Angst und dies war wohl auch der Grund, warum ihr noch »erlaubt« wurde, für die Wahl zu kandidieren. Viele hielten Tsikhanouskaya für schüchtern und auf den anstehenden politischen Kampf nicht vorbereitet.

Sie gab jedoch beinahe sofort ihren Zusammenschluss mit zwei weiteren Frauen für den Wahlkampf bekannt – mit Maria Kalesnikava, Leiterin des Wahlkampfbüros von Viktar Babaryka, und Veranika Tsapkala, Valery Tsapkalas Ehefrau und Leiterin seines Wahlkampfbüros. Die drei berichteten, sie hätten sich in nur 15 Minuten auf eine gemeinsame Grundlage verständigt und beschlossen, sich im Präsidentschaftswahlkampf zusammenzutun.

Als sie ihren Zusammenschluss verkündeten, erfanden Tsikhanouskaya, Kalesnikava and Tsapkala auch gleich (unabsichtlich, wie sie später sagten) ihr Logo – ein Herz, eine Faust und ein Victory-Zeichen, eine Kombination der Logos der nicht zur Wahl zugelassenen Kandidaten. Diese Symbole wurden viral – online wie offline. Die Belarussen begannen, sie auf ihren Demonstrationszügen zu reproduzieren und sie auf T-Shirts und andere Merchandise-Artikel zu drucken. Darüber hinaus brachten die drei Frauen mit ihrem Aussehen, ihrer Art zu kommunizieren und ihrem Verhalten frischen Wind in die politische Arena von Belarus. Sie organisierten einen sehr guten Wahlkampf in den sozialen Medien, die für Lukashenka, der auf seine Macht und seine staatliche Unterstützung vertraute, niemals von Interesse gewesen waren.

Das weibliche Trio brachte eine Menge Stärke, aber auch Empathie und Gerechtigkeitssinn auf. Immer wieder betonten die Frauen, sie seien zum Gang in die Politik gezwungen worden, um ihre Ehemänner zu beschützen, und wollten weder dort nach der Abhaltung fairer Wahlen bleiben noch feministischen Protest repräsentieren. In verschiedenen Bereichen der belarusischen Gesellschaft kam dies sehr gut an. Denjenigen, die sich selbst als Antifeministen bezeichnen, gefielen der ständige Bezug der Frauen auf die Männer, die sie repräsentierten, und die traditionellen Werte, die das Trio bekräftigte, indem es angeblich zeigte, dass Frauen in der Politik nicht führen, sondern nur Männer repräsentieren können. Auf der anderen Seite feierten die belarusischen Feministinnen die Tatsache, dass es letztlich Frauen sind, die das politische Erwachen der belarusischen Gesellschaft anführten. Dies würde viele belarusische Frauen unweigerlich zu ihrer ohnehin lang ersehnten Emanzipierung inspirieren.

Eine weitere weibliche Kandidatin wurde vom Licht des extrem erfolgreichen Trios weitgehend überschattet: Hanna Kanapatskaya. Die erfolgreiche und engagierte Rechtsanwältin und ehemalige Parlamentsabgeordnete wurde 2016 ins belarusische Parlament gewählt. Gemeinsam mit einer anderen Frau, Alena Anisim, stellte sie dort die einzige oppositionelle Kraft dar. Kanapatskaya wurde für ihren hartnäckigen Kampf gegen die Schwächen der belarusischen Gesetzgebung sehr bekannt. Ihre Anhänger bewunderten Hannas Standfestigkeit und Ausdauer und ihr Bestehen auf demokratischen Werten.

Für die Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2020 entschied sich allerdings eine sehr andere Kanapatskaya. Einige ihrer früheren Kollegen sagten, ihre Rhetorik habe sich so sehr verändert, dass sie unter der Kontrolle der belarusischen Spezialkräfte stehen müsste. Sie verurteilte zwar die belarusischen Behörden und Aliaksandr Lukashenka öffentlich, ihren Äußerungen über die anderen Präsidentschaftskandidat/innen fehlte es jedoch an Ethik und Takt. Kanapatskaya bezeichnete viele ihrer Mitbewerber/innen öffentlich als Projekte des Kremls.

Nachdem sich das weibliche Trio formiert hatte, attackierte Kanapatskaya mit einer Reihe von Posts Sviatlana Tsikhanouskaya auf deren öffentlichem Profil, indem sie ihre politische Erfahrung wie ihre beruflichen und persönlichen Qualitäten in Frage stellte. Später bezeichnete sie Maria Kalesnikava, Sviatlana Tsikhanouskaya und Veranika Tsapkala als »lachende Mädchen« und stellte deren Erfahrungen und jüngerem Lebensalter ihren eigenen soliden politischen Hintergrund gegenüber. In der belarusischen Öffentlichkeit kamen derlei Äußerungen Kanapatskayas natürlich nicht gut an. Viele Menschen glaubten, die ehemalige Parlamentsabgeordnete sei eifersüchtig auf den Erfolg des Trios oder diskreditiere sie vorsätzlich. Andere kritisierten und verurteilten Kanapatskaya auch öffentlich, als alle drei Frauen nach der Wahl zu Zielen von Repression geworden waren.

Staatliche Repressionen gegen die belarusischen Frauen

Schon im August waren Sviatlana Tsikhanouskaya, Maria Kalesnikava und Veranika Tsapkala mit einer Reihe von repressiven Methoden und Drohungen konfrontiert. Wegen Verfolgungen und Bedrohungen ging Veranika Tsapkala einen Tag vor den Wahlen zu ihrem Ehemann nach Russland. Sviatlana Tsikhanouskaya wurde nach einem Gespräch bei der Zentralen Wahlkommission am 11. August gezwungen, das Land Richtung Litauen zu verlassen. Außerdem wurde sie bei diesem Gespräch zu einer erniedrigenden Videobotschaft an ihre Wählerschaft gezwungen.

Das am 14. August aufgestellte Präsidium des Koordinierungsrats zur Transition der Macht bestand aus fünf Frauen und drei Männern. Neben Sviatlana Tsikhanouskaya und Maria Kalesnikava aus dem ursprünglichen Frauen-Wahltrio gehörten dem Präsidium drei weitere beeindruckende Frauen an: Sviatlana Alexievich, Gewinnerin des Literatur-Nobelpreises und Autorin des berühmten Romans »Der Krieg hat kein weibliches Gesicht«; Volha Kavalkova, Co-Vorsitzende der belarusischen Christdemokraten, sie hatte ursprünglich auch für das Präsidentenamt kandidiert und sich dann Tsikhanouskayas Team angeschlossen; und Liliya Ulasava – eine erfahrene und bekannte Rechtsanwältin und Mediatorin.

Bald erfanden die belarusischen Behörden einen Mechanismus, um Repressionen gegen die Präsidiums-Frauen auszuüben. Als erstes nahmen sie Volha Kavalkova fest. Einige Tage später verbrachten sie sie an die polnische Grenze und zwangen sie zur Ausreise aus Belarus. Etwas später nahm das Komitee der Staatskontrolle Liliya Ulasava fest.

Zu weiteren Repressionen kam es, als Maria Kalesnikava im Stadtzentrum von Minsk entführt wurde. Einen Tag später wurde Kalesnikava zusammen mit ihren Kollegen Anton Radniankou und Ivan Krautsou an die belarusisch-ukrainische Grenze verbracht. Anders als den beiden Männern gelang es Kalesnikava, ihren Pass zu zerreißen und zurück auf belarusisches Territorium zu kommen. Dort wurde sie anschließend wegen Gefährdung der staatlichen Sicherheit angeklagt und inhaftiert. Seitdem gibt es mit Maria Kalesnikava eine weitere populäre Frau, die auf den Plakaten der Protestierenden zu sehen ist, und ein weiteres Symbol einer neuen weiblichen belarusischen Protestbewegung.

Etwas später gab die weltbekannte Svetlana Alexievich bekannt, dass einige Unbekannte versucht hätten, in ihre Wohnung in Minsk einzubrechen. Unmittelbar darauf fanden sich europäische Diplomaten und Journalisten an Alexievichs Wohnung ein, wo sie mehrere Tage bleiben mussten, um diese vor den »Unbekannten« zu schützen. Zuvor hatte Alexievich beim Prozess gegen ihre Kolleginnen vom Präsidium des Koordinierungsrats Beweise liefern müssen.

Etwa ab diesem Zeitpunkt wurden auch gegen protestierende Frauen härtere Repressionen angewendet – bislang waren sie im Vergleich mit den protestierenden Männern sicherer gewesen. Die Frauen, die an den Studierendenprotesten und Solidaritätsketten nach der Entführung von Maria Kalesnikava am 7. September 2020 teilgenommen hatten, wurden brutal niedergeschlagen und verhaftet. Und die Brutalität der Bereitschaftspolizei ging sogar noch weiter – es wurde bekannt, dass sie auch schwangere Frauen geschlagen hatte. In einem Fall verlor die Frau danach ihr Baby. Die staatlichen belarusischen Medien verbreiteten darüber zynische Lügen, indem sie behaupteten, in Wahrheit habe die Frau ihre Schwangerschaft durch Abtreibung beendet.

Die belarusischen Behörden erfanden weitere brutalste Mittel gegen die weiblichen Protestierenden und begannen, deren Kinder als Druckmittel einzusetzen. Zahlreiche Frauen berichteten, dass Schule und Polizei ihnen mit der Möglichkeit des Sorgerechtentzugs gedroht hatten, sollten sie weiterhin an Protesten teilnehmen. In einem Fall musste eine weibliche Aktivistin, die festgenommen worden war, ihren Sohn nach ihrer Haftentlassung aus einem Waisenhaus abholen, obwohl andere Familienmitglieder darauf gedrungen hatten, bei dem Jungen zu bleiben, solange seine Mutter in Haft war.

Das weibliche Trio und Weiße Proteste

Das weibliche Trio versammelte bei seinen Demonstrationszügen vor der Wahl Zehntausende von Menschen in ganz Belarus hinter sich. Landesweit wurde es bei seinen Auftritten von den Belarussen herzlich begrüßt und Sviatlana, Maria und Veranika wurden zum Gesicht der Oppositionsbewegung in Belarus. Die drei Frauen schufen die kraftvolle Botschaft von einer legitimen und vertrauenswürdigen weiblichen Führung, die den Menschen in Belarus mit Empathie und Liebe begegnet, authentisch und emotional und gleichzeitig tapfer und stark ist und bleibt. Außerdem wurde das Trio für die Frauen in Belarus, denen seit Jahren die Möglichkeit vorenthalten wurde, Teil der politischen Entscheidungsfindung zu sein, zu einem inspirierenden Impuls.

In den ersten brutalsten Tagen nahm die Polizei Tausende Menschen fest. Als sie wieder freikamen, waren die meisten der Meinung, die Frauen hätten in den Haftanstalten und Gefängnissen weniger Gewalt erlebt, obwohl auch sie gedemütigt, geschlagen und angeblich auch vergewaltigt wurden. Mehrere Hundert Frauen organisierten sich über Telegram, um die Gewalt zu stoppen. Am 12. und 13. August 2020 begannen dann Frauen im ganzen Land, sogenannte Solidaritätsketten zu bilden. Weiß gekleidet hielten sie sich an den Händen und riefen die Behörden auf, die Gewalt zu beenden und ihre Stimmen zu hören.

Am 14. August überrumpelte eine organisierte Frauenbewegung die Bereitschaftspolizei bei einer massiven Demonstration vor dem Parlamentsgebäude in Minsk, als Kräfte des Militärs ihre Schilde vor den weiblichen Protestierenden hochklappten. Diese reagierten darauf, indem sie begannen, die Soldaten zu umarmen und zu küssen – die weiblichen Protestierenden hatten erkannt, dass sie selbst ihre stärksten Waffen sind, wenn sie friedlich und dabei ausdauernd und stark bleiben.

Mitglieder des Frauentrios bedankten sich beim belarusischen Volk immer wieder für dessen Freiheitsbestrebungen. Außerdem bewunderte es die Tapferkeit der protestierenden belarusischen Frauen. Im September trafen Sviatlana Tsikhanouskaya, Volha Kavalkova und Veranika Tsapkala in Warschau zu einem offiziellen Treffen wieder zusammen. Gegenüber Journalisten lobten sie den Mut ihrer Kolleginnen und Freundinnen, vor allem ihrer »unerschrockenen Freundin« Maria Kalesnikava, die sich trotz des Risikos, in ihrer Heimat verfolgt zu werden, für die Inhaftierung entschied, statt sich in die Emigration zwingen zu lassen. In ihren zahlreichen Meldungen aus dem Exil im Ausland verurteilte Sviatlana Tsikanouskaya die belarusische Polizei für die Gewalt gegen Frauen und Mädchen und lobte den Mut der Frauen sehr.

Weiße Proteste und Frauenmärsche folgten und wurden zu einer regelmäßigen Tradition, die in Belarus mindestens einmal pro Woche, am Samstag, stattfand. Belarusische Frauen marschierten durch belarusische und auch ausländische Städte und Orte, hielten sich an den Händen, trugen Blumen und Plakate bei sich, sangen Schlaflieder und das berühmte belarusische Lied Kupalinka, das vom traurigen Schicksal eines Dorfmädchens handelt.

Viele Belarussinnen organisierten Flashmobs und produzierten Videos für Belarus und ein internationales Publikum. Mit den starken weiblichen Führungsfiguren aus dem ursprünglichen Trio, aber auch den weiblichen Präsidiumsmitgliedern des Koordinierungsrats und belarusischen Schauspielerinnen, Sportlerinnen und Künstlerinnen, die allesamt die belarusischen Behörden und Aliaksandr Lukashenka öffentlich verurteilen, sind weibliche Stimmen nach wie vor tonangebend in den Protesten.

Die belarusischen Behörden haben die Macht der belarusischen Frauen deutlich erkannt – und Frauen aus dem ganzen Land zu einem von ihnen organisierten Konzert mit dem Titel Frauen für Belarus gebracht, auf dem russische und belarusische Popstars ihre Unterstützung für Aliaksandr Lukashenka ausdrückten. Offensichtlich versuchten die Behörden, diese Frauen den Tausenden weiblichen Protestierenden in Belarus gegenüberzustellen und zu zeigen, dass in Wirklichkeit viele Frauen Lukashenka unterstützen. Im Nachhinein wurden in den Medien Bilder verbreitet, auf denen Lukashenka von Frauen aus dem Publikum des Konzerts umringt und geküsst wird.

Ein Slogan der Pro-Lukashenka-Protestierenden war das Wortspiel »Ein Geliebtes (Belarus) kann nicht aufgegeben werden«. Im Originalausdruck bezieht sich der Satz auf »eine Frau«. Niemals zuvor war Frauen von Seiten der belarusischen Führung so viel Aufmerksamkeit entgegengebracht worden. Die belarusischen Frauen reagierten auf den Slogan, indem sie Lukashenka mit einem Missbrauchstäter verglichen, der meist den Willen seiner Partnerin, ihn zu verlassen, bricht und sie zwingt, bei ihm zu bleiben – die Partnerin ist in dem Vergleich das belarusische Volk, das seit vielen Monaten immer weiter gegen seine Autoritäten protestiert.

Momentan machen sich die weiblichen Stimmen von Belarus zwar definitiv bemerkbar, leider wird aber nicht auf sie gehört. Obwohl die repressive Maschinerie immer neue Wege erfindet, um einzelne Frauen gezielt anzugreifen, demonstrieren die weiblichen belarusischen Führungsfiguren und Protestierenden Mut und Entschlossenheit, ihren Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit fortzuführen. Die Emanzipation der belarusischen Frauen fand schnell statt und war intelligent und unvergesslich. Die belarusischen Autoritäten werden eine neue leidenschaftliche und nicht zu stoppende Triebkraft nicht ignorieren können – die Macht der belarusischen Frauen.

Übersetzung aus dem Englischen: Sophie Hellgardt

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