Linke Gruppierungen in Belarus
Linke Gruppierungen in Belarus lassen sich grob in drei Kategorien einteilen, die allesamt auf eigene Art und Weise ein politisch marginales Dasein unter der autoritären Herrschaft Lukaschenkas führ(t)en: 1) die parteiförmige oppositionelle Linke, deren bekannteste Exponenten die Belarusische Linkspartei »Gerechte Welt« und die Belarusische Grüne Partei darstellen; 2) unabhängige Gewerkschaften, die bis zu ihrer Zerschlagung 2022 im knapp 10.000 Mitglieder zählenden Gewerkschaftsverband BKDP (dt. Belarusischer Kongress Demokratischer Gewerkschaften) organisiert waren und in mehreren Sektoren eine nicht unwichtige Organisierungspräsenz auf betrieblicher Ebene vorweisen konnten; und 3) ›neulinke‹ kulturelle Vereinigungen und Projekte wie die Zeitschrift »Praswjet« und der der Partei »Gerechte Welt« nahestehende Minsker Veranstaltungsklub »Antiexperten-Zentrum«, die allerdings gegen Ende der 2010er-Jahre in zunehmende Inaktivität verfielen. Bei »Praswjet« handelte es sich seinerzeit um ein kulturell-politisches Zeitschriftprojekt in belarusischer Sprache mit aktiven Verbindungen zum ukrainischen Pendant »Spilne«, die beispielsweise im Kontext des Donbas-Krieges 2014 ins sog. Minsker Antikriegstreffen linker Aktivist*innen aus der Ukraine, Russland und Belarus mündeten.
Zwischen den drei Akteurskategorien fungierte beispielsweise das (zuletzt offline gegangene) Webportal www.left.by als Bindeglied und Austauschplattform unterschiedlicher Stimmen aus dem linken Spektrum. Hierzu zählten nicht zuletzt Vertreter*innen der unabhängigen Gewerkschaften, die grundsätzlich als parteiunabhängige Organisationen auftraten und gleichzeitig als wichtige Knoten innerhalb linker und oppositioneller Zusammenhänge dienten. Neben der aktiven Beteiligung zahlreicher unabhängiger Gewerkschaften an diversen Anti-Regime-Protesten über die Jahre nahm beispielsweise die Freie Gewerkschaft der Metallarbeiter im Februar 2021 zusammen mit »Gerechter Welt« und Grünen am »2. Forum linker demokratischer Kräfte von Belarus« teil.
Im Kontext des im Februar 2022 begonnen Angriffskriegs der Russischen Föderation gegen die Ukraine mit der Unterstützung des Lukaschenka-Regimes haben erhöhte Repressalien innerhalb Belarus zur vollständigen Zerschlagung der unabhängigen Gewerkschaften geführt, während die parteiförmige Linke um »Gerechte Welt« ihre Beteiligungsversuche an der längst bedeutungslos gewordenen Parteipolitik im autokratischen System Lukaschenkas weiterbetreibt. Die staatlich angeordnete Liquidierung der BKDP und die Gerichtsverfahren gegen deren Führungspersonen setzten der unabhängigen Gewerkschaftsbewegung, die mehrere Jahrzehnte unter autokratischen Bedingungen überlebt hatte und in den beispiellosen Arbeitskämpfen und Streikaktionen während der Anti-Lukaschenka-Proteste 2020 eine Schlüsselrolle spielte, ein jähes Ende, wobei die Initiative »Salidarnast« als Nachfolgeprojekt der BKDP mit ihrem Engagement für politisch verfolgte belarusische Gewerkschafter*innen internationale Aufmerksamkeit erlangen konnte.
Zwischen Kriegsopposition und Repressalien
Am 24. Februar 2022 veröffentlichte der unabhängige Gewerkschaftsverband BKDP eine besonders eindeutig formulierte Erklärung gegen die russische Invasion der Ukraine, gegen die »Schande« der belarusischen Beteiligung am Krieg als »Verbündeter des Aggressors« und für einen Sieg der Ukraine im Namen der »absolute[n] Mehrheit der Belarusen«. Es folgten auch Antikriegserklärungen von Grünen und »Gerechter Welt« gegen die russische Invasion sowie jegliche belarusische Beteiligung an dieser, wobei erstere den Rückzug russischer Streitkräfte zu deren Positionen vor Invasionsbeginn forderte und letztere etwa die am 28. Februar begonnenen Friedensverhandlungen im belarusisch-ukrainischen Grenzgebiet als einzigen Weg zur Lösung des Konflikts begrüßte.
In den ersten Tagen und Wochen des russischen Aggressionskriegs kam es zu anonymen Sabotageaktionen an der belarusischen Bahninfrastruktur mit dem Ziel der Erschwerung und Verhinderung russischer Kriegsoperationen im belarusischen Staatsgebiet. Diese Aktionen wurden als »Eisenbahnkrieg« in Anlehnung an den Partisanenkampf gegen die nationalsozialistische Besatzung bekannt und avancierten zu einer bedeutsamen Form von Antikriegsaktivismus innerhalb Belarus. Sie hatten aber auch eine erhöhte staatliche Repressionswelle mit Dutzenden Festnahmen von unter Verdacht stehenden Bahnbeschäftigten und der Einstufung von Sabotageaktionen als »Terrorismus« zur Folge. Es war nicht zuletzt in diesem Kontext, dass die BKDP-Gewerkschaften unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung zur Zielscheibe der Sicherheitsbehörden wurden und zahlreiche ihrer Führungspersonen in einer Großrazzia im April 2022 festgenommen wurden, was internationale Aufmerksamkeit erlangte und scharfe Verurteilung durch europäische sowie globale Gewerkschaftsvereinigungen und Dachverbände nach sich zog.
Nachdem mehrere BKDP-Mitgliedergewerkschaften zu »extremistischen Vereinigungen« erklärt worden waren, ordnete das Oberste Gerichtshof sukzessiv im Juli 2022 ihre Liquidierung und schließlich die Liquidierung der BKDP als Ganzes an. Im Dezember 2022 begannen die Gerichtsprozesse gegen die verhafteten Gewerkschafter*innen, die seitdem zu zahlreichen Gefängnisurteilen unter Berufung auf »extremistische« und »terroristische« Aktivitäten sowie »Hochverrat« geführt haben. Somit gelang es dem Lukaschenka-Regime innerhalb weniger Monate des russischen Angriffskriegs, die bereits seit Anfang der 1990er-Jahre aktive und auch im Zuge der großen Repressionswelle nach den Protesten 2020 unter erschwerten Bedingungen weiter operierende unabhängige Gewerkschaftsbewegung als organisierte Akteurin zu zerschlagen. Als Nachfolgeprojekt sowie Unterstützungsplattform für politisch verfolgte Gewerkschaftsmitglieder wurde die Vereinigung »Salidarnast« (dt. Solidarität) im Oktober 2022 gegründet und konnte seitdem mit ihrer aktiven Öffentlichkeitsarbeit aus dem Exil heraus internationale Aufmerksamkeit für die staatliche Repression gegen die belarusischen unabhängigen Gewerkschaften erlangen.
Parallel hierzu haben »Gerechte Welt« und Grüne ihre randständigen Versuche der Einflussnahme auf den parteipolitischen Betrieb im Schatten des russischen Angriffskrieges in der Ukraine weiterbetrieben. So nahm »Gerechte Welt« beim Verfassungsreferendum Ende Februar 2022 gegen die geplanten Verfassungsänderungen Stellung, wobei einer ihrer Wahlbeobachter seines Platzes verwiesen wurde, als er versuchte, Wahlfälschungen zu melden. Die Verfassungsänderungen dienten u. a. der Legitimierung der von Lukaschenka berufenen Gesamtbelarusischen Volksversammlung und der zukünftigen Ermöglichung der Stationierung russischer Atomwaffen in Belarus. Im Januar 2023 etwa kritisierte die Partei geplante Änderungen zum Parteiengesetz (insbesondere die erschwerten Bedingungen zum registrierten Status von Parteien) als jüngsten Schritt zur Zerstörung des ohnehin faktisch inexistenten »Mehrparteiensystems«.
Fazit
Im Kontext des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine haben die in Reaktion auf die Anti-Lukaschenka-Proteste von 2020 intensivierten Repressalien gegen organisierte Opposition in Belarus einen neuen Höhepunkt erreicht und zur Zerschlagung der unabhängigen Gewerkschaften geführt, die zum Zeitpunkt des Invasionsbeginns eine der wenigen übriggebliebenen Akteursgruppen aus dem linken sowie breiteren Oppositionsspektrum mit nennenswerter Organisierungsbasis bildeten. Die parteipolitische Linke bleibt weiterhin äußerst marginal, wobei »Gerechte Welt« und Grüne bisher mit ihren Antikriegspositionen organisatorisch standhalten konnten. Eine wichtige Entwicklung bildet jedoch die Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit der Vereinigung »Salidarnast« als Nachfolgeprojekt der BKDP, die zu erhöhter internationaler Aufmerksamkeit für die Notlage unabhängiger Gewerkschafter*innen in Belarus geführt hat und damit eine wichtige Ressource beisteuert, die mehr denn je gebraucht wird und deren Name in diesem Fall schon Programm ist: Solidarität über Grenzen hinaus.