Ein schwieriger Start
Als im Juni 2003 in Polen das Referendum über den Beitritt Polens zur EU durchgeführt wurde, waren die Meinungen zur Mitgliedschaft in der EU geteilt. Von Kritikern wurden der Verlust der nationalen Souveränität und Identität und eine Dominanz Brüssels oder – noch schlimmer – Deutschlands in den Vordergrund gestellt. Anhänger einer polnischen Mitgliedschaft verwiesen auf den zu erwartenden Modernisierungsschub durch Brüsseler Gelder und manche Vertreter gesellschaftlicher Organisationen erwarteten auch einen Wertewandel, z. B. eine bessere Durchsetzung von Frauenrechten oder den breiteren, weil von der EU abgedeckten Schutz von Minderheitenrechten. In Umfragen aus dem Jahr 2003, die das Zentrum zur Erforschung der öffentlichen Meinung (Centrum Badania Opinii Społecznej – CBOS) im März 2003 durchführte, ging klar hervor, dass die Mehrheit der Polen (65 %) eine Union von größtmöglich unabhängigen Nationalstaaten wollte – das auch sicherlich im Ergebnis der nationalen Debatte, die gerade in dieser Hinsicht Ängste und Besorgnisse formuliert hatte. Hinsichtlich des Umwelt- und Konsumentenschutzes, der Verteidigungspolitik, der Höhe der Zölle im Handel mit Nicht-EU-Staaten und bezüglich des Grenzschutzes wurde der EU eine mitgestaltende Rolle in der Zusammenarbeit zugestanden, aber in der Außen- und Wirtschaftspolitik, der Steuerpolitik, der Sozial- und Bildungspolitik und bei moralischen Fragen wie dem Schwangerschaftsabbruch wünschten sich die Befragten im März 2004 eine fortwährende Dominanz des Nationalstaates. Allerdings unterschieden sich diese Ergebnisse erheblich, je nachdem ob es sich bei dem Befragten um einen Anhänger einer europäischen Föderation oder einen Vertreter einer eher konföderalen Union handelte. Vor dem Hintergrund dieser Umfragedaten war die klare Zustimmung zur EU-Mitgliedschaft im Referendum im Juni 2003 mit 77,45 % bei einer für polnische Verhältnisse sehr hohen Wahlbeteiligung von 58,85 % erstaunlich.
Interessant waren auch Fragen danach, was Polen der EU anzubieten haben werde. Hier wurden bei einer Umfrage im Juni 2004 an erster Stelle billige Arbeitskräfte, traditionelle Werte, hochwertige landwirtschaftliche Produkte und der polnische Absatzmarkt genannt. Schließlich wurden als Staaten mit dem größten Einfluss auf das Funktionieren der EU Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien und Spanien erwähnt, während Polen mit 4 % erst an 13. Position in diesem Ranking auftauchte – noch deutlich hinter den Niederlanden oder Belgien.
Die Erwartungen an die EU-Mitgliedschaft waren damit vor gut zehn Jahren in ökonomischer Hinsicht eher positiv hinsichtlich weiterer Modernisierung und Arbeitsmöglichkeiten, in politischer Hinsicht bezüglich eines steigenden polnischen Einflusses skeptisch und mit Blick auf eine europäische Föderation ablehnend, und in kultureller Hinsicht schwankten die Einschätzungen zwischen einem polnischen Beitrag zu einem Europa der Werte und Befürchtungen vor einem Verlust der eigenen nationalen Identität.
Die ökonomische Bilanz der Mitgliedschaft: Transferleistungen von Brüssel und Modernisierung des Landes
Der Vergleich der makroökonomischen Daten Polens der Jahre 2004 und 2014 spricht eine deutliche Sprache. Die Arbeitslosigkeit ist mit 13,5 % zwar immer noch hoch im Jahr 2014, aber deutlich niedriger als mit 19,5 % im Jahr 2004, das Bruttosozialprodukt hat sich auf 1,6 Billionen Zloty fast verdoppelt und aus 765 km Autobahn wurden 2 847 km, wie Bankier.pl, ein Internetportal mit Informationen zur ökonomischen und finanziellen Situation Polens, in diesen Tagen festhielt. Auch die Arbeitsproduktivität hat danach um 25 % in diesem Zeitraum zugenommen, wie sich auch die Zahl der werktätigen Bevölkerung auf 15,7 Millionen Menschen Ende 2013 vergrößert hat. Der Einfluss der EU ist auf diesen Feldern zumindest mittelbar durchaus vorhanden und nachvollziehbar. Sei es durch den EU-Beitrag bei der Finanzierung der Autobahnen und Schnellstraßen, sei es durch EU-Normen, die bessere Arbeitsbedingungen in Polen herbeiführten, oder sei es durch den zollfreien Handel in der EU, der dem polnischen Export hilft. Der Anteil des Handels mit Deutschland am gesamten Im- und Export Polens lag im Jahr 2012 bei 21,3 % bzw. 25,1 %, was Deutschland zum wichtigsten Handelspartner macht, obgleich der Anteil gegenüber 2005 etwas zurückgegangen ist. Der Export war überhaupt in den letzten zehn Jahren ein wichtiger Motor des polnischen Wirtschaftswachstums. Betrug der Anteil des Exports am Bruttosozialprodukt (BSP) in die EU-Länder im Jahr 2003 noch 26,9 %, so wuchs der Anteil im Jahr 2013 auf 35,6 %. Hauptwarengruppe waren Elektromaschinen, obgleich der größte Zuwachs bei den landwirtschaftlichen Produkten erfolgte. Ferner wurden in erheblichem Umfang auch chemische Produkte, Möbel oder hauswirtschaftliche Produkte in die EU-Länder exportiert. Schließlich nimmt, wie aus Daten der Weltbank bzw. von Eurostat hervorgeht, auch der Anteil von sogenannten Hightech-Produkten am polnischen Export zu, aber auch hier liegt Polen u. a. hinter Ungarn, Tschechien oder Estland.
Auch ein Ende April dieses Jahres vom polnischen Außenministerium veröffentlichter umfangreicher Bericht unter dem Titel »Die polnischen zehn Jahre in der EU« (Polskie 10 lat w Unii) kommt zu einem überaus positiven Fazit der polnischen EU-Mitgliedschaft, was angesichts der politischen Verantwortung des aktuellen Ministerpräsidenten Donald Tusk von der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) seit seinem Regierungsantritt im Herbst 2007 wenig überraschend ist. Zu diesen Erfolgen werden das anhaltend starke Wirtschaftswachstum, der Vermögenszuwachs der Gesellschaft und die wachsende Konkurrenzfähigkeit der polnischen Unternehmen gezählt. Polen hatte in den Jahren nach 2004 das höchste Wirtschaftswachstum der neuen EU-Mitgliedsländer und kam auch als einziges EU-Land durch die Jahre der Finanzkrise mit einem immer noch positiven Wirtschaftswachstum. Dazu trug auch bei, dass die polnischen Banken sich relativ wenig im globalen Handel mit diversen Finanzprodukten engagierten. Das polnische BSP pro Kopf betrug im Jahr 2012 gemessen in Kaufkraft 66,9 % des EU-Durchschnitts, was einen Anstieg um 18,1 % gegenüber dem Jahr 2003 darstellt. Damit liegt Polen als Flächenstaat aber nach wie vor hinter der Tschechischen Republik, Estland oder Slowenien und lediglich im Mittelfeld der neuen EU-Mitgliedsländer, aber die Experten des polnischen Außenministeriums verweisen in diesem Kontext auf den größeren Rückstand Polens im Jahr 2003. Zudem seien die Löhne in Polen stärker gestiegen als die Lebenshaltungskosten, was real einem Vermögenszuwachs gleichkomme. Dafür spricht auch die Entwicklung des Gini-Indexes, der die Verteilung von Vermögen in einer Gesellschaft misst. Je höher der Gini-Koeffizient, desto ungleicher die Vermögensverteilung. In Polen lag der Gini-Koeffizient im Jahr 2005 bei 35,6 % und fiel auf 30,9 % im Jahr 2012. Deutschland hatte im gleichen Bezugsjahr einen Gini-Koeffizienten von 28,3 %. Auch der Anteil der Menschen in der Gesellschaft, die von Armut bedroht sind, hat sich nach Angaben von Eurostat im Jahr 2012 gegenüber den Daten aus dem Jahr 2005 deutlich verringert und nähert sich mit 17,1 % dem EU-Durchschnitt von 16,9 % an. Auch hier nimmt Polen aber nur einen mittleren Wert unter den neuen Mitgliedsstaaten der EU ein und liegt hinter Ungarn – trotz der dortigen Wirtschaftskrise –, Slowenien, der Slowakei und Tschechien.
Im Vorfeld des polnischen Beitritts zur EU im Jahr 2004 wurde von Gegnern dieser Entwicklung als Alternative über einen Beitritt zur Nordamerikanischen Freihandelszone diskutiert. Allerdings ist sehr zu bezweifeln, ob Polen in diesem Fall ähnlich anziehend für ausländische Investoren gewesen wäre, wie es sich heute darstellt. Polen ist mit deutlichem Abstand für ausländische Direktinvestitionen das attraktivste Land der neuen EU-Mitgliedsländer und erhielt im Jahr 2012 knapp 34 % der ausländischen Direktinvestitionen aus der EU in den zehn neuen ostmitteleuropäischen Mitgliedsländern. Interessant ist auch, dass die ausländischen Investitionen polnischer Firmen im Jahr 2012 43 % aller ausländischen Direktinvestitionen in der Region ausmachten. Polnische Firmen sind damit heute sehr viel internationaler aufgestellt als noch vor zehn Jahren.
Ein wesentlicher Anteil an diesem Aufholprozess kommt auch den Mitteln aus den EU-Strukturfonds zu. Bis Ende des Jahres 2013 sind gerechnet ab dem 1. Mai 2004 92,4 Milliarden Euro aus dem EU-Budget nach Polen geflossen. Selbst wenn man den Beitrag Polens in die EU-Kasse in Höhe von 30,9 Milliarden Euro abzieht, bleibt ein gigantischer Transfer nach Polen bestehen.
Ein wichtiger Bereich, der vor dem Jahr 2004 skeptisch beäugt wurde ob der Anzahl seiner Beschäftigten und dem geringen Modernisierungsgrad, ist die polnische Landwirtschaft. Bauern kommen nun in den Genuss der Direktzahlungen, der Handel mit landwirtschaftlichen Produkten mit EU-Ländern ist zollfrei und für die Lebensmittelindustrie wurden die EU-Normen angewandt, was sich sowohl auf die Qualität der Produkte wie auch auf die Exportchancen positiv ausgewirkt hat. Die über 29 Milliarden Euro, die zwischen 2004 und 2014 in das polnische Dorf geflossen sind, haben dort einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung geleistet, z. B. durch den Bau von Kanalisation und Wasserleitungen oder durch die Modernisierung landwirtschaftlicher Betriebe. Allerdings geht aus dem Bericht des polnischen Außenministeriums »Die polnischen zehn Jahre in der EU« nicht hervor, in welchem Umfang diese Mittel auch effektiv in der Landwirtschaft eingesetzt wurden. Die Direktzahlungen an die Landwirte sind Einkommenssubventionen, die den Strukturwandel begleiten, bis zu einem gewissen Grad aber auch bremsen. Die im Bericht genannte Zahl von 11.000 Menschen, die eine Tätigkeit außerhalb der Landwirtschaft annahmen, ist sehr gering, wenn Experten des staatlichen Instituts für Landwirtschaftsökonomie und Lebensmittelwirtschaft (Instytut Ekonomiki Rolnictwa i Gospodarki Żywnościowej) in Warschau im Jahr 2012 von mehr als 600.000 nicht benötigten Arbeitskräften in der Landwirtschaft ausgingen! Die Produktivität je Hektar ist gleichwohl in Polen in den letzten zehn Jahren deutlich gestiegen, so dass Polen in der Region nach Slowenien eine Spitzenposition einnimmt. Allerdings ist damit nur die Hälfte der Produktivität Deutschlands je Hektar erreicht. Angesichts dieser großen Transferleistungen nimmt es nicht Wunder, dass sich die polnischen Bauern von Euroskeptikern zu Euroenthusiasten entwickelt haben. Trotz der auf dem Land eher verbreiteten konservativen Werte, die dazu führen, dass die EU tendenziell eher kritisch wahrgenommen wird (Stichwort Werteverfall), sahen im Oktober 2013 71 % der Bauern die EU-Mitgliedschaft Polens als positiv an bei einer allgemeinen Zustimmungsrate von 76 % (Herbst 2013) nach Daten von CBOS und der Firma Lokale Gesellschaftsanalysen (Lokalne Badania Społeczne).
Im Kontext der Verbesserung der wirtschaftlichen Situation Polens darf nicht vergessen werden, dass die Entspannung auf dem Arbeitsmarkt mit der massiven Auswanderung von Polen zu tun hat. Nach dem Beitritt Polens zur EU sind 2,4 Millionen Polen zur Arbeitsaufnahme in EU-Länder gereist, von denen allerdings ein Teil nur zeitweise im Ausland weilte bzw. als Saisonarbeiter von vorn herein nur einen temporären Aufenthalt geplant hatte. Im Jahr 2012 waren etwa 1,7 Millionen Polen zur Arbeit im EU-Ausland, mit anderen Zielregionen etwa 2,13 Millionen nach Angaben des polnischen Statistischen Hauptamtes (Główny Urząd Statystyczny – GUS). Hauptherkunftsgebiete in Polen waren die Woiwodschaft Oppeln (województwo opolskie) im Westen und die Woiwodschaften Heiligkreuz (województwo świętokrzyskie) in der Mitte und Karpatenvorland (województwo podkarpackie) im Südosten des Landes, alle ökonomisch schwache Regionen. Neben den positiven Effekten dieser Migration (die im Übrigen in anderen neuen EU-Mitgliedsländern noch weit höher ausfällt), wie Transferleistungen aus dem Ausland nach Polen und Entlastung des Arbeitsmarktes, verliert Polen häufig dauerhaft mobile und in der Regel junge Menschen bzw. ist die familiäre Situation der Pendelmigranten schwierig, insbesondere für die Kinder. Hier kann weniger von Modernisierung als von hohen sozialen Kosten der Transformation gesprochen werden, selbst wenn die individuelle Bilanz am Ende positiv sein kann.
Politische Bilanz: Mitspracherecht in Brüssel und Gestalter von EU-Politik
Sowohl der polnische Staatspräsident Bronisław Komorowski als auch Ministerpräsident Donald Tusk unterstrichen in den letzten Tagen in Reden die große Bedeutung, die die Mitgliedschaft Polens in der EU für das Land und seine Entwicklung gehabt habe und weiterhin darstelle. Während Präsident Komorowski in allgemeinen Worten auf den polnischen Weg in die EU nach 1989, auf Umfragedaten, die Transferleistungen von Brüssel nach Warschau und die damit verknüpfte Modernisierung z. B. der Infrastruktur abstellte, verwies Regierungschef Tusk auf die heute deutlich besseren makroökonomischen Daten. Der vom polnischen Außenministerium vorgestellte und bereits erwähnte Bericht betont aber auch politische Gewinne durch die Mitgliedschaft.
Erwähnt werden im Bericht an erster Stelle die Teilnahme Polens an wichtigen Debatten, die Aushandlung eines sogar leicht höheren absoluten Anteils Polens an den EU-Strukturmitteln für die Jahre 2014–2020 und die bessere Reputation und Verhandlungsposition Polens in den EU-Institutionen und der EU insgesamt. Verwiesen wird auch auf die sicherlich für die Interessendurchsetzung innerhalb der EU wichtige elastische Koalitionsfähigkeit, aber der Verweis auf die Belebung des Weimarer Dreiecks, also die informelle Abstimmung mit Frankreich und Deutschland seit August 1991, vermag ebenso zu überzeugen wie die Hervorhebung der guten Kooperation im Rahmen der Visegrád-Gruppe, die seit Februar 1991 informell die Bemühungen der drei und dann – nach Auflösung der Tschechoslowakei – vier Länder Ungarn, Tschechien, Slowakei und Polen im Kontext der EU koordiniert. Jedoch spielte in wichtigen europäischen Krisen das Weimarer Dreieck entweder keine Rolle oder konnte wie im Fall der aktuellen Ukraine-Krise nur kurz eine Vermittlerrolle einnehmen, und im Rahmen der Visegrád-Gruppe finden zwar weiterhin Abstimmungsprozesse statt, aber die Unterschiede zwischen den Ländern sind hinsichtlich der EU doch beträchtlich, wenn man nur an den EU-kritischen Kurs des ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán denkt, so dass das im Bericht unterstrichene gleiche Stimmengewicht der Visegrád-Gruppe gegenüber dem Block Deutschland und Frankreich, je Block 58 Stimmen im Rat, nur wenig zum Tragen kommen kann.
Die politische Stabilität und Zuverlässigkeit in EU-Fragen, die Polen z. B. von Ungarn und auch von Tschechien unterscheidet, hat gemeinsam mit der guten Wirtschaftslage und dem ökonomischen und demographischen Gewicht des Landes dazu beigetragen, dass Polen als wichtiger Akteur in der EU wahrgenommen wird. Dazu hat nicht zuletzt auch die erfolgreiche EU-Ratspräsidentschaft Polens in der zweiten Jahreshälfte 2011 beigetragen, als zwar kein gordischer EU-Knoten durchschlagen wurde, aber die polnische Vermittlung in der Hochphase der europäischen Finanzkrise ebenso positiv in den Hauptstädten der EU notiert wurde wie die polnischen Initiativen für den EU-Finanzrahmen 2014–2020. Polen erwies sich als zuverlässiger europäischer Partner und zugleich als Anführer von 15 EU-Mitgliedsländern, die sich als »Freunde der Kohäsionspolitik« in den folgenden Jahren für eine Fortführung der bisherigen Kohäsionspolitik auch in ihren finanziellen Dimensionen einsetzten. Letztlich mit Erfolg, da im neuen, im November 2013 vom EU-Parlament angenommenen Haushalt für die Jahre 2014–2020 die Kohäsionspolitik unter dem Titel »Kohäsion für Wachstum und Zusammenarbeit« mit 33,9 % bzw. 325,1 Milliarden Euro den zweitgrößten Haushaltsposten nach dem Titel »Schutz und Verwaltung natürlicher Lebensgrundlagen« (38,9 % bzw. 373,2 Milliarden Euro), also Agrarpolitik und Entwicklung ländlicher Regionen, darstellt.
Zweifellos einen Erfolg der polnischen Politik in der EU stellt auch die östliche Partnerschaft dar, die im Mai 2009 formal auf dem EU-Gipfel in Prag aus der Taufe gehoben wurde und die auf eine polnische Initiative mit Unterstützung Schwedens zurückzuführen ist. Teil dieses Programmes, das sich im Rahmen der EU-Nachbarschaftspolitik an die sechs postsowjetischen Republiken Aserbaidschan, Armenien, Belarus, Georgien, Moldawien und Ukraine richtet, ist auch ein zivilgesellschaftliches Forum. Allerdings wird das Programm heute unterschiedlich von den Ländern angenommen, und die von Polen damit verknüpften Ziele, die Demokratie und Zivilgesellschaft in den postsowjetischen Republiken mit Hilfe der EU zu stärken, kommen nur mühsam voran.
Auch auf anderen Politikfeldern wie der Energiepolitik oder der Klimapolitik hat die polnische Stimme innerhalb der EU deutlich mehr Gewicht, als die Polen in den eingangs erwähnten Umfragen zu träumen wagten.
Naturgemäß stellt sich die Bilanz für die wichtigste polnische Oppositionspartei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) deutlich negativer dar. In ihrem aktuellen Programm aus dem Jahr 2014 geht PiS kaum auf die zehn Jahre der polnischen EU-Mitgliedschaft ein, wirft aber der Regierung Tusk vor, die EU-Mittel nicht gut genutzt zu haben. Die EU, zu der sich PiS grundsätzlich bekennt, steht nach Ansicht der Partei vor neuen Trennlinien, und PiS möchte der EU eine neue Dynamik verleihen, dabei aber die nationalen Besonderheiten und das polnische Nationalinteresse stärker im Blick haben. Die Analyse der heutigen Situation der EU weicht dabei nicht allzu weit von der Regierungsposition ab, wo auch die Gefahr neuer Gräben innerhalb der EU entlang der Mitgliedschaft im Euro-Raum bzw. der Nicht-Mitgliedschaft gesehen wird. Aber während die Regierung nach wie vor auf die Erfüllung der Kriterien für eine Mitgliedschaft setzt, votiert PiS klar für die Beibehaltung und Stärkung des polnischen Zloty.
Sehr viel entschiedener und EU-kritischer tritt das nationale Lager auf. In einem Beitrag in der rechtsnationalen Tageszeitung »Nasz Dziennik« wird die zehnjährige Mitgliedschaft Polens in der EU eher als Niederlage gesehen. Verwiesen wird auf den Verlust der nationalen Souveränität und die Kontrolle durch die Bürokratie aus Brüssel, auf die Öffnung des polnischen Marktes für ausländische Firmen, die einen unbeschränkten Zugang zu öffentlichen Aufträgen haben, und auf die billigen polnischen Arbeitskräfte. Zudem seien die polnischen Werften zugunsten der deutschen Werften geschlossen worden und die polnischen Landwirte hätten zu Beginn nur 25 % statt 100 % der ihnen zustehenden Direktzahlungen erhalten. So gesehen seien die zehn Jahre der Mitgliedschaft vor allem ein Erfolg der EU – eine Ansicht, die von der Mehrheit der befragten Polen, wie noch auszuführen sein wird, nicht geteilt wird.
Gesellschaftliche Bilanz: lernen in Europa
Gar nicht genug können die gesellschaftlichen Veränderungen Polens im Kontext der EU-Mitgliedschaft unterstrichen werden. Beispielhaft seien hier die Veränderungen im Hochschulbereich angeführt. So wird das Austauschprogramm für Studenten »Erasmus« in Polen mit stark steigender Tendenz genutzt, wenngleich sich Polen hier prozentual gemessen an der Gesamtzahl der Studierenden nur im Mittelfeld der neuen EU-Mitgliedsländer bewegt. Bemerkenswert ist aber, dass die Zahl der ausländischen Studierenden, die nach Polen wollen, stärker wächst als die Zahl polnischer Erasmus-Studierender. Bezüglich des Anteils von Hochschulmitarbeitern, die über Erasmus ins Ausland gehen, liegt Polen gar EU-weit an erster Stelle, so dass trotz des seit 2005 sinkenden Anteils des BSP für Bildung in Polen eine fortschreitende Internationalisierung der polnischen Hochschulen durch die EU-Programme konstatiert werden kann.
Einen ähnlichen Effekt müssen auch die zahlreichen EU-Programme im Rahmen der EU-Kohäsionspolitik haben, ohne dass hier konkrete Untersuchungen vorliegen. Das Denken in Projekten, oft mittels Kommunikation in englischer Sprache, hat eine ganze Generation von exzellent ausgebildeten und in EU-Projekten sicher operierenden jungen Menschen entstehen lassen. Anders als in Deutschland sind in Polen EU-Projekte landesweit an der Tagesordnung und durch die Ausrichtung junger Menschen auf Europa – sei es in Projekten, sei es durch Migration – sind Mobilität und Internationalität bei jungen Menschen in Polen sehr ausgeprägt.
Teil der von der EU mit angeschobenen Veränderungen ist auch ein Wertewandel, der sich nicht immer an einer Orientierung weg von sogenannten traditionellen Werten hin zu sogenannten postmodernen Werten wie einer stärker individuellen Lebensweise festmachten lässt, sondern eher an einem größeren normativen Angebot und einer größeren normativen Pluralität in der polnischen Gesellschaft. Umfragen belegen, dass eher konservative Werte wie Patriotismus oder die Bedeutung der Religion in den letzten Jahren an Bedeutung verloren haben, während Werte wie ein glückliches Familienleben und die Gesundheit nach wie vor geschätzt werden. Zugenommen hat nach dieser Umfrage des Meinungsforschungsinstituts CBOS aus dem August 2013 auch die Akzeptanz für Verhütungsmittel, das Zusammenleben außerhalb der Ehe oder für homosexuelle Verbindungen.
Natürlich können diese Veränderungen nicht direkt der EU zugeschrieben werden. Allerdings sind sie Bestandteil eines Modernisierungsprozesses, der auch von der EU mitgetragen wird und in dem viele Elemente der Modernisierung von Polen in westlichen Ländern der EU rezipiert bzw. über EU-Politiken induziert werden. Lernen in Europa bedeutet dabei keineswegs ein Verschwinden sogenannter konservativer Werte, sondern eine Pluralisierung und Internationalisierung von Lebensstilen – und dafür steht die EU eben auch.
Hohe Akzeptanz für die EU
Die doch weitestgehend positiven Bewertungen der polnischen EU-Mitgliedschaft durch polnische Experten und Vertreter der Regierung zeigen sich ähnlich auch in repräsentativen Daten. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstitutes CBOS vom April 2014 anlässlich des zehnten Jahrestages des polnischen Beitritts zur EU belegt hohe Zustimmungsraten zur polnischen EU-Mitgliedschaft von 89 % im März 2014. Die potentiellen Wähler von PO und PiS liegen dabei mit 100 % bzw. 91 % Akzeptanz noch über diesem Wert. Jenseits dieser grundsätzlichen Akzeptanz der Mitgliedschaft sind die Wähler von PiS und der Demokratischen Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) aber skeptischer, wenn es um die Vorteile für Polen aus der Mitgliedschaft geht. Hier liegen die Werte bei 63 % bzw. 55 %, während potentielle Wähler der PO die Vorteile der Mitgliedschaft bei 82 % ansiedeln. Als größte Gewinne aus der Mitgliedschaft werden von allen Befragten die offenen Grenzen (31 %), die finanziellen Zuwendungen aus den EU-Fonds (30 %), die Vorteile für die polnische Landwirtschaft (13 %) und die positiven Effekte für die Wirtschaft (10 %) wie z. B. der Zufluss ausländischer Investitionen oder der Zugang zu neuen Technologien angeführt. Als größte Nachteile werden die EU-Bürokratie (12 %) und die Begrenzung der nationalen Souveränität (8 %) genannt, so dass das Übergewicht der positiven Nennungen klar zutage tritt.
Positiv hat sich nach dieser Umfrage die EU auf den Zustand der Wirtschaft, auf die Landwirtschaft und auf das Funktionieren der Unternehmen ausgewirkt. Auch hinsichtlich des Zustandes der natürlichen Umwelt und der Infrastruktur wird der EU eine sehr positive Rolle zugeschrieben, während bei Werten wie dem Erhalt der Familie, der Religion oder der Herzlichkeit der Menschen untereinander entweder kein oder aber ein negativer Einfluss der EU wahrgenommen wird. Interessant ist auch, dass der EU ein deutlicher Beitrag zur internationalen Sicherheit Polens zugeschrieben wird, obgleich die gemeinsame Verteidigungspolitik der EU bis heute ja eher bescheiden ausfällt.
Die größten Unterschiede zwischen potentiellen Wählern von PO und PiS treten in der Frage auf, ob man sich ausschließlich als Pole, als Pole und Europäer, als Europäer und Pole oder nur als Europäer sieht. Häufige Nennungen traten nur zu den ersten beiden Antworten auf und Anhänger der PO sahen sich nur zu 27 % ausschließlich als Pole an, während bei PiS-Anhängern dies 62 % angaben. Die Unterschiede in den Europakonzeptionen – hier eine mit gestaltete, tiefer gehende Integration, dort eher ein Europa der Vaterländer – schlagen sich in diesen Antworten nieder.
Europäische Normalität in Polen
Trotz der negativen Begleiterscheinungen der nach 2004 erfolgten polnischen Migration in die westlichen EU-Länder fällt die Bilanz der polnischen EU-Mitgliedschaft ausgesprochen positiv aus. Die vom polnischen Außenministerium skizzierten alternativen Szenarien zu einer EU-Mitgliedschaft hätten zwar nicht in eine nationale Katastrophe geführt, aber die Attraktivität Polens als Land für ausländische Direktinvestitionen verringert und Polen des enormen Zuflusses an EU-Strukturgeldern beraubt. Die in den letzten Jahren erfolgte infrastrukturelle Modernisierung wäre damit ein gutes Stück erschwert und verzögert worden. Befürchtungen hinsichtlich eines Verlustes der polnischen nationalen Identität oder der Verarmung großer Teile der Bevölkerung haben sich nicht erfüllt, ganz im Gegenteil. Die Gesellschaft ist – trotz aller sozialen Differenzierungen – augenscheinlich und auch statistisch wohlhabender geworden. Zudem ist Polen durch die Mitgliedschaft in der EU internationaler, toleranter und weltoffener geworden, gestaltet europäische Politik mit, ohne allerdings als Akteur in den großen europäischen Krisen in der ersten Reihe zu stehen. Die auch von der EU mit angestoßenen und im EU-Kontext stattfindenden Debatten über gesellschaftliche Normen (Demokratie, Patriotismus, Rechte gesellschaftlicher und sexueller Minderheiten etc.) finden auch in Polen statt – mit ähnlichen Differenzen und Positionen wie in Spanien, Frankreich oder Deutschland. Zehn Jahre nach dem Beitritt Polens zur EU ist Polen ein normales europäisches Land. Von einem »neuen« EU-Mitgliedsland kann nun nicht mehr gesprochen werden.