Recht und Gerechtigkeit (PiS) – unkoordinierter Flügelschlag

Von Jarosław Flis (Jagiellonen-Universität, Krakau)

Zusammenfassung
Im Herbst 2012 übernahm die Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) in Meinungsumfragen die Führung und beendete damit die seit fünf Jahren bestehende demoskopische Vorherrschaft der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO). Auch wenn weitere Umfragen die Tendenz schon wieder umkehrten, wurde diese Tatsache zu einem wesentlichen Aspekt in der öffentlichen Debatte in Polen. Um die gegenwärtige Lage und deren mögliche Konsequenzen zu analysieren, muss man noch in die Zeit vor der Entstehung von PiS (gegründet 2001) zurückblicken. Ihr Vorsitzender Jarosław Kaczyński, Ministerpräsident in den Jahren 2006/2007 und eine Schlüsselfigur für ein politisches Phänomen, wurde schon zu Anfang der Systemtransformation zu einer öffentlichen Person. Diese fernere Vergangenheit verwebt sich mit den Ereignissen der letzten zehn Jahre und prägte ein bis heute bestimmendes Muster aus.

Die ersten zehn Jahre des Engagements von Jarosław Kaczyński lassen sich nicht als eine Kette von Erfolgen bezeichnen. Einzelheiten sind hier nicht so wesentlich wie die Charaktistika seiner Erfahrungen und der Reaktionen, die Kaczyński bei den Akteuren des politischen Lebens hervorrief. Die eigenen Erfahrungen waren vor allem von der Enttäuschung über den liberaleren Teil des Solidarność-Lagers gekennzeichnet, der dem aktuellen Mainstream näher steht. Den stärksten Akzent setzte hier der Streit mit Lech Wałęsa. Jarosław Kaczyński war einer seiner engsten Mitarbeiter während der Präsidentschaftswahlen 1990 und sie trennten sich in einem scharfen Konflikt. Wesentliche Bedeutung hatte auch die Erfahrung des Auseinanderbrechens der Partei Zentrumsallianz (Porozumienie Centrum – PC), die von Kaczyński 1990 ins Leben gerufen worden war und von ihm geführt wurde. Sie gründete auf der Hoffnung, die transformationsbedingten Veränderungen beschleunigen und mit dem Erbe des überwundenen Systems radikal brechen zu können. Dazu gehörten auch die Kompromisse mit dem postkommunistischen Lager, die in den Gesprächen am Runden Tisch (1989) geschlossen worden waren. Die Partei wurde als ernstzunehmende Regierungsanwärterin in Polen wahrgenommen und war eine der Säulen der Regierung von Ministerpräsident Jan Olszewski, die nach den ersten demokratischen Parlamentswahlen 1991 gebildet worden war. Diese Regierung wurde unter dramatischen Umständen im Juni 1992 gestürzt.

Von Anfang an liefen eine Reihe von Initiativen von Jarosław Kaczyński nach einem ähnlichen Schema ab: zuerst eine Radikalisierung der Rhetorik, dann interne Konflikte, die zu Spaltungen führten. Daraus ergab sich Kaczyńskis politische Marginalisierung, die von den Wahlen 1993 bis zum Jahr 2001 währte. Seine Lage wurde durch die Erfahrung von Niederlagen, die ein Ergebnis interner politischer Auseinandersetzungen waren, geprägt, aber auch durch seine Rolle als »schwarzer Charakter«, die er in einflussreichen linksgerichteten Medien spielte. Seine Antwort war eine radikale Botschaft an das postkommunistische Lager. Dieses reichte für Kaczyński über die Partei Sozialdemokratie der Repub­lik Polen (Socjaldemokracja Rzeczypospolitej Polskiej – SdRP), später Demokratische Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) hinaus – es umfasste nach seiner Überzeugung auch den Teil des Solidarność-Lagers im Umkreis der Demokratischen Union (Unia Demokratyczna – UD) und später der Freiheitsunion (Unia Wolności – UW). Gleichzeitig gelang es ihm, einen Kreis ergebener Mitarbeiter um sich herum zu scharen und Menschen, die seine Fähigkeit zur politischen Analyse schätzten und seine politischen Diagnosen teilten. Das Echo dieser Erfahrungen beeinflusste die spätere Strategie und das Verhalten sowohl von Jarosław Kaczyński als auch der Partei, an deren Spitze er steht.

Wiedergeburt

Die Partei PiS ist das Ergebnis des Zerfalls der Gruppierungen, die den institutionellen Rahmen des postkommunistischen Polen gebildet und das Land in den ersten Jahren nach 1989 dominiert hatten. Aufgebaut wurde PiS um den späteren Staatspräsidenten Lech Kaczyński, der für kurze Zeit Justizminister in der von der Wahlaktion Solidarność (Akcja Wyborcza Solidarność – AWS) gebildeten Regierung unter Jerzy Buzek war. Im Verlauf dessen Amtszeit kam es zur Spaltung innerhalb der die Regierung bisher unterstützenden politischen Kräfte. Eine neue Initiative sollte einen Teil der AWS-Abgeordneten auffangen, als die Sympathiewert dieser Gruppierung vor den bevorstehenden Wahlen zu fallen begannen.

Zur selben Zeit entstand auch eine andere Partei, nämlich die PO, die die dominierende Partei der aktuellen Regierungskoalition ist. Ihre Gründung stand ebenfalls im Zusammenhang mit dem Zerfall der AWS, aber mehr noch der UW, der zweiten Partei der Regierungskoalition von 1997 bis 2001. Die PO integrierte also ebenfalls gern AWS-Abgeordnete, zwar nicht als Akteure in der ersten Reihe, aber als diejenigen, die die lokalen Strukturen der neuen Formation vor den Parlamentswahlen 2001 schufen. Manche von ihnen wie Bronisław Komorowski, Jan Rokita oder Paweł Graś besetzten später Schlüsselfunktionen in der Partei und anderen Ämtern.

Dieses gemeinsame Schicksal verband PiS und PO. Zu einem großen Teil verband sie auch die Bewertung der politischen Lage, insbesondere als Oppositionsparteien gegenüber der Regierung aus SLD und Polnischer Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) nach den Wahlen 2001. Ihren stärksten Ausdruck fand diese Gemeinschaft im Jahr 2002, also ein Jahr nach Gründung dieser beiden Parteien, als PiS und PO gemeinsame Wahllisten für die Wahlen der Woiwodschaftsparlamente (sejmik) aufstellten. Die vereinten Kräfte zeitigten aber ein deutlich niedrigeres Ergebnis als erwartet, woraus der Schluss gezogen wurde, dass ein gemeinsamer Start in zukünftigen Wahlen für beide Parteien eine Belastung wäre und die Möglichkeiten, die Wählerschaft zu erweitern, beschränken würde. Ein wichtiger Erfolg für PiS in den Selbstverwaltungswahlen war allerdings der Sieg von Lech Kaczyński bei der Wahl des Stadtpräsidenten von Warschau.

So wie der Zerfall eines der Lager der politischen Trennlinie (postkommunistisch-postsolidarność) zur Entstehung von PO und PiS beitrug, so erhielten sie durch den Zerfall des postkommunistischen Lagers in den Jahren 2003 bis 2005 eine dominierende Rolle auf der politischen Bühne. Das erste Signal war die Wahl zum Europäischen Parlament im Jahr 2004, die stattfand als das Chaos auf der politischen Bühne seinen Höhepunkt erreichte – die Sperrklausel überschritten acht Wahllisten, mehr als jemals zuvor in den Wahlen nach 1991. Diese Wahl gewann die PO, sie erhielt allerdings weniger als ein Viertel der Stimmen. PiS besetzte den dritten Platz mit etwas mehr als halb so viel Unterstützung. Damit hatte PiS zwar die SLD überholt, vor ihr lag aber die konservativere und europaskeptische Liga der Polnischen Familien (Liga Polskich Rodzin – LPR). Der Niedergang der SLD und ihr Zerfall führten dazu, dass PO und PiS insgesamt 50 Prozent der Stimmen bei den Parlamentswahlen im Jahr 2005 erhielten.

Neue Konfigurationen

Die Parlamentswahlen 2005 und die fast gleichzeitigen Wahlen des Staatspräsidenten, in der sich die führenden Köpfe beider Parteien, Donald Tusk und Lech Kaczyński, miteinander maßen, führten dazu, dass der Plan einer gemeinsamen Regierung aufgegeben wurde und völlig neue politische Konzeptionen entstanden. In dieser neuen Situation ging es PiS und PO nicht mehr darum, gemeinsam das Regierungslager zu stellen, sondern die politische Bühne untereinander aufzuteilen, indem sie antagonistische Lager bildeten. Eine solche Umkehr führte zu einer tiefen emotionalen Spaltung zwischen beiden Seiten, wobei jede der anderen dafür die Schuld gab. Man kritisierte beim anderen die übermäßigen Ambitionen und den Willen, den weniger erfolgreichen Partner zugrunde zu richten, und erklärte gleichzeitig den eigenen Willen, die andere Seite dominieren und in die Opposition drängen zu wollen, zur selbstverständlichen Tatsache.

In der ersten Runde dieser neuen Konstellation fiel der Sieg PiS zu. Lech Kaczyński gewann die Wahlen für das Amt des Staatspräsidenten. Bei der Wahl des Sejm hatte PiS entgegen früherer Umfragen jedoch nur einen geringen Vorsprung gegenüber der PO. In den Wahlspots attackierte PiS das Programm der PO. Diese Strategie entzog nicht nur der PO Wähler, sondern auch radikaleren Gruppierungen im rechten Lager, allen voran der LPR. Das Ergebnis des Wahlsiegs war die Regierungsbildung, in die angesichts des aufgegebenen Plans, mit der PO zusammenzuarbeiten, schrittweise zwei kontroverse Parteien eingebunden wurden, die LPR und die Selbstverteidigung (Samoobrona). In programmatischer Hinsicht waren sie nicht weit voneinander entfernt, sie waren aber vorher aufgrund ihrer Radikalität und Unberechenbarkeit von den übrigen Parteien isoliert gewesen. Als Schlüssel zur Zusammenarbeit und Bildung einer Koalition erwiesen sich die sozialpolitischen Fragen und die Anti-Establishment-Haltung sowie im Fall von PiS und LPR auch die konservative Einstellung.

Eine solche politische Konfiguration führte zu zwei Phänomenen. Einerseits versuchte PiS, eine neue Einteilung der politischen Bühne herbeizuführen, nämlich die Unterscheidung zwischen dem »solidarischen Polen« und dem »liberalen Polen«. Das »solidarische Polen« sollte den größeren Teil der Wählerschaft umfassen und PiS das selbständige Regieren ermöglichen, indem PiS die Wähler und einen Teil der Akteure der beiden kleineren Koalitionspartner übernimmt.

Der Versuch, eine solche Einteilung zu definieren, hatte aber auch noch eine andere Wirkung. Es zeigte sich, dass sich alle negativen Emotionen der Hauptströmung der Medien, meinungsbildender Kreise sowie der gemäßigten konservativen Wähler, die vorher auf LPR und Selbstverteidigung gerichtet worden waren, nun auf PiS konzentrierten. Ein wesentlicher Teil der negativen Vorstellungen wurden von Selbstverteidigung und LPR auf die die rechte Seite der politischen Bühne dominierende Partei umgelenkt.

Bei dieser Übertragung negativer Emotionen halfen den Gegnern von Jarosław Kaczyński frühere Vorstellungen von ihm, die in den Jahren 2001 bis 2005 nicht mehr so stark präsent gewesen waren. Hinzu kam, dass die Beziehungen in der Koalition dynamisch und voller Spannungen waren. Die von PiS begründete Koalition erwies sich als unbeständig, was 2007 zu vorgezogenen Wahlen führte, und zwar infolge einer gemeinsamen Abstimmung von PiS und PO über die Auflösung des Sejm.

Seitdem befindet sich PiS in der Opposition, und auf ihre politische Geschichte der folgenden fünf Jahre nahmen zwei miteinander verflochtene Fäden Einfluss. Der erste sind die Beziehungen zwischen den Parteiflügeln, d. h. zwischen den Strategien, sich um das rechte Lager zu kümmern oder sich der Mitte anzunähern. Ein Trost nach den verlorenen Wahlen 2007 und dem Machtverlust zugunsten der PO war für PiS die Erweiterung der Wählerschaft im Vergleich zu den Wahlen von 2005 durch die Verdrängung der beiden kleineren Koalitionspartner, Selbstverteidigung und LPR, von der politischen Bühne. Diese waren allgemein als schädliche Elemente in der Politik betrachtet worden und niemand weinte ihnen nach.

Zwei Strategien

Das Bemühen um das äußerst rechte Lager bis zur »rechten Wand«, d. h. Ausschaltung der Konkurrenz seitens konservativerer oder Anti-System-Parteien, machten aus PiS den größten Opponenten des Establishments. Die Schwierigkeit bestand dabei darin, dass sich das postkommunistische Lager ebenfalls in Opposition zur Regierung von PO und PSL befand. Doch nicht einmal die Schwierigkeit einer erweiterten Definition des Gegners änderte die Tatsache, dass die Aufrechterhaltung einer solchen Position auf der Landkarte der politischen Teilungen eine bestimmte Herangehensweise erforderte. Dies war die Strategie, eine eindeutige Botschaft zu verkünden, d. h. der politische Konflikt in Polen wurde als Ausnahmezustand definiert und den politischen Widersachern wurden Todsünden vorgeworfen, wie das Auseinanderfallen der polnischen Nation, der Ausverkauf des staatlichen Eigentums und der Verlust der Souveränität. Ungeachtet der verbalen Angriffslust, war das Hauptziel dieser Strategie, den eigenen Besitzstand zu verteidigen und sich gegen die Konkurrenz mit einer ähnlichen Botschaft und die emotionale Demobilisierung der Wählerschaft abzusichern.

Aus dem Widerstand gegen diese Strategie ergab sich ein gemäßigteres Konzept, das in der ursprünglichen PiS (2001–2005) sehr prägend gewesen war: Dem gemäß wurde die Krankheit des politischen Lebens stärker aus der Perspektive des konservativen Bürgertums diagnostiziert und die Vorwürfe betrafen eher allgemeine Verfehlungen wie Unfähigkeit oder Unehrlichkeit und nicht politische Todsünden wie »Schande« und »Verrat«. Diese Strategie, die darauf zielte, die in den Jahren 2005 bis 2007 verlorenen Wähler aus der Mitte wiederzugewinnen, hatte ihre Fürsprecher unter den Politikern von PiS, die dem gemäßigten Flügel angehören. Das Dilemma, ob um den Wähler in der Mitte gekämpft werden sollte oder ob mit einer radikalen Botschaft die Entstehung von Gruppierungen rechts von PiS verhindert werden sollten, war mit dem Problem der innerparteilichen Beziehungen verknüpft.

Die Debatte über die Gründe des Misserfolgs und über alternative Strategien sowie über die Entwicklung von Strategien im Rahmen von Diskussionen und nicht als Diktat des Parteiführers ging in den folgenden Jahren weiter. Dies äußerte sich in Form von inneren Brüchen und Austritten prominenter Politiker, an der Spitze die Vize-Vorsitzenden der Partei, die eigene politische Initiativen zu entwickeln suchten. Zu solchen Versuchen kam es nach den Wahlen von 2007, doch blieben die Bemühungen erfolglos. Gleichzeitig wurden 2008/2009 erneut Versuche unternommen, PiS in Richtung Mitte zurückzulenken. Es fehlte allerdings immer die notwendige Konsequenz und die eindeutige Identifizierung konkreter Personen mit dieser Strategie.

Personalisierung

Ein wichtiger Faktor des Geschehens war, dass der nach dem Wahlsieg von 2005 zunächst berufene Ministerpräsident nicht der Parteivorsitzende war. Hintergrund waren laut gewordene Zweifel hinsichtlich der Besetzung des Amtes des Staatspräsidenten und des Ministerpräsidenten mit zwei so eng verwandten Politikern wie den Zwillingsbrüdern Lech und Jarosław Kaczyński sowie die Strategie einer eventuellen Zusammenarbeit mit der PO. Das Amt des Vorsitzenden des Ministerrats übernahm Kazimierz Marcinkiewicz, ein zu der Zeit noch unbekannter Abgeordneter, der blitzschnell auf der Sympathieskala in die Höhe schnellte. Der beliebte Ministerpräsident trug bedeutend zur Unterstützung der Regierung und von PiS in der Anfangsphase der Wahlperiode bei. Interne Spannungen, insbesondere Ängste, dass Marcinkiewicz eine selbständige Position in der Partei besetzen könnte, führten dann zu seiner Absetzung als Ministerpräsident auf dem Gipfel seiner Popularität und zur Übernahme des Amtes durch Jarosław Kaczyński im Juli 2006.

Von diesem Moment an begann sich PiS viel stärker als bisher auf seine Führungsperson, den Ministerpräsidenten, zu konzentrieren. Er war das Gesicht des Wahlkampfes 2007 und repräsentierte die Partei in öffentlichen Debatten mit dem Protagonisten der Linken, dem ehemaligen Staatspräsidenten Aleksander Kwaśniewski, und mit Donald Tusk. Diese Debatten, vor allem letztere, waren entscheidende Stationen des Wahlkampfes.

Die Konzentration um die Führungsperson verringerte sich nach den verlorenen Wahlen nicht. Dies hing mit den internen Reaktionen und dem Schlüsselerlebnis zusammen, das eine Niederlage für jede Organisation darstellt. Hier meldeten sich auch Erfahrungen aus dem ersten Jahrzehnt der Demokratie wieder. Die Antwort auf die Gefahr der Degenerierung und des Zerfalls der Partei waren die Stärkung der Macht der Führungsperson und die Eindämmung der Diskussion innerhalb der Partei über die Ursachen der Niederlage. Indem nicht zugelassen wurde, die Führung von Jarosław Kaczyński in Frage zu stellen und ihn für die Niederlage verantwortlich zu machen, sollte die Gefahr des vollständigen Auseinanderbrechens der Partei umgangen werden. Dass einzelne Politiker des gemäßigten Flügels die Partei verließen, wurde in dieser Situation als geringeres Übel betrachtet. Tatsache ist, dass trotz solcher Schwächungen die Umfragewerte für PiS nicht sanken, sie andererseits trotz sinkender Bewertungen des Ministerpräsidenten und der Regierung aber auch nicht stiegen.

Die allgemeine Diskussion über die persönliche Verantwortung und die Führungsqualitäten von Jarosław Kaczyński war insofern wesentlich, als die Schwäche des Vorsitzenden von PiS ein Aspekt wurde, auf den die PO ihren Erfolg in den Wahlen 2007 aufbaute. An erster Stelle bezog man sich auf seine Biographie und frühere erfolglose politische Initiativen, die als eine Serie von Konflikten und Niederlagen dargestellt wurden, zweitens auf Aspekte seiner persönlichen Situation und physische Eigenschaften. Das wichtigste Element, das alles dies zusammenband, war die Art seiner Kommunikation und Argumentation mit der Tendenz zu emotionalen Anschuldigungen, zu ungefähren Äußerungen und Übertreibungen. Diese Eigenschaften erlaubten den Gegnern, den PiS-Vorsitzenden zu karikieren. Eine solche Darstellung der Partei wurde von ihren Anhängern und Sympathisanten als Missbrauch, Ungerechtigkeit und als Element eines schmutzigen politischen Spiels betrachtet. Jedoch ermunterte die Benennung dieses Phänomens, an der Kaczyński selbst teilnahm, den politischen Gegner in noch größerem Maß zur Anwendung dieser Strategie. Die Gereiztheit und die an die Gegner gerichteten emotionalen Manipulationsvorwürfe lassen sich als Verbissenheit auffassen und als Neigung, in Streit und Übertreibung zu entgleiten.

Ein Element, das es erschwerte, eine rationale Strategie zu finden, war die formal gesehen nützliche Tatsache, dass Lech Kaczyński nach den Parlamentswahlen das Amt des Staatspräsidenten beibehielt. Die Regierung übernahmen Vertreter der PO und Ministerpräsident wurde Donald Tusk, der von Lech Kaczyński in den Präsidentschaftswahlen im Jahr 2005 besiegt worden war. Dies führte zu einer Beziehung zwischen dem Staatspräsidenten und dem Ministerpräsidenten, in der der Präsident zum Oppositionsführer gegenüber der Regierung wurde und gleichzeitig versuchte, in den Augen der öffentlichen Meinung die Rolle des Schiedsrichters zu bewahren. Im Ergebnis führte dies zu beiderseitigen Spannungen, die sich als schädlich für das Land auf der internationalen Bühne bewerten lassen, wobei sich beide Seiten dafür die Schuld gaben.

Die Flugzeugkatastrophe von Smolensk

Die komplizierten Beziehungen zwischen dem Staatspräsidenten und seinem Bruder auf der einen und Donald Tusk auf der anderen Seite erreichten ihren Höhepunkt im Zusammenhang mit der Flugzeugkatastrophe von Smolensk im April 2010. Diese belastete in den folgenden Jahren die polnische Politik in einem unvergleichlichen Ausmaß und verfestigte gleichzeitig die ohnehin tiefen emotionalen Spaltungen im politischen Leben Polens. Das Kräfteverhältnis, das sich im Jahr 2007 herausgebildet hatte, ist eine Umgestaltung der bisherigen Lagerbildung, wie sie nach 1990 entstand, in eine kaum vorhersehbare Form. Im Rahmen dieser tief emotionalen Spaltung versucht jede der beiden wichtigsten politischen Kräfte, die Identität ihres eigenen Lagers in einer Weise aufzubauen, die den Gegner in eine unkomfortable Lage bringt. Auf der einen Seite steht das Lager des »patriotischen Polen«, das den Gegnern einen Mangel an Patriotismus vorwirft, auf der anderen Seite das Lager des »zivilisierten Polen«, das den anderen einen Mangel an Zivilisiertheit zuschreibt.

Tatsache ist, dass PiS beim Flugzeugunglück von Smolensk den Staatspräsidenten und eine Reihe prominenter Politiker des eigenen Lagers verloren hat. Obgleich auch Vertreter der anderen politischen Kräfte tödlich verunglückt sind, an der Spitze der Kandidat der Linken für das Amt des Staatspräsidenten, Jerzy Szmajdziński, haben doch die Ereignisse, die in den Monaten nach dem Unglück auftraten, besondere Bedeutung für die Identität von PiS als Partei und für die Wahrnehmung der Partei durch den politischen Gegner. Zunächst schien es, dass die Katastrophe zur Aufhebung der bisherigen Spaltungen führen würde, doch schon nach wenigen Tagen zeigte sich, dass die Spaltungen eine Erneuerung und Vertiefung erfuhren. Eine Schlüsselbedeutung hatten hier die Schuldzuweisung bezüglich der politischen Verantwortung für die Katastrophe und die Ausnutzung des Unglücks für die eigenen politischen Ziele.

All dies schlug sich in einer weiteren Unbeständigkeit der Strategie und einer weiteren Prüfung für den inneren Zusammenhalt von PiS nieder. In den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen (2010) siegte die Strategie, die Botschaft zu entschärfen und sie an die noch unentschlossenen Wähler zu richten. Diese Strategie führte zu einem deutlichen Anstieg der Unterstützung für PiS. Ungeachtet der zunächst besseren Umfrageergebnisse hatten die Gegner von PiS deutlich Angst hinsichtlich des Wahlergebnisses. Letztendlich hat diese Strategie aber nicht zu einem Wahlsieg geführt. Nichtsdestotrotz lässt sich das Ergebnis auf zweierlei Weise interpretieren: entweder als großer Erfolg in Hinblick auf die Übernahme der Regierungsverantwortung nach der nächsten Parlamentswahl oder als Niederlage und als Verlust der Chance auf einen Sieg, der angeblich mit radikaleren Botschaften möglich gewesen wäre.

Nach der Präsidentschaftswahl wurde die »Strategie der Mitte« aufgegeben und vom Parteivorsitzenden diskreditiert. Angehörige des gemäßigten Flügels wurden aus der Partei herausgedrängt. Wieder einmal entstand eine mit PiS konkurrierende Partei und wieder erwies sie sich als zu schwach, um die Position von PiS als einziger konservativer Kraft in der Opposition zu gefährden. Trotzdem traten in der Partei abermals eine innere Erschütterung und eine Radikalisierung der Botschaften zutage. Dies wiederum führte in den Selbstverwaltungswahlen im Jahr 2010 zu dem seit 2004 schlechtesten Wahlergebnis.

Das ständige Dilemma

Bei den Parlamentswahlen 2011 wurde ohne laute Ankündigung wieder auf die Strategie zurückgegriffen, dass Jarosław Kaczyński eher die Inkompetenz der Regierung als ihren »verbrecherischen« Charakter hervorhob und er sich als normale Opposition, die eine ungewöhnlich untalentierte Regierung ablösen will, darstellte. Diese Strategie führte zu einem Anstieg der Zustimmung zu PiS, allerdings wurde sie nicht konsequent angewendet. Einige Aussagen Kaczyńskis erlaubten den Gegnern, seine Strategie als unecht anzuzweifeln, die das wahre Gesicht des Parteivorsitzenden maskiert. Trotz der steigenden Umfragewerte gegenüber der vorangegangenen Krise erlitt die Partei mit einer etwas geringeren Wählerunterstützung als vier Jahre zuvor eine erneute Niederlage. Abermals war das Ergebnis der inneren Spannungen infolge der Wahlniederlage, dass eine Gruppe von Politikern PiS verließ. Dieses Mal handelte es sich um Personen, die dem Mainstream der Partei näher waren, an der Spitze Zbigniew Ziobro, der als Kandidat für den stellvertretenden Vorsitz im Gespräch war. Noch vor der ersten Sitzung des neu gewählten Sejm kam es zum Bruch.

Das folgende Jahr brachte weitere Wechsel und weitere Spannungen mit sich, bei denen sich Annäherungen an den radikalen Flügel und in Richtung Mitte abwechselten. Die Hinwendung zur Mitte, verbunden mit der Aufstellung eines Schattenkandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten scheint die Stärke der »Mitte-Strategie« zu bestätigen, insbesondere nach einer Serie von Pannen der Regierung und der Koalitionsparteien. Ob sich allerdings der aktuelle Stand bis zu den Parlamentswahlen (2015) halten wird, ist nicht vorhersehbar. Die emotionale Reaktion Jarosław Kaczyńskis auf die Pressemeldungen, dass im Wrack des in Smolensk abgestürzten Flugzeugs Sprengstoff gefunden worden sei, mobilisierte wieder einmal die ihm gegenüber ablehnend eingestellte Wählerschaft und konzentrierte sie um die regierende PO.

Auf der Grundlage der bisherigen Geschichte von PiS lässt sich schließen, dass sich die internen Spannungen im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der Einheit und dem Balanceakt zwischen dem radikalen und dem gemäßigten Flügel wiederholen können. Sie können zur Schwächung der Position von PiS führen, wenn man die Rolle von Jarosław Kaczyński genauer mit einbezieht – ohne ihn kann PiS nicht überleben und mit ihm nicht gewinnen. Fehlende Ideen, wie sich ein Gleichgewicht zwischen den beiden Flügeln herstellen ließe, die stark ablehnende Haltung gegenüber dem Parteiführer in der Wählerschaft und dessen persönlichen Schwächen können sich als unüberwindbare Belastung erweisen.

Denkbar ist aber auch, dass sich nach Jahren des Misserfolgs ein Gleichgewicht zwischen beiden Flügeln herstellen lässt, welches der Partei in zukünftigen Wahlen den Sieg einbringen wird. Zweifellos ist PiS die größte Oppositionspartei. Sie hat ihre etablierte Parteibasis und ihren Kader. Die regierende PO erlebt zurzeit eine Krise der eigenen Überlegenheit, insbesondere weil auf der heimischen Wirtschaft immer stärker die europäische Krise lastet. Dies sind wichtige Ausgangsbedingungen, wenn man sich einen Wechsel in den bevorstehenden Wahlen zutrauen will.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

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