In den 1990er Jahren haben rechtsextreme Gruppen generell betrachtet eine Randposition im politischen Leben Polens eingenommen. In den darauffolgenden Jahren wuchs ihr Einfluss jedoch deutlich. In den Jahren 2006/2007 bekamen rechtsextreme Gruppierungen über die Regierungskoalition, die von rechtspopulistischen Parteien gebildet wurde, direkten Zugang zum politischen mainstream der polnischen Politik. Viele Mitglieder rechtsextremer Gruppen und rassistischer Skinhead-Subkulturen erhielten in dieser Zeit eine Zuwendung in Form von hohen Posten in staatlichen Institutionen. Diese ungewöhnliche Situation endete mit den Parlamentswahlen 2007, allerdings bewahrte die extreme Rechte in einigen kulturellen und organisatorischen Bereichen wichtige Einflussmöglichkeiten.
Die Hauptgruppierungen der extremen Rechten heute
Im Jahr 2013 verfügt die extreme Rechte nicht mehr über eine eigene politische Repräsentation in Gestalt einer parlamentarischen Partei. Bis zu den Parlamentswahlen im Herbst 2007 waren dies die Liga der polnischen Familien (Liga Polskich Rodzin – LPR) und, bis zu einem gewissen Grad, die Partei Selbstverteidigung (Samoobrona). Heute haben allerdings die aktuellen rechtspopulistischen Hauptparteien Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) und Solidarisches Polen (Solidarna Polska – SP) deutlich sichtbar einen Teil der Ideologie und des Personals der nationalistischen Bewegungen absorbiert.
Das National-Radikale Lager (Obóz Narodowo-Radykalny – ONR) ist gegenwärtig die rechtsextremistische Organisation, die am stärksten auf der Straße und unter Jugendlichen aktiv ist. Ihr Name stammt aus dem Jahr 1934, als unter seinem Schild eine radikal antisemitische Bewegung entstand. Zwar war sie nach einigen Monaten für illegal erklärt worden, in zwei miteinander konkurrierende Fraktionen gespalten setzte sie aber noch einige Jahre ihre Tätigkeit in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre fort. Beide Teile des ONR führten eine Kampagne gegen Juden, Sozialisten und Demokraten.
Das heutige ONR entstand als eine lose Organisation, die vor allem rassistische Skinheads vereinigte und Anfang der 2000er Jahre in einigen Städten im Süden Polens aktiv war. Gegen Ende des Jahrzehnts wurde es eine landesweite Jugendbewegung, bekannt für die Organisation provokanter Aufmärsche, bei denen Uniformen im faschistischen Stil und der faschistische Gruß eingesetzt wurden. ONR bedient sich auch eines Symbols, das an das Hakenkreuz erinnert, und zwar des »Arms mit einem Schwert«, auch als »Falanga« bekannt. Eine der Abteilungen des ONR, in Brieg (Brzeg), wurde im Jahr 2009 vom Kreisgericht für illegal erklärt, aber die anderen Abteilungen, sogenannte Brigaden, wirken ohne Einschränkung weiter.
Seit einigen Jahren organisiert das ONR am Unabhängigkeitstag (11. November 1918) Aufmärsche in Warschau. Zunächst nahmen einige Hundert Personen, vor allem rassistische Skinheads teil, die antisemitische Parolen skandierten. Seit dem Jahr 2010 steigt aber die Teilnehmerzahl deutlich aufgrund der Zusammenarbeit mit anderen nationalistischen und rechten Organisationen, die sich unter dem Schild der »Vereinigung Marsch der Unabhängigkeit« (Stowarzyszenie Marsz Niepodległości) versammeln. 2012 waren es bereits 30.000 Personen, darunter viele Fans der Fußballvereine aus ganz Polen. Es kam dabei zu Gewaltakten der Teilnehmer gegenüber Polizisten und Journalisten.
Die Allpolnische Jugend (Młodzież Wszechpolska – MW) gehört zu den Hauptverbündeten von ONR, die sich bei der Organisation der genannten Aufmärsche engagieren. Ähnlich wie ONR schöpft auch MW aus der Tradition einer extrem nationalistischen Organisation gleichen Namens, die in der Zwischenkriegszeit aktiv war. Damals war die MW für zahlreiche Angriffe auf jüdische Studenten verantwortlich gewesen. Reaktiviert wurde sie von Roman Giertych im Dezember 1989, kurz darauf wurde sie die Jugendorganisation der ebenfalls reaktivierten Nationalen Partei (Stronnictwo Narodowe – SN) und ab 2001 der LPR.
Die wieder ins Leben gerufene MW versammelte viele Skinheads, die sich häufig in Gewalt gegenüber politischen Gegnern flüchteten. Ihre Internetseiten und Publikationen zogen voller Stolz antisemitische Erklärungen von Wegbereitern aus der Zwischenkriegszeit heran. Die Kultur des Antisemitismus war auch in den 2000er Jahren in den Reihen der MW präsent. Antisemitische Publikationen wie »Der internationale Jude« von Henry Ford wurde von der MW für die Ausbildung ihrer Mitglieder eingesetzt. MW organisierte außerdem Konzerte von Gruppen unter dem Logo der White Power, beispielsweise der antisemitischen Band Twierdza, die für Skinheads spielte. Auch wurden Codes, die für die Subkultur der Skinheads charakteristisch sind, in den Reihen der Organisation verbreitet. Die Kampftruppen der MW strebten nach physischer Übermacht im öffentlichen Raum, gegenüber Gegnern und Angehörigen von Minderheiten wurde Gewalt eingesetzt. In den Jahren 2006/2007 erhielt die MW dank der Zusammenarbeit mit der LPR vorübergehend Zugang zum politischen mainstream, so dass einige ihrer Mitglieder für hohe Regierungsposten nominiert wurden. Insbesondere wurde der Gründer der MW und Parteivorsitzende der LPR als Minister für nationale Bildung und stellvertretender Ministerpräsident berufen, was zahlreiche Proteste in der Bevölkerung hervorrief.
Mit der Wahlniederlage der LPR, die 2007 1,3 Prozent der Stimmen erhielt und in die Bedeutungslosigkeit versank, verlor auch die MW ihren Hauptkanal zum mainstream und ihre frühere Präsenz. Mit Hilfe der regelmäßigen Organisation von Aufmärschen gemeinsam mit der radikaleren ONR kehrte die MW jedoch zu einer größeren Aktivität zurück. Die Führer von MW und ONR gaben die Entstehung einer neuen nationalistischen Formation, der Nationalen Bewegung (Ruch Narodowy – RN) bekannt, die sich an der ungarischen rechtsextremen Partei Jobbik orientiert. Der Gründungskongress von RN fand im Juni 2013 statt. Einer der Vorsitzenden wurde Artur Zawisza, ein ehemaliger Abgeordneter von PiS.
Die Nationale Wiedergeburt Polens (Narodowe Odrodzenie Polski – NOP) ist der Hauptkonkurrent der neu entstandenen RN auf der rechtsextremen Bühne. Auch sie beansprucht für sich das Recht, die Tradition der ONR der Vorkriegszeit fortzusetzen. Seit 1994 ist NOP als Partei registriert. In den 1990er Jahren war NOP sicherlich die dynamischste rechtsextreme Organisation im Land. Sie erhielt minimale Unterstützung in den Wahlen (zum Beispiel 0,06 Prozent bei den Parlamentswahlen im Jahr 2005), drückte aber einer ganzen Generation der rechtsextremen Subkultur ihren Stempel auf.
In der ersten Hälfte der 1990er Jahre durchlief NOP eine gewaltige Radikalisierung und erlangte trotz ihres legalen Parteienstatus den Ruf, eine der extremsten nationalistischen und neofaschistischen Gruppen in ganz Europa zu sein. In dieser Zeit infiltrierte NOP mit Erfolg die Skinheadszene und ermutigte diese, politische Gegner zu attackieren. NOP gewann einige Hundert Aktivisten im ganzen Land, vor allem Männer, die zu den Neonazis der Skinheadszene gehören. Die Mehrheit ihrer Aktivisten war zwischen 20 und 30 Jahre alt, unter ihnen waren sowohl Arbeiter als auch Studenten. NOP rekrutierte ihre Anhänger oft in den Fußballstadien, unter Ausnutzung der antisemitischen Kultur, die seit Beginn der 1990er Jahre in vielen polnischen Stadien herrscht. Rivalisierende Gruppen von Hooligans bezeichnen die Anhänger der gegnerischen Fußballklubs als »Juden«, worin für sie die größtmögliche Beleidigung besteht.
Das programmatische Hauptziel von NOP ist die »nationale Revolution«, wobei die Formulierung durchaus die Anwendung von Gewalt auf dem Weg zur Macht suggeriert. Als paramilitärische, mit der NOP verbundene Jugendorganisation entstanden die Polnischen Scharen (Hufce Polskie). Nach einer programmatischen Verlautbarung von NOP »wird die Nationale Revolution auf gewaltsame Weise stattfinden – auch mit Blutvergießen muss gerechnet werden«. Angekündigt wurde, dass die Aktivitäten von politischen Organisationen verboten würden, die als »antinational« beurteilt werden, das heißt solcher, die die Mitgliedschaft Polens in der Europäischen Union und der NATO unterstützen. Eine Eigenschaft der Ideologie von NOP ist ihr radikaler Antisemitismus, der von Adam Gmurczyk, führender Kopf von NOP, offen ausgesprochen wurde. »Europa war Groß, war Christlich, weil es antisemitisch war. […] Antisemitismus ist diejenige Tugend, die wir besonders aufmerksam pflegen müssen. Denn Antisemitismus ist der (vom Postmodernismus) unbefleckte Glaube, Antisemitismus ist Ehrlichkeit und Gerechtigkeit, Antisemitismus ist die Liebe zur Schönheit der Welt, Antisemitismus, das ist die Treue gegenüber Grundsätzen und Tradition.« NOP tat sich auch mit besonderem Engagement bei der Leugnung des Holocaust hervor. Sie veröffentlichte und verbreitete einige Bücher, die die Ideologie des sogenannten historischen Revisionismus vermittelt. Der wichtigste Experte der NOP in Sachen Revisionismus des Holocaust wurde Bartłomej Zborski, ein polnischer Übersetzer und Förderer von Büchern des Autors David Irving. Außerdem publiziert er antisemitische Texte in den Parteiorganen. Zborski sicherte sich auch die Kontrolle über die Autorenrechte für viele polnische Ausgaben der Bücher von George Orwell und zieht daraus großen Nutzen.
Als offiziell registrierte Partei erfreut sich NOP des Schutzes staatlicher Institutionen, wie es im Parteiengesetz formuliert ist. Medien und Organisationen der Zivilgesellschaft haben wiederholt auf die Notwendigkeit hingewiesen, NOP zu verbieten. NOP verfügt über die am stärksten ausgebauten Auslandsverbindungen unter allen polnischen rechtsextremen Gruppierungen und wurde als polnische Sektion der Internationalen Dritten Position (International Third Position – ITP), schließlich als Europäische Nationale Front (European National Front – ENF) bekannt, eines internationalen Bündnisses europäischer neofaschistischer Organisationen. Deren Führer ist Roberto Fiore, der Gründer der italienischen Organisation Forza Nuova und ehemaliges Mitglied des Europäischen Parlaments. NOP organisierte internationale ideologische und paramilitärische Schulungen für Mitgliedergruppen der ITP/ENF, an denen u. a. Mitglieder der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) teilnahmen. Ein Vertreter der NPD brachte seine Genugtuung darüber zum Ausdruck, dass »sich zum ersten Mal seit 1936 polnische und deutsche Nationalisten wieder an einen Tisch setzen«. Er fügte hinzu, dass »beide Seiten während des Zweiten Weltkrieges viele Fehler begangen haben« und setzte damit Täter und Opfer gleich. Nachdem diese Zusammenarbeit in dem Magazin Nigdy Więcej (dt.: Nie Wieder) enthüllt worden war, das sich speziell dem Problem des Rassismus in Polen und seiner Bekämpfung widmet, hat die Glaubwürdigkeit der NOP in nationalistischen Kreisen deutlich gelitten. Kurz darauf kam es zum Konflikt mit der NPD über Fragen wie die Zugehörigkeit ehemals deutscher Gebiete zu Polen, was sogar zu einem Bruch in den Reihen der ENF führte.
Piotr Farfał, ehemaliger Aktivist der NOP und Herausgeber der Front, einer primitiven rassistischen Schrift für Skinheads, wurde führender Aktivist von MW und LPR und im Jahr 2006 Vizevorsitzender des Polnischen Fernsehens (Telewizja Polska – TVP). Seine Nominierung rief Empörung hervor, jedoch hielt er seinen Posten und wurde im Dezember 2008 sogar Vorsitzender des TVP (bis September 2009).
ONR, MW und NOP unterstreichen ihre Verbundenheit mit einer fundamentalistischen Interpretation des Katholizismus. Elemente des Katholizismus tauchen in den Ideologien der Mehrheit der Gruppierungen der polnischen extremen Rechten auf. Dessen ungeachtet besteht gleichzeitig auch eine neuheidnische Strömung, wobei dieser eine deutlich geringere Popularität zukommt. Repräsentiert wird sie von der Vereinigung für Tradition und Kultur Niklot (Stowarzyszenie na rzecz Tradycji i Kultury Niklot) sowie einigen anderen, kleineren Organisationen, die die Tradition von Zadruga fortsetzen, einer kleinen Gruppe polnischer extremer Nationalisten, die in den 1930er Jahren aktiv war. Die Ideologie von Zadruga war sogar vor dem Hintergrund der spezifischen Standards der radikalen nationalistischen Gruppierungen jener Zeit extrem. Ihre antichristliche Haltung verknüpfte sie mit Antisemitismus, das Christentum wurde als jüdische Ausgeburt bezeichnet. Der stärkste kulturelle Rückhalt der gegenwärtigen rechtsextremen neuheidnischen Strömung in Polen ist die Musikszene des Black Metal. Die Szene des sogenannten Nationalsozialistischen Black Metal (NSBM) ging aus der exzentrischen Melange von Satanismus und Neonazismus hervor; nach ihren Äquivalenten in den Ländern Westeuropas entdeckte auch sie den Neopaganismus. Einige Mitglieder von Niklot, die aus der Szene des Nationalsozialistischen Black Metal stammen, haben mit Mateusz Piskorski an der Spitze zeitweilig eine politische Basis in der Partei Selbstverteidigung gefunden.
Das Spektrum der extremen Rechten umfasst auch offen neonazistische Gruppen, die sich eng am westeuropäischen Modell ausrichten und die sich der Aushängeschilder internationaler Nazi-Netzwerke wie Blood and Honour bedienen. Organisiert werden Konzerte, die die Nazi-Ideologie verbreiten, und neben der Zusammenstellung einer Liste von Feinden, bekannt unter dem Begriff Redwatch, wird mit Partnern im Ausland zusammengearbeitet.
Orientierungen und Narrationen des polnischen Rechtsextremismus
Wie schon ausgeführt, beruft sich die Mehrheit der aktuellen polnischen Strömungen der extremen Rechten auf die Tradition der national-radikalen und national-demokratischen (Endecja) Bewegungen der Vorkriegszeit. Diese Tradition wird häufig als grundsätzlich verschieden vom Faschismus dargestellt, insbesondere von der deutschen Ideologie des Nationalsozialismus. Bei näherer Analyse wird jedoch deutlich, dass derlei Differenzierungen häufig rhetorischer Art sind und dem Versuch entspringen, ungünstige historische Assoziationen mit dem Nationalsozialismus zu vermeiden. Gleichzeitig ist aber die Ideologie der polnischen Rechtsextremen häufig totalitären, antidemokratischen Charakters, ähnlich wie bei neofaschistischen Bewegungen in anderen Ländern. Insbesondere die rechtsextreme Subkultur, die auf die junge Generation einwirkt, bedient sich internationaler Codes und Symbole der europäischen und nordamerikanischen extremen Rechten.
Die zugrundliegende politische Identität der verschiedenen Richtungen der extremen Rechten beruht auf der Idee einer homogenen Nation, wobei grundsätzliche Werte der Demokratie und des Pluralismus abgewiesen werden. Auch wenn sich die rechtsextremistischen Gruppen gewöhnlich auf einen katholischen Fundamentalismus berufen und sich nur die Minderheit zur neuheidnischen Tradition bekennt, stellen diese Unterschiede kein Hindernis für die Zusammenarbeit zwischen beiden Strömungen dar. Die scheinbar unüberbrückbaren religiösen Unterschiede treten vor der ideologischen Gemeinschaft einer anderen Ordnung zurück, die sich auf extremen Nationalismus und Feindseligkeit gegenüber der Demokratie stützt. Den religiösen Verlautbarungen fehlt gewöhnlich die theologische Motivation. Sie dienen vielmehr der Markierung einer ethnischen Identität, insbesondere gegenüber Minderheiten.
Die rechtsextreme Ideologie geht mit stark traditionellen Ansichten über Familie und Geschlechterrollen einher (zur Einstellung gegenüber Lebenspartnerschaften vgl. Grafiken 4 und 5). So war die Namenswahl der nationalistischen Partei Liga der Polnischen Familien, die im letzten Jahrzehnt die größten Erfolge vorweisen konnte, keineswegs zufällig. Trotz einer deutlich antifeministischen Einstellung können die polnischen rechten Bewegungen manches Mal mit der Unterstützung von Seiten der Frauen rechnen. Ein Beispiel bietet hier die LPR: Die Partei hatte in den Jahren 2001–2005 den höchsten Frauenanteil unter allen Parlamentsfraktionen. Ein Teilaspekt der Erklärung mag die stärkere Religiosität älterer Frauen sein, die einen großen Teil der Hörerschaft des Senders Radio Maryja darstellen. In diesen Zusammenhang gehört des Weiteren die Politisierung des Phänomens der Homosexualität (zur Einstellung gegenüber Homosexualität vgl. Grafik 3). Die aggressive Homophobie im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts wurde einer der roten Fäden in der Propaganda der extremen Rechten.
Es ist bereits Tradition, dass die extreme Rechte in Geschichtsdebatten aktiv wird, vor allem dann, wenn die nationalistische historische Narration in Frage gestellt wird. Rechte Gruppierungen und ihre führenden Köpfe nehmen häufig an symbolischen Konflikten wie der Kontroverse um das Pogrom in Jedwabne teil.
In Folge der strukturellen Probleme der polnischen Gesellschaft, wozu auch die Sorge über den Zustand der globalen Wirtschaft gehört, wird der Rechtsextremismus stärker. Gleichzeitig werden die Gestalt und die Stärke des Extremismus in großem Maße von den herrschenden kulturellen Bedingungen bestimmt. Dem kulturellen Kontext kommt eine Schlüsselbedeutung bei der Bestimmung der Grenzen dessen zu, was allgemein akzeptierte bzw. geächtete Formen sind, Wut auf die gesellschaftliche Situation auszudrücken. Die polnische extreme Rechte konzentriert sich eindeutig stärker auf Themen der symbolischen Politik und der Identität als auf wirtschaftliche und soziale Fragen.
Obgleich die jüdische Gemeinschaft in Polen heute nicht groß ist, bleibt der Antisemitismus eines der Hauptelemente des gehässigen Diskurses der extremen Rechten. Weitere Gruppen, denen Abneigung entgegengebracht wird, sind Sinti und Roma und andere Minderheiten, aber auch Immigranten, darunter Muslime. Dabei muss jedoch festgehalten werden, dass die Mehrheit der Opfer extremistischer Gewalt in Polen nicht zu den immer noch nicht sehr zahlenstarken ethnischen Minderheiten gehört. Die Gewalt ist häufig gegen die politischen Gegner, gegen Anhänger alternativer Jugendkulturen usw. gerichtet. Die polnische extreme Rechte ist in ihren verschiedenen Ausprägungen häufig feindselig gegenüber der Europäischen Union eingestellt. Die Mehrheit verkörpert eine antideutsche Haltung, was der Tradition der polnischen nationalistischen Bewegung entspricht. Es gibt allerdings auch Strömungen, insbesondere offen neonazistische Gruppen, die einer Zusammenarbeit mit entsprechenden deutschen Gruppierungen eher positiv gegenüberstehen. Das Buch des rechten Journalisten Piotr Zychowicz, Pakt Ribbentrop-Beck (dt. Der Ribbentrop-Beck-Pakt), erschienen 2012, bricht ein Tabu, indem es die polnische Außenpolitik des Jahres 1939 dahin gehend kritisiert, dass kein Bündnis mit Hitler-Deutschland gegen die Sowjetunion geschlossen worden ist. Dieses Buch wurde von einflussreichen Personen der rechten Szene öffentlich gewürdigt.
Eine antirussische Haltung, häufig mit antikommunistischer Rhetorik verbunden, ist in der polnischen Rechten ebenfalls weit verbreitet. In den letzten Jahren wurde sie häufig von Verschwörungstheorien über die Flugzeugkatastrophe von Smolensk im Jahr 2010 begleitet. Jedoch ist nicht die gesamte extreme Rechte antirussisch eingestellt. Die nationaldemokratische Tradition der Zwischenkriegszeit enthält wesentliche prorussische Elemente, die in manchen Zweigen der heutigen extremen Rechten immer noch lebendig sind. Dies gilt auch für die slawophilen Neuheiden, von denen viele eine Verständigung mit der russischen extremen Rechten finden.
Es sind nicht viele soziologische Daten zu den Anhängern der aktuellen extremen Rechten in Polen zugänglich. Allerdings lässt sich die gesellschaftliche Basis der polnischen extremen Rechten teilweise auf der Grundlage von soziologischen Untersuchungen der LPR-Wählerschaft von vor einigen Jahren charakterisieren. Die Partei wurde vor allem in den Woiwodschaften in Ost- und Südpolen unterstützt und dort in ländlichen Gebieten, wo eine enge Bindung an traditionelle religiöse Werte bei gleichzeitiger wirtschaftlicher Rückständigkeit besteht. Ein deutlicher Teil der Wählerunterstützung ging von älteren Menschen aus, aber von Bedeutung waren auch Unterstützergruppen aus der nationalistisch eingestellten Jugend. Die Unterstützung für die Partei Selbstverteidigung war wiederum in größerem Maße von populistischem wirtschaftlichem und sozialem Protest motiviert und nicht von einer symbolischen radikal rechten Politik. Stärker ausgeprägt war diese in manchen nördlichen und westlichen Gebieten Polens.
Während viele ehemalige Anhänger von Selbstverteidigung generell von der Politik enttäuscht waren, wurde die gesellschaftliche Basis der LPR zum größeren Teil von PiS aufgesogen. Allgemein betrachtet, haben die Anhänger beider Parteien ihre Unterstützung in deutlichem Ausmaß der PiS und Jarosław Kaczyński übertragen. Bereits im Jahr 2005 haben 38 Prozent derjenigen, die 2001 LPR gewählt hatten, ihre Stimme PiS gegeben. Im Jahr 2007 und auch später stimmte ein noch größerer Anteil der ehemaligen Wähler von LPR und Selbstverteidigung für PiS, die gleichzeitig ihre alte Unterstützung von den gemäßigten städtischen Wählern zugunsten der Mitte-Rechts-Partei Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) verlor. Indem PiS auch die letzten »Liberalen« aus den eigenen Reihen abstieß, schob sie sich noch weiter nach rechts. Die Partei, die einmal als Partei der Mitte galt, nahm einen Platz am rechten Rand des politischen Spektrums ein. Nur von Zeit zu Zeit wendet sie sich in Richtung politische Mitte. PiS ist keine eindeutig extreme Partei, allerdings legitimierte sie den Anstieg extrem rechter Sympathien, indem sie sich auf radikale und populistische Weise auf eine nicht liberale Demokratie beruft.
Sozioökonomische Probleme sind ein günstiger Nährboden für rechtsextreme Ideologien, aber kulturelle Faktoren entscheiden über die Art und Weise, wie der gesellschaftliche Protest in Polen kanalisiert wird, der notorisch in die nationalistische Richtung geht. Nationalistische und populistische Tendenzen in der polnischen Politik sind demnach das Resultat ernstzunehmender sozial-ökonomischer Spannungen im Kontext einer Kultur, die die nationale Perspektive auf Kosten der sozialen priorisiert. Die Gewerkschaften erweisen sich als unfähig, mit diesem Problem fertig zu werden, insbesondere die Gewerkschaft Solidarność wird häufig zur Bühne für nationalistische Ansichten. Festzustellen ist, dass die Qualität der demokratischen Kultur in Polen viel zu wünschen übrig lässt, und die liberale Hegemonie, die die Diskussion demokratischer Werte meidet, paradoxerweise rechten Extremisten Raum geben kann. Die zunehmend konservative Position der polnischen katholischen Kirche, die durch die Entwicklung der radikalen gesellschaftlichen Bewegung um das fremdenfeindliche Radio Maryja illustriert wird, trägt in den letzten Jahren zur Legitimierung der extremen Rechten und nationalistischer Tendenzen bei.
Der rechtsextreme Einfluss auf die Politik des mainstream ließ sich beispielsweise am 29. September 2012 in Warschau beobachten, als eine Demonstration mit 50.000 Teilnehmern unter dem Motto »Polen erwache!« stattfand, die gemeinsam von PiS, der Gewerkschaft Solidarność und der rechtsextremen Bewegung des Radio Maryja unter der Führung von Pater Tadeusz Rydzyk organisiert worden war. Hier fand eine Fusion verschiedener radikaler Botschaften statt.
Die Zahl der antisemitischen, rassistischen und extremistischen Internetseiten und -einträge ist in den letzten Jahren immens gestiegen. Trotz der Anstrengungen, dieses Problem zu bekämpfen, zum Beispiel mit der Aktion Delete Racism, bleibt diese Frage ungelöst. Ein anderer Ort, an dem rechtsextreme Tendenzen in großem Maße hervortreten, sind die polnischen Fußballstadien. Extremistische Gruppen gewinnen ihre Kraft häufig aus den antisemitischen und rassistischen Subkulturen, die teilweise Stadien und Fanklubs dominierten. Die Fußballeuropameisterschaft EURO 2012, die in Polen und der Ukraine stattfand, trug zu einer gewissen Verbesserung der Situation bei, u. a. mit Hilfe der antirassistischen Kampagne Respect Diversity – Football Unites und der Aktion »Kicken wir den Rassismus aus den Stadien!« (poln.: Wykopmy rasizm ze stadionów), allerdings bleibt das Problem weiter tief verwurzelt bestehen.
Gegenmaßnahmen
Rechtliche Reaktionen auf die Aktivitäten rassistischer und extremistischer Gruppen von Seiten des Staatsapparates sind bisher selten. Trotz hierfür bestehender Bestimmungen, angefangen mit Artikel 13 der Verfassung, erwies sich ihre Anwendung als schwach und wurde häufig kritisiert. Außer der genannten Abteilung von ONR in Brieg wurde keine extremistische Organisation verboten. Die Initiative eines Warschauer Gerichtes, NOP für illegal zu erklären, wurde im Jahr 2011 vom Verfassungsgericht aus formalen Gründen abgelehnt. Gleichzeitig bleibt die Zahl der Fälle von Gewalt und Verbrechen aus (Rassen-)Hass oder Vorurteilen relativ hoch. Über 600 rassistisch und fremdenfeindlich motivierte Fälle von Hasskriminalität, die von der extremen Rechten begangen worden sind, nennt das »Braunbuch 2011–2012« (poln. Brunatna Księga 2011–2012), das von Marcin Kornak verfasst, von dem Verein »Nie Wieder« (Stowarzyszenie »Nigdy Więcej«) Anfang 2012 veröffentlich wurde (siehe Grafik 1, S. 8). Der Verein »Nie Wieder« ruft auch die polnische Politik auf, eine Konvention zur Bekämpfung des Rassismus zu ratifizieren (http://petycja.nigdywiecej.org). Polen hatte das Protokoll bereits im Jahr 2003 unterzeichnet, aber das Dokument bisher noch nicht ratifiziert.
Gleichzeitig muss darauf hingewiesen werden, dass die Interventionen von Seiten unabhängiger Medien und Bürgergesellschaft eine wichtige, positive Rolle dabei spielen, die gesellschaftliche Akzeptanz für rechtsextreme Tendenzen in der polnischen Gesellschaft zu beschränken. Beispielweise spielten sie eine Schlüsselrolle bei der Herausbildung eines gesellschaftlichen Bewusstseins, was zur Wahlniederlage der extremen Rechten im Jahr 2007 geführt hat, und dies, obwohl von institutioneller Seite wie der Europäischen Union eher weniger Solidarität kam. Parallel zum Anwachsen der extremen Rechten seit Ende der 1990er Jahre baute die antifaschistische und Antidiskriminierungsbewegung ihre eigene Legitimation sowie ihre Unterstützung von Seiten der Gesellschaft aus. Die Musikkampagne »Musik gegen Rassismus« (poln.: Muzyka przeciwko rasizmowi) ist hier ein gelungenes Beispiel. Im Ergebnis muss die extreme Rechte mit einer abwechslungsreichen und vielseitigen Gegenbewegung rechnen.
Anm.: Der Text ist die überarbeitete und aktualisierte Version des Artikels »Prawicowy ekstremizm w Polsce« (Oktober 2012), der bei der Friedrich Ebert Stiftung erschienen ist (http://www.feswar.org.pl/fes2009/pdf_doc/Prawicowy_ekstremizm_w_Polsce.pdf).
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate