Zwei Frauen, ein Schicksal?
Am 16. Februar 2024 ging das Bild um die Welt, in welchem die belarusische Oppositionsführerin Swjatlana Zichanouskaja die vom gerade durchlebten Schicksalsschlag gezeichnete Julija Nawalnaja während eines Treffens bei der Münchner Sicherheitskonferenz 2024 in den Arm nahm. Zichanouskaja sprach hierbei Nawalnaja, die wenige Stunden zuvor wie die restliche Welt von dem Tod ihres Ehemannes Alexei Nawalny im russischen Straflager erfahren hat, ihr Beileid aus. Auf den ersten Blick hin schienen die Parallelen zwischen den beiden Frauen und ihren Schicksalen für viele Außenstehende offensichtlich zu werden: Beide teil(t)en die Erfahrung, ihre Ehemänner in ihren jeweiligen Heimatländern zurücklassen zu müssen, da diese aufgrund ihrer politischen Opposition zu den jeweiligen Autokraten ihrer Länder zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden sind. Beide sahen sich auch gezwungen aufgrund ihrer eigenen Sicherheit und der ihrer Kinder ins Exil zu fliehen. Und beide beanspruchen nun, die jeweiligen Demokratiebewegungen ihrer jeweiligen Länder anzuführen. Der daraufhin zu hörende Ruf vieler außenstehender Beobachter:innen nach der Zusammenlegung der Kräfte beider Oppositionsbewegungen präsentierte sich somit als sich selbst ergebend und angeblich logisch. So zumindest scheint, wie schon erwähnt, alles auf den ersten Blick.
Auf den zweiten Blick jedoch ist analytisches Feingefühl geboten. Denn es wäre nicht richtig und sogar kontraproduktiv, aufgrund der Ähnlichkeiten zwischen den individuellen Lebensverläufen beider Frauen nun auch eine Parallele zwischen den jeweiligen politischen anti-autokratischen Bewegungen Belarus' und Russlands zu ziehen. Beide Oppositionsbewegungen agieren zwar gegen eine repressive personalistische Autokratie in ihren jeweiligen Ländern. Aber ihre ganz eigenspezifischen identitären Merkmale weisen darauf hin, dass es sich bei beiden Bewegungen um äußerst unterschiedliche politische Gruppen handelt, die in vielerlei Hinsicht auch konträr zueinanderstehen können. Dieser Kontrast erschwert eine Kooperation zwischen beiden Oppositionen. Welche entscheidenden Faktoren hierfür ausschlaggebend sind und warum es überhaupt Sinn macht, über eine Zusammenarbeit zwischen den zwei Demokratiebewegungen nachzudenken, sind die zentralen Fragen, mit denen sich dieser Aufsatz beschäftigen wird.
Zwillingsschwestern oder Cousinen?
Wenn man bedenkt, dass die jeweiligen Feindbilder beider Dissidentengruppen (Aljaksandr Lukaschenka und Wladimir Putin) schon längst miteinander zusammenarbeiten, sticht die Frage hervor, warum dann nicht das Motto für beide Gruppierungen gilt: Der Feind (des Verbündeten) meines Feindes ist mein Freund? Zumal auch eine sprachliche Barriere zwischen beiden Seiten nicht gegeben ist.
Zwar betonen beide Seiten, man nutze zufällige Begegnungen bei öffentlichen Veranstaltungen, um gegenseitige Erfahrungen im Kampf gegen die eigene Autokratie zu diskutieren. Solche Gespräche verblieben aber lediglich auf individueller Ebene. So sprach Zichanouskaja oft „nur“ über ihre Bekanntschaft mit dem seit April 2022 im Straflager sitzenden russischen Oppositionspolitiker Vladimir Kara-Mursa. Der russische Oppositionelle Dmitrij Gudkow beschrieb in einem Deutsche Welle-Interview aus dem Jahr 2023 die Zusammenarbeit zwischen beiden Dissidentengruppen eher als sporadisch und auf zufällige Aufeinandertreffen beschränkt.
Dies ist umso erstaunlicher, da beide Demokratiebewegungen mit ähnlichen Problematiken konfrontiert sind. Beide Oppositionen stehen vor der Herausforderung, wie man aus dem Exil heraus eine effektive Oppositionspolitik gegen das eigene autoritäre Regime organisieren kann. Ebenso diskutieren beide innerhalb ihrer jeweiligen Lager intensiv darüber, ob der politische Kampf gegen die Autokratie nur mit friedlichen oder (auch) mit bewaffneten Mitteln geführt werden muss. So kämpfen bekanntermaßen sowohl das belarusische Kastus-Kalinouski-Regiment als auch die russische Legion "Freiheit Russlands" als Teile der ukrainischen Streitkräfte gegen die Armee des Kremls. Beide Paramilitärs haben innerhalb beider Oppositionsbewegungen – milde ausgedrückt – einen gemischten Ruf. Dies lässt sich auf ihre zum Teil vorhandenen Wurzeln im Rechtsextremismus zurückführen. Und letztens sind beide Exilgruppierungen mit der gemeinsamen Gefahr konfrontiert, durch die Abwesenheit im eigenen Heimatland an politischer Relevanz zu verlieren und an einem politischen Realitätsverlust in Bezug zu den politischen Bedürfnissen ihres (potenziellen) Elektorats im Heimatland zu „erkranken“. Warum also nicht die politischen Ressourcen zusammenlegen, gemeinsame Foren gründen, ähnliche Herausforderungen diskutieren und genauso, wie Lukaschenka und Putin es schon auf der Ebene der Autokratiezusammenarbeit machen, ein demokratisches und synergetisches Gegenwicht schaffen?
Das berüchtigte „Aber“
Um die Gründe für die fehlende Kooperation zwischen der belarusischen und russischen nicht-systemischen Opposition zu erkundschaften, ist es hilfreich, Bezug auf die bekannte Triade des Politikbegriffs zu nehmen: Polity, Policy und Politics. Der erstere Begriff steht für die institutionellen Rahmenbedingungen innerhalb der politischen Praxis. Der zweite konzentriert sich auf den Inhalt sowie die Ziele einer Politikdynamik. Und der letztere Terminus schließt den prozessualen Charakter eines politischen Projekts angefangen bei einer politischen Entscheidung bis hin zu der Implementierung dieser in sich ein.
- Die institutionellen Hürden
Der erste zentrale Unterschied befindet sich auf der institutionellen Ebene (Polity). Die russische nicht-systemische Opposition hat im Gegensatz zu ihrem belarusischen Counterpart keine eindeutig zu identifizierende Führungspersönlichkeit. Bekanntermaßen beschnitten (und beschneiden) die sehr diversen demokratischen Oppositionskräfte Russlands oft ihre eigenen Synergiefähigkeiten durch interne Machtkämpfe. Oft geht es dabei um Egofragen (wer führt wen an?). Ein gutes Beispiel hierfür ist ein Streit zwischen Alexei Nawalny’s „Fortschrittspartei“ und der sich als liberal-demokratisch bezeichneten „PARNAS“-Partei, angeführt von dem im Kreml in Ungnade gefallenen ehemaligen russischen Premierminister Michail Kassjanow im Jahr 2016. Beide Anführer stritten sich um die Frage, welcher der beiden Politiker auf „Platz eins“ der gemeinsamen demokratischen Koalitionsliste für die damals anstehenden Duma-Wahlen 2016 stehen sollte. Folglich zerbrach die Koalition an diesem Disput noch vor den Parlamentswahlen 2016.
Vor einem solchen Problem steht die belarusische Seite nicht. Hier hat sich Swjatlana Zichanouskaja seit den Ereignissen der gefälschten Präsidentschaftswahl in Belarus im August 2020 als Führungsperson konsolidieren können. Dies gelang ihr auch deshalb, weil die damals wichtigsten oppositionellen Anwärter auf die Präsidentschaft in Belarus vom Regime nicht registriert und/oder unrechtmäßig vom Minsker Regime inhaftiert worden waren. Zwar könnte man sagen, dass auch Nawalny nach seiner Rückkehr nach Russland und seiner anschließenden Inhaftierung im Januar 2021 ebenfalls über russische (Oppositions-)Parteigrenzen hinweg an politischem Gewicht dazu gewonnen hat. Doch hinkt der Vergleich zu Zichanouskaja dennoch hinterher. Nawalny’s politische Einflussnahme war durch seine Verhaftung stark eingeschränkt worden. Diese Umstände standen im Gegensatz zur belarusischen Oppositionsführerin, auch wenn diese „nur“ aus dem Exil operieren kann. Genauer gesagt, haben die politischen Evolutionen beider Oppositionsfiguren schon seit Beginn ihrer Koexistenz entgegengesetzte Verläufe genommen. Zichanouskaja startete bedingt durch die Inhaftierung ihres Ehemannes Sjarhej Zichanouski und somit unfreiwillig als ein politisches Symbol der belarusischen Demokratiebewegung. Im Laufe der Jahre wuchs sie zu einer anerkannten politischen Akteurin heran. Nawalny’s Aufstieg hingegen gestaltete sich in der entgegengesetzten Richtung. Dieser startete bewusst als Politiker und ist erst nach seiner Rückkehr aus deutscher gesundheitlicher Rehabilitierung nach Russland und Verhaftung im Jahr 2021 für viele zu einem politischen Symbol des Widerstandes geworden. Weil aber auch nach Nawalny’s Tod keine eindeutige Führungsperson innerhalb der russischen Demokratiebewegung zu identifizieren ist, gestaltet sich ein konstruktiver Dialog zwischen beiden nationalen Oppositionen weiterhin als schwer. Die Übernahme der politischen Geschäfte ihres verstorbenen Ehemannes durch Yulia Nawalnaja erlaubt es bisher nicht, von einer spürbaren politischen Vektoränderung in diesem Zusammenhang zu sprechen.
Bemerkbar macht sich dieses Polity-Problem zusätzlich durch das Fehlen von eindeutigen und von allen russischen Oppositionsakteuren anerkannten Oppositionsinstitutionen. In der Tat ist nach dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine im Februar 2022 von einigen russländischen Exilpolitikern ein „Exilparlament“ („Kongress der Volksdeputierten“) mit Sitz in Warschau gegründet worden. Doch liegt die Betonung im vorherigen Satz auf „von einigen“ (und somit nicht von allen). Hier ist die belarusische Opposition ihren russischen Kollegen:innen einen Schritt voraus. Schon während der Protestwelle 2020 hat es die belarusische Opposition geschafft, einen Koordinierungsrat der belarusischen Oppositionskräfte zu etablieren, der von zentralen belarusischen anerkannt wird. Trotz der Inhaftierung und (unfreiwilligen) Ausreise vieler ihrer Mitglieder aus Belarus gelingt es der belarusischen Opposition diesen weiter im Exil am Leben zu halten. Somit ist auch hier einer inter-institutionellen Arbeit zwischen beiden Demokratiebewegungen eine Hürde in den Weg gelegt.
- Die ideologischen und inhaltlichen Hürden
Auf der Policy-Ebene gestaltet sich die Zusammenarbeit ebenfalls als schwer und widersprüchlich. Verwurzelt ist dies in einer Reihe vieler ambiguoser Signale, die sich beide Bewegungen gegenseitig bewusst und unbewusst im Laufe der letzten Jahre zugesendet haben. Dies führte zu Misstrauen auf beiden Seiten. So gilt für viele belarusische Oppositionelle das Mantra, das der russische Liberalismus zwar existiere, aber sich selbst auflöse, sobald es um das sogenannte „nahe Ausland“ Russlands gehe. Oft werden hier die Beispiele von Alexei Nawalny’s uneindeutiger Positionierung zur Krim-Annexion 2014 genannt – eine Uneindeutigkeit, zu der nicht einmal Lukaschenka selbst zu dem damaligen Zeitpunkt bereit gewesen war. Zudem war Nawalny in Belarus zur Last gelegt worden, dass dieser in den sehr frühen Stadien seiner politischen Karriere bekanntermaßen mit dem Rechtsradikalismus geliebäugelt hatte. Dieser hatte sich im Jahr 2008 in einem Internetpost auch über die belarusische Sprache lustig gemacht und das Lukaschenka-Regime gelobt. Fairnesshalber muss aber hier erwähnt werden, dass sich Nawalny später während der Protestwelle 2020 in Belarus mit der dortigen Demokratiebewegung mehrmals solidarisch erklärte, was aber dennoch nicht die Widersprüchlichkeit in seiner politischen Persona für viele Belarusen:innen eindeutig beseitigen konnte.
Doch auch die belarusische Oppositionsbewegung um Zichanouskaja herum sendete zum Teil verstörende Signale an ihre russländischen Kollegen:innen. So hatte Zichanouskaja in einem Interview für das russische Onlinenachrichtenportal RBK im September 2020 Putin mehrmals als eine „weise Führungspersönlichkeit“ bezeichnet. Außerdem bemühte sich Zichanouskaja’s Team im Laufe der Massenproteste in Belarus von 2020 immer wieder darum, die Demonstrationen weder als pro-europäisch noch als anti-Kreml oder anti-russisch zu kategorisieren, sondern als lediglich „pro-belarusisch“. Die fehlende Distanzierung zu dem Kreml ist natürlich das, was vielen Anhängern der russischen nicht-systemischen Oppositionsszene sauer aufgestoßen ist, da diese schon damals unter den zunehmenden Repressalien des Kremls zu leiden hatten. Eine solche plumpe Anbiederung an Moskau war aber etwas, was auch schon der ersten Generation der belarusischen demokratischen Opposition in 1990er-Jahren anhing. Kurz nach dem sogenannten „schleichenden Staatsstreich“ durch Lukaschenka's Verfassungsreferendum im Spätherbst 1996 setzen viele belarusische Demokratiekräfte auf den Kreml als Helfer und Vermittler. Dies war aber eine politische Fehlkalkulation der damaligen Opposition, denn die Jelzin-Administration spielte ein doppeltes Spiel zugunsten des Lukaschenka-Clans.
Wie aber im Falle von Nawalny ist auch die belarusische Opposition durch eine graduelle politische Evolution gegangen. Der erste Wandel geschah direkt nach der zweiten Invasion des Kremls in die Ukraine im Februar 2022, indem Zichanouskaja diesen Angriffskrieg gegen die Ukraine ausdrücklich verurteilte. Ein europapolitisches Element in dieser Evolution kam während der Jahreskonferenz der belarusischen Exilopposition in Warschau im August 2023 hinzu. Dort verkündete Zichanouskaja nun klar und deutlich, dass die Zukunft von Belarus in Europa liege, und sprach sich eindeutig gegen eine geopolitische Orientierung von Belarus in Richtung Russlands aus. Ein solcher Wandel basiert aber wahrscheinlich weniger auf dem Wunsch, die Verbindungen zur russischen Exilopposition zu stärken. Vielmehr hängt dies damit zusammen, die eigene Führungsposition innerhalb der belarusischen Diaspora zu sichern. Durch die geografische Distanz zu den eigenen Bürgern im belarusischen Kernland wird die eigene Diaspora nämlich zunehmend zur einzigen politischen Basis der belarusischen demokratischen Kräfte.
Interessanterweise spiegeln sich alle politischen Widersprüche und ideologischen Problematiken zwischen beiden Oppositionsbewegungen an einer anderen unerwarteten Stelle noch einmal wider. Aufgrund der unter anderem obengenannten Faktoren hält auch das offizielle Kyjiw Distanz zu den Demokratiebewegungen seiner beiden Nachbarländer. Also gilt auch hier nicht das Mantra des Realismus, welches besagt, dass der Feind meines Feindes mein Freund ist.
Es lässt sich also festhalten, dass sowohl auf der Polity- als auch auf der Policy-Ebene die Grundlagen nicht präsent sind, die eine Kooperation zwischen der belarusischen und russischen nicht-systemischen Opposition erlauben. Weil ideologische Diskrepanzen zwischen beiden Demokratiebewegungen herrschen und insbesondere der institutionelle Rahmen fehlt, um solche Differenzen aus der Welt zu schaffen, sind die Voraussetzungen nicht gegeben, um auf der prozessualen Ebene der Politik – der Politics-Ebene – gemeinsame Projekte zu verwirklichen.
An dieser Stelle stellt sich jedoch die Frage, ob eine solche Kooperation überhaupt notwendig ist? Die Antwort auf diese Frage hängt wiederum von einer zweiten Fragestellung ab, nämlich: Folgt auf das Ausscheiden des einen Autokraten von seinem politischen Amt automatisch das Ausscheiden des anderen autoritären Herrschers? Hier hängt alles von dem berüchtigten „Wie“ ab. Falls ja, macht die Zusammenarbeit natürlich Sinn. Aber falls nein, verschwendet die eine Seite ihre politischen, finanziellen und zeitlichen Ressourcen für die Zielerreichung der anderen Seite, ohne daraus politischen Profit schlagen zu können. Da die Beantwortung dieser zweiten Frage erst einmal bis zum „Tag X“ weiterhin auf rein spekulativen Ansätzen basieren wird, wird es nicht überraschend sein, dass die Zusammenarbeit wahrscheinlich wie bisher auf einem niedrigen Level verbleiben wird: Ein gelegentlicher und zufälliger Dialog zwischen einzelnen Individuen beider Gruppierungen, ohne auf gegenseitige Verpflichtungen einzugehen und ohne sich wirklich in die eigenen Karten durch die andere Seite schauen zu lassen.
Schlussgedanken und Empfehlungen an die Politik
Der oben beschriebene Sachverhalt ist in der Hinsicht bedauerlich, weil mehrere Überlappungen in den aktuellen Herausforderungen beider Gruppen bestehen. Die Lobbyarbeit in westlichen Institutionen und die von beiden Seiten kritisch gesehene EU-Visapolitik für belarusische und russische Bürger:innen seit Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine 2022 sind solche Überschneidungen. Auch die Frage alternativer Ausweisdokumente für die Diasporamitglieder beider Seiten stellt einen solchen Schnittpunkt dar, nachdem Minsk seit September 2023 es belarusischen Staatsbürger:innen nur noch erlaubt, ihre Pässe innerhalb des belarusischen Kernlandes zu verlängern oder neu zu beantragen. Laut Recherchen der Novaya Gazeta Europe ist noch in diesem Jahr dieselbe Handhabung russischer Ausweisdokumente durch den Kreml zu erwarten. Gemeinsame Medienarbeit im Onlinebereich wäre ebenfalls eine Möglichkeit für Synergieprojekte.
Genau hier könnten die EU-Staaten ansetzen. Diese könnten die Gründung von Foren unter der mediatorischen Ägide solcher Staaten wie Deutschland, Polen und Litauen (Staaten, in denen viele Exiloppositionelle beider Seiten Zuflucht gefunden haben) forcieren. Unterstützt durch europäische Experten:innen im Bereich der nicht-systemischen Oppositionsbewegungen im post-sowjetischen Raum könnten solche EU-Staaten einen Gedankenaustausch zwischen beiden Oppositionsbewegungen auf institutionalisierter oder vielmehr Polity-Ebene initialisieren. Hierbei ginge es weniger um das Ziel, eine Allianz zwischen beiden Demokratiebewegungen zu schmieden, sondern vielmehr darum, für beide Seiten die politische Vorhersehbarkeit des Gegenübers zu erhöhen. Das gilt insbesondere für das bisher schwer vorzustellende Szenario, in welchem es einer der Demokratiebewegungen eines Tages tatsächlich gelingen könnte, Teilhabe an der politischen Gestaltung der post-autoritären Ära ihres Heimatlandes zu erlangen und somit auch Einfluss auf die Außenpolitik vis-à-vis des noch vielleicht immer unter autoritären Umständen verbleibenden Heimatstaates der anderen Oppositionsgruppe auszuüben.
Für die EU wäre dies ebenso informativ. Die bisherige sehr identische EU-Sanktionspolitik gegenüber Belarus und Russland seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine 2022 lässt nämlich ebenfalls darauf schließen, dass innerhalb der EU (wie auch innerhalb der russischen liberalen Intelligenzija) noch nicht alle Offiziellen verstanden haben, dass beide Autokratien sowie beide Oppositionsbewegungen unterschiedliche Akteure darstellen, die auch differenziert behandelt werden müssen. Voraussetzung für dieses Vorhaben wäre aber zuerst, dass es insbesondere der russischen Exilopposition gelingt (notfalls auch durch äußere Hilfe), endlich mit einer Stimme zu sprechen. Es gilt somit für die potenziellen moderierenden Kräfte, hier schon jetzt mit präventiver Arbeit zu beginnen. Denn wie einst der römische Philosoph Seneca der Jüngere sagte: „Glück ist, was passiert, wenn Vorbereitung auf Gelegenheit trifft“.