Polnische Regional- und Metropolenpolitik. Kohärenz oder Konkurrenz?

Von Iwona Sagan (Danzig)

Zusammenfassung
Das Problem der Regionalentwicklung und die Komplexität der Begriffe Region, Regionalisierung und Regionalismus sind immer wieder Gegenstand der Debatten von Theoretikern und Praktikern der Regionalpolitik. Besonders belebt wurde die Debatte im vergangenen Jahrzehnt durch die Sozial- und Wirtschaftspolitik einzelner Staaten sowie des zusammenwachsenden Europas insgesamt. Die Europäische Union fördert eine Politik, die durch Produktivitäts- und Innovationssteigerung die Wirtschaftskraft der Regionen stärken will. Seit Polen 2004 ein Teil der Europäischen Union wurde, hat sich die polnische Regionalpolitik grundlegend gewandelt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und bis Mitte der 1970er Jahre war Polen in 17 Woiwodschaften gegliedert, 1975 wurde die Zahl im Zuge einer Gebietsreform auf 49 erhöht. Offiziell begründete man diesen Schritt mit der Notwendigkeit, die Landesverwaltung zu optimieren, Missverhältnisse in der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen den Regionen auszugleichen und die Behörden in den Regionen zu stärken. Tatsächlich wurde keines der vorgegebenen Ziele erreicht, stattdessen stärkte die Auflösung einflussreicher regionaler Strukturen wie erwartet den Einfluss der Zentralregierung. Die Zersplitterung hatte bis 1999 Bestand, als man in einer neuerlichen Gebietsreform zum Modell der starken Woiwodschaften zurückkehrte, deren Zahl seither bei 16 liegt. Erzwungen oder zumindest beschleunigt wurde die Reform durch die Vorbereitungen zum EU-Beitritt. Aufgrund der eng an finanzielle Hilfen gekoppelten formal-administrativen Beitrittsvoraussetzungen mussten fast alle neuen Mitgliedsstaaten ihre Gebietsverwaltung entsprechend der Klassifikation der Gebietseinheiten für die Statistik NUTS (Nomenclature des unités territoriales statistiques) überarbeiten. Die 1999 neu geschaffenen Woiwodschaften erfüllen die quantitativen Vorgaben für Einheiten der zweiten Hierarchieebene (NUTS 2) und haben damit Anspruch auf Finanzhilfen aus dem Strukturfonds zur Restrukturierung und Modernisierung der regionalen Wirtschaft. Auch diese Reform hatte also eine Verminderung des Gefälles in der wirtschaftlichen Entwicklung der Regionen und einen Ausgleich von Missverhältnissen zum Ziel.

Polen A und Polen B

All die unterschiedlichen Ansätze zur Regionalpolitik in Polen seit 1945 konnten die Entwicklungsdifferenz zwischen dem starken, sozioökonomisch gut entwickelten Westen (im Volksmund Polen A genannt) und dem weniger entwickelten Osten (Polen B) nicht beseitigen. Die Grenze folgt dem Verlauf der Weichsel. Ursachen für diese Zweiteilung sind in der Entwicklungsgeschichte der Gebiete zu suchen, die heute innerhalb der Staatsgrenzen Polens liegen. Nach wie vor ist das Erbe der Teilungen Polens zwischen 1772 und 1918 prägend für das unterschiedliche Niveau in den Bereichen Urbanisierung, Verkehrswege, landwirtschaftliche Strukturen und Konzentration von Produktions- und Dienstleistungszentren, das sich in den Staatssystemen Russlands, Deutschlands und Österreichs herausgebildet hat. Auch in Einstellung und Mentalität der Bewohner spiegeln sich die Unterschiede wider. Als beredtes Beispiel seien in diesem Zusammenhang die parteipolitischen Präferenzen genannt, die der Einteilung in Polen A und Polen B weitestgehend entsprechen.

Untersuchungen zum sozialen Kapital unter Berücksichtigung der historischen regionalen Gegebenheiten in Polen weisen auf eine Dominanz des bonding social capital im Osten und Süden Polens sowie in schwach urbanisierten Regionen hin. Im Westen des Landes und im großstädtischen Umfeld dominiere dagegen das bridging social capital. Der Unterschied zwischen den Parametern dieser Erscheinungsformen sozialen Kapitals ist als Erklärung für die jeweils vorherrschenden sozialen und zivilen Einstellungen von fundamentaler Bedeutung. Das bonding social capital erwächst aus der Verwurzelung in lokalen gesellschaftlichen Strukturen, die oft an Familien-, Clan-, Kasten- oder Klassenverbände erinnern. Es begünstigt vor allem die Beibehaltung des Status quo und die Verteidigung der traditionellen Eigenständigkeit der sozialen Gruppe. Das bridging social capital beschreibt die Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher sozialer Herkunft, deren Zusammenwirken unabhängig von direkten Verbindungen durch Familie, Geburtsort, Rasse oder Religion (also unabhängig vom erwähnten bonding social capital) von gegenseitigem Vertrauen geprägt ist. Dieser zweite Typus sozialer Bindungen bewirkt eine stärkere Offenheit und Toleranz gegenüber Fremden, ein pragmatisches Miteinander, er befähigt zu gemeinsamem Handeln und einer effektiven Organisationskultur und fördert die Akzeptanz innovativer Lösungen und unkonventioneller Ansätze. Damit basiert das bridging social capital auf der Einstellung von Menschen, die heute zur Dynamisierung der sozioökonomischen Entwicklung in den Regionen so dringend gebraucht wird.

Ein starkes wirtschaftliches Ungleichgewicht fördert die Polarisierung gesellschaftlicher Haltungen. Das Gefühl kultureller Minderwertigkeit innerhalb ganzer gesellschaftlicher Gruppen lässt diese nur umso stärker in den konservativen Strukturen eines fremdenfeindlichen sozialen Kapitals befangen sein. Sowohl die Regionen im Osten Polens sind von diesem Problem betroffen als auch die Gebiete am Rande der pulsierenden, hochentwickelten Metropolregionen. Die breit angelegte Diskussion um die neue »Nationale Strategie zur Regionalentwicklung 2010–2020«, die die Regierung im Juli 2010 verabschiedet hat, behandelte ausführlich die Überwindung des Ungleichgewichts und beinhaltete auch die Suche nach Möglichkeiten zur Dynamisierung der Regionalentwicklung im ganzen Land. Dabei wurden die Grundsätze in drei Hauptzielen für die Regionalpolitik festgeschrieben: (1) Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit der Regionen, (2) Schaffung eines kohärenten Territoriums und Bekämpfung von Marginalisierungstendenzen in problematischen Gebieten, (3) Steigerung der Effizienz regionaler Entwicklungsprojekte. Im Wesentlichen lassen sich die Thesen also auf die Formel »Konkurrenz – Kohärenz – Effizienz« bringen.

Konkurrenz

Um bei minimalem Aufwand eine möglichst hohe Wettbewerbsfähigkeit erreichen zu können, sah die Strategie vor, dass sich die Regionalpolitik vor allem auf diejenigen Regionen konzentrieren sollte, die international gesehen die besten Chancen für eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit des Landes mitbringen, also hauptsächlich auf die wichtigsten großstädtischen Gebiete. Dieser Ansatz weist auf das polarisierende Moment der Regionalentwicklung hin, das das Problem der unterschiedlichen Entwicklungsgeschwindigkeiten und damit das Gefälle zwischen den Regionen noch verschärft. Die negativen Folgen der Polarisierung soll eine Kohärenzpolitik auffangen, die die zu erwartenden Effekte von Innovation, Fortschritt und gesteigerter Wirtschaftskraft, die aus den Wachstumsmetropolen ins Umland diffundieren, in einen Ausgleich der unterschiedlichen Entwicklungsniveaus ummünzt. Das Polarisations-Diffusions-Modell soll also zunächst das Ungleichgewicht zwischen den Regionen verstärken, bevor die Wachstumsimpulse dann über die Zentren hinaus wirken, das Gefälle nivellieren und das Entwicklungsniveau des Landes insgesamt heben.

Als glühender Verfechter dieser Vision trat Leszek Balcerowicz auf, der 2009 anlässlich des 20. Jahrestags seines ersten Plans zur Restrukturierung der polnischen Wirtschaft einen neuen »Balcerowicz-Plan« vorschlug. Die Investition nur in die leistungsfähigsten Zentren und Regionen des Landes sei richtig, da Programme zur Nivellierung des erheblichen Ungleichgewichts zwischen Polen A und Polen B sinn- und folgenlos wären. Es sei wirtschaftlich nicht sinnvoll, in allen Regionen Arbeitsplätze zu schaffen, da dies nicht überall produktiv und nachhaltig zu erreichen sei. Daher sollten die Menschen lieber dorthin ziehen, wo Arbeit verfügbar ist. Auch lange, beschwerliche Arbeitswege sind für Balcerowicz gesellschaftlich und wirtschaftlich nicht zu rechtfertigen. Mit dieser Forderung sorgte er für Empörung und Protest auch bei Regierungsvertretern, etwa dem Leiter der strategischen Beratergruppe des polnischen Ministerpräsidenten, Michał Boni.

Der Logik der wirtschaftlichen Effizienz in Balcerowiczs Vorschlag ist kaum etwas entgegenzuhalten, er folgt aber einem verengten ökonomischen Kalkül und muss angesichts der bestehenden Infrastruktur, insbesondere was Kommunikation und Telekommunikation anbelangt, verworfen werden. Der uneinheitliche Entwicklungsstand der Verkehrsinfrastruktur besonders bei Autobahnen und Schnellstraßen und der desaströse Zustand des Schienennetzes machen eine schnelle Anfahrt zum Arbeitsplatz, zumal über größere Distanzen, nahezu unmöglich. In wirtschaftlich hochentwickelten Ländern sind aber (lange) Arbeitswege fester Bestandteil des Arbeitsmarktes. Der Vorzug, den funktionierende Arbeitswege vor ständigen Umzügen in Regionen mit reichem Arbeitsplatzangebot haben, zeigt sich schon darin, dass so die Entstehung durch Landflucht entvölkerter und damit dem wirtschaftlichen und sozialen Verfall preisgegebener Gebiete vermieden werden kann, ein Schreckensszenario der Regionalpolitik schlechthin. Die Restrukturierung solcher Regionen zählt zu den kompliziertesten, langwierigsten und kapitalintensivsten Aufgaben der Regionalpolitik. Die Möglichkeit, in einer Region zu leben, eröffnet neue Entwicklungschancen, selbst wenn der Arbeitsplatz anderswo liegen sollte. Die Steuereinnahmen aus den Abgaben der Bewohner und der Inanspruchnahme von Waren und Dienstleistungen am Wohnort ermöglichen eine Verbesserung u. a. des Wohnortfaktors in der Region. An den aufstrebenden Gemeinden im Umland größerer Städte, die im Zuge der Suburbanisierung entstanden sind, lässt sich die Bedeutung dieser Faktoren ablesen. Hier befinden wir uns zwar auf der lokalen Ebene, der Mechanismus ist aber identisch. Die Entwicklung von Vororten, in denen die Stadtbewohner ein attraktiveres Wohnumfeld suchen, führt zu beständigen Konflikten mit den Stadtkernen. Diese haben ja den Großteil der Personalkosten für die Pendler von außerhalb zu bestreiten. Zu berücksichtigen gilt aber auch, dass durch die Neugewinnung oder die dauerhafte Bindung beruflich aktiver Personen an eine Region (und sei es nur durch die Wahl des Wohnsitzes) dort das Potenzial für die künftige Entwicklung unternehmerischer Tätigkeiten entsteht.

Ein zweiter Grund, der der Vision von der freien Migration zwischen den Regionen zwecks Arbeitssuche diametral entgegensteht, ist der heterogene Wohnungsmarkt. Die krasse Unterversorgung mit Wohnraum ist ein Erbe aus sozialistischen Zeiten. Insbesondere in den großen Städten sorgt sie nach wie vor für hohe Preise, die in keinem Verhältnis zu den durchschnittlichen Gehältern stehen. In wirtschaftlich hochentwickelten Staaten regelt die Politik mit vielfältigen Unterstützungsmaßnahmen den Wohnungsmarkt. Diese Praxis setzt auf den wirtschaftlichen Nutzen einer staatlich gelenkten sozialen Wohnraumpolitik. Den Regierungen in Polen ist es bis heute nicht gelungen, in diesem Politikfeld effektive Mechanismen zu erarbeiten, die die Mobilität der Bewohner in bare Münze umwandeln könnten. So stellt in Polen immer noch die Wohnung (oft eine Eigentumswohnung) die stärkste Bindung an die Region dar, nicht die Arbeit.

Kohärenz

Berücksichtigt man die Versäumnisse der Regierungspolitik in den Ballungsgebieten, lässt sich die geringe Entwicklungsdynamik nicht allein den Regionen anlasten. Werden effektive wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Unterstützung einer bipolaren, auf die stärksten Gebiete konzentrierten Entwicklung nicht durch einen nachhaltigen und konsequenten Abbau interner Entwicklungshemmnisse für die Regionen flankiert, können sie die Entwicklungsunterschiede bis hin zu einer Destabilisierung des gesamten Systems verstärken und eine wirtschaftliche und soziale Krise heraufbeschwören. Aus dieser Erkenntnis heraus betreibt beispielsweise die Europäische Union eine konsequente Beihilfepolitik, deren vorrangiges Ziel es ist, Unterschiede im Entwicklungsniveau der europäischen Regionen auszugleichen. Polen profitiert in erheblichem Maße von EU-Projekten zur Verbesserung der sozialen, wirtschaftlichen und räumlichen Kohärenz der Regionen. Allerdings weisen vergleichende Analysen zur Verteilung und Höhe von EU-Geldern darauf hin, dass die Dynamik und die Art der Entwicklung in Landkreisen in Ostpolen (Polen B) und im Rest des Landes unterschiedlich sind. Im Durchschnitt liegt die Fördersumme aller aus EU-Mitteln bezuschusster Projekte pro Kopf in Ostpolen um ein Drittel niedriger als im Rest des Landes. Auch beträgt der Förderumfang einzelner Projekte in Ostpolen durchschnittlich weniger als 50 Prozent der ansonsten realisierten Projekte. Diese Zahlen veranschaulichen, wie schwer es selbst bei verfügbaren finanziellen Mitteln fällt, ein dynamisches Wachstum in Peripherieregionen zu generieren. Für den Erfolg des Beihilfen-Ansatzes ist eine gezielte und nachhaltige Politik, die das gesamte Land im Auge hat, von grundlegender Bedeutung. Strukturschwache Regionen sind kaum je in der Lage, die sozioökonomische Abwärtsspirale aus eigener Kraft zu durchbrechen. Diese Spirale und die daraus resultierenden tiefen Verwerfungen in der Entwicklung einzelner Regionen sollten gar nicht erst in Gang kommen. Eine nachträgliche Nivellierung der Unterschiede bedeutet ungleich höhere Kosten.

Metropolen und ihr regionales Umland

Die oben angeführten Infrastrukturdefizite in den Regionen Ostpolens sind mitverantwortlich für die Hemmung des in der Kohärenzpolitik angelegten Diffusionseffektes, der den Wachstumsimpuls über die Zentren hinaustragen soll. Besonders deutlich wird das Problem auf intraregionaler Ebene, bei der Betrachtung städtischer Metropolen und ihres regionalen Umlandes.

Das neuartige Verhältnis zwischen Metropolregion und Umland fällt für Letzteres nachteilig aus, da es für die Regionen schwierig, wenn nicht unmöglich ist, ohne Interaktion mit der dynamischen Metropolregion erfolgreich zu sein. Die wichtigsten Entwicklungszentren sind bei der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung die Metropolen. Sie bieten ein wirtschaftliches, gesellschaftliches, technologisches und institutionelles Umfeld, das besonders entwicklungsfreundlich erscheint. Daher können Regionen ohne das Zugpferd einer starken Metropolregion kaum erfolgreich sein. Aktuelle Entwicklungstrends belegen, dass Metropolen sich auch ohne direkte Anbindung an ihr regionales Umfeld entwickeln können, während die jeweilige Region ohne diese Rückbindung zur Peripherie wird. Dies hängt mit der Netzstruktur räumlicher Beziehungen zusammen, die unabhängig von der physischen Nachbarschaft dezentrale, nicht hierarchische Zusammenhänge schaffen kann. In diesen Netzwerken stellen die städtischen Metropolregionen die Knotenpunkte dar und nicht die großflächigen, heterogenen Regionen.

Wird ein starkes Entwicklungsgefälle zwischen der Metropole und den übrigen territorialen Einheiten einer Region nicht von einer aktiven Politik angegangen, die gezielt infrastrukturelle, kommunikative, institutionelle und gesellschaftliche Kanäle zur Transmission des Wachstumseffekts ins etabliert, verschärft sich das intraregionale Ungleichgewicht. Aus Studien im Auftrag des Ministeriums für Regionalentwicklung geht klar hervor, dass die eigentlichen territorialen Trennlinien in Polen in Bezug auf sozioökonomische Entwicklung und materielle Infrastruktur nicht entlang administrativer Einheiten verlaufen, sondern vor allem zwischen städtischen und ländlichen Gebieten. Analysen zur Entwicklung des Verhältnisses BIP/Einwohner in Metropolregionen und dem regionalen aus den Jahren 1995–2004 ergaben tendenziell einen deutlich zunehmenden Unterschied im Entwicklungsniveau. Im Jahr 2005 lag der entsprechende Faktor, der den durchschnittlichen Entwicklungsunterschied innerhalb einer Region beschreibt, um 12 Prozentpunkte über dem Faktor für die Entwicklungsverteilung zwischen den Regionen. Neben den bereits erwähnten Analysen aus dem Bericht des Ministeriums für Regionalentwicklung belegte auch eine internationale Erhebung der OECD die verhältnismäßig starke und stetig wachsende Ausdifferenzierung territorialer Einheiten innerhalb der Woiwodschaften. Danach weist Polen unter allen OECD-Ländern das stärkste intraregionale Gefälle auf, das maßgeblich durch die zunehmenden Unterschiede zwischen städtischen Gebieten – vor allem den Großstädten Warschau, Posen und Krakau – und den ländlichen bzw. kleinstädtischen Gebieten verursacht wird.

An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass wachsende Differenzen zwischen Metropole und Region nicht zwangsläufig zu Stagnation und sozioökonomischem Abstieg im führen müssen. Studien haben gezeigt, dass das zunehmende Gefälle aus unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Wachstumsprozesse in beiden Gebieten resultiert. Gleichzeitig ist die Entwicklungsdynamik in Gebieten mit starker Metropolregion gemeinhin größer als in den Regionen um kleinere Städte.

Wenn nun das zunehmende Gefälle nicht in der Verarmung der strukturschwächsten territorialen Einheiten begründet ist, sondern lediglich in deren geringerer Entwicklungsgeschwindigkeit, drängt sich die Frage auf, ob die oben beschriebene Ausdifferenzierung tatsächlich ein Problem darstellt, das angegangen werden sollte. Es handelt sich ja um ein natürliches Dilemma, das weniger wirtschaftliche als eher soziale Gründe hat. Studien zufolge bewirkt ein starkes Entwicklungsgefälle eine subjektiv empfundene Verschlechterung der Lebensqualität in den sich langsamer entwickelnden Gebieten. Dies intensiviert wiederum Abwanderungsbewegungen und den Abfluss von Humankapital und führt langfristig zu Stagnation und Abstieg bzw. zu einer Effizienzminderung im gesamten System.

Die Phase verwaltungsrechtlicher Verhandlungen über die künftige Ausgestaltung der Metropolregionen, in der die Metropolendiskussion in Polen gerade steckt, bietet den Regionalbehörden eine einmalige Gelegenheit und die Aufgabe, die Position der Region zu stärken. Dies kann nur gelingen, wenn die Regionalbehörden an der Schaffung der Metropolstrukturen zur Organisation des Territoriums beteiligt werden. Doch die Diskussionen und Kontroversen um die Metropolstrukturen drehen sich bislang fast ausschließlich um interne Probleme potenzieller Metropolen. Einzig Fragen nach einem Konsens zwischen Partnern, die mehr oder weniger motiviert sind, eine gemeinsame Metropolregion aufzubauen, beherrschen den Diskurs. Weder die für die Kohärenzpolitik verantwortlichen zentralen Behörden, die sich der wachsenden intraregionalen Unterschiede bewusst sind, noch die Regionalbehörden diskutieren in angemessenem Umfang den Einfluss der gewählten Form auf das Verhältnis zwischen Region und Metropole. Dabei ist die Struktur der Territorialverwaltung von entscheidender Bedeutung für das Wesen und die Gestaltungsmöglichkeiten der Beziehungen zwischen Metropolregion und Umland.

Effizienz

Die letzte der drei Stoßrichtungen polnischer Regionalpolitik ist die Steigerung der Effizienz regionaler Entwicklungsprojekte. Hierzu sind ein geeignetes institutionelles Umfeld vonnöten, eine wachsame Öffentlichkeit und gute Regierungsführung.

Die Gebietsreform von 1999 hat in Polen die einmalige Situation bipolarer Regionalbehörden geschaffen. Sie ergibt sich aus dem Miteinander aus oberster selbstverwalteter territorialer Einheit einerseits (Regionalparlament »sejmik«, Marschall) und unterster Verwaltungsstruktur der Zentralregierung (Woiwode) andererseits. Die Bipolarität hätte das Potenzial zu einer starken politischen Vertretung auf dieser Ebene. Allerdings werden erst die klare beiderseitige Rangbestimmung und die Betonung der Selbstverwaltung dazu führen, dass diese besondere Konstruktion das regionale System stärken kann. Bislang ist eher ein desintegrativer Effekt zu beobachten, der aus der Konkurrenz um Einflusssphären, Kompetenzen und Prestige herrührt und letztlich zu einer Schwächung der regionalen Entwicklungsdynamik führt.

Zur Herstellung koalitionsähnlicher Beziehungen zwischen den beiden regionalen Machtzentren kommt der Politik der Ministerialbehörden besondere Bedeutung zu. Sie sollte nicht nur Antagonismen verhindern, sondern die Zusammenarbeit zwischen den Woiwodschafts- und Marschallämtern anregen. Auch sollten die Woiwodschaftsämter keine »Kanäle« zur Infiltrierung des politischen Zentrums auf Regionalebene sein. Obwohl die Woiwoden kein politisches Amt ausüben, sind die Zentralregierungen stets versucht, sich bei der Personalbesetzung von parteipolitischen Erwägungen leiten zu lassen. Die Politisierung des Woiwodschaftsamts erschwert die Zusammenarbeit mit den demokratisch gewählten Woiwodschaftsmarschällen. In besonderer Weise gilt dies, wenn die Vertreter der beiden regionalen Machtzentren unterschiedlichen politischen Lagern angehören. Versäumt also die zentrale Politik, die beschriebenen Schwächen der dualen Regionalregierung auszugleichen, bewirkt sie in der Praxis statt der erwünschten Dynamisierung häufiger eine Verlangsamung der Entwicklung.

Die komplexe Netzstruktur innerhalb der aktuellen Wirtschaftssysteme, dynamische Wandlungsprozesse und möglichst kurze Reaktionszeiten angesichts neuer Herausforderungen verlangen nach flexibleren Abläufen in der regionalen und lokalen Verwaltung. Zwar wird allgemein erklärt, das tief verwurzelte Erbe des alten Systems erfordere eine Abkehr von dem nahezu alle sozioökonomischen Lebensbereiche umfassenden Sektorendenken und eine Hinwendung zur aufgaben- und problemorientierten Zusammenarbeit, allerdings schlägt sich diese Forderung in den Reformen der regionalen und lokalen Verwaltungsstrukturen nicht hinreichend nieder. Die Dominanz der Sektoren über regionale Strukturen bestimmt über die Verteilung von Entwicklungs- und Investitionsgeldern durch die Zentralorgane. Das Sektoren-Denken und -Handeln erschwert die Harmonisierung sozioökonomischer Strukturen und steht der Überwindung großer Verwerfungen in der regionalen und lokalen Entwicklung entgegen. Dabei ist diese nicht nur das erklärte strategische Ziel der polnischen Regionenpolitik, sondern vor allem auch das Bedürfnis und die Erwartung der Menschen in den Regionen.

Aus dem Polnischen von Thomas Weiler

Dieser Beitrag ist ein Vorabdruck aus dem »Jahrbuch Polen 2012 Regionen« des Deutschen Polen-Instituts, das im März 2012 erscheinen wird (siehe Lesehinweis auf S. 11).

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