Nachdem er in den vergangenen Jahren die Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) zu einer Reihe von Wahlsiegen geführt hatte, erlangte ihr Vorsitzender Donald Tusk eine ähnliche Position wie Angela Merkel in der CDU. Das vergangene Jahr war allerdings für die Regierungspartei und den Ministerpräsidenten unerfreulich, was in einer gesellschaftlichen Vertrauenskrise zum Ausdruck kommt und eine schlechte Ausgangsposition für die anstehende Serie von Wahlen schafft, die in diesem Jahr und 2015 bevorstehen.
Die Bürgerplattform entstand im Jahr 2001 als gesellschaftliche Anti-Establishment-Bewegung, die verschiedenste Kreise, Gruppen und Bürgerinitiativen verband. Das Symbol dieser Verschiedenheit war die kollegiale Führung ihrer drei Gründer. Dazu gehörten neben Tusk der charismatische Danziger Aktivist der früheren Solidarność und ehemalige Sejmmarschall Maciej Płażyński und der apolitische Technokrat Andrzej Olechowski. In der Bewegung dominierte eine liberale Orientierung, die von einem linken (sozial-liberalen) und einem rechten (liberal-konservativen) Flügel ergänzt wurde. Der anfängliche Enthusiasmus, der die Geburt der neuen bürgerlichen Bewegung begleitete, zeitigte aber keine schnellen Erfolge. Die Wahlen im Jahr 2001 gewann ganz eindeutig die Linke, die PO erhielt nur gut 12 Prozent der Stimmen. Dieses relativ schwache Ergebnis wurde als Folge ihres zu undeutlichen ideologischen Profils und einer programmatischen Unbestimmtheit gewertet. Die Niederlage gegenüber der profiliert national-katholischen Rechten, der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), im Jahr 2005 schien dies zu bestätigen. Diese Niederlage war umso schmerzhafter, da zweifach: Die PO verlor gegen PiS, geführt von Jarosław Kaczyński, dem späteren Ministerpräsidenten, und Tusk persönlich unterlag in den Präsidentenwahlen dem Zwillingsbruder Lech Kaczyński. Auf diese Weise fielen die beiden wichtigsten Positionen im Staat an zwei Brüder, die nicht nur ihre Antipathie, sondern schlicht ihre Feindseligkeit gegenüber der PO und Tusk offen zur Schau stellten.
Allerdings brachte ihre Regierungszeit – geprägt von Arroganz und immer neuen Konflikten und Antagonismen in unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, ausgeführt von einer blamablen Koalition aus Populisten und Nationalisten – eine allgemeine Enttäuschung mit sich. Der Zusammenbruch der zerstrittenen Regierungskoalition führte zu vorgezogenen Parlamentswahlen 2007, die die PO gewann. Von dieser wurde eine Beruhigung des politischen und gesellschaftlichen Bebens erwartet. Auf der Welle dieser Erwartungen fuhr die PO eine ganze Reihe weiterer Wahlsiege ein: auf der Ebene der Selbstverwaltung, bei den Wahlen zum Europäischen Parlament und schließlich den Präsidentschaftswahlen in Polen. Ihr Kandidat Bronisław Komorowski siegte vor Jarosław Kaczyński, der nach dem tragischen Tod seines Bruders Lech in der Flugzeugkatastrophe von Smolensk (2010) als Kandidat der PiS angetreten war.
Imageverluste
Diese hohe gesellschaftliche Zustimmung hielt über viele Jahre an, sie begann aber Anfang 2013 nachzulassen und Mitte des Jahres lag PiS in den Meinungsumfragen vor der regierenden PO. Hinzu kamen kleine, aber spektakuläre Niederlagen in den Ergänzungswahlen zum Senat und einigen lokalen Referenden, die die Enttäuschung weiter verstärkten. Zwar gelang es, die von der Opposition beabsichtigte Abwahl der Warschauer Stadtpräsidentin Hanna Gronkiewicz-Waltz zu verhindern, die gleichzeitig stellvertretende PO-Vorsitzende ist, allerdings war dies nur dank der geringen Beteiligung der Warschauer am Referendum möglich, was nicht das Bild eines beeindruckenden Sieges vermittelte. Die PO befand sich in einer ausgeprägten Defensive.
Sie erlitt außerdem einige Imageverluste. Seit Jahren in der Regierung, hatte sich in den eigenen Reihen das Gefühl der Unbekümmertheit, Sorglosigkeit und Verantwortungslosigkeit entwickelt, gleichzeitig zog sie Personen mit zweifelhaften Absichten an. Der Tusk nahestehende Transportminister erwies sich als Liebhaber beeindruckender und kostspieliger Armbanduhren, wobei er bei der einen oder anderen Uhr nicht in der Lage war zu erklären, wie er in ihren Besitz gekommen war (er behauptete, sie von einem Kollegen geliehen bzw. von seiner Familie geschenkt bekommen zu haben). Einige Ministernominierungen nach den Sejmwahlen im Jahr 2011 weckten – zum Teil begründete – Zweifel an deren fachlicher Kompetenz. Schon bald trat ein Konflikt mit dem neuen Justizminister Jarosław Gowin auf, der sich als radikaler Konservativer entpuppte. Gewaltige Kontroversen und Proteste vieler einflussreicher Persönlichkeiten und Kreise (an der Spitze der als Vater der polnischen Wirtschaftstransformation geltende Leszek Balcerowicz) rief die teilweise Demontierung des Rentensystems hervor. Sie bestand darin, dass ein Teil der Arbeitnehmerbeiträge, die auf Konten bei kommerziellen Rentenfonds lagen, eingezogen wurden – im Austausch gegen das Versprechen, in der Zukunft die Renten aus einem öffentlichen Fonds zu zahlen, doch sind dessen steigende Defizite allgemein bekannt.
Das Experiment innerparteilicher Demokratie
Hinzu kam das Fiasko der innerparteilichen Demokratiekampagne, die eine programmatische Diskussion befördern sowie die Stärke der PO und die Transparenz ihrer Organisationsstrukturen unter Beweis stellen sollten. Man erinnert sich daran freilich als an einen rücksichtslosen Kampf und als Prozess der Ausschaltung von Rivalen, manchmal unter Zuhilfenahme verdächtiger Methoden – veröffentlicht wurde eine Aufnahme, die nahelegte, dass Stimmen von Parteimitgliedern gekauft und im Gegenzug Posten in öffentlichen Gesellschaften versprochen wurden.
Letzteres ist umso kompromittierender, als die PO in ihren Anfängen versprochen hatte, das politische, insbesondere das Parteileben von Affären und pathologischen Entwicklungen zu reinigen, die Partei für eine breite Bürgerbeteiligung und -kontrolle zu öffnen und ganz einfach transparent und klar zu handeln. Diesem sollten unter anderem die Vorwahlen der Kandidaten für alle öffentlichen Ämter und die gemeinschaftliche Parteiführung dienen. Auf ersteres wurde recht schnell verzichtet, weil man Manipulationen befürchtete – die man ohnehin nicht vermeiden kann. Man kam allerdings auf diese Prozedur noch einmal zurück, um den Kandidaten für die Präsidentschaftswahlen im Jahr 2010 zu bestimmen (hier siegte Bronisław Komorowski gegen Außenminister Radosław Sikorski). Die gemeinschaftliche Parteiführung verschwand schrittweise. Zuerst trat Maciej Płażyński ab und begründetet dies mit der zu linken Orientierung der PO (er kam in der Flugzeugkatastrophe von Smolensk zu Tode). Andrzej Olechowski wurde von anderen Akteuren an den Rand gedrängt, verlor aber auch selbst die Leidenschaft für politisches Handeln und zog sich zurück. Weitere Personen aus der Umgebung von Donald Tusk und der Parteiführung gingen aus unterschiedlichen Gründen und unter verschiedenen Umständen. Der Parteivorsitzende und Ministerpräsident dominierte immer deutlicher und wurde von weiteren Wahlerfolgen der PO getragen und gestärkt. (Auch unter diesem Aspekt lässt sich eine Ähnlichkeit zu Angela Merkel feststellen.)
Im vergangenen Jahr, das frei von jedweden Wahlen in Polen war, sollten die Wahlen der regionalen und zentralen Führung der PO stattfinden. Tusk gab unerwartet bekannt, dass statt der üblichen Reihenfolge der Wahlparteitage mit Abstimmungen über die untersten bis zur höchsten Organisationsstufe der Partei, gekrönt von der Wahl des Vorsitzenden (derer Tusk sicher war), zunächst der Parteivorsitzende von allen Parteimitgliedern gewählt werden sollte und erst anschließend die anderen Funktionsträger und Gremien. Die Konfrontation mit Tusk suchte der zunehmend konfliktfreudige und schließlich seines Amtes enthobene Gowin, der Tusk in seiner Kampagne Risikoscheu und Opportunismus vorwarf und mehr Dynamik und Profil von der Partei verlangte (in seiner Vorstellung ein konservativ-liberales Profil nach dem Modell der US-amerikanischen Republikaner). Er erhielt 20 Prozent der Stimmen, allerdings bei einer Wahlbeteiligung, die kaum die Hälfte der Wahlberechtigten überstieg (wahlberechtigt waren alle Parteimitglieder, d.h. zirka 40.000 Personen), und in der Atmosphäre einer scharfen Konfrontation, die Spannungen und Antagonismen hervorrief und mit Gowins Parteiaustritt beendet wurde. Er gründete daraufhin eine neue politische Bewegung. Diese schwächte die PO zwar nicht zahlenmäßig – nur wenige PO-Mitglieder verließen mit Gowin die Partei und nur zwei Abgeordnete – es schadete aber ihrem Image.
Der Verlust des führenden Kopfes des rechten Flügels der PO kann sich als schmerzhaft erweisen, wenn seine neue Gruppierung einige Prozent Unterstützung in den Wahlen bekommen würde, denn dies würde in hohem Maße auf Kosten der PO geschehen. Dies ist umso bedrohlicher, als die Bürgerplattform bereits vor den letzten Wahlen den linken Flügel verloren hatte. Der exzentrische und markante PO-Abgeordnete Janusz Palikot hatte die Partei verlassen und eine radikal antiklerikale politische Bewegung gegründet, die als Palikot-Bewegung (Ruch Palikota) einen spektakulären Erfolg erzielte. Sie erhielt über 10 Prozent der Stimmen und wurde die drittstärkste Kraft im Parlament. Insgesamt macht die Anzahl ehemaliger PO-Wähler, die in den nächsten Wahlen die Palikot-Bewegung (nun Deine Bewegung – Twój Ruch) und die neue Partei von Gowin wählen könnten, zumindest einige Prozent Verlust gegenüber der ohnehin in den Umfragen führenden PiS aus.
Stabilität auf Kosten von Entscheidungen
Die Schwächung des linken und des rechten Flügels gaben der PO eine größere Geschlossenheit, was Tusk in hohem Maße zufrieden stellte, aber kein klares Profil. Dies entspricht der Evolution der Person Tusk, die sich vom früher bekennenden Liberalen zu einem ideenlosen Pragmatiker gewandelt hat. Zunächst entsprach dies auch den Erwartungen der wachsenden Mittelklasse, die die gesellschaftliche Basis der PO darstellt; es erlaubte auch, die polnische Wirtschaft mit ruhiger Hand an der überall tobenden Krise vorbeizuführen und eine relative soziale Ruhe zu bewahren. Immer häufiger meldeten sich aber ungeduldige Stimmen, die einen konkreteren Aktionsplan für die Zeit nach der Krise forderten, der an das hohe Wirtschaftswachstum aus der Zeit vor der Krise anknüpfen sollte, schließlich wurde das Wachstum von knapp 2 Prozent im letzten Jahr als Stagnation bewertet.
Einen solchen Plan, bescheiden als Harmonogramm der Regierungsarbeit für 2014 bezeichnet, stellte Donald Tusk gemeinsam mit seinen wichtigsten Ministern Anfang des Jahres öffentlich vor. Er umfasst einen weiten Bereich von partiellen Tätigkeiten auf unterschiedlichen Gebieten des öffentlichen Lebens und hat ein soziales Profil. Dazu gehören beispielsweise kostenlose Schulbücher für Schulanfänger, die Unterstützung kinderreicher Familien, Zuschüsse für Berufsanfänger oder auch Zuschüsse für berufsbedingte Umzüge, die Zufinanzierung für den Bau von Mietwohnungen u.ä. Der Plan ist konkret und erfolgversprechend, rief aber bei den Polen keinen großen Eindruck hervor. Es verstärkt sich weiter die vorherrschende Überzeugung, dass es ohne Rückkehr zu dem hohen Tempo des Wirtschaftswachstums – das nicht nur für die Mehrheit der Bürger Verbesserungen spürbar werden lässt, sondern vor allem die Arbeitslosigkeit begrenzt – nicht gelingen wird, die Unterstützung für die Regierung, den Ministerpräsidenten und seine Partei wiederaufzubauen. Tusk wiederum zählt vor allem auf die zirka 80 Mrd. Euro, die Polen für die Zeitspanne von 2014 bis 2020 aus dem EU-Budget erhalten wird und die vor allem für die Entwicklung der Infrastruktur eingesetzt werden sollen. Dies bedient allerdings die Erwartungen der Polen nicht vollständig, die auch oder vor allem die Verbesserung ihrer individuellen Situation fordern.
Das Bedürfnis, die Stabilität der politischen und sozialen Situation aufrechtzuerhalten, versucht Tusk damit zu befriedigen, dass er Entscheidungen in allen Fragen vermeidet, die als kontrovers, schwierig oder brenzlig betrachtet werden. Das bedeutet, dass die wirtschaftlichen und sozialen Probleme nicht gelöst, sondern viele weiter wachsen werden, zum Beispiel:
das Defizit des Rentensystems, das vor allem wegen ausufernder und unangetasteter Privilegien mancher Branchen steigt,die Probleme mit dem Zugang zu medizinischen Fachbehandlungen,die aus Angst vor der starken Bergbaulobby nicht präzisierte und zaudernde Energiepolitik,die Unterhaltung unproduktiver Bauernhöfe und eines großen Teils der Landbevölkerung (zirka ein Drittel der Gesamtbevölkerung),eine fehlende Immigrationspolitik in einer Situation, in der die Erwerbsmigration von zirka 2 Mio. Polen zu einer Entvölkerung und einem Missverhältnis zwischen den demographischen Proportionen im Land zu führen droht, während viele den Polen kulturell relativ nahestehende Ukrainer und Belarussen Polen als attraktives Land für Wissenschaft und Beruf betrachten und man angesichts der Ereignisse in der Ukraine ein größeres Interesse an einer Übersiedlung nach Polen erwarten kann,weiter kommt hinzu das Fehlen jeglicher Pläne für den Beitritt Polens zur Eurozone, was bedeutet, dass Polen außerhalb der wichtigsten Entscheidungskreise der Europäischen Union bleibt.
Konkurrenz von PiS
Der Mangel an Initiativen in diesen Bereichen verleidet der Mittelklasse das politische Interesse, so dass sie eine wachsende politische Gleichgültigkeit zeigt. Für die PO kann dies gefährlich werden, da die Konkurrenz PiS viel entschlossenere und diszipliniertere Wähler hat. Bei der traditionell geringen Wahlbeteiligung in Polen stellt dies für die PO eine ernsthafte Bedrohung dar, umso mehr, als die ersten einer Reihe bevorstehender Wahlen die zum Europäischen Parlament sein werden, bei denen die Wahlbeteiligung gewöhnlich niedrig ist. Eine Niederlage wäre für die PO schmerzhaft, denn sie ist eine viel europäischer eingestellte Partei als PiS. Es würde nicht nur die Position der PO im Europäischen Parlament schwächen und die Stellung Tusks unter den führenden Politikern Europas. Gemeinsam mit der CDU gehört die PO zur Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP), in der sie 25 Abgeordnete stellt, das ist die Hälfte der 50 Polen, die im Europäischen Parlament sitzen. Vorstellbar ist außerdem, dass damit ein Prozess ausgelöst wird, der zu weiteren Niederlagen für die PO führen könnte.
Manche Experten prognostizieren allerdings, dass, wenn an den Wahlen zum Europäischen Parlament nur die politisch bewussten Bürger teilnehmen und unter diesen die Bürger der großen Städte dominieren, das heißt PO-Anhänger, dies zum Nutzen der PO sein kann und ein möglicher Wahlsieg in den Europawahlen sie aus der Pechsträhne herausziehen kann. Die konkurrierende PiS dagegen hat ein Problem, denn der britische Premierminister David Cameron hat seinen Wahlkampf vor den diesjährigen Wahlen auf Antimigrationsparolen ausgerichtet und dabei auch die zahlreichen in Großbritannien arbeitenden Polen attackiert. Die Europarlamentarier von PiS gehören aber zur selben Fraktion wie die britischen Konservativen, deren Vorsitzender Cameron ist. Jarosław Kaczyński und andere Politiker von PiS mussten sich vor den polnischen Wählern für die Zusammenarbeit mit den die Polen attackierenden Tories rechtfertigen.
Die Situation und Position der PO ist deutlich von den Aktivitäten und Positionen der Oppositionsparteien, vor allem PiS, abhängig. Der Konflikt und Antagonismus zwischen diesen beiden Parteien und den hinter ihnen stehenden sozialen Milieus und Gruppen sowie Medien und meinungsbildenden Institutionen ist ja seit einigen Jahren die Achse der polnischen Politik. Dies ist in hohem Maße ein Klassenkonflikt und ein kultureller Konflikt zwischen den sozialen Milieus und Gruppen: auf der einen Seite diejenigen, die aus der postkommunistischen Transformation als Gewinner hervorgingen und mit ihr zufrieden sind, die proeuropäisch und offen gegenüber der Modernisierung nach westeuropäischen Mustern eingestellt sind, die sich vom Einfluss der katholischen Kirche emanzipiert haben und laizistisch sind, und auf der anderen Seite die, die sich als von der Transformation und deren Ergebnis geschädigt sehen, die Misstrauen gegenüber den westeuropäischen kulturellen Mustern hegen, die traditionalistisch eingestellt sind und sich eng mit der Kirche verbunden fühlen. Darüber hinaus wird die PO von zahlreichen gesellschaftlichen Gruppen als diejenige politische Kraft angesehen, die eine Rückkehr der national-katholischen Konservativen an die Regierungsmacht unmöglich macht – diese wird als dogmatisch, streitlustig, aggressiv, verbohrt und unfähig, Kompromisse zu schließen, beurteilt. Die Angst vor der Wiederholung einer Regierung von PiS hat in der Vergangenheit den Kreis der PO-Wähler vergrößert und je größer diese Angst, desto weiter der Kreis. Der Vorsitzende von PiS, Jarosław Kaczyński, unternimmt von Zeit zu Zeit Versuche, sein Image und das seiner Partei aufzuhellen, und dann lässt die Angst vor ihnen nach und die Reihen der erklärten PO-Anhänger dünnen aus oder entspannen sich zumindest.
Möglicher Partner SLD
Eine Schwächung der Partei von Tusk würde allerdings nicht unbedingt bedeuten, dass sie nach den nächsten Wahlen die Regierungsverantwortung würde abgeben müssen, vielleicht wird sie aber einen stärkeren Koalitionspartner als jetzt brauchen, um sie behalten zu können. Zurzeit ist es die Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL), die sich auf zirka fünf Prozent vor allem der ländlichen Wählerschaft stützen kann und die mit 33 Abgeordneten im Parlament vertreten ist, das heißt ungefähr ein Sechstel der Abgeordnetenmandate der PO, die im 460 Sitze zählenden Sejm mehr als 200 Sitze hat. Zusammen verfügt die Koalition über eine dünne, aber stabile Mehrheit. Immer häufiger tauchen Anregungen auf, dass neuer Koalitionspartner die Demokratische Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) werden könnte, die unter der Führung des ehemaligen Ministerpräsidenten Leszek Miller mühsam herbe Verluste aufarbeitet und in den Meinungsumfragen die 10-Prozent-Marke übersteigt – das ist doppelt soviel wie die Zahlen für die mitregierende PSL. Millers Vorgehen stärkt die Vermutungen, dass er eine Koalition mit der PO anpeilt, denn er kritisiert die Regierungspartei nicht allzu heftig und will ganz eindeutig nicht die Tür zu einer zukünftigen Koalition zuschlagen. Ein Teil der linken Wählerschaft, die einst aus Angst vor einer Regierung der PiS die PO als diejenige Kraft unterstützt hatte, die dies verhindern konnte, könnte nun für die SLD stimmen, wenn sie der potentielle Koalitionspartner der PO sein sollte. Auf diese Weise würde das Bündnis aus PO und SLD eine sich selbst erfüllende Prophezeiung und die künftige Regierung hätte ein linksliberales Profil.
Dies ist umso wahrscheinlicher, als die Parteibasis beider Parteien einander ähnlich ist und die SLD in nächster Zeit keine andere Möglichkeit hat, in die Regierungsverantwortung zurückzukehren, von der sie vor zehn Jahren abgeschnitten wurde. Vorstellbar ist das nicht zuletzt auch, weil PiS vereinsamt ist und für koalitionsunfähig erachtet wird. Als Wahlsieger hätte sie also Schwierigkeiten, einen Regierungspartner zu finden, und dass sie allein die absolute Mehrheit der Parlamentssitze bekäme, scheint unwahrscheinlich. Ohnehin waren seit 1989 alle Regierungen Koalitionen. In der rechten politischen Landschaft außerhalb von PiS laufen zurzeit Initiativen, eine kulturell konservative und wirtschaftlich liberale Partei zu gründen (hier drängt sich eine Analogie zur CSU auf), die ein potentieller Koalitionspartner für PiS werden könnte. Bisher sind sie noch nicht geglückt. Gewisse Chancen hat die neue Gruppierung des ehemaligen PO-Justizministers Gowin, aber sie besteht erst zu kurz, als dass man schon ihre Chancen beurteilen dürfte.
Rechtsaußen
In den letzten Jahren wurde die extreme Rechte aktiv, die nationalistische Parolen heranzieht. Ihr Auftreten muss im Zusammenhang mit den durch die europäische Krise hervorgerufenen Störungen und der Verlangsamung des Wirtschaftswachstums gesehen werden (auch wenn die polnische Wirtschaft der Rezession entging, wurde sie doch deutlich schwächer), der auf hohem Niveau verbleibenden Arbeitslosigkeit (13 Prozent) und der Stagnation in manchen Regionen, insbesondere der östlichen, die die gesellschaftliche Basis der Konservativen darstellen. Verbündete fand die extreme Rechte unter den organisierten Hooligans, die geschlossene und gut funktionierende Strukturen in der Art von Kampftruppen bilden und in Zusammenstößen mit der Polizei aus der Erfahrung in und um die Fußballstadien herum geübt sind. Doch auch wenn es ihnen gelungen ist, unter nationalistischen und antieuropäischen Slogans Straßendemonstrationen von mehreren Zehntausend Teilnehmern und einige Kundgebungen zu organisieren, treten sie in Meinungsumfragen nicht in Erscheinung, und es ist extrem unwahrscheinlich, dass diese Milieus irgendeine Rolle im strikt politischen Sinne spielen werden. Die Nationalisten haben ihre Teilnahme an den Wahlen zum Europäischen Parlament angekündigt, was sie wie andere politische Gruppierungen und Milieus als erste Bewährungsprobe vor einer Reihe von Wahlen im Land werten. Ihr Erfolg ist zweifelhaft, denn die Polen sind mit großer Mehrheit weiterhin proeuropäisch eingestellt. Festzuhalten ist auch, dass sich Jarosław Kaczyński von den extremen Nationalisten zurückzieht und verabschiedet. Ihr Druck und die Konkurrenz von ihrer Seite können allerdings bewirken, dass sich PiS radikalisiert. Wenig wahrscheinlich ist jedoch die Verstärkung antieuropäischer Parolen, zumal Kaczyński im Dezember vergangenen Jahres in Kiew vor den demonstrierenden Ukrainern, die die Annäherung an die Europäische Union forderten, leidenschaftlich ihre Bestrebungen unterstützte. Es wäre daher ungeschickt, in Polen die EU zu kritisieren, die er in der Ukraine lobend herausgestellt hat.
Selbstsicherheit trotz Distanzierung
Donald Tusk ist ein Parteiführer – so stark wie keiner vor ihm – einer in kurzer Zeit schwächer gewordenen Regierungspartei. Seine unumstrittene Führung bedeutet den Gipfel der persönlichen Verantwortung für eventuelle Niederlagen, deren Wahrscheinlichkeit hoch ist, wenn man die Meinungsumfragen berücksichtigt. Sein Charisma hat stark nachgelassen und sein Charme wirkt auf die Wähler nicht mehr wie einst. Früher reichte es, wenn er in Momenten sinkender Wählersympathie in einen Reisebus stieg und in einige Regionen fuhr, um das gesellschaftliche Vertrauen wiederzugewinnen. Aktuell hört man immer häufiger warnende Stimmen, dass er sich an einigen Orten nicht zeige möge, da dies einen Ausbruch gesellschaftlicher Wut provozieren könnte. Seine Besuche in den letzten Wochen scheinen die Berechtigung der Warnungen zu verstärken: Es kamen die – in Polen ohnehin besonders zahlreichen – Unzufriedenen und Frustrierten und beschimpften ihn. Die Verkümmerung der parteiinternen Fraktionen und das Ausschalten von Konkurrenten für die Parteiführung bedeutet auch, dass alternative und konkurrierende Ideen und Konzepte fehlen. Tusk macht den Eindruck, dass ihm dies keine Sorgen bereitet, aber die Wählerschaft der PO scheint dies zu beunruhigen. Immer häufiger werden Stimmen laut, dass nicht klar sei, wohin der Ministerpräsident die regierende Partei und das Land führt. Auch wenn sie nicht vollkommen begründet sind, beeinflussen sie doch die politische Atmosphäre in Polen. Und die ist für die Regierungspartei nicht günstig.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate