Dokumente des X. Parteikongresses der Polnischen Bauernpartei

Die Polnische Bauernpartei gegenüber den Problemen und Herausforderungen für Polen

[…]

II. Die Rolle der Polnischen Bauernpartei auf der politischen Bühne Polens

1. Schlussfolgerungen aus der Geschichte

Die Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) ist die älteste der heute in Polen aktiven Parteien. Ihre über ein Jahrhundert währende, bewegte Geschichte umfasst viele bedeutungsvolle Momente, aber auch Zusammenbrüche. Die Mitglieder der Bauernpartei hatten aktiven Anteil am Wiederaufbau der Unabhängigkeit Polens, die nach den Jahren der Unfreiheit wiedererlangt worden war. Sie verteidigten die Demokratie in der Zeit des Maiputsches [Józef Piłsudskis Staatsstreich gegen die parlamentarische Demokratie im Mai 1926, Anm.d.Übers.]. Wincenty Witos befand sich unter den Politikern, die Repressionen ausgesetzt waren und zu Gefängnisstrafen verurteilt wurden […] Während des Zweiten Weltkrieges und auch anschließend kämpfte Stanisław Mikołajczyk, der zweite der großen Bauernführer, um die Souveränität und Freiheit des Landes, das der östlichen Großmacht zugeschlagen worden war. Damals stellte die bäuerliche Partei den Kern derjenigen Kräfte dar, für die gute Beziehungen mit dem östlichen Nachbarn nicht wirtschaftliche Degradierung und politische Unfreiheit bedeuten mussten. Die gefälschten und daraufhin verlorenen Wahlen im Jahr 1947 stellten die Mitglieder der Bauernpartei vor eine dramatische Wahl: entweder die vollkommene politische Marginalisierung und sogar Flucht aus dem Land oder Arbeit für Dorf und Landwirtschaft unter den Bedingungen einer reglementierten Demokratie.

Die Vereinigte Bauernpartei (Zjednoczone Stronnictwo Ludowe – ZSL) war die Partei derjenigen, die das Handeln wählten. Jene Zeit lässt sich auf vielerlei Weise betrachten. Für eine redliche Bewertung dieser Phase in der Geschichte der bäuerlichen Bewegung hat Folgendes grundsätzliche Bedeutung: die Verteidigung der privaten Landwirtschaft als vollberechtigte Wirtschaftsform, der erfolgreiche Kampf um Krankenversicherung und das Recht auf Rente für die Individualbauern, die Schaffung von Möglichkeiten politischen Handelns für diejenigen, die sich von der kommunistischen Partei distanzieren.

Ab 1989 war die ZSL, dann PSL »Wiedergeburt« (PSL »Odrodzenie«) und schließlich PSL eine der erfolgreichsten polnischen Parteien. In dieser Zeit reagierten die politischen Eliten der Partei sachkundig auf die Veränderungen in der äußeren Umgebung und stellten Parteiführer, die zu einer aktiven Politik nach innen und außen befähigt waren. Der historische Erfolg im Jahr 1993 war das kumulierte Ergebnis einer klugen Politik aufeinander folgender Führungskader. Später wuchsen – mit einer kurzen Pause vor den Wahlen auf der Selbstverwaltungsebene 1998 – die Konflikte und Rivalitäten sowie die Unterordnung der Politik unter Partikularinteressen ausgewählter, immer kleinerer Gruppen des Parteiaktivs, was zu einer internen Krise und der politischen Marginalisierung führte.

Auch in diesen schwierigsten Zeiten verfügte die PSL, und verfügt weiterhin, über ein ungeheures Potential an Menschen, die im Laufe der Jahre die wichtigsten Funktionen im Staat bekleideten, in der territorialen Selbstverwaltung aktiv waren, eine Reihe öffentlicher und privater Institutionen führten, auf dem Feld der Wissenschaft und Kultur tätig waren, sich in vielfältigen lokalen Initiativen engagierten und auf diese Weise Professionalität und ein hohes moralisches Niveau demonstrierten. Die wiederholten Versuche, diesen Ertrag zu diskreditieren, endeten erfolglos.

Die PSL bleibt die stabilste und vorhersehbarste Partei in Polen, eine Partei, die tief in der Geschichte des 20. Jahrhunderts und den realen Umständen der Gegenwart fußt. Diese Stabilität und Vorhersagbarkeit hat tiefe Wurzeln. Als Partei der Bauern artikuliert die PSL die Interessen des Dorfes und der Landwirte und verteidigt sie erfolgreich. Als Partei der ausgebildeten, modernen und weltoffenen Söhne und Töchter der Bauern ist sie offen für die Schlüsselbereiche der polnischen Staatsräson. Diese programmatische Klarheit sowie das sichtbare Profil der gesellschaftlichen Basis machen aus der PSL eine attraktive und geachtete Partei, auch unter denjenigen, die nicht mit Dorf und Landwirtschaft verbunden sind, aber eine pragmatische, nicht korrumpierte Partei suchen, die tief in den nationalen Tatsachen verwurzelt ist. Dies war eine der Ursachen für ihren politischen Erfolg und sollte ein Trumpf für die Zukunft sein.

Die starke PSL schuf gemeinsam mit den ihr verbundenen Jugendorganisationen für die Landwirte und die Intelligenz mit ländlicher Herkunft die Möglichkeit politischen Handelns. Sie eröffnete jungen Menschen, die vom Land kommen, den Weg des politischen Aufstiegs. Es ist kein Zufall, dass der jüngste Ministerpräsident in der Geschichte der Dritten Polnischen Republik und der dritte Ministerpräsident in der Geschichte der Bauernbewegung Waldemar Pawlak war und dass Adam Struzik Senatsmarschall war. Beide waren Aktivisten der PSL und des Landjugendverbands (Związek Młodzieży Wiejskiej – ZMW). Keine der anderen Parteien hat junge Menschen zu so hohen Funktionen im Staat geführt.

In den Jahren 1989 bis 1997 war die PSL ein sehr wichtiger, selbständiger Akteur auf der politischen Bühne im Land. In den Jahren 1989, 1991, 1992, 1993 entschied die PSL über die Gestalt der Regierungskoalition mit und in den Jahren 1993 bis 1997 übten Politiker der Bauernpartei höchste Staatsämter aus.

Im Laufe der Zeit verloren wir an programmatischer Deutlichkeit. Wir hörten auf, mit den Veränderungen, die im Land und im Dorf stattfanden, Schritt zu halten. Es wurde versucht, das politische Denken durch politisches Marketing zu ersetzen, und das auf keinem hohem Niveau. Die landesweite Position der PSL wurde schwächer, ihre Kraft zeigte sich vor allem auf allen Ebenen der Selbstverwaltung, insbesondere in den Gemeinden.

Das grundlegende Problem der Bauernpartei ist heute, ihr deutliches Profil und die Dynamik von Anfang der 1990er Jahren wiederzuerlangen. Die PSL muss ihre innere und äußere Identität definieren. Sie muss Mittel finden, die Aufmerksamkeit der öffentlichen Meinung auf sich zu ziehen. Neue Chancen, ihre Identität zu bestimmen, gibt die Regierungsbeteiligung. Die Koalition mit der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) – einem Partner mit einer diametral anderen Geschichte, einem anderen gesellschaftlichen Rückhalt, anderen Handlungszielen, der aber gleichzeitig die Interessen des Koalitionspartners respektiert, – erlaubt es, die eigene Besonderheit konstruktiv zu zeigen. Von unseren Vertretern in der Regierung und in öffentlichen Institutionen hängt es ab, ob diese Identität und Besonderheit von weitem lesbar und sichtbar sein werden.

In Zeiten einer sich vertiefenden Destabilisierung und für die Gesellschaft unverständlicher Gefechte erweist sich die Bauernpartei als Partei, die die politische Situation im Staat stabilisiert, als Partei, die die Offenheit für unterschiedliche politische Orientierungen mit loyaler Zusammenarbeit mit dem Koalitionspartner vereinbart.

Das Fundament der Zusammenarbeit mit den politischen Partnern war und ist das Einvernehmen über die Notwendigkeit der Verteidigung der nationalen Souveränität unter den Bedingungen der globalisierten Wirtschaft. Das Mittel zu diesem Ziel ist in der Wirtschaft die Unterstützung der heimischen Unternehmen, der Selbstverwaltung und des effektiven Managements mit Hilfe der Regierungsadministration, die Sorge um gleichberechtigte Bedingungen für in- und ausländische Firmen. In der Außenpolitik geht es darum, die loyale Mitgliedschaft in der EU und der NATO mit der freundlichen Behandlung aller Partner in Einklang zu bringen.

Als gesamtnationale Partei, die aus den lokalen Heimaten hervorgegangen ist, bezieht die PSL mit besonderer Aufmerksamkeit Stellung zur Situation der polnischen Unternehmen, zu den Handlungsmöglichkeiten der territorialen Selbstverwaltungseinheiten, zu der Lage der Landwirte, die die Rivalität mit der europäischen und der globalen Landwirtschaft aufnehmen. Die Entwicklung kleiner und mittlerer Unternehmen, die Stabilisierung der territorialen Selbstverwaltung, schließlich die Sicherheit entwickelter landwirtschaftlicher Betriebe sind die Garantie für wirtschaftliche Stabilität und innere Ruhe.

Gleichzeitig müssen die zivilisatorischen und kulturellen Lebensbedingungen der Einwohner von Dörfern und Kleinstädten Gegenstand der besonderen Sorge des Staates sein. Wir müssen die vielfältigen Barrieren für Aufstieg ausräumen. Ein hohes Niveau des öffentlichen Schulwesens, ein entwickeltes Netz kultureller Institutionen sind die Chance für eine gleichmäßige Entwicklung des Landes. Das moderne Dorf bedeutet eine neue Chance, attraktive Erholungsräume für Tausende Großstadteinwohner zu schaffen, die dort eine attraktive Umgebung für Aktivitäten und Erholung entdecken. Eine solche Entwicklung stellt eine große Chance für eine ausgeglichene Entwicklung des Landes dar, für einen Strom von Initiativen, Ideen und materiellen Mitteln aus den Städten in die Dörfer.

Die PSL ist offen für alle Milieus, aber ihre historische Herkunft sowie ihr gesellschaftlicher Rückhalt bestimmen, dass die PSL den Menschen außerhalb der großstädtischen Salons den Weg in die große Welt der Politik öffnet, den Menschen, deren Herkunft mit Dorf und Kleinstadt verbunden ist. Eine starke PSL ist der breite Weg des politischen Aufstiegs für Menschen, die aus der tiefen Provinz stammen.

2. Programmatische Vision

Die grundsätzliche Wahl, vor der die Bauernpartei steht, lässt sich so formulieren: Wollen wir eine Partei derjenigen sein, die sozialen Frustrationen Ausdruck verleihen? Und auch eine Partei derer, die erfolgreich die Distanz überwinden, die immer noch Dorf und Stadt voneinander trennt?

Die Bauernpartei ist eine Partei der Menschen des wirtschaftlichen Erfolgs, eines Erfolgs auf allen Ebenen – vom europäischen Parkett bis zum dörflichen Weiler. Die Leute der PSL wollen und sind fähig, gute Hausherren zu sein. Gute Hausherren – bei sich, in den Unternehmen, in der Selbstverwaltung und im Staat.

Als guter Hausherr ist die PSL eine Partei, die hilft, unser Land an die Bedingungen anzupassen, die heute von der Globalisierung und der Integration geschaffen werden und die zu einem gewissen Grad die Souveränität der Wirtschaftspolitik begrenzen. Deshalb müssen wir präzise die Grenzen der polnischen Souveränität abstecken, um sie vernünftig nutzen zu können. Wenn wir uns dem ausländischen Kapital öffnen, müssen wir die Wirtschaft vor der Abhängigkeit von Spekulationskapital schützen. Wenn wir uns für Außenhandel öffnen, müssen wir uns um die Ausnutzung unserer Fähigkeiten und unseres Potentials, dazu gehört auch das Potential unserer Landwirtschaft, kümmern.

Die Stärke Polens, seine Entwicklung ist immer mehr von der Stärke Gesamteuropas abhängig.

Deshalb sprechen wir uns für eine starke Europäische Union aus, die in der Lage ist, Bedingungen für Wirtschaftswachstum in allen Ländern zu schaffen, dazu gehört auch die Entwicklung unserer Landwirtschaft und unserer ländlichen Gebiete. Das bedeutet, dass wir die Chancen für Polen vor allem in einer starken Position Gesamteuropas als gleichberechtigter Partner der Vereinigten Staaten von Amerika sehen. Auf dem Fundament einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union wollen wir die gleichberechtigte Zusammenarbeit mit Deutschland und Russland aufbauen sowie gute Beziehungen mit allen Ländern in unserer Region.

Die Marktwirtschaft eröffnet den Polen neue Chancen. Hohe Qualifikationen, Individualismus und eine große Aktivität eröffnen Möglichkeiten für Entwicklung. Die Polen fühlen sich gut in dem Rahmen, der von den Regeln des Marktes geschaffen wird. Gleichzeitig werden wir aber in Erinnerung behalten, dass man nicht alle Bereiche des sozialen und wirtschaftlichen Lebens nach den Regeln der Marktwirtschaft organisieren kann. Es sollte nicht alles privatisiert werden. Notwendig ist auch ein staatlicher Sektor in Schlüsselbereichen der Wirtschaft, der professionell verwaltet wird und effektiv tätig ist. Notwendig ist ebenso die gesellschaftliche Solidarität, notwendig sind Lösungen, die sich auf weniger rigorose Marktregeln stützen.

Die Besten nicht behindern, den Schwächsten helfen – dieser Entwicklungsperspektive wollen wir dienen.

Die PSL befürwortet in Gänze die demokratischen Veränderungen, die in unserem Land eingetreten sind. Die Demokratie ist das beste System, aber – wie jedes andere – ist es nicht frei von Pathologien. Die PSL will diese Pathologien bekämpfen, die Korruption, das Durcheinander, die Bestechlichkeit, die Stammtischpolitik und den Parteiklüngel. Wir stellen uns gegen das Hochspielen künstlicher Spaltungen und den Rückfall in die Vergangenheit, um die Polen zu spalten. Wir stellen uns gegen das Entfachen von Konflikten, das Erzeugen einer Atmosphäre des Misstrauens und des fehlenden Glaubens an die Menschen. Wir werden nicht an einem rücksichtslosen Kampf für einen schnellen Wahlerfolg teilnehmen.

Ein demokratischer Staat muss ein leistungsfähiger Staat sein, denn nur ein solcher ist in der Lage, unsere nationalen Interessen angesichts der Globalisierung und Integration zu verteidigen. Diese Effektivität lässt sich von den Selbstverwaltungsorganen lernen. Die territoriale Selbstverwaltung ist und bleibt eine Schule des erfolgreichen Handelns und der Unterordnung der Politik unter die Interessen der Regionen. Auf diesem Fundament muss ein positives Bild der Politik als wichtige gesellschaftliche Aktivität aufgebaut werden. Derlei positive Eigenschaften fehlen den gesamtpolnischen Politikern sehr häufig. Um dem entgegenzuwirken, werden wir Phrasendrescherei und eine geistlose Soziotechnik offen legen und zivilgesellschaftliche Haltungen und soziales Engagement auch auf höheren Ebenen unterstützen.

Wir sprechen uns für einen neuen Blick auf die Landwirtschaft aus. Wir werden rechtliche und ökonomische Mechanismen einführen, die die Umstrukturierung und Modernisierung der Landwirtschaft sowie der ländlichen Infrastruktur beschleunigen. Die Waren produzierende Landwirtschaft sollte ein Markenzweig unserer Wirtschaft sein und die Landwirte die Nutznießer der Gemeinsamen Agrarpolitik. Jedoch sind der Boden und die Menschen nicht nur Faktoren der Produktion, die effektiv auszunutzen wären. Sie sind auch Teil einer natürlichen und sozialen Umgebung, die zu schützen und zu entwickeln ist. Es sind Gaben, die wir achten und am Leben erhalten müssen.

Der neue Blick auf Dorf und Landwirtschaft ist nicht nur für die Landwirte notwendig. Notwendig ist er auch für die Stadteinwohner. In den Städten konzentrieren sich heute die Arbeitsplätze außerhalb der Landwirtschaft. Aber der ländliche Raum wird immer häufiger ein Lebensraum. Unser Ehrgeiz ist es, dass dieser Raum allen gegenüber freundlich ist – denen gegenüber, die hier von Geburt an leben, und denen, die sich hier im Erwachsenenalter niederlassen.

Die großen Migrationsbewegungen sind ein Kennzeichen unserer Zeit. Die kulturellen und zivilisatorischen Grenzen zwischen Stadt und Land verwischen. Das Beseitigen dieser Grenzen ist eine der wichtigsten Herausforderungen der PSL.

Ein reiches und ruhiges Polen, ein Land wohlhabender und einander wohlgesonnener Menschen – das ist die Vision, der wir dienen wollen.

[…]

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Quelle: Dokumenty X Kongresu PSL, Warszawa, 8 listopada 2008r. [Dokumente des X. Parteikongresses der PSL, Warschau, 8. November 2008]. S. 16–19. <http://www.psl.org.pl/upload/pdf/dokumenty/Dokumenty_X_Kongres_PSL/Psl1.pdf> (abgerufen am 13.02.2015)

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Analyse

Die Bauernpartei als neue Volkspartei?

Von Stefan Garsztecki
Lange Zeit wurde die Polnische Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) von den Beobachtern der politischen Landschaft in Polen kaum wahrgenommen, da sie nur ein Mal bei Parlamentswahlen ein zweistelliges Ergebnis erzielen konnte und ihr konservatives ländliches Profil wenig attraktiv erschien. Dabei ist die Bauernbewegung, aus der sich die PSL rekrutiert, seit Ende des 19. Jahrhunderts die dritte traditionelle Kraft in Polen und hat die PSL weite Abschnitte der polnischen Geschichte im 20. Jahrhundert mit geprägt. In der Dritten Polnischen Republik seit 1989 gehört die PSL zum politischen Establishment und ist länger in Regierungsverantwortung gewesen als jede andere Partei des Landes. (…)
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