Etwas überraschend haben polnische Politiker in den letzten Monaten das Thema eines Beitritts zur Eurozone in die Öffentlichkeit gebracht. Zu Jahresanfang plädierte Staatspräsident Bronisław Komorowski dafür, dass Polen bis 2015 alle Beitrittskriterien erfüllen sollte. Im März hat Ministerpräsident Donald Tusk angekündigt, ein Referendum über den Eurobeitritt zu unterstützen, sich jedoch auf kein Datum für seine Durchführung festgelegt. Eine Befragung vor den nächsten Parlamentswahlen im Jahr 2015 ist unwahrscheinlich. Diese politischen Verlautbarungen sind wichtig, um zu zeigen, dass es für Polen ein wirtschaftliches und politisches Ziel bleibt, Mitglied der Eurozone zu werden.
Langfristig, also auf Sicht von zehn bis zwanzig Jahren, liegt die wirtschaftliche und politische Zukunft Polens in der Eurozone. Diese These mag in Widerspruch zu einigen Darstellungen in den Medien stehen, die nahelegen, dass einige Eurokandidaten, darunter Polen, das Ziel eines Beitritts in Frage stellen würden (so beispielsweise die »Financial Times« vom 19. April 2013). Daher wird im vorliegenden Beitrag eine differenzierte Abwägung der mittel- und langfristigen Europerspektive Polens vor dem Hintergrund vorgenommen, dass die mittelfristigen Vor- und Nachteile der Mitgliedschaft durch die Krise der Eurozone, aber auch die Reformen in der Eurozone noch komplexer geworden sind. Die Europäische Zentralbank (EZB) spricht für die verbleibenden Nicht-Mitglieder vom Beitritt zur geplanten Eurozone 2.0 (als Wirtschafts- und Fiskalunion). Polen könnte nach dieser Lesart einer Eurozone beitreten, die in einer schweren Krise und einem schmerzhaften Lernprozess ihre Designfehler teilweise beseitigt hat. Aus dieser Sicht erscheint ein Beitritt für Polen sogar interessanter als zuvor. Allerdings gibt es auf dem aktuellen Reformpfad in der Eurozone erhebliche Implementierungsrisiken.
Insgesamt war die Krise der Eurozone insofern hilfreich, als sich die wirtschaftspolitischen Institutionen und politischen Akteure in Polen ein sehr realistisches Bild über die Vor- und Nachteile einer Mitgliedschaft verschaffen konnten. Seit 2009 haben die Untersuchungen der Polnischen Nationalbank (Narodowy Bank Polski – NBP) und des Finanzministeriums zum ökonomischen Ungleichgewicht in der Eurozone sowie zu Chancen und Risiken der Mitgliedschaft deutlich zugenommen, zumal die Krise gezeigt hat, dass es für Euroländer – bei gleichen Fundamentaldaten – keinen nachhaltigen Zinsvorteil gegenüber Nicht-Mitgliedern gibt. Ironischerweise hat die Krise der Eurozone auch gezeigt, dass es für aufstrebende EU-Länder mit höherem Wachstums- und Inflationstrend als etwa in Deutschland oder Frankreich einfacher sein kann, die ökonomische und fiskalpolitische Stabilität als Nicht-Mitglied des Euro zu bewahren. Ferner zeigen schwere Bankenkrisen in einigen Euroländern, dass eine aktive nationale Notenbankpolitik der sogenannten makroprudentiellen Steuerung über die EZB-Zinspolitik hinaus wichtig sein kann. Bei der makroprudentiellen Bankenregulierung (etwa der Begrenzung der Kreditaufnahme) agiert Polen seit Jahren proaktiv und könnte wichtige Erfahrungen auf europäischer Ebene einbringen.
Die Erfüllung der Beitrittskriterien: kein Selbstläufer
In Bezug auf die Europerspektive Polens darf nicht vergessen werden, dass de jure (im Gegensatz zu Großbritannien oder Dänemark mit Ausnahmeklauseln) eine Beitrittspflicht besteht, wenn die Voraussetzungen nachhaltig erfüllt sind. Die Erfüllung von zwei der vier bzw. fünf Beitrittskriterien zum Euro – das heißt der zwei fiskalischen Kriterien – sollte für Polen keine Hürde sein. Die Maastricht-Staatsschuldengrenze (60 % des Bruttoinlandsprodukts – BIP) sollte auf absehbare Zeit nicht überschritten werden, das Budgetdefizit befindet sich – trotz aktueller Konjunkturschwäche – nahe an der Defizitgrenze von 3 % des BIP. Schwieriger könnte sich die Konvergenz der Preissteigerungsrate und Zinsen – also die Erfüllung der beiden monetären Kriterien –gestalten. Der Inflationstrend in Polen, also Niveau und Streuung der jährlichen Inflationsrate, ist ein deutlich anderer als in der Eurozone. Dies zeigen die Notenbankdefinitionen der Preisniveaustabilität (bzw. die sogenannten Inflationsziele). Die NBP definiert Preisstabilität als Anstieg der Konsumentenpreise von 1,5–3,5 % p.a. (mit einem mittleren Zielwert von 2,5 %), die EZB als Anstieg von nahe bei und unter 2 % p.a. Auch die zu erwartende divergierende Wirtschaftsentwicklung in Polen und einigen Euroländern könnte einen Eurobeitritt Polens nach dem bisher geltenden Regelwerk schwierig gestalten. Hier darf die Inflationsrate eines Beitrittslandes die der drei preisstabilsten EU-Länder um nicht mehr als 1,5 Prozentpunkte überschreiten (»Preiskriterium«). Nach mittel- bis langfristigen Projektionen des Internationalen Währungsfonds (IWF) sollten Belgien, Portugal und Spanien die EU-Länder mit den geringsten Preissteigerungsraten sein; Griechenland wird hier und auch bei der EZB für solche Bewertungen ausgeblendet, da dort das Preisniveau über einen längeren Zeitraum fällt. Die Verbraucherpreise in Belgien, Portugal und Spanien sollten in den nächsten drei bis fünf Jahren, auch angesichts schwacher BIP-Zuwachsraten, im Schnitt nur um 1,3–1,5 % p.a. steigen. Somit dürfte zur formellen »Euroreife« (12-Monatsschnitt vor Beitrittsentscheid) die Inflation in Polen kaum 2,8–3 % überschreiten. Dies dürfte angesichts des NBP-Inflationsziels von 2,5 % (+/- 1 %) schwierig sein, zumal auch bei mittelfristiger Erfüllung des NBP-Inflationsziels über den Zyklus gilt, dass die Schwankungsbreite der polnischen Jahresinflationsrate bei 1–2 Prozentpunkten liegt. Die potentiellen Schwierigkeiten beim Erreichen des Preisstabilitätskriteriums zeigen auch, dass die NBP bei einer zu ambitionierten Eurobeitrittsstrategie gezwungen sein könnte, eine für lokale Gegebenheiten zu restriktive Geldpolitik zu betreiben oder die Regierung eine zu restriktive Fiskalpolitik.
Zinsseitig sehen die Eurobeitrittskriterien (»Zinskriterium«) vor, dass der Kapitalmarktzins eines Beitrittslandes die Zinsen der drei preisstabilsten EU-Länder um nicht mehr als 2 Prozentpunkte überschreiten darf. Nimmt man den durchschnittlichen Renditeaufschlag von Belgien, Portugal und Spanien auf zehnjährige deutsche Bundesanleihen der letzten zwölf Monate und addiert diesen zu dem erwarteten Renditetrend deutscher Bundesanleihen, dann dürften polnische Staatsanleihen zur Erfüllung der »Euroreife« mittelfristig nicht über 6–8 Prozent notieren. Dieses Kriterium scheint leicht erfüllbar. Insofern haben die zu erwartenden wirtschaftlichen Divergenzen in der Eurozone erhebliche Auswirkungen auf die Messmethoden der Euroreife. Das »Zinskriterium« könnte wegen der gestiegenen Differenzierung der Kapitalmarktzinsen für Euroländer für solide aufgestellte Beitrittsländer wie Polen eher leicht zu erfüllen sein. Das »Preiskriterium« könnte angesichts des Drucks zu Lohnsenkungen und niedrigen Preisniveauanstiegen in wettbewerbsschwachen Euroländern wie Spanien oder Portugal (mit damit niedrigen Inflationsraten) schwer zu erreichen sein. Zudem werden so die ursprünglichen Eurobeitrittskriterien ad absurdum geführt. Diese basieren darauf, dass die preisstabilsten bzw. am meisten stabilitätsorientierten EU-Länder das Inflations- und Zinskriterium prägen sollten. Mittelfristig prägen indes EU- bzw. Euroländer mit großem strukturellem Anpassungsbedarf beide Kriterien und verzerren das »Preiskriterium« nach unten, so dass es für normal expandierende Volkswirtschaften wie Polen schwer erreichbar ist. Würde man Deutschland, Österreich und die Niederlande für das Inflationskriterium nehmen, dürfte zur Euroreife die polnische Inflation immerhin bei 3,2–3,5 % liegen. Letztere Werte wären eher mit dem NBP-Inflationsziel und der polnischen Inflationsdynamik vereinbar. In Bezug auf das »Zinskriterium« würde ein Referenzwert für die langfristigen Kapitalmarktzinsen aus Deutschland, Österreich und den Niederlanden, der im Bereich um die 5–5,5 % liegen sollte, für Polen ebenso erreichbar sein.
Beitrittsanforderungen an die Mitglieder der Eurozone
Aus der unterschiedlichen Trendinflation und geldpolitischen Zielsetzung ergeben sich deutlich verschiedene »natürliche« Leit- und Geldmarktzinssätze in Polen und der Eurozone mit Zinsdifferenzen bei 3–4 Prozentpunkten. Solche Zinsdifferenzen können hohe Kapitalflüsse und Wechselkursbewegungen induzieren. Das gilt v.a. in Zeiten extrem niedriger Zinsniveaus in der Eurozone, den USA, Großbritannien oder Japan. Dieser Aspekt wird in den kommenden Jahren relevant werden. Es könnte gerade wegen des Zinsdifferentials zwischen der Eurozone sowie weiteren großen entwickelten Volkswirtschaften und Polen nicht gelingen, die Eurokriterien zu erfüllen, denn zum Eurobeitritt ist neben Erfüllung der skizzierten vier Kriterien als fünfte Voraussetzung auch die relative Stabilität des Wechselkurses der nationalen Währung des Beitrittslandes zum Euro über einen längeren Zeitraum im sogenannten Wechselkursmechanismus II gefordert (maximale Schwankungsbreite +/- 15 %). Der Zloty neigt indes – u. a. getrieben durch das Zinsdifferential – zu Schwankungen, die auf Sicht mehrerer Monate bei 10–20 % liegen können. Somit ist es nicht verwunderlich, dass der Präsident der NBP öffentlich über neue bzw. besondere, für Polen wichtige Beitrittsanforderungen nachdenkt, etwa einen Eurobeitritt ohne Teilnahme am Wechselkursmechanismus II. Erwähnenswert ist auch, dass sich polnische Offizielle zunehmend selbstbewusst in Bezug auf weitere geforderte »Beitrittskonditionen« äußern. Gemäß dem Regierungsbeauftragten für die Euroeinführung in Polen muss eine Beitrittsstrategie derzeit auf vier Pfeilern aufbauen: Erfüllung der Beitrittskriterien, hinreichende strukturelle Reformen in Polen, umfassende Vorbereitungen zur Währungsumstellung und eine klare strukturelle Lösung der Eurozonenkrise unter Einbeziehung der Eurokandidaten wie Polen. Letzterem ist Polen mit klaren Positionierungen zum Krisenmanagement und zu mehr Strukturreformen in den Euro-Peripherieländern nachgekommen. Im Mai 2012 hatte sich der polnische Finanzminister Jacek Rostowski klar in Richtung mangelnder Flexibilität der EZB bei zu starker Aufblähung staatlicher Rettungsschirme in der Eurozone geäußert.
Langfristige ökonomische und politische Vorteile bei mittelfristigen Risiken
Neben der Möglichkeit des Eurobeitritts im Sinne der Erfüllung der Beitrittskriterien müssen weitere Chancen- und Risikoabwägungen vorgenommen werden. Es ist zu klären, ob die mittel- und/oder langfristigen Nachteile, die sich daraus ergeben, dass die nationale geldpolitische Autonomie und der eigene Wechselkurs aufgegeben werden, geringer oder höher sind als die langfristigen Vorteile des Eurobeitritts. In Bezug auf die langfristigen Vorteile eines Eurobeitritts Polens ist zu beachten, dass das Land schon jetzt ein hohes Maß an finanzieller Integration mit der Eurozone aufweist. Die Hälfte aller Finanzmarktinvestitionen in Polen stammt aus der Eurozone und die Hälfte aller finanziellen Investitionen aus Polen erfolgt in der Eurozone. Etwa 70 % der ausländischen Direktinvestitionen in Polen kommen aus Euroländern, rund 50 % der polnischen Direktinvestitionen erfolgen in der Eurozone. Kreditinstitute aus der Eurozone nehmen eine Schlüsselposition in Polens Finanzsektor ein und kontrollieren 60 % des Gesamtmarktes. Insofern ist Polen an einer effektiven pan-europäischen Aufsicht über die Banken und den Finanzsektor, v.a. in der Eurozone, interessiert. Die Finanzkrisen der letzten Jahre haben gezeigt, dass Interdependenzen bei den Kapitalströmen wie zwischen Polen und der Eurozone erhebliche Risiken bergen können. Zudem unterhält Polen als Sicherheit gegen Finanzmarktrisiken noch eine vorsorgende Kreditlinie mit dem IWF. Bei einer stabilen europäischen Finanzarchitektur wäre ein Gang zum IWF wohl nicht notwendig gewesen.
Die Eurozone bewegt sich aktuell in Richtung einer integrierten Banken- und Finanzmarktaufsicht. Die EZB wird hier die Schlüsselinstitution werden. Die Teilnahme an der pan-europäischen Bankenaufsicht bei der EZB – Single Supervisory Mechanism (SSM) bzw. »Bankenunion« – steht auch Nicht-Mitgliedern der Eurozone offen. Allerdings ist die Attraktivität solch eines Schrittes ohne Vollmitgliedschaft begrenzt. Ohne formale Mitgliedschaft in wichtigen Entscheidungsgremien der EZB außerhalb des SSM würde sich Polen schwer tun, seine Anliegen zu positionieren. Unwahrscheinlich ist, dass Polens Anliegen auf absehbare Zeit das nötige Gewicht innerhalb der Eurozone finden werden (Polens Bankkredite betragen nur 1,6 % des Volumens in der Eurozone, das nominale BIP Polens liegt immerhin bei 4 % des BIP der Eurozone). Zudem müssen die Interessen Polens im Bereich der Finanzsektorpolitik nicht den aktuellen Problem- und Interessenlage in der Eurozone entsprechen. Etwa ist bei der sogenannten Bankenunion nicht endgültig geklärt, wie de facto mit Altlasten aus der Zeit vor der »Bankenunion« umgegangen wird. Dieser Aspekt ist für Polen von Interesse. Der Bankensektor ist ohne staatliche Unterstützung ausgekommen, und es wäre in Polen politisch schwer vermittelbar, größere Zahlungs-, Transfers- und Haftungsleistungen im Zuge der »Bankenunion« zu rechtfertigen. Gleiches gilt für Haftungen und Zahlungen im Rahmen des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM), der teils auch Bankenstützungsmaßnahmen finanzieren könnte. Des Weiteren wäre Polens Einfluss gerade in Eurozonen-Stimmgremien wie dem ESM, wo nicht mehr nach dem Prinzip »ein Land, eine Stimme« abgestimmt wird, begrenzt: Hier wird analog zum Kapitalschlüssel der EZB abgestimmt, was bedeuten würde, dass Polen »nur« einen Stimmenanteil von knapp unter 5 % hat, während es fast 12 % der Eurozonenbevölkerung stellen würde, aber etwa der polnische Bankensektor nur 1,2 % des Eurozonenbankensektors repräsentieren würde. Im Rahmen des ESM könnte Polen also überproportional haften, obwohl das Land viel weniger Schulden im staatlichen und im privaten Sektor als der Eurozonenschnitt aufweist und das Wohlstandsniveau bei nur 35–60 % der Eurozone liegt (je nachdem ob zu Marktpreisen oder Kaufkraftparitäten, also bei Bereinigung um strukturelle Preisunterschiede). Im Falle des Nachbarn Slowakei, wo ein ähnliches Missverhältnis in Bezug auf die skizzierten Indikatoren in Relation zur Eurozone wie in Polen vorliegt, gab es daher – trotz Begünstigungen bei den Eurohaftungen – eine Regierungskrise wegen »unbeliebter« Maßnahmen zur Stützung des Euro.
Abseits der bereits skizzierten allgemeinen Aspekte eines Eurobeitritts ist auch zu klären, ob ein Beitritt für Polen gerade auch aus mittelfristiger Sicht ökonomisch und politisch sinnvoll ist, also auf Sicht von fünf bis sieben Jahren bzw. ein bis zwei politischen Wahlzyklen. Zu fragen wäre, ob die wahrscheinliche EZB-Geldpolitik der nächsten Jahre für Polen angemessen sein wird, was zu bezweifeln wäre. Die Eurozone wird auf Sicht von Jahren eine Geldpolitik sehr niedriger Leitzinsen prägen. In Polen könnte dies anders sein. Gegenwärtig ist Polen zwar auch in einem merklichen Konjunkturabschwung, der den Leitzins (aktuell 3 % in Polen vs. 0,5 % in der Eurozone) auf ein historisches Tief gebracht hat. Dies darf aber nicht den Blick darauf verstellen, dass eine strukturell solide Volkswirtschaft wie Polen mit einem gesunden Banken- und Finanzsektor wachstumsseitig bald wieder überraschen kann. Letzteres würde dann NBP-Leitzinsen um 4,5 % oder darüber nahelegen. Aus den skizzierten Zusammenhängen ergäben sich bei einem vorschnellen Euroeintritt erhebliche Risiken. Nach erfolgtem Eurobeitritt – also temporärer erfolgreicher Konvergenz der kurzfristigen Zinsen – könnte die Geldpolitik der EZB dann für die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in Polen nicht mehr passend sein, so wie die EZB-Geldpolitik derzeit für Deutschland zu expansiv erscheint. Zu niedrige Leitzinsen der EZB für einzelne Euroländer können dann ein Hauptreiber wirtschaftlicher Überhitzungen in einem Land oder auf Teilmärkten (z. B. dem Immobilienmarkt) sein. Angesichts des strukturell noch höheren Zins- und Inflationsniveaus in Polen besteht bei verfrühter Mitgliedschaft daher das Risiko sogenannter Blasen.
Regierung zeigt bei Eurozonenfrage »europapolitische Korrektheit«
Abseits ökonomischer Abwägungen ist für ein großes EU-Land wie Polen, das bereits seit Längerem von einer integrationsfreundlichen Haltung der Regierung geprägt ist, die Mitgliedschaft in der Eurozone europapolitisch attraktiv. Dies gilt vor allem, weil sich die (wirtschafts-)politischen Institutionen der Eurozone zurzeit immens weiterentwickeln. De facto wird die Eurozone zum Nukleus eines »Europa der zwei Geschwindigkeiten«. Insofern bietet es sich für Polen an, weiter eine nachhaltig erfolgreiche Mitgliedschaft anzustreben bzw. ist es wenig vorteilhaft, bei wichtigen Weichenstellungen lange nicht mitzuentscheiden. Dennoch ist auch hier Beitrittshektik nicht angebracht. Die Vertiefung der Integration in der Eurozone wird mindestens ein Prozess der nächsten zehn bis zwanzig Jahre und nicht der kommenden drei bis fünf Jahre sein. Des Weiteren gibt es bei aktuellen institutionellen Vertiefungsschritten in der Eurozone, die wie skizziert eine partielle Vergemeinschaftung von Staats- und Bankenschulden implizieren, erhebliche Implementierungsrisiken, die keine rasche Mitgliedschaft nahelegen. Zudem darf im Sinne kurz- und mittelfristiger Abwägungen nicht vernachlässigt werden, dass ein Eurobeitritt keine politische »Gewinnerstrategie« (mehr) ist. Auf kurze Sicht könnte ein Eurozonen-Referendum in Polen – wenn man ein positives Votum erhofft – sogar ein gewisses Risiko bergen: Im Dezember 2012 haben sich bei einer Umfrage des polnischen Finanzministeriums 56 % der Befragten gegen einen Eurobeitritt ausgesprochen. In einer jüngsten repräsentativen Umfrage von »Homo Homini« waren es 62 %. Auch in den Eurobarometer-Umfragen der EU sind die Polen deutlich skeptischer gegenüber der Eurozone geworden oder stehen gemeinsamen Staatsanleihen bzw. Eurobonds (wie auch viele Deutsche) eher distanziert gegenüber. Insgesamt liegt die Zustimmung zum Euro in Polen auf einem ähnlichen Niveau wie in Tschechien, Schweden oder Dänemark, wo jüngste Umfragen eine sehr geringe Zustimmung zur Euroeinführung zeigen. Ein Blick in aktuelle Nicht-Euroländer zeigt auch, dass Referenden zur Eurofrage scheitern können. Die Schweden haben 2003 die Euroeinführung mit 56 % abgelehnt, in Dänemark haben im Jahr 2000 53 % der Bevölkerung gegen den Eurobeitritt votiert. Solche politischen Aspekte sind von Bedeutung, da zur Einführung des Euro in Polen einige Gesetzesänderungen und sogar eine Verfassungsänderung notwendig wären. Hinzu kommt, dass die Nicht-Mitgliedschaft in der Eurozone von Ländern wie Schweden oder Dänemark – entgegen v.a. politisch motivierter Argumentationen – diesen wirtschaftlich nicht deutlich geschadet hat, was ein einfaches Argument für polnische Eurogegner sein könnte. Gerade Schweden ist ein interessantes Beispiel für Polen. Einerseits hat das Land von einem flexiblen Wechselkurs profitiert, andererseits hat man das Thema Eurobeitritt bisher umschifft – trotz rechtlicher Verpflichtung und zeitweiliger Erfüllung der fiskalischen und monetären Beitrittskriterien –, indem man dem Wechselkursmechanismus II einfach nicht beigetreten ist. Die Tür zur Eurozone hält man aber auch in Schweden, ähnlich wie in Polen, offen, etwa durch die aktive und partielle Beteiligung an aktuellen wirtschaftspolitischen Reform- und Integrationsvorhaben in der Eurozone und der EU. Auch Polen hat sich ohne größere Diskussionen einigen Maßnahmen zur Stärkung der wirtschaftspolitischen Koordinierung in Europa bzw. der Eurozone wie dem erweiterten Stabilitäts- und Wachstumspakt («Sixpack«, «Twopack«, »Euro+ Pakt«) angeschlossen, die auf freiwilliger Basis auf die gesamte EU ausgedehnt werden können.
Angesichts aller skizzierten Aspekte ist der jüngste politische Vorstoß von Ministerpräsident Tusk in Richtung Euro-Referendum dennoch eher als europapolitischer Schachzug oder »europapolitische Korrektheit« zu werten. Man will zeigen, dass Polen weiter einen wichtigen Platz im europäischen Einigungsprozess anstrebt. Ferner wird mit politischen pro-Euro Positionierungen sichergestellt, dass die Eurodebatte in Polen (weiter) über Expertenkreise hinaus geführt wird. Dies ist angesichts aktueller und möglicher zukünftiger Beschwerden vor dem Verfassungsgericht etwa von Abgeordneten von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) trotz der an sich vorsichtigen Haltung der Regierung dem Euro gegenüber wichtig.
Zunehmend komplexe Abwägungen legen Vorsicht bei Eurobeitritt nahe
Die Eurozonenkrise hat verdeutlicht, dass die Mitgliedschaft in der Währungsunion nicht der unmittelbar nächste Schritt nach dem EU-Beitritt sein muss. Die aktuellen real- und finanzwirtschaftlichen Probleme einiger Euroländer sind auf eine verfrühte bzw. schlecht vorbereitete Euromitgliedschaft zurückzuführen. Einige Länder waren nicht auf eine sogenannte Hartwährungspolitik bzw. überspitzt formuliert, eine Währungsunion mit Deutschland vorbereitet. Insofern liegt es für Polen nahe, erst der Eurozone beizutreten, wenn kein flexibler Wechselkurs zum Euro zum Ausgleich realwirtschaftlicher Unterschiede mehr notwendig ist. In den letzten Jahren hat Polen erheblich von seiner Wechselkursflexibilität profitiert. Ohne diese wären die gesamtwirtschaftlichen Schwankungen der letzten Jahre sicherlich höher gewesen. Im Vergleich dazu sind der anstehende Eurobeitritt Lettlands (2014) und die Euroambitionen Litauens (2015) ganz anders gelagert. Beide Länder verfügen im Gegensatz zu Polen seit mehr als einem Jahrzehnt über keinen flexiblen Wechselkurs mehr, sind damit de facto Mitglieder der Eurozone und haben dafür – im Gegensatz zu Polen – von 2008 bis 2010 tiefe pro-zyklische Anpassungsrezessionen erlebt.
Der Wechselkurs als Ausgleichsinstrument wird dann weniger relevant sein, wenn die Wachstums- und Inflationsdynamik Polens sich den Trends der Eurozone angenähert hat. Die mittelfristig zu erwartende Wachstums- und Inflationsdynamik in Polen legen es nahe, einen Eurobeitritt nicht rasch anzustreben. Die »ökonomische Distanz« Polens zur Eurozone ist in Bezug auf diese Aspekte beträchtlich und sogar noch höher als in aktuellen sogenannten Peripherie-Ländern der Eurozone bezogen auf deren damaligen Beitritt. Das aktuelle Wohlstandsniveau Polens liegt bei 40–60 % des Eurozonen-Niveaus (je nachdem ob zu Marktpreisen oder Kaufkraftparitäten), das durchschnittliche Preisniveau Polens liegt bei 50 % der Eurozone. Somit ist klar, dass BIP und Preisniveau in Polen noch auf Jahre signifikant stärker wachsen können und sollten als der Eurozonenschnitt, an dem die EZB ihre Zinspolitik ausrichtet. Die derzeit eher geringen Unterschiede bei Wachstum und Inflation zwischen Polen und der Eurozone sind ein temporäres Phänomen. Rein ökonomisch scheint es für Polen daher weiterhin sinnvoll zu sein, nicht rasch dem Euro beizutreten (vgl. derselbe Autor in Polen-Analysen Nr. 41, 4.11.2008). Der Sinn eines raschen Beitritts erscheint wegen der derzeitigen und in den kommenden Jahren anhaltenden ökonomischen Divergenzen in der Eurozone sogar noch geringer als vor vier bis fünf Jahren. Zudem sind die Beitrittskriterien so angelegt, dass in den kommenden Jahren ein hohes Risiko besteht, dass Polen das Inflationskriterium nicht erreicht.
Politisch gesehen spricht einiges dafür, dass Polen weiter das Ziel eines langfristig angelegten Eurobeitritts verfolgt und dies klar kommuniziert. Zudem hat die politische Überzeugung, eher früher als später den Euro einführen zu sollen, in den letzten Jahren leicht zugenommen. Die Eurozone wird der Nukleus einer tiefgehenden (wirtschafts-)politischen Integration in Europa sein. Auch wenn eine gemeinsame Wirtschaftsregierung und/oder ein gemeinsames Budget der Eurozone ferne Zukunftsmusik sind, ist klar, dass die in der Eurozone geschaffenen Stabilisierungs- und Überwachungsmechanismen langfristig mehr Kongruenz in Richtung politischer Union und Haftung erfordern. Allerdings werden diese Prozesse eher Jahre bzw. Jahrzehnte brauchen, so dass auch aus der zunehmenden politischen Logik eines Eurobeitritts keine Beitrittshektik resultiert. Ferner ist die Teilnahme an Teilbereichen der allgemeinen Eurozonen-Wirtschaftspolitik wie dem Fiskalpakt oder auch dem SSM bzw. dem Finanzsystemstabilitätsrat (ESRB) bei der EZB nicht mehr an die Zugehörigkeit zum Euro geknüpft. Damit sind die Vorteile einer Mitgliedschaft in der Eurozone bzw. die möglichen Nachteile einer Nicht-Mitgliedschaft noch weniger eindeutig verteilt, zumal gerade kurz- bis mittelfristig erhebliche Implementierungsrisiken bei einigen Integrationsmaßnahmen in die Eurozone bestehen. Unter Abwägung aller dargelegten Aspekte liegt es somit nahe, dass Polen weiter keine rasche Euromitgliedschaft anstrebt. Allerdings sollte Polen darauf drängen, dass die Weiterentwicklung der Architektur des Euro mit den potentiellen Beitrittsländern abgestimmt wird, ist doch gerade Polen ein guter Kandidat, nachhaltige Reformen in der Eurozone zu fordern und auch eine Debatte über den Sinn der aktuellen Beitrittskriterien anzustoßen. Polen steht nicht im Verdacht, in die Eurozone flüchten zu müssen. Es ist zudem kein Geheimnis, dass sich stabilitätsorientierte Euroländer wie Deutschland von einer Mitgliedschaft von Ländern wie Polen Verstärkung in den Institutionen der Eurozone erhoffen. Der deutsche EZB-Direktor Jörg Asmussen hat unlängst auf einer Veranstaltung in Berlin betont, dass sich v.a. außerhalb des Euro gute Beispiele für eine nachhaltige wirtschaftliche Verfasstheit befinden und Polen hervorgehoben.
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