Die innenpolitische Situation nach Tusks Wechsel nach Brüssel: alte Lager, neue Lage

Von Jarosław Flis (Jagiellonen-Universität, Krakau)

Zusammenfassung
Die Übernahme des Amtes des EU-Ratsvorsitzenden durch den polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk hat eine völlig neue Situation im polnischen politischen Leben geschaffen, das am Anfang eines Schlüsseljahres steht. Drei Wahlen stehen bevor: die Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen im Herbst 2014 und im Jahr 2015 die Präsidentenwahlen sowie schließlich die wichtigste Wahl, die zum Sejm. Der Wechsel im Amt des Ministerpräsidenten ist ein sehr wichtiger Wendepunkt, der auf alle kommenden Entscheidungen Einfluss haben wird. Seine Folgen sind die große Unbekannte im polnischen politischen Leben. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die neue Lage für die politischen Akteure in der Mitte, auf der Rechten, auf der Linken und am rechten Rand zu beleuchten.

Dem Wechsel des Parteichefs der regierenden Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) gingen einige Ereignisse voraus, die aus heutiger Perspektive den Charakter eines Prologs annehmen. Die schwerwiegendste Angelegenheit ist sicher die Situation in der Ukraine, dann folgt die Wahl des Europäischen Parlaments und zuletzt die sogenannte Abhöraffäre, die am Anfang der Sommersaison in Polen ins Rollen kam. Bereits im vergangenen Jahr hatte die PO die Führung in den Meinungsumfragen verloren und erlebte interne Konflikte. Jarosław Gowin, der vorher mit Donald Tusk um die Führung gekämpft hatte, verließ die Partei und die einstige »rechte Hand« des Ministerpräsidenten, Grzegorz Schetyna, wurde ihrer Stellung enthoben. Daher herrschte noch zu Jahresbeginn eine pessimistische Stimmung in der Partei, während sich die stärkste Kraft der Opposition, Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS), für einen klaren Sieg bereit machte. Viele Kommentatoren erwarteten – manchmal von Wunschdenken geleitet – eine Wiederholung des Drehbuches eines totalen Zusammenbruchs des Regierungslagers, ein Szenario, das in den letzten Jahren in Polen zweimal zu beobachten war. Allerdings führte die Situation in der Ukraine in den Wochen vor der Wahl zum Europäischen Parlament zu einer Trendwende und zu steigender Unterstützung für die PO. Diese gewann die Europawahl, doch war dies nur ein symbolischer Sieg. Die PO führte nur minimal vor der PiS. Schließlich bedeutete das Stimmenergebnis den Verlust von einem Drittel der Wählerstimmen und einem bedeutenden Teil der Mandate im Vergleich zur letzten Europawahl.

Der Europawahl kam insofern eine Schlüsselbedeutung zu, als dass sie die Überzeugung wieder stärkte, dass die PO im Stande sei, mit der PiS in den kommenden Wahlen einen gleichberechtigten Kampf aufnehmen zu können. Hat die Wahl zum Europäischen Parlament auch den geringsten Einfluss darauf, wer tatsächlich die Macht ausübt, so war es der psychologische Effekt, dem hier wesentliche Bedeutung zukam. Er gab den führenden Köpfen der PO ein sehr gutes Gefühl, das allerdings innerhalb kurzer Zeit durch den Ausbruch der »Abhöraffäre«, die nun gerade führende PO-Politiker betraf, in Frage gestellt wurde. Die Affäre schien zunächst sehr viel ernster zu sein, als es schließlich der Fall war, dennoch wurde sie zu einer enormen Belastung für die Regierung und zu einer Hoffnung für die größte Oppositionspartei. Zwar wurde sie nicht in der Weise von der Opposition ausgenutzt, wie es zu erwarten gewesen wäre, trotzdem führte sie zu einem deutlichen Rückgang der Zustimmung für die PO in den Umfragen, während die PiS eindeutig die Führungsposition übernehmen konnte.

Der Wechsel auf dem Posten des Ministerpräsidenten scheint allerdings die Ereignisse von Anfang der Sommersaison auf einen hinteren Platz zu verdrängen, auch wenn das Echo auf die »Abhöraffäre« Einfluss auf manche laufenden Entscheidungen hat. In der Situation des Führungswechsels taucht nun vor allem das Echo früherer Konflikte in der PO auf.

Die Kandidatur von Sejmmarschallin Ewa Kopacz für das Ministerpräsidentenamt ist die größte Unbekannte. Sehr wenige Kommentatoren reagieren enthusiastisch auf diese Entscheidung, was sicherlich noch nicht bedeutet, dass die neue Rolle nicht auch verborgene Talente der Kandidatin freilegen kann, ob auf der Ebene des Managements oder der der Kommunikation. Zurzeit weist nichts darauf hin, dass Ewa Kopacz als Ministerpräsidentin eine solche Position haben wird wie Donald Tusk oder wie dessen Vorgänger Jarosław Kaczyński (PiS) – Persönlichkeiten, die ohne Diskussion alle Konflikte unterbinden. Dennoch ist die Vorstellung von der Rolle des Ministerpräsidenten als eines unbestrittenen Führers seines politischen Lagers präsent und wird Einfluss darauf haben, wie Ewa Kopacz wahrgenommen wird und welche Erwartungen an sie formuliert werden.

Prüfungen und Trümpfe

In einem Jahr, bei den Parlamentswahlen im Herbst 2015, wird Ewa Kopacz darum kämpfen, ihr Amt behalten zu können. Vorher aber wird die PO noch zwei große Tests zu bestehen haben, die Einfluss darauf haben können, wie ihre Position wahrgenommen wird. Der erste sind die schon im Herbst dieses Jahres stattfindenden Wahlen zu den Selbstverwaltungsorganen. Ihr Ergebnis ist zwar nicht so eindeutig interpretierbar wie bei den anderen Wahlen, es kann aber als Test für die Stärke politischer Führung betrachtet werden. Sollte sich zeigen, dass die PO infolge der internationalen Karriere von Donald Tusk auf einer Welle steigender Zustimmung für die Partei in der Lage sein wird, ihre Position zu behaupten oder zumindest nicht bedeutend von PiS dominiert zu werden, kann man erwarten, dass auch die Stellung von Ewa Kopacz sehr gestärkt wird. Sollte aber die PO die Selbstverwaltungswahlen deutlich verlieren, was nicht auszuschließen ist, können sich daran interne Konflikte entzünden. Eine Niederlage kann einen Streit um die Notwendigkeit eines Führungswechsels auslösen, da die erste Riege der Partei doch schon heute in Zweifel gezogen wird.

Der zweite Test sind die Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2015. Favorit ist das derzeitige Staatsoberhaupt Bronisław Komorowski, der aus der PO stammt. Allerdings sei daran erinnert, dass in den letzten vier Präsidentschaftswahlen in Polen jedes Mal der Kandidat derjenigen Partei gewann, die in den Meinungsumfragen führte. Für einen Staatspräsidenten mit beschränkten Kompetenzen in direkter Wahl zu stimmen, verbindet sich mit einem komplizierten Set von Motivationen auf Seiten der Wähler, der Kandidaten und deren Unterstützer. Die Ereignisse bei den südlichen Nachbarn, in Tschechien und in der Slowakei, gebieten hier weit gehende Vorsicht. In beiden Ländern fanden unlängst Präsidentschaftswahlen mit sehr überraschenden Ergebnissen statt. Bronisław Komorowski kann also daran interessiert sein, entweder seine Position zu festigen, indem er seine Rolle als echte Führungskraft zeigt, oder jemanden für den Posten des Ministerpräsidenten zu finden, der in der Lage ist, die Position der PO zu stärken und ihr neue Dynamik zu verleihen. Beide Szenarien bedeuten zusätzliche Spannungen unter den PO-Politikern.

Unabhängig von den personellen Fragen ist die PO im Establishment verankert und in dem Teil der Gesellschaft, der mit seiner materiellen Situation und dem Stand der Dinge im Land zufrieden ist. Dieser Teil nimmt häufiger an den Wahlen teil, gibt in den Medien den Ton an und besetzt in den öffentlichen Institutionen leitende Positionen. Die PO hat derzeit die Regierungsverantwortung in 15 von 16 Woiwodschaften inne und dominiert die anderen gesamtpolnischen Parteien in den Stadt- und Kreisparlamenten. All dies bewirkt, dass die PO über ungeheure gesellschaftliche Ressourcen verfügt, was ihr erlaubt, die Oberhand über die anderen Parteien zu gewinnen. Dieses Übergewicht kann die Wahlergebnisse beeinflussen – zunächst die der Selbstverwaltungswahlen, dann der Präsidentschaftswahlen und schließlich der Parlamentswahlen.

Gleichzeitig tauchen Fragen hinsichtlich der inneren Verfasstheit der Partei auf, die sich in den vergangenen sieben Jahren vor allem zu einer Partei der Macht entwickelt hat. Eine ganze Reihe von Personen mit einer idealistischeren Einstellung wurde hinausgedrängt oder entmutigt. Man kann ihr eine Diskrepanz zwischen den vor acht Jahren erklärten Zielen und ihrer Regierungspraxis vorhalten, sei es im Bereich des politischen Klientelismus oder ihrer Effektivität. Hier stellt sich die Frage, ob es in einer Situation wechselnder Stimmungen oder Zweifel an der Führung gelingen wird, die internen Bindungen aufrechtzuerhalten, zumal sich die Partei in den vergangenen Jahren weit ausdifferenziert und Politiker sowohl des linken als auch des rechten Spektrums aufgenommen hat. Politiker, die mühelos auch in den Oppositionsparteien unterkommen könnten, ob auf der linken oder auf der rechten Seite. Deren Abgang kann die PO schwächen und die Opposition stärken. Vor allem kann es aber die Überzeugung von der Selbstverständlichkeit, die Regierung innezuhaben, untergraben, die einer der grundlegenden Faktoren der Position der PO ist.

Die Hauptalternative

Obwohl die PO sowohl auf der rechten als auch auf der linken Seite mit Oppositionsparteien konfrontiert ist, ist ihr Hauptopponent zweifelsohne PiS, eine Partei, die mit Blick auf Fragen des Lebensstils eine konservativere Haltung als die PO einnimmt, was aber wirtschaftliche Fragen betrifft, etatistischen Lösungen näher steht. Der Wechsel auf dem Posten des Ministerpräsidenten stellt PiS vor ein schwieriges Problem. Bisher betrachtete sie Donald Tusk als ihren Hauptgegner. Anfangs nur gering geschätzt, wurde er im Laufe der Zeit dämonisiert und als Hauptakteur behandelt. Und selbst wenn dieser Akteur vom Establishment unterstützt wird, was ihm Überlegenheit und einen »unverdienten« Sieg einbringt, ist er doch bisher der Hauptmotor der Regierungsaktivitäten gewesen. Auf ihn konzentrierten sich die Botschaften der Oppositionspartei. Auf welche Weise sie mit dem Wechsel ihres Hauptgegners zurechtkommt, ist zurzeit eine große Unbekannte.

Für die PiS war das Ergebnis der Europawahlen Grund für eine zwar begrenzte, aber dennoch fühlbare Frustration. Einerseits bestätigte die internationale Situation die Thesen, die die Grundlage der Politik von PiS in den vergangenen Jahren darstellten und die im Gegensatz zu der politischen Konzeption der PO standen, sich um freundschaftliche Beziehungen zu Russland zu bemühen. Doch gerade die Tatsache, dass sich diese Beziehungen so sehr verschlechterten, wirkte paradoxerweise zuungunsten der PiS. Vielen Polen fiel es schwer sich vorzustellen, wie eine weitere Verschlechterung der Beziehungen zwischen Polen und Russland angesichts des Konfliktes in der Ukraine aussehen sollte. Die Folge war das Wahlergebnis der Europawahl – obgleich PiS ihre Umfragewerte verbesserte und zusätzliche Mandate erlangte, sah sie sich dem Vorwurf ausgesetzt, zum wiederholten Male Wahlen verloren zu haben.

Einer der Gründe für die Niederlage war das Wahlergebnis der beiden mit PiS konkurrierenden Initiativen, Solidarisches Polen (Solidarna Polska) und Polen Gemeinsam (Polska Razem), bei denen Politiker, die früher Abgeordnete von PiS waren, eine wesentliche Rolle spielen. Beide Initiativen zogen nicht ins Europaparlament ein und erlitten eine demütigende Niederlage. Dennoch waren ihre Ergebnisse entscheidend für die Niederlage der PiS beim Wahlwettlauf um den ersten Platz. Wenn die sieben Prozent der Stimmen, die Solidarisches Polen und Polen Gemeinsam jeweils ungefähr zur Hälfte erhalten haben, auf PiS gefallen wären, wäre deren Erfolg unanfechtbar gewesen. Diese Erkenntnis drängte die PiS dazu, eine Verständigung zwischen den Spaltern in den eigenen Reihen anzustreben. Es bedeutete, zur Kenntnis zu nehmen, dass die bisherige Strategie versagt hat und der Aufbau eines breiten Lagers notwendig ist – und eben nicht, wie bisher all diejenigen hinauszudrängen, die eine andere Meinung vertreten, ob zu taktischen Fragen oder zu zweitrangigen ideologischen Entscheidungen.

Der Plan der PiS

Die Verständigung, die Jarosław Kaczyński mit dem Vorsitzenden von Solidarisches Polen, Zbigniew Ziobro, und dem ehemaligen Justizminister und früheren führenden Kopf des konservativen Flügels der PO, Jarosław Gowin, einging, scheint nahezulegen, dass die größte Oppositionspartei die Strategie der PO nachahmen will: lernen, mit den ideologischen Flügeln zu spielen, die vom Parteichef zusammengebunden werden. Den gemäßigten Flügel, der sich auf ehemalige PO-Anhänger beruft, die von dieser Partei enttäuscht sind, sowie auf Wechselwähler, sollte Jarosław Gowin repräsentieren. Auf der anderen Seite würden dann Politiker auftauchen, die die Kernwählerschaft von PiS mobilisieren. Eine Wählerschaft, die von Stichworten wie Verrat oder Desintegration der Nation angezogen werden. Ein solcher Plan kann vielversprechend sein, aber die Partei unterliegt ständig der Versuchung, in die alte Gewohnheit einer Totalopposition zurückzufallen. Es bleibt die Frage, ob Jarosław Kaczyński, in dessen Naturell eher schärfere als gemäßigtere Formulierungen liegen, in der Lage sein wird, die Rolle desjenigen zu erfüllen, der eine Partei mit so großen Reibungen zusammenhält.

Darüber hinaus hat PiS auch in Bezug auf die zwei Tests, die den Parlamentswahlen vorausgehen, ein größeres Problem als die PO – das sind die Selbstverwaltungswahlen im November und die Wahlen für das Amt des Staatspräsidenten im Frühjahr 2015. Die letzten Präsidentschaftswahlen hat Jarosław Kaczyński gegen Bronisław Komorowski verloren, und alle Aussagen deuten darauf hin, dass er nicht die Absicht hat, sich noch einmal mit Komorowski zu messen. Es gibt allerdings keine gute Lösung: Es scheint, dass Professor Piotr Gliński, der für die Rolle des Kandidaten vorgesehen war, bereits in den Versuchen von PiS »verbraucht« wurde, als Antwort auf die letzten Krisen der PO ein Misstrauensvotum im Sejm umzusetzen. Zurzeit ist niemand in Sicht, der die Kandidatenrolle übernehmen könnte. Es tauchen Konzepte auf, das Manöver der PO vor fünf Jahren zu übernehmen, das heißt parteiinterne Vorwahlen. Diese können den Kandidaten bestimmen und zugleich als mediales Ereignis genutzt werden, um für ihn zu werben. Gleichzeitig würde Jarosław Kaczyński von der Verantwortung entlastet, selbst die Person zu bestimmen. Bisher ist das aber alles Spekulation. Es gibt keine Anhaltspunkte, um vorauszusagen, in welche Richtung sich die Ereignisse entwickeln werden. Vermutlich wird es sich erst nach den Selbstverwaltungswahlen entscheiden. Dann werden die tatsächlichen Verschiebungen der Wählerunterstützung, die sich aus den aktuellen Ereignissen um den Weggang von Donald Tusk nach Brüssel ergeben, bekannt sein. Eine Bedrohung für die Hoffnung der PiS wäre eine Situation, in der sie trotz größter Wählerunterstützung nicht die Regierungsverantwortung übernehmen könnte, weil die übrigen Parteien zusammen die Mehrheit hätten und eine Koalition bilden würden. So geschah es bei den letzten Selbstverwaltungswahlen in einer PiS-Hochburg, der Woiwodschaft Vorkarpaten.

Neue und alte »schwarze Pferde«

Bei der Wahl zum Europäischen Parlament erzielte die Neue Rechte von Janusz Korwin-Mikke (Nowa Prawica Janusza Korwin-Mikke) mit sieben Prozent einen unerwarteten Erfolg und zog ins Europäische Parlament ein. Diese Gruppierung schafft einen neuen Kontext für die Hoffnungen und Ängste der größten Oppositionspartei, der PiS. Die Neue Rechte ist nur ein neuer Name für eine politische Kraft, die auf der polnischen Bühne bereits seit einem Vierteljahrhundert aktiv ist. Auch wenn sie nur im Jahr 1991 einen bescheidenen Anteil im Sejm erhielt und sich seit 1993 am Rande der gesamtpolnischen politischen Szene befindet, ist sie doch immer wieder ein Bezugspunkt. Ihre Position, insbesondere ihr Erfolg bei der Europawahl, hat verschiedene Ursachen. Die Partei verbindet einige in der polnischen Gesellschaft stets vorhandene Strömungen. Einerseits ist das der spezifische Wirtschafts-Anarcholiberalismus, der in der Feindseligkeit gegenüber dem Staat und der Überzeugung von der absoluten Überlegenheit des freien Marktes zum Ausdruck kommt. Hier lässt sich einer der Slogans des Parteichefs Janusz Korwin-Mikke anführen: »Du sollst nicht stehlen. Die Regierung erträgt keine Konkurrenz.«

Die zweite Strömung ist die der sittlich-moralischen Konterrevolution – die Abneigung gegenüber der politischen Korrektheit und den Eliten, die als Befürworter aller »Anomalitäten« betrachtet werden. Die dritte Strömung ist die sehr starke Antiestablishment-Einstellung und eine Art Aufruhr und Verrücktheit, die für einen Teil der Wähler, vor allem für die jungen, attraktiv zu sein scheint. Die Neue Rechte erinnert an eine Mischung aus amerikanischer Tea Party-Bewegung und italienischer Fünf-Sterne-Bewegung. Die Partei hat trotz ihrer bisher geringen Wählerunterstützung einen Kreis leidenschaftlicher Bekenner, was im Internet sehr sichtbar ist. Begleitet wird sie von einer Atmosphäre ständiger Provokation gegenüber dem Mainstream, sei es in der linken Variante oder der eines gemäßigten Konservatismus. All dies nährt Zweifel, ob es sich hier um die Grundlage für eine tatsächliche Veränderung des Kräfteverhältnisses auf der politischen Bühne handelt. Die erste Barriere sind bereits die im Herbst stattfindenden Selbstverwaltungswahlen. Aufgrund des anderen Wahlrechts würde eine Unterstützung, wie sie die Neue Rechte in der Europawahl erhalten hat, nicht garantieren, dass sie in die Woiwodschaftsparlamente oder die Stadträte der größeren Städte einzieht.

Ein weiterer Faktor ist das fortgeschrittene Alter des Parteivorsitzenden, was die Frage hervorruft, ob er in der Lage sein wird, die Gruppierung in eine Organisation zu verwandeln, die fähig ist, tatsächlich auf »die Machthaber« einzuwirken – und nicht nur fähig, die Ansichten eines marginalen Teils der Wähler zum Ausdruck zu bringen. Ein wesentlicher Aspekt ist jedenfalls, dass diese Gruppierung einen wichtigen Gegenpunkt zu PiS darstellen könnte, die die Abneigung linker Medien und meinungsbildender Kreise auf sich zieht. Sie könnte in der Rolle des Buhmanns auftreten, im Vergleich zu dem PiS als Partei erscheint, die grundsätzlich zum Mainstream gehört. Gleichzeitig könnte dies eine der Schwächen der größten Oppositionspartei verringern, nämlich die von ihren politischen Opponenten vertretene These, dass sie eine radikale Partei sei. Dessen ungeachtet zieht die Neue Rechte einen Teil der Wähler von PiS ab, die konservativ eingestellt sind und das Establishment sehr negativ beurteilen. Auf diese Weise schwächt sie deren Wahlergebnis.

Außer den Antiestablishment-Wählern, die ihren Gegner in den Eliten des linken Denk- und Lebensstils sehen, fließen der Neuen Rechten aus den Kreisen Wählerstimmen zu, die das Establishment als Vertreter des Staatsapparates sehen, der die ökonomische Freiheit beschränkt und die Bürger ausschlachtet. Dies sind Menschen, die in den letzten Sejmwahlen für die Palikot Bewegung (Ruch Palikota) gestimmt haben. Damit erwies sich die Neue Rechte als Sargnagel für den Sarg des »schwarzen Pferdes« der letzten Sejmwahlen. Die Änderung des Parteinamen der Palikot Bewegung in Deine Bewegung (Twój Ruch), die Erweiterung um eine Koalition aus kleinen linken Initiativen und die Unterstützung des ehemaligen Staatspräsidenten Aleksander Kwaśniewski halfen nicht – die Partei erlitt eine Niederlage in der Wahl zum Europäischen Parlament. Die Gruppierung wird beträchtlich schwächer, Abgeordnete treten aus und die bevorstehenden Selbstverwaltungswahlen könnten zu ihrer endgültigen Marginalisierung noch vor den Parlamentswahlen im kommenden Jahr führen.

Paradox ist, dass die Niederlage von Janusz Palikot auch die Neue Rechte von Janusz Korwin-Mikke belastet. Sie nährt die Überzeugung, dass solche Gruppierungen als eine Art Kinderkrankheit zu behandeln sind. Das Interesse der Wähler wird früher oder später vergehen, so wie es einst bei der Partei Selbstverteidigung (Samoobrona) der Fall war. Daher behandelt die restliche politische Klasse die Neue Rechte auch nicht als Gegner, mit dem man besonders rechnen, sondern als vorübergehendes Problem, das man aussitzen muss.

Die Stabilität der alten Strukturen

Zurzeit ist nichts zu sehen, was die Gruppierung von Janusz Palikot retten könnte – ein Grund zur Freude beim Hauptkonkurrenten im linken politischen Spektrum, der Demokratischen Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD). Die SLD ging aus der Wahl zum Europäischen Parlament als geschwächter Sieger unter den miteinander rivalisierenden Linken hervor. Aber ihr Wahlergebnis war beträchtlich geringer als vor fünf Jahren. Die Niederlage der direkten Konkurrenz von Palikot war zwar ein Trostpreis, aber das Ergebnis selbst wohl eher eine kalte Dusche. Die Summe der Stimmen für beide Parteien zusammen war niedriger als vor fünf Jahren.

Für die Linke sind jetzt die Selbstverwaltungswahlen ein besonders wichtiger Test. Hieran macht sich die Hoffnung fest, an der Regierungsverantwortung beteiligt zu werden und eine neue Mannschaft aufzubauen. Gleichzeitig bedeutet das Ergebnis der Europawahl, Abschied von den Bemühungen zu nehmen, in der Politik eine der großen Rollen zu spielen. Dies ist ein Unterschied gegenüber der Situation vor vier Jahren, als Grzegorz Napieralski nach einem recht hohen Wahlergebnis von gut 13 Prozent bei den Präsidentschaftswahlen mit der Rolle der »dritten Kraft« rechnete, die über ein mit der PO und mit PiS vergleichbares Potential verfügt. Momentan weist nichts darauf hin, dass die SLD eine solche Rolle spielen könnte und so zeigen sich auch keine solchen Bestrebungen. Ihre Position gegenüber einer zukünftigen Regierungskonstellation wird von der Unterstützung abhängen, die die beiden politischen Hauptkräfte in den Parlamentswahlen erfahren werden. Die Linke zählt darauf, dass eine geschwächte PO die SLD als Koalitionspartner wird akzeptieren müssen und dass ein Sieg von PiS nicht so groß sein wird, als dass sie eine selbständige Regierung wird stellen können.

Es gibt also zwei Hauptkräfte in der Politik, zwischen denen der Kampf um die Führung stattfindet (PO und PiS), und daneben zwei Pole, die Neue Rechte und die alte Linke, die um ihre Position kämpfen, das heißt darum, dass der von ihnen besetzte Bühnenrand entscheidend auf der politischen Bühne sein werde. Die Neue Rechte hofft, in die parlamentarische Politik zurückzukehren, die Linke auf eine Rückkehr in die Regierung. In der Mitte dieses dualen Systems befindet sich die Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL).

Die PSL hat das Ergebnis zur Europawahl am ruhigsten aufgenommen; es war fast mit dem vor fünf Jahren identisch. Sie erlitt also keine solchen Verluste wie ihr heimischer Koalitionspartner PO und muss sich nicht um ihre Existenz sorgen. Allerdings ist die Schwächung der PO von wesentlicher Bedeutung für die PSL bei den Selbstverwaltungswahlen, die für die PSL wiederum eine Schlüsselbedeutung haben. Bisher hatte sie eine besonders starke Position, da sie bei diesen Wahlen ihre ländliche Wählerschaft mobilisierte. In einem Teil des Landes konnte die PSL dank dieser Mobilisierung die stärkste Position besetzten, auch im Vergleich zur PO; in den übrigen Teilen war sie der Koalitionspartner des Siegers PO. Letztlich haben diese beiden Parteien nach den letzten Selbstverwaltungswahlen in allen Woiwodschaften Koalitionen gebildet, manchmal haben sie noch kleinere Partner hinzugenommen.

Ob sich dieser Zustand in der Situation einer schwächer werdenden PO aufrechterhalten lässt, ist hier deshalb die Hauptfrage, weil die Schwächung der PO und die Stärkung der PiS eine Veränderung für die relative Kraft der PSL in Hinblick auf die PiS bedeutet. Die Wege der PSL können im Grunde zu zwei Parteien führen, zur PO und zur PiS. Es gab solche Koalitionen bereits in einzelnen Woiwodschaften in der Legislaturperiode 2006 bis 2010. Dies kann allerdings Spannungen in der PSL selbst erzeugen, deren Führungsebene eher zur SLD und zur PO tendiert, während ein wesentlicher Teil der Wähler mit größerer Sympathie auf die PiS schaut. Solche Spannungen können aber von einer sehr stabilen inneren Situation gemildert werden. Im Grunde ist die PSL die einzige der polnischen Parteien, die mit internen Konflikten gut zurechtkommt, deren Wahlen der Parteispitze ruhig verlaufen und in der es schon seit Jahren zu keinem bedeutenden Bruch kam. In der Partei wächst eine neue Generation führender Köpfen heran, Politiker um die 40, die bereits Erfahrungen zum Beispiel als Woiwodschaftsmarschall gesammelt haben. Sie haben parteiintern eine Position, von der ihre Altersgenossen in der PO und in der PiS nur träumen können. Dessen ungeachtet ist auch die PSL als kleinerer Partner von den Kräfteverhältnissen zwischen den großen und den extremen Gruppierungen abhängig.

Es gibt also drei Unsicherheiten, die dazu führen, dass die Ereignisse des kommenden Jahres in der polnischen Politik so schwer vorherzusehen sind. Die erste ist die Beziehung zwischen den zwei Hauptakteuren. Die zweite ist die Stärke der Neuen Rechten und die geschwächte Linke. Die dritte ist schließlich die Rolle, die die PSL in der gesamten Machtkonfiguration wird spielen können und wollen. Ob die neue Ministerpräsidentin und die neue Führung der PO, die sich nach dem Wechsel von Donald Tusk unter aktiver Beteiligung des Staatspräsidenten herauskristallisieren wird, in der Lage sein wird, die bisherige Position der PO zu halten, ist hier die Schlüsselfrage. Die Frage hat aber auch noch eine tiefere Bedeutung: Wenn die PO imstande ist, ohne Donald Tusk klar zu kommen, dann drängt sich unweigerlich der Schluss auf, dass die PiS ohne Jarosław Kaczyński zurechtkommen kann. Das bedeutet, dass in dem Fall, dass ein eindeutiger Erfolg der PiS ausbleibt, auch in dieser Partei ein Wechsel zu erwarten wäre. Das wiederum wäre das Ende einer ganzen Dekade, in der zwei Antagonisten das politische Leben des Landes gestaltet haben.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

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