In ihrer Studie, die vor kurzem in der Zeitschrift »Communist and Post-Communist Studies« veröffentlicht wurde, kommt die Autorin dieses Beitrags zum Schluss, dass das Regime in Belarus neben den traditionellen Methoden digitaler Repression verschiedene Taktiken für das Internet und die sozialen Netzwerke einsetzt, um seine Legitimität im digitalen Raum zu stärken (s. Lesetipps). Gestützt auf die Legitimitäts-Typologie von Christian von Soest und Julia Grauvogel von 2017 (s. Lesetipps), hat die Autorin in ihrer Studie die Beiträge auf 16 regimefreundlichen Telegram-Kanälen analysiert. Die Ergebnisse der Studie werden hier kurz zusammengefasst.
Übergang von einer Medien- und Informationskontrolle zu einem Kampf ums Publikum
Es gibt eine Reihe von Methoden, mit denen autoritäre Regime das Internet zu kontrollieren und zu zensieren versuchen. Steven Feldstein (The rise of digital repression: How technology is reshaping power, politics, and resistance; Oxford: Oxford University Press; 2021) bezeichnet sie als digitale Repressionen, die sich wiederum in eine Einhegung oder Kontrolle der Online-Kommunikation und in eine proaktive Einwirkung auf die Informationsflüsse unterteilen lassen. Die Analyse des Falles Belarus ergab, dass das Regime des Landes nun sein Potenzial im Online-Bereich schrittweise ausbaut. Dazu gehört der Einsatz von Taktiken proaktiver Einflussnahme und des Wettbewerbs um die Online-Öffentlichkeit.
Im Vorfeld des Urnengangs von 2020 hatte das Regime in Belarus einigen Berechnungen zufolge rund 200 Millionen US-Dollar in die zentralisierte Blockierung des Internets vom 8. bis zum 12. August 2020 investiert. Das Nationale Zentrum für elektronische Dienstleistungen hatte seinerzeit mit Hilfe der US-amerikanischen Software »Sandvine«, die eine tiefgreifende Filterung ermöglicht, rund 150 IP-Adressen blockiert, wodurch die meisten Belarus:innen in dieser Phase keinen Zugang zum Internet hatten. Das Regime in Belarus wurde sich aber klar, dass diese technische Lösung eine große finanzielle Belastung bedeutet, und ging daraufhin zu den traditionellen Methoden über: Oppositionsführer:innen wurden reihenweise verhaftet und die Medien mit Hilfe gesetzlicher Regelungen kontrolliert.
Gegenwärtig aktualisiert das belarusische Informationsministerium regelmäßig die Listen verbotener Online-Materialien, wobei diese als »extremistisch« eingestuft werden. Diese Listen umfassen jetzt über 3.000 Namen, Lieder, Kanäle und Accounts. Darüber hinaus erhöhte das Regime in Belarus die Frequenz, mit der Gesetze zur Regulierung des Internets und der sozialen Netzwerke verschärft werden.
Seit Ende 2020 wurde sich das Regime bewusst, dass nicht nur die finanziellen Möglichkeiten zur Aufrechterhaltung des Repressionssystems begrenzt sind, sondern auch die entsprechenden Potenziale des Verwaltungsapparats. Daher ging es zu einem aktiven Vorgehen im digitalen Bereich über. In diesem Zeitraum beobachteten Forscher:innen vom Projekt »MediaIQ« das Anwachsen eines Netzes von regimefreundlichen YouTube-Kanäle. Außerdem entstanden in der gleichen Zeit die meisten der großen regimefreundlichen Telegram-Kanäle und TikTok-Accounts, die zentralisiert und synchronisiert daran arbeiten, regierungsfreundliche Narrative zu verbreiten.
Warum braucht das Regime Legitimität, wo es doch Repressionen gibt?
Einer der Gründe, warum autoritäre Regime in den sozialen Netzen aktiver werden, sind gestiegene Kosten für die Repressionsmaschine. Hinzu kommt das Bestreben, mit Hilfe eines positiven Images der Regierung die Zahl ihrer Anhänger zu erhöhen. Diverse Versuche, seine Legitimität gegenüber den politischen Eliten, den eigenen Bürger:innen oder der internationalen Gemeinschaft zu erhöhen, werden oft als legitimation claims bezeichnet. Alle politischen Regime streben nach Legitimierung, auch autoritäre. In demokratischen Ländern führt ein Verlust der Legitimität zum Verlust der Macht. In autoritären Staaten stellt allerdings die Unterstützung durch die Bevölkerung nicht die wichtigste Stütze des Regimes dar. Zudem wird diese Legitimierung nicht selten durch administrativen Zwang und Repressionen hergestellt.
Die moderne Forschung zu Autokratien hält keine einheitliche Antwort auf die Frage bereit, wozu diese Regime Legitimität brauchen. Schließlich kann die Maschine des Staates die Bürger:innen doch kontrollieren und nötigen. Eine der Erklärungen lautet, dass damit einem Zerfall des Regimes von innen heraus vorgebeugt werden soll. Um ein autoritäres Regime vor internen Umstürzen zu schützen, versuchen autoritäre Führer:innen die politischen Eliten davon zu überzeugen, dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht, die Politik erfolgreich ist und eine Unterstützung durch die Bevölkerung besteht.
Außerdem hilft den autoritären Regimen eine Stärkung der Unterstützung in der Bevölkerung (aufgrund einer dort herrschenden Überzeugung, dass der politische Kurs richtig ist), Massenproteste zu vermeiden. Je mehr Bürger:innen meinen, die Regierung sei ermächtigt, die Politik im Land umzusetzen, desto geringer sind für das politische Regime die Risiken durch Proteste der Bevölkerung.
Ein weiterer Grund für die Aufrechterhaltung einer tatsächlichen oder scheinbaren Legitimität sind die Positionen des politischen Regimes auf der internationalen Bühne. Je größer der Rückhalt in der Gesellschaft, auf den das Regime verweisen kann, desto leichter kann es auf sein Recht zu herrschen pochen und sich international als Stimme des Volkes präsentieren.
In Bezug auf den digitalen Raum ist die Effektivität der verschiedenen Legitimierungsstrategien nur recht schwer zu beurteilen. Daher ist es das Ziel dieses Beitrags, die Legitimierungsversuche festzuhalten, die regimefreundliche Autor:innen auf Telegram platzierten. Diese sollen dann anhand der sechs unten aufgeführten Legitimierungstypen eingeordnet werden.
Sechs Typen der Legitimierung, zu denen das Regime in Belarus greift
Im Zeitraum der Analysen (vom 1. bis zum 31. Juli 2023) haben 16 ausgewählte regimefreundliche Telegram-Kanäle 5.100 Originalposts veröffentlicht, von denen diejenigen zur Analyse herangezogen wurden, in denen Legitimierungsversuche festzustellen waren. Unter Legitimierung werden in dieser Studie die Herausstellung der Erfolge bei der Umsetzung bestimmter Politiken oder Entscheidungen verstanden, sowie eine Huldigung Lukaschenkas oder anderer Protagonist:innen des Regimes.
Im Folgenden wird die Analyse der Publikationen mit legitimierenden Inhalten vorgestellt. Dies erfolgt anhand der sechs Typen der Legitimierung, die in diesem Abschnitt eingehender beschrieben werden.
Von Soest und Grauvogel haben folgende Legitimitätstypen herausgearbeitet: Einen auf Ideologie basierenden, einen mit Bezug auf einen Gründungsmythos, einen personalistischen, einen verfahrensbezogenen, einen leistungsbezogenen und einen auf die internationale Ebene orientierten.
Unter ideologischer Legitimität wird die Schaffung und Artikulierung einer Sammlung von Ideen und wertebezogenen Haltungen, also eines erwünschten Bildes der Welt verstanden, an dem das soziale und politische Verhalten der Eliten und der Bürger:innen gemessen wird.
Die Legitimität durch einen Gründungsmythos ist ein Typ Legitimität, der sich auf die Rolle der politischen Eliten beim Aufbau des Staates aus seinen Ursprüngen bezieht. Dabei wird auf die Verdienste dieser politischen Eliten bei der Errichtung und der Aufrechterhaltung des bestehenden politischen Systems verwiesen.
Personalistische Legitimität verweist auf die Rolle der/s herrschenden Staatsführerin/s, der/m in der Öffentlichkeit alle Erfolge und Leistungen zugeschrieben werden.
Die verfahrensbezogene Legitimität betrifft die Artikulierung von Gerechtigkeit bei den Verfahren und Politiken. Hier geht es etwa um Wahlen, Effektivität von Reformen, Angemessenheit der Rechtsgrundlagen sowie die gerechte Anwendung der Gesetze.
Leistungsbezogene Legitimität spiegelt sich in der Herausstellung der Praktiken und Politiken wider, durch die die herrschende Regierung »die Bedürfnisse der Bürger:innen befriedigt«. Dieser Typ Legitimität umfasst das öffentliche Wirken des Staates zur Befriedigung der Bedürfnisse nach Wohlstand, Gesundheit und anderer spezifischer, oft grundlegender Erwartungen der Bürger:innen.
Für Regime, die sich innerstaatlichen Herausforderungen für ihre Legitimität gegenübersehen, stellt internationale Zusammenarbeit eine wichtige Quelle interner Legitimität dar. Beispiele hierfür sind eine positive Reputation des Staates im Ausland, eine Beteiligung an internationalen Maßnahmen oder eine Mitgliedschaft in internationalen Organisationen (siehe Grafik 1 auf der nächsten Seite).
Ideologie
Politolog:innen und Expert:innen sprechen oft davon, dass das Regime in Belarus über keine Ideologie verfüge. Aus der Grafik und der Tabelle oben geht jedoch hervor, dass der verbreitetste Legitimierungstyp in Publikationen festzustellen ist, in denen die ideologischen Haltungen des Regimes in Belarus als ein System von Ansichten dargestellt wird, die von den meisten Belarus:innen geteilt werden. In diesen Publikationen beschreiben regimefreundliche Autor:innen eine allgemeine belarusische Identität, die auf der Achtung der sowjetischen Vergangenheit und der gegenwärtigen Regierung beruhe. Es sind diese ideologischen Einstellungen, die nach Ansicht der Autor:innen der Telegram-Kanäle den Belarus:innen Geschlossenheit und eine gemeinsame Bewegung in die Zukunft ermöglichen. Bei diesen Publikationen waren oft Verweise darauf zu finden, dass das belarusische Volk »friedsam, heldenhaft und erfolgreich« sei. Es achte die sowjetische Vergangenheit, halte die Vorstellung von einer »[ost]slawischen Dreieinigkeit« hoch und glaube, dass gerade die gegenwärtige Regierung in der Lage ist, diese Werte in Belarus zu wahren. Dieses System schließt oppositionell eingestellte Belarus:innen aus. Sie werden als Verräter:innen und Feind:innen dargestellt. Auch die Länder des Westens, in denen »Unsittlichkeit und Unordnung wuchern«, werden als Feinde hingestellt.
Leistungen
Der zweitpopulärste Weg zur Legitimierung des Regimes in Belarus, der in den Telegram-Kanälen festzustellen ist, sind Behauptungen über eine erfolgreiche Umsetzung bestimmter Politiken und über bestimmte politische Entscheidungen. Regierungsfreundliche Autor:innen unterstreichen die Erfolge des belarusischen Regimes bei der Sicherung des Wohlergehens der Bürger:innen. In »schwierigen Sanktionszeiten« würden deren Bedürfnisse befriedigt. Zu diesen Publikationen zählten wir jene, in denen es um Entscheidungen für eine Umgehung der Sanktionen geht, die von den Autor:innen der Telegram-Kanäle als erfolgreich dargestellt werden. Ebenso wurden lokale Erfolge von Behörden und Beamt:innen angeführt, bei denen die Vorgaben im Agrarbereich übererfüllt worden seien. Populär sind auch Behauptungen, Lukaschenka und die Silowiki des Sicherheitsapparates seien die einzigen, die die Unabhängigkeit und Stabilität des Landes garantieren können.
Internationaler Austausch
Darüber hinaus griffen die belarusischen regierungsfreundlichen Autor:innen zu Legitimierungsstrategien gegenüber den Bürger:innen, indem sie den Akzent auf die internationalen Beziehungen legen. So thematisierte eine große Zahl der Publikationen die Bedeutung der Treffen von Vertreter:innen von Belarus bei der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ), durch die die internationale Repräsentation von Belarus gestärkt worden sei. In einer kürzlich veröffentlichten Studie von »Belarusian Change Tracker« (7. Ausgabe) wurde eine Zunahme derartiger Publikationen festgestellt. Dort wurden auch Lukaschenkas Besuche in Aserbaidschan und der Mongolei als internationale Erfolge für Belarus und seine Regierung beschrieben.
Personalistische Legitimität
Einen gesonderten Platz in den regierungsfreundlichen Narrativen nimmt die Figur Lukaschenka ein. Er wird als einziger Garant der Stabilität und einer zielstrebigen Entwicklung des Landes bezeichnet. Ihm persönlich werden die Erfolge innerhalb des Landes zugeschrieben, wobei er als Anführer charakterisiert wird, der in diesen für das Land schwierigen Zeiten »Geschlossenheit, Prosperität und Stabilität« gewährleistet.
Verfahrensbezogene Legitimität und Gründungsmythos
Die beiden am wenigsten populären Typen der Legitimierung sind Behauptungen darüber, dass bestimmte Gesetze und Verfahren erfolgreich seien. Hier wurden zum Beispiel die notwendigen Änderungen am Mediengesetz als Mittel zur Stärkung der Informationssicherheit in Belarus genannt. Oder eine Interpretation des historischen Erbes und der Erlangung der Staatlichkeit von Belarus, die über einen politischen Diskurs erfolgt, der vom Regime in Belarus unterstützt wird. Gleichzeitig werden andere Perioden der Geschichte des Landes (das Großfürstentum Litauen oder die Errichtung der Belarusischen Volksrepublik – BNR) verworfen, kritisiert oder ignoriert, ganz wie auch alternative Staatssymbole.
Es ist wichtig hervorzuheben, dass Legitimierung nur eine der Strategien der Regierung in Belarus ist, um auf die Online-Öffentlichkeit einzuwirken. Oft werden diese Publikationen mit Hilfe kontrastierender Bilder und Vergleiche mit politischen Opponenten formuliert. Die regierungsfreundlichen Autor:innen der Telegram-Kanäle kritisieren meist das Wertesystem des Westens sowie Politiker der USA, Polens, Litauens und der Ukraine. Die Weiterentwicklung der Netzwerke auf anderen Plattformen (TikTok und YouTube) und die Einführung komplexerer technologischer Instrumente, die darauf abzielen, die Position autoritärer Regime zu stärken, verdienen eine künftige eingehendere Untersuchung.
Ein Symptom der Verwundbarkeit der Regierung oder eine neue Gefahr?
Wie bereits erwähnt, ist diese Studie auf die Feststellung von Legitimierungsversuchen gerichtet, und nicht auf eine Bewertung der Legitimität des Regimes in Belarus. Die Analyse ergab, dass das Regime in Belarus ganz erhebliche administrative und mediale Ressourcen einsetzt, um sein Image in den sozialen Netzwerken aufzubessern. Einerseits ist das logisch, wenn man die Lage des Regimes in Belarus berücksichtigt. Und hier insbesondere den Umstand, dass das Regime in Belarus nicht über die notwendigen finanziellen Mittel verfügt und nicht in der Lage ist, sich mit alternativen Meinungen und politischen Ideen auseinanderzusetzen. Wie andere autoritäre Regime auch, musste das Regime in Belarus aus Ersparnisgründen in langfristige proaktive Lösungen investieren. Der belarusische Politologe Wital Silizki hat derlei Strategien als präventiv bezeichnet.
Der sterile Medienraum, den die Regierung in Belarus so sehr anstrebt, ist nur dann möglich, wenn das Regime tatsächlich in die Entwicklung von Technologien und in einen Pool von Propagandist:innen investiert. Wenn ein solcher Kurs eingeschlagen würde, müssten unabhängige Autor:innen sehr viel größere Anstrengungen unternehmen, um mit einer monopolartigen Content-Maschine des Staates konkurrieren zu können.
Gleichzeitig ist der Umstand, dass das Regime in Belarus auf online erzeugte Legitimation setzt, ein Symptom dafür, dass die belarusische Regierung sich ihrer Kräfte nicht sicher ist. Früher hatte sich die gesamte Vertikale des Regimes auf die Legitimität Lukaschenkas gestützt. Nach 2020 und dem Beginn des vollumfänglichen Krieges Russlands gegen die Ukraine (wonach die Wahl Lukaschenkas zum Vorsitzenden der Allbelarusischen Volksversammlung – BNS – und seine Erklärung über einen möglichen Rückzug erfolgten) hat sich für das Regime die Notwendigkeit erhöht, über mehr und stärker diversifizierte Legitimitätssäulen zu verfügen.
In Zukunft wird das Regime aller Wahrscheinlichkeit nach seine Potenziale im digitalen Raum weiter stärken, indem neue Praktiken eines proaktiven Austauschs mit der Bevölkerung eingeführt werden. Die haben sich in anderen Autokratien bereits etabliert. Das könnten Investitionen in Trollfabriken und junge Botschafter:innen des Regimes sein. Man könnte auch politische Prozesse im digitalen Raum imitieren (etwa durch leicht manipulierbare elektronische Wahlen). Unter diesen Umständen ist es nicht nur für die prodemokratische Bewegung wichtig, sich den künftigen Herausforderungen entgegenzustellen – das gilt auch für die internationale Gemeinschaft, einschließlich der Betreiber der großen digitalen Plattformen.
Übersetzung aus dem Russischen: Hartmut Schröder