PiS – überraschender Erfolg, erwarteter Erfolg

Von Jarosław Flis (Jagiellonen-Universität, Krakau)

Zusammenfassung
Der Erfolg der Partei Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) bei den Präsidentenwahlen im Mai war überraschend, sogar für die Partei selbst. Abgesehen von der Besetzung des Amtes des Staatspräsidenten durch ihren Kandidaten führte er in der Partei zu einem enormen Anstieg an Selbstsicherheit sowie im Regierungslager zu einer wachsende Krise. Das alles hat zur Folge, dass PiS die Meinungsumfragen anführt und allgemein die Überzeugung verbreitet ist, dass sie die Parlamentswahlen im Herbst gewinnen wird – eine Überzeugung, die fast so stark ist wie jene, die vor einem halben Jahr von der Wiederwahl von Staatspräsident Bronisław Komorowski ausging.

Der überraschende Erfolg trat gerade in den Wahlen ein, in denen die gegnerische Seite ein größeres Übergewicht als in anderen Wahlen zu haben schien. Vor den Wahlen zum Europäischen Parlament führte PiS über mehrere Monate die Umfragen an. Erst auf der Zielgeraden, in Folge des Krieges in der Ukraine sowie der Konkurrenz der Gruppierungen, die sich von PiS abgespalten hatten (Solidarisches Polen/Solidarna Polska und Polen Gemeinsam/Polska Razem), konnte die Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO), wenn auch minimal, die Oberhand gewinnen. Im Herbst 2014 hatte PiS mit mehr Stimmen als die PO einen symbolischen Sieg bei den Wahlen zu den Woiwodschaftsparlamenten (sejmik) erlangt. Dieser war jedoch von dem unerwarteten Ergebnis der Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) überstrahlt worden, das ermöglichte, dass die Koalition aus PO und PSL in 15 von 16 Woiwodschaften das Ruder übernahm. Der nur symbolische Sieg unterstrich die Schwäche von PiS im Vergleich zu den gebündelten Kräften der Regierungskoalition. Mit diesem Gepäck begann PiS den Wahlkampf für die Präsidentenwahlen. Sie bekam allerdings ein Ergebnis, das absolut eindeutig war. Ein überraschendes Ergebnis, das allem widersprach, was vorher die Meinungsumfragen gezeigt hatten, sogar noch zwei Tage vor dem ersten Wahlgang.

Recht und Gerechtigkeit durchlief eine spezifische Wandlung im Vergleich zu früheren Wahlen. Bisher waren in der Diskussion über diese Partei zwei Strömungen sichtbar. Die eine sagte, dass sich die Partei ändern müsse, um zu gewinnen, die andere, dass der Versuch einer solchen Veränderung mit ihrem Zerfall enden könnte. Mit Sicherheit führten die Forderungen nach Veränderung dazu, dass konkurrierende Angebote aufkamen, politische Gruppierungen, die von Abweichlern gegründet wurden. Allerdings erwiesen sich diese Angebote als zu schwach, um selbständig überleben zu können. Die symbolische Niederlage der PiS bei den Europawahlen führte dann zur Einigung mit den Abtrünnigen und zur Gründung des Lagers der Vereinigten Rechten (Zjednoczona Prawica). Das war weniger ein Ausdruck von Schwäche als vielmehr ein Erfolg für PiS – in der öffentlichen Diskussion und den meisten Umfragen trat die Vereinigung weiter als Recht und Gerechtigkeit auf. Der Sieg des Präsidentschaftskandidaten von PiS, Andrzej Duda, schuf ein spezifisches Gleichgewicht zwischen PiS und ihren Koalitionspartnern.

Dämonisierung und Geringschätzung

Andrzej Duda war theoretisch der Kandidat der Hauptströmung PiS; zweifellos wurde er von dieser als der ihrige betrachtet. Er hatte Erfolg und dieser wurde der Partei zugeschrieben, in deren Namen er angetreten ist. Trotzdem ist dies nicht der persönliche, unmittelbare Erfolg von Parteichef Jarosław Kacyński. Andrzej Duda ist ein Kandidat, der sich in vielen Aspekten von Kaczyński unterscheidet. Allerdings werden diese Unterschiede nicht zur Schau gestellt, vielmehr wird wiederholt betont, dass es dergleichen nicht gebe.

Bei der Herstellung des Gleichgewichts zwischen PiS als Hauptströmung und ihren Koalitionspartnern spielen die Opponenten eine enorme Rolle. Die Gegner Dudas sendeten eine doppelte Botschaft, die sich teilweise widersprach. Einerseits wurde Andrzej Duda dämonisiert, andererseits geringgeschätzt. Seine Dämonisierung fand statt, indem mehrfach betont wurde, dass Jarosław Kaczyński hinter ihm stünde. Das heißt, sogar wenn ein Teil der Wähler von PiS daran zweifelte, ob dies wirklich der Kandidat sei, der sie repräsentiert, führten die Anstrengungen der Opponenten dazu, dass sie diese Überzeugung gewannen. Wer kann schließlich die Nähe von Andrzej Duda und Jarosław Kaczyński beurteilen, wenn nicht die Politiker der Bürgerplattform, des linken Spektrums oder das Medienmilieu, das einen cordon sanitaire um PiS gezogen hat. Auf der anderen Seite führte die Geringschätzung dazu, dass Andrzej Duda eine »marketingtaugliche Projektionsfläche« wurde. Der Vorwurf, dass es ihm an Deutlichkeit und einer starken Persönlichkeit fehle, war eine Kopie der Vorwürfe, die PiS früher gegenüber dem PO-Politiker Donald Tusk ins Feld geführt hatte, wobei sie ihm mit dieser Methode nicht den Sieg verbauen konnte. Mit übertriebenem Eifer ahmte die PO die schlechtesten Strategien von PiS nach. Auch der Vorwurf, dass ein Behelfskandidat für das Präsidentenamt aufgestellt worden sei, war eine Wiederholung der Kritik, die PiS gegenüber Bronisław Komorowski im Jahr 2010 geäußert hatte und die dessen Erfolg damals keinen Abbruch tat. All dies macht letztlich deutlich, dass Andrzej Duda ein Kandidat ist, der dem politischen mainstream viel näher ist als Jarosław Kaczyński. Folglich hat er auch nicht dessen Hauptnachteil, der Jahre lang die Möglichkeit blockierte, die Wählerschaft der PiS zu erweitern.

Die Strategie, die die Bürgerplattform anwandte, um Andrzej Duda zu diskreditieren, machte ihn in den Augen sowohl des harten Kerns der PiS-Wähler glaubwürdig als auch derjenigen Wähler, die eine sehr skeptische Haltung gegenüber dem früheren Image von PiS und Jarosław Kaczyński einnahmen; das sind insbesondere die, die ihre Sympathie von PiS auf Solidarisches Polen oder Polen Gemeinsam verlegt hatten. Diese Gruppierungen waren aus der Überzeugung heraus entstanden, dass Kaczyński nicht mit der heutigen Demokratie zurechtkommt, weil er sich nicht an ihre Kommunikationsstandards anpassen kann. Insofern stellte der Vorwurf der Oberflächlichkeit des Kandidaten Duda die größte Schwäche von PiS in den vergangenen acht Jahren in Frage, nämlich die fehlenden interpersonalen Kompetenzen. Letztlich führte Komorowskis Strategie vor der Stichwahl dazu, dass der amtierende Präsident der attackierende und kämpferischere war, was wiederum die vorher an PiS adressierten Vorwürfe aushebelte.

good cop – bad cop

Die Niederlage bei den Präsidentenwahlen bedeutet für die PO nicht den Verlust der Regierungsverantwortung. Dessen ungeachtet besetzt PiS ab August ein Zentrum wesentlicher Macht. Dies wird umso wichtiger mit Hinblick auf die Länge der Amtszeit: Andrzej Duda wird Präsident in einer Zeit sein, in der zwei Mal Parlamentswahlen stattfinden werden, nach den Wahlen im Herbst dieses Jahres anschließend im Herbst 2019. Die nächsten Präsidentenwahlen sind dagegen erst für das Frühjahr 2020 angesetzt. Das heißt, dass während der gesamten Wahlperiode des Sejm keine Präsidentenwahlen abgehalten werden, so dass sich die Position Andrzej Dudas ausnutzen lässt, um in zwei Parlamentswahlen die Regierungsmehrheit mitzubeeinflussen. Zwar verlangt die politische Gepflogenheit, dass der Staatspräsident sein Parteibuch abgibt, aber bisher hat dies noch für keinen Amtsinhaber bedeutet, dass er sich tatsächlich von seiner Mutterpartei distanziert.

Daraus ergibt sich die Frage nach der Rolle Andrzej Dudas im politischen Kräfteverhältnis. Der polnische Präsident besitzt relativ wenige Befugnisse, seinen Willen durchzusetzen. Eine Lösung vor dem Hintergrund der aktuellen Struktur in Polen wäre das Spiel »good cop – bad cop«. Bis zu den Parlamentswahlen im Oktober kann PiS so agieren, dass der Präsident in der Rolle des good cop auftritt, während dem Oppositionsführer und Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten die Rolle des bad cop zugeschrieben wird. Das heißt, der Präsident greift die Regierung nicht direkt an, sondern übernimmt die Position, die bereits Aleksander Kwaśniewski als einer der führenden Köpfe der Demokratischen Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) in seiner Funktion als Staatspräsident in der Zeit der Regierung der Wahlaktion Solidarność (Akcja Wyborcza Solidarność – AWS) ausgeübt hatte. Macht die Regierung einen Vorschlag, wird der bad cop, das heißt der Führer der parlamentarischen Opposition, diese direkt angreifen. Daraufhin wird der Präsident in seiner Rolle als »Mediator« und »überparteiliche Person« der Regierung öffentlich nahe legen, dass sie ihre Absichten im Rahmen der »Suche nach Einvernehmen« aufgeben sollte, da sie ja schließlich »Kontroversen wecken«. Die Verhinderung der Vorhaben der parlamentarischen Mehrheit findet vorgeblich im Geiste der »Konfliktverhinderung« statt, was der Präsident im Bedarfsfall durch Drohung mit seinem Vetorecht unterstützen kann. Die Begründung dafür wäre, dass das betreffende Vorhaben ein sehr kontroverses sei, das unnötige Konflikte zwischen der Regierung und der Opposition auslöse. Aus Sorge um die Harmonie und die Verständigung zwischen den wesentlichen politischen Kräften legt er also sein Veto bei Regierungsprojekten ein. Die Erfahrungen aus der Zeit der Regierung der AWS haben gezeigt, dass eine solche Lösung die Regierung in eine schwierige Lage bringt. Bemühungen, das politische Spiel des Präsidenten zu demaskieren, kann als »Streitsucht« gekontert werden.

Auf der anderen Seite ist es gar nicht leicht, die Rolle des good cop zu erfüllen. Beispielsweise wusste sich Lech Kaczyński als Präsident in Opposition zur Regierung von Donald Tusk nicht besonders gut zu helfen. Da die Regierung damals vom Enthusiasmus der Wähler getragen wurde, verlor der Präsident solche Konflikte und auch seine Autorität. Eine weitere Erklärung wäre hier, dass Präsident Lech Kaczyński schon allein aus Gründen der Physiognomie schwer vom Oppositionsführer Jarosław Kaczyński, seinem Zwillingsbruder, zu unterscheiden war. Das führte praktisch dazu, dass eine deutliche Unterscheidbarkeit ihrer Rollen in der politischen Kommunikation nicht gegeben war. Anders verhielt es sich bei dem Duett Aleksander Kwaśniewski – Leszek Miller, die auch in psychologischer Hinsicht gut zu unterscheiden waren. Der nette und kontaktfreudige Mensch (Kwaśniewski) gegenüber dem mit dem Image des harten Players an der Grenze zum politischen Banditentum (Miller). Aktuell jedoch ist PiS auf dem aufsteigenden Ast und hat ein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein, während sich die Regierungskoalition nach den verlorenen Wahlen und weiteren Enthüllungen in der sogenannten Abhöraffäre in der Defensive befindet. Der good cop ist eine adäquate Rolle für Andrzej Duda. Es bleibt die Frage, ob es einen Anwärter für die Rolle des bad cop gibt, ob es Jarosław Kaczyński oder Beata Szczydło sein könnte. Die Wahlkampfleiterin wurde von Duda selbst als mögliche Kandidatin für den Posten der Ministerpräsidentin genannt.

Enthusiasmus und Ungeniertheit

Ein großer Vorteil für PiS ist, dass sie ihre Selbstsicherheit wiedergewonnen hat und das Bedürfnis nach Veränderung symbolisiert. Wichtig ist des Weiteren, dass, nachdem PiS nun die dominierende Position eingenommen hat – fasst man es fußballerisch auf –, die Bürgerplattform jetzt angreifen muss und Recht und Gerechtigkeit mit Gegenangriff reagieren kann. In der Politik ist das eine angenehme Situation, insbesondere als Oppositionspartei. Die von der »Abhöraffäre« hervorgerufene Regierungskrise erschwert Ministerpräsidentin Ewa Kopacz einmal mehr, einen glaubwürdigen Korrekturplan für ihre Partei vorzustellen. Recht und Gerechtigkeit kann ihren bisherigen Kurs fortsetzen, wenngleich sich dies nicht als völlig problemlos erweisen wird.

Darüber hinaus ist es für PiS ein wesentlicher Erfolg, dass die junge Generation in der Partei den Glauben an die eigenen Kräfte gewonnen hat. Bisher waren ein Aspekt der internen Streitigkeiten die Spannungen im Dreieck zwischen Jarosław Kaczyński, bewährten Akteuren der Generation, die sich noch an 1989 erinnert, und den »jungen Wölfen«. Gerade die jüngere Akteursgeneration war ein besonderes Problem, führte sie doch bereits zu drei ernsten Krisen in der Partei. Zuerst im Jahr 2010, als sich Politiker des gemäßigten Flügels in der Gruppierung Polen ist am wichtigsten (Polska Jest Najważniesza – PJN) sammelten, dann im Jahr 2011 der Abgang von Akteuren zu Solidarisches Polen, gemeinsam mit Zbigniew Ziobro und Jacek Kurski, also radikaleren Politikern als sie im Durchschnitt der Partei zu finden sind, und schließlich der Parteiausschluss von Andrzej Hofman und seiner Umgebung im Zusammenhang mit der Abrechnung von Dienstreisen direkt vor den Wahlen auf der Selbstverwaltungsebene im Jahr 2014. Bisher endeten alle Aktionen der 30- bis 40-Jährigen für PiS problematisch. Dieses Mal zeitigten sie einen spektakulären Erfolg, was die Beziehung zwischen Kaczyński und diesen Politikern auf ein anderes Niveau hebt.

Auf der anderen Seite taucht unvermeidlich die Schlussfolgerung auf, dass die Partei auch ohne Jarosław Kaczyński zurechtkommen kann. Natürlich wurden seine Rolle und Position in allen Erklärungen nach der Präsidentenwahl gewürdigt, aber je eifriger und eindeutiger sie waren, desto mehr kam der Gedanke auf, dass irgendwo hier das Problem liegt. Ein Gedanke, der früher parteiintern größere Spannungen hervorgerufen hätte und von den anderen Parteien in der Hoffnung, diese noch zu verstärken, genährt worden wäre. Gegenwärtig wird aus der Perspektive des Regierungslagers allerdings die Vision, dass Jarosław Kaczyński nicht bei den Parlamentswahlen antreten wird und Dudas Wahlkampfleiterin Beata Szczydło als potentielle Ministerpräsidentin gehandelt wird, als größte Gefahr angesehen, und es gibt noch keine wirkliche Idee, wen man selbst dagegenstellen könnte.

Theoretisch hat Recht und Gerechtigkeit keinen Grund, ihren Kurs zu ändern – man verändert nicht die Strategie, die zum Sieg führte, zumal unter so ungünstigen Umständen. Das Problem von PiS ist nun Folgendes: Ist dieser Kurs so günstig, dass man Jarosław Kaczyński als Kandidaten für den Posten des Ministerpräsidenten bestimmen kann, oder aber sollte auch in den Parlamentswahlen die Strategie der Präsidentenwahlen angewendet werden, das heißt jemand gefunden werden, der nicht Kaczyński ist, der jünger ist als dieser und der nicht so viele negative Emotionen hervorruft, an denen Kaczyński das vergangene Vierteljahrhundert gearbeitet hat.

Vielversprechend könnte hier sein, dass die kommunikative Unbeholfenheit von Bronisław Komorowski und Ewa Kopacz, die insbesondere bei der Reaktion auf die »Abhöraffäre« sichtbar wurde, eine Umkehrung der Rollen hervorrufen könnte. Vor Jahren waren die Politiker von PiS ständiger Gegenstand des Gespötts junger Menschen, die vor allem über das Internet kommunizieren. Heute spielen die Politiker der PO diese Rolle.

Erklärungsmuster und Versprechungen

Der Sieg von Recht und Gerechtigkeit bedeutet auch, dass sich die Partei damit anfreunden muss, eine bestimmte Erzählung nicht mehr aufrechtzuerhalten, eine Darstellungsweise, die besonders stark nach den Selbstverwaltungswahlen verbreitet wurde und die zu der Überzeugung führte, dass das Regierungslager alle Mittel nutzt, um den eigenen Sieg zu retten. Um diesen Pathologien entgegenzutreten, seien radikale Maßnahmen und eine radikale Änderung auf der politischen Bühne Polens notwendig. Jedoch verliefen die Präsidentenwahlen nach allgemeiner Einschätzung völlig ruhig, und auch wenn sich eine Reihe von Angriffen nicht als Vorbild politischer Kultur eignete, hatte sie auch nicht deren Mindestanforderungen verletzt. Es war nicht von Wahlbetrug die Rede und die Einführung als gewählter Präsident erfüllte alle Standards. Die Erklärungen und Anschuldigungen, die den Sieg begleiteten, legen den Gedanken nahe, dass das Regierungslager ein Problem damit hat, sich mit seiner vollkommen eindeutigen Niederlage abzufinden und sie als natürliches Ergebnis in einer Demokratie anzuerkennen.

So fiel die traditionelle Narration von PiS von einem Staat, der auf Betrug aufgebaut ist und eine Revolution auf struktureller Ebene braucht, in sich zusammen. Ihren Platz nahm die Erzählung davon ein, dass vielmehr das Lebensniveau der Bevölkerung einer Veränderung bedarf und weniger das Regelwerk des Kampfes um Macht und Machterhalt. Übrigens kann sich dies als deutlich größeres Problem für PiS erweisen, ist es doch viel schwieriger, die in diesem Bereich geweckten Hoffnungen zu realisieren, als daran zu arbeiten, dass Wahlen redlich durchgeführt werden. Letzteres, so hat sich gezeigt, erforderte keine besondere Anstrengung.

Es bleibt das Problem der Parteimitglieder, die ihre parteiinterne Position auf der Dramatisierung der politischen Rivalitäten in Polen aufbauen. Im Lager von PiS findet sich eine ganze Reihe von Gruppierungen, die radikale Diagnosen lieben, vor allem im Zusammenhang mit der Flugzeugkatastrophe von Smolensk im Jahr 2010. Auch wenn Antoni Macierewicz, die Personifizierung dieser Strömung in der PiS, während des Wahlkampfes aus der Öffentlichkeit verschwunden war, stellt sich die Frage, ob dies bereits der Endzustand ist. Wird das Wahlergebnis, die Bestätigung der Vermutung, dass sich Wahlen gewinnen lassen, wenn man nicht das Thema Smolensk berührt, sondern Probleme des Alltags der Bevölkerung, eine dauerhafte Änderung der Prioritäten bedeuten? Bleibt Antoni Macierewicz nun für immer am Rand oder wird sich diese Strömung innerhalb der PiS von der neuen Strategie bedroht fühlen und erklären, dass auch ihr die Früchte des Sieges zustehen? Vielleicht lässt sich ein solches Verlangen durch Symbole, wie ein Denkmal für die Opfer der Katastrophe von Smolensk vor dem Präsidentenpalast, befriedigen; dies war eine der ersten Forderungen des neuen Präsidenten, allerdings sind hier wiederum Spannungen möglich.

Was andere programmatische Fragen betrifft, lässt sich feststellen, dass zwischen der Bürgerplattform und Recht und Gerechtigkeit nicht so große Unterschiede bestehen, wie sie es selbst darstellen (was übrigens die polnische Linke stets hervorhebt). Jede Seite ist daran interessiert, die Unterschiede herauszustellen, die sich auf soziale Aspekte beziehen und die polnische Gesellschaft teilen. Diese Teilung ist nicht so tief wie in der amerikanischen oder ungarischen Gesellschaft, sie ist ihnen allerdings geistig ähnlich. Außerdem weist sie ein Element auf, das an die Situation in Ostdeutschland erinnert. Ein Teil der polnischen Gesellschaft hält sich für etwas Besseres und begegnet dem Rest mit Überheblichkeit. Der andere Teil unterscheidet sich aber grundsätzlich nicht so sehr von Ersterem, abgesehen davon, dass er diese Behandlung als Unrecht empfindet, was ihn dazu führt, diejenigen Kräfte zu unterstützen, die sich dieser Einteilung entgegenstellen. Dies reicht aus, um bestimmte Emotionen in der Gesellschaft zu wecken; die eine Seite hält die andere für eine Belastung und erhebt sich über sie, die andere Seite findet, dass sich jene feindselig verhält und eine Trennlinie aufrechterhält, die auf das alltägliche Leben kaum Auswirkungen hat.

Betrachtet man die Politik auf der Ebene der Städte und Regionen, sind etwaige Unterschiede zwischen PiS und PO schwer zu erkennen. Sie werden auch nicht auf die Ebene der landesweiten Politik übertragen. Keine Entscheidung von wesentlicher Bedeutung, die von PiS geführten Selbstverwaltungsorganen getroffen wurde, ist von der Regierungskoalition in Frage gestellt worden. Es sieht so aus, als ob eine potentielle Machtverschiebung in Polen auf dieser Ebene deutlich schwieriger wahrzunehmen sein wird, als auf der Ebene der politischen Rhetorik. In der Tat ist die Rhetorik in Hinblick auf die politische Teilung Polens sehr viel schärfer als die tatsächlichen Unterschiede in strategischen Entscheidungen.

Konkurrenten und Verbündete

Das letzte wesentliche Problem ist die Frage der Umgestaltung der politischen Bühne. Hier taucht Paweł Kukiz und seine Bewegung auf. Die Schwächung der Bürgerplattform führt dazu, dass viele Initiativen von deren bisheriger Wählerschaft profitieren wollen. Eine dieser Initiativen ist die von Paweł Kukiz, der an der Spitze einer Protestbewegung steht, die sich auf Anti-Partei-Emotionen beruft. Eine hervorragende Gelegenheit, eine solche Bewegung zu institutionalisieren, wird das Referendum sein, das von Präsident Komorowski zwischen dem ersten und dem zweiten Wahlgang der Präsidentenwahlen beschlossen wurde und im September durchgeführt werden wird. Dies ist problematisch für PiS. Andrzej Duda hat paradoxerweise die Wahlen gewonnen, obwohl er die Standardforderung von Paweł Kukiz, dem dritten Präsidentschaftskandidaten, ignorierte, nämlich das Wahlsystem zugunsten von Ein-Mandats-Kreisen (wie im britischen First Past The Post-System) zu ändern. Hier hatten Präsident Komorowski und die PO einen entschiedenen Schritt getan, der ihnen jedoch nicht den Wahlsieg brachte. Vielleicht war hier die Interpretation zutreffend, dass diese Forderung eher die Hoffnung auf Veränderung ausdrückte und es wichtiger war, Veränderung an sich zum Thema zu machen, als dass es um diese konkrete Forderung ging. Ob die Zusammenarbeit mit der Bewegung von Kukiz ähnlich aussehen wird, wenn es zu seiner Institutionalisierung kommen und er in den nächsten Sejm einziehen sollte, lässt sich heute noch nicht voraussehen. Es scheint jedoch angebracht zu sein, die Umfragen mit Distanz zu betrachten, die eine hohe Unterstützung für die neu gegründeten Initiativen aufzeigen. Die tatsächliche Unterstützung in Wahlen war bisher gewöhnlich deutlich niedriger.

Auf dem Weg zum Sieg muss sich PiS einer ganzen Reihe von taktischen Fragen stellen, die vor allem mit den parteiinternen Beziehungen zu tun haben und insbesondere mit ihren Koalitionspartnern Solidarisches Polen und Polen Gemeinsam. Sie bilden zusammen ein politisches Lager und werden als gemeinsame Wahlliste in die Parlamentswahl gehen. Hier ergibt sich die Frage, ob sich die Hauptströmung von PiS beim Marsch auf den erwarteten Sieg durch größeres Verständnis gegenüber den Erwartungen der kleineren Partner auszeichnen wird oder nicht. Denkbar ist die Situation, dass PiS angesichts des Erfolgs ihres Kandidaten bei den Präsidentenwahlen ihre Position verfestigen wird, in dem Glauben, dass sie es ist, die von der Welle des Enthusiasmus getragen wird, und die kleineren Parteien keinen Platz finden. Es kann aber auch dazu kommen, dass Dudas Ergebnis dahin gehend interpretiert wird, dass es sich ausgezahlt hat, die Konkurrenz von Seiten Zbigniew Ziobros (Solidarisches Polen) oder Jarosław Gowins (Polen Gemeinsam) zu eliminieren, und es nun angezeigt ist, diesen Weg weiterzugehen, wobei die Spannungen minimiert werden und loyale Zusammenarbeit angestrebt wird.

Schließlich bleibt die Frage, ob der Erfolg in den Präsidentenwahlen nicht überinterpretiert wird und ob es nicht ähnlich wie bei den Wahlen auf der Selbstverwaltungsebene enden wird, als PiS zwar eine höhere Unterstützung als andere Parteien erhalten hatte, dies aber vor allem aus der Schwäche des Hauptkonkurrenten resultierte. Die Unterstützung für PiS hatte sich nicht so vergrößert, dass sie ihre Besitzstände entscheidend verbessern konnte. Rechnet man die Ergebnisse der Selbstverwaltungswahlen 2014 in mögliche Ergebnisse der Parlamentswahlen um und berücksichtigt man dabei verschiedene Verhaltensmuster der Wähler, würde PiS zirka 36 Prozent der Stimmen bekommen. Das ist mehr, als die Partei bisher erlangt hat, aber immer noch weniger, als die PO in den Wahlen 2007 und 2011 bekommen hat. Es wäre immer noch ein Erfolg, aber kein so eindeutiger wie der der PO in den vergangenen Wahlen. Ähnlich war es übrigens bei den Präsidentenwahlen, als Andrzej Duda mit einem geringeren Stimmenunterschied siegte als Bronisław Komorowski im Jahr 2010, als er Jarosław Kaczyński hinter sich ließ. Im Falle der Präsidentenwahlen ist es bedeutungslos, ob der Kandidat mit nur einer Stimme Unterschied oder einer Million gewinnt. Bei den Parlamentswahlen hat dies allerdings ernsthafte Implikationen für die parlamentarische Stabilität und die Koalitionsmöglichkeiten. Das Beispiel der letzten Monate zeigt, dass es kein Übergewicht gibt, das sich nicht in wenigen Monaten verspielen ließe, wenn man die gesellschaftlichen Stimmungen außer Acht lässt.

Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate

Zum Weiterlesen

Artikel

Zweieiige Zwillinge. PiS und Fidesz: Genotyp und Phänotyp

Von Kai-Olaf Lang
Die regierenden Parteien in Polen und Ungarn haben vieles gemeinsam. Beide streben einen neotraditionalistischen Umbau von Staat und Gesellschaft an. Demokratie verstehen sie als Mehrheitsherrschaft, das Mandat, das sie vom Volk an den Wahlurnen erhalten haben, soll nicht durch „checks and balances“ beschränkt werden. In der EU setzen PiS und Fidesz auf die Sicherung und den Ausbau nationalstaatlicher Hoheitsbereiche. Aufgrund außen- und europapolitischer Differenzen – insbesondere in der Sicherheits- und Russlandpolitik – ist allerdings keine nationalkonservative Achse in Ostmitteleuropa entstanden. (…)
Zum Artikel auf zeitschrift-osteuropa.de
Analyse

Halbzeitbilanz der Regierung Tusk

Von Reinhold Vetter
Zwei Jahre nach ihrem Amtsantritt im November 2007 sitzt die Regierungskoalition aus Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) und Polnischer Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) relativ fest im Sattel. Vorerst deutet nichts darauf hin, dass die Opposition in Gestalt von Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) und der Demokratischen Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) bei der Parlamentswahl im Jahr 2011 in der Lage sein könnte, die Machtverhältnisse umzukehren. Auch ein Sieg von Ministerpräsident Donald Tusk bei der Präsidentenwahl 2010, sollte er tatsächlich antreten, scheint möglich. Alle bisherigen Meinungsumfragen sprechen dafür, dass die Wähler keinen Machtwechsel wollen – und dies, obwohl Tusk und die PO bei weitem nicht alle Versprechen erfüllt haben, die sie im Wahlkampf 2007 gegeben hatten. Mehr noch: von dem bürgerlich-demokratischen Aufbruch, der sich mit der Wahl 2007 andeutete, ist kaum noch etwas zu spüren. (…)
Zum Artikel

Logo FSO
Logo DGO
Logo ZOIS
Logo DPI
Logo IAMO
Logo IOS