Das russische Engagement im Konflikt in der Ukraine führte zu einer deutlichen Verschlechterung der Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland. Als Konsequenz der aggressiven Politik Russlands gegenüber der Ukraine ergab sich unter den EU-Staaten die Frage, inwieweit das Thema Energie im russisch-ukrainischen Konflikt weiterhin eine wichtige Rolle spielen wird und ob die EU-Staaten nicht zum wiederholten Male von der Einstellung russischer Gaslieferungen bedroht sein würden. Bereits die russisch-ukrainischen Konflikte der Jahre 2006 und 2009 hatten offenbart, dass die Energiepartnerschaft mit Russland keine Sicherheit für Gaslieferungen in Krisenzeiten garantiert.
Aus diesem Grund rief der Europäische Rat die Europäische Kommission am 21. März 2014 dazu auf, eine erweiterte Analyse des Problems der Energiesicherheit der EU vorzulegen. Polen schaltete sich rasch in die Diskussion über die Energiezukunft Europas ein. Der damalige Ministerpräsident Donald Tusk stellte im April 2014 eine »Roadmap für eine Energieunion für Europa. Non-paper zu den Herausforderungen der Energieabhängigkeit der EU« vor. Es handelt sich um das Projekt einer Energieunion, die auf sechs Säulen basieren soll: Entwicklung und Finanzierung der Infrastruktur, Solidaritätsmechanismus, Stärkung der Verhandlungskompetenzen gegenüber externen Lieferanten, Entwicklung eigener Energiequellen, Diversifizierung der Öl- und Gaslieferungen, Stärkung der Energiegemeinschaft. Tusk verglich die Situation auf dem Gasmarkt mit der Bildung der Bankenunion während der Finanzkrise. »Unabhängig von der Entwicklung der Ereignisse in der Ukraine wird die Hauptlektion für Europa sein, dass es durch die Abhängigkeit von Russland geschwächt werden wird«, schrieb er in einem Artikel für die »Financial Times« und schlug vor, dass die Europäische Union eine Einheit bilden solle, die für den Einkauf von Erdgas verantwortlich sein solle.
Eine Antwort auf die bisher unzureichende Politik der EU und die Herausforderungen im Zusammenhang mit der Verbesserung der Energiesicherheit ist die Mitteilung der Europäischen Kommission »Rahmenstrategie für eine krisenfeste Energieunion mit einer zukunftsorientierten Klimaschutzstrategie« vom 25. Februar 2015. Strategische Priorität des vom Vizepräsidenten der Europäischen Kommission, Maroš Šefčovič, vorgestellten Vorschlags ist nicht nur die Erhöhung der Energiesicherheit, sondern auch der Aufbau eines starken Marktes und einer zukunftsweisenden Klimapolitik. Im Dokument heißt es dazu, dass die Europäische Union in der Lage sein soll, auf plötzliche Ereignisse solidarisch zu antworten, ihre Möglichkeiten zu nutzen und zukünftige Entwicklungswege des Energiemarktes und der Energietechnologien vorauszusehen.
Energieunion – allgemeine Bewertungen der Vertreter des polnischen Energiesektors
Sowohl die Rahmenstrategie der Europäischen Kommission von Februar 2015 als auch der Vorschlag der polnischen Regierung von April 2014 wurden von Akteuren des polnischen Energiesektors breit kommentiert und analysiert. Die Rahmenstrategie der Europäischen Kommission wird in Polen als Antwort auf den Vorschlag von Donald Tusk aufgefasst. Die Akteure des Energiesektors in Polen bewerten diese beiden Dokumente und die Beziehung zwischen ihnen unterschiedlich. Die roadmap der polnischen Regierung wurde im Inland sowohl von der staatlichen Verwaltung und den Unternehmen als auch einem Teil der Journalisten recht positiv aufgenommen. Gleichzeitig unterstrichen manche Vertreter der Energiebranche, ohne jedoch einen Vorwurf daraus zu machen, dass das Dokument ausschließlich politischen Charakters sei und dem Beginn einer Diskussion über die Energiesicherheit in Europa dienen sollte.
Im Gegensatz zur Reaktion auf den Vorschlag der polnischen Regierung wurde die Rahmenstrategie der Europäischen Kommission von Februar 2015 in Polen reservierter aufgenommen. Die Mehrheit der Vertreter der polnischen Regierungsadministration, der Unternehmer und des journalistischen Milieus beurteilt den Inhalt des Dokuments der Europäischen Kommission als »mittelmäßig« aus polnischer Sicht. In der Rahmenstrategie würden die aktuellsten Konzepte zur Entwicklung des Energiemarktes der Europäischen Union und der Beziehungen der EU zu Drittstaaten aufgeführt; nicht enthalten seien allerdings bahnbrechende Ideen. Die Vorschläge der Europäischen Kommission erfüllen nicht die Erwartungen, die ein Jahr zuvor in der von der Regierung Tusk veröffentlichten roadmap geweckt worden waren. Unterschiedlich sind jedoch die Interpretationen, warum die von der Europäischen Kommission formulierten Vorschläge nicht ganz den polnischen Erwartungen entsprechen. Manche unterstreichen, dass die aktuelle Version des Dokuments das Ergebnis eines Konsens ist, der auf EU-Ebene erreicht werden konnte. Andere wiederum, vor allem Vertreter von Energieunternehmen und Journalisten, legen nahe, dass im Verlauf der Verhandlungen zum Konzept der Energieunion, die sich eigentlich auf die Energiesicherheit konzentrieren sollte, auch alle anderen mit der europäischen Energiewirtschaft verknüpften Aspekte hinzugenommen worden waren, die in den letzten Jahren Einzug in die Agenda der Europäischen Union gefunden hatten, so zum Beispiel die Klimapolitik mit Forschung und Entwicklung. Nach Meinung vieler Interviewpartner relativiert die aktuelle Rahmenstrategie der Europäischen Kommission die Frage der Energiesicherheit, verstanden als Sicherheit für die Lieferung der Energierohstoffe, und stellt sie als gleichbedeutend neben andere Themen, die ebenfalls wichtig sind, aber nicht Teil des eigentlichen Konzepts einer Energieunion.
Die Garantie der Liefersicherheit
Eine der grundlegenden Voraussetzungen des Konzepts der Energieunion, wie sie von Polen im April 2014 vorgeschlagen wurde, ist die Garantie der Energiesicherheit für die Staaten der Europäischen Union, worunter die Sicherheit der Energielieferungen aus Drittländern zu verstehen ist. Es geht dabei um die Ausarbeitung von Mechanismen, die die EU in die Lage versetzen sollen, ihre Mitgliedsländer wirksam vor den Konsequenzen solcher Ereignisse wie den Energielieferkrisen in den Jahren 2006 und 2009 zu schützen. Damals hatte der Streit zwischen Russland und der Ukraine über ausstehende Zahlungen und die Gaspreise dazu geführt, dass die russische Seite die Gaslieferungen in die Ukraine einstellte. Da der größte Teil der Gas- und Erdölpipelines nach Europa über das Territorium der Ukraine läuft, bedeutet die Einstellung von Lieferungen in die Ukraine, dass die anderen europäischen Staaten, die russisches Gas importieren, ebenfalls keine Lieferung erhalten.
Daran anknüpfend, wurden in der roadmap Vorschläge formuliert, und zwar Diversifizierung der Quellen der importierten Energierohstoffe, Einführung von Solidaritätsmechanismen und Ausbau der Verhandlungsstärke der Europäischen Union auf dem globalen Energiemarkt. Das größte Echo in den polnischen Medien fand der Vorschlag, den Mechanismus der Nachfrageaggregation für externe Gaseinkäufe auf EU- oder Regionen-Ebene einzuführen. Die Stärkung der Verhandlungsposition der EU-Staaten im Bereich Energie ist nach Einschätzung eines Teils der Vertreter der polnischen Regierungsadministration eine sehr wichtige Aufgabe, insbesondere da die EU-Mitgliedsländer zusammen der weltweit größte Importeur von Energieträgern sind. So hätten sie das Potential, über eine deutlich gewichtigere Verhandlungsposition zu verfügen. Jedoch, so unterstreicht ein hochrangiger Vertreter der Regierungsadministration im Interview, ist der Energiemarkt zwischen der Europäischen Union und Drittstaaten nicht auf den Klienten ausgerichtet, sondern auf den Lieferanten. Obwohl die EU einer der Hauptabnehmer für Energierohstoffe ist, lasse sie sich die Bedingungen für Energieeinkäufe diktieren.
Gemeinsame Einkäufe
Wie bereits erwähnt, wurde die Rahmenstrategie der Europäischen Kommission von Februar 2015 vom Großteil der Vertreter der Energiebranche in Polen zurückhaltend aufgenommen. Besonders viele Vorbehalte weckt das Konzept der gemeinsamen Gaseinkäufe, das von der Europäischen Kommission vorgeschlagen wird. Die Kommission erklärte, dass eventuelle Kooperationsmechanismen in diesem Bereich und Verhandlungen mit Partnern aus Drittländern freiwillig sein sollten. Ein Teil der Interviewpartner aus der Regierungsadministration äußert Enttäuschung über das von der EU vorgeschlagene Konzept der gemeinsamen Einkäufe und stellt fest, dass vom polnischen Vorschlag »nur eine verkümmerte Version übrig geblieben ist, die sehr vom ursprünglichen Vorschlag abweicht«. Gleichzeitig meint die Mehrheit der Interviewpartner aus dem polnischen Energiesektor, dass der Vorschlag Polens zu gemeinsamen Gaseinkäufen von Beginn an nur geringe Erfolgsaussichten gehabt hatte. Zwei Aspekte seien dafür ausschlaggebend gewesen: vor allem der politische Wille der EU-Mitglieder und des Weiteren die Zweifel an einer rechtlichen Regulierung der Art und Weise, wie die Einkäufe vonstattengehen sollten.
Nach Einschätzung vieler Vertreter der Regierungsadministration und der Energieunternehmen, die die Entwicklung der Situation im Energiesektor laufend verfolgen, sehen die EU-Staaten keine Notwendigkeit, im Energiesektor mit einer Stimme zu sprechen. Manche erklären dies mit der Abneigung, Kompetenzen für die Energiesicherheit des Landes der EU zu übertragen. Andere zeigen sich überzeugt, dass diese Länder nicht ihre günstigen finanziellen Bedingungen verlieren wollen, die sie aushandeln konnten und die im Falle eines aggregierten Einkaufs für die gesamte EU oder auch nur für eine Region schwerer zu erreichen wären. Hinzu kommt das Argument, dass ein Teil der Staaten nicht die komplizierte Situation der Länder berücksichtigt, die ab 2004 der EU beigetreten sind und die mehrheitlich von einer einzigen externen Energiequelle abhängig sind; diese Staaten befinden sich damit in einer vollkommen anderen Lage.
Die Bedeutung der Diversifizierung der Lieferungen für die Energiesicherheit
Die Vertreter des polnischen Energiesektors konzedieren, dass in der Rahmenstrategie der Europäischen Kommission von Februar 2015 der Diversifizierung der Energielieferungen an die EU viel Platz eingeräumt wird. Sie unterstreichen, dass es aus polnischer Sicht besonders wichtig ist, unter dem Begriff der Diversifizierung zwei Aspekte zu unterscheiden. Zum einen die Diversifizierung der Lieferwege der Energieträger in die Europäische Union, zum anderen die Diversifizierung der Quellen, das heißt der Länder, aus denen der gekaufte Energieträger stammt. Die Erschließung neuer Lieferwege, die erlaubt, Gas oder Erdöl aus anderen Ländern als Russland einzuführen, hat zur Folge, dass Polen grundsätzlich von Lieferungen vom östlichen Nachbarn unabhängig werden kann. Eine Folge wäre dann die bessere Verhandlungsposition Warschaus gegenüber dem Kreml, wenn Polen Energieträger von Russland kaufen will.
Für die Verhandlungsposition Polens hat die Fertigstellung des Flüssiggasterminals in Swinemünde (Świnoujście) Schlüsselbedeutung. Sowohl Vertreter der Regierungsadministration und Journalisten, die sich mit der Energieproblematik beschäftigen, als auch Vertreter von Energieunternehmen stimmen darin überein, dass der Terminal nur dann seine Funktion erfüllen wird, wenn er vor dem Beginn neuer Verhandlungen mit Russland über Gasimporte in Betrieb genommen wird. Der bestehende Vertrag zwischen dem polnischen Energiekonzern PGN und dem russischen Gazprom läuft bis 2022, so dass der Terminal entsprechend früher seine Arbeit aufnehmen müsste, um bei den Verhandlungen als Argument eingesetzt werden zu können.
Transparenz der Verträge mit externen Partnern
Größtes Gewicht legt Polen darauf, dass EU-Institutionen an dem Prozess beteiligt werden, Kooperationsmechanismen zwischen den EU-Ländern und externen Partnern zu entwickeln. Außerdem werden breit angelegte Aktivitäten für die Diversifizierung der Quellen und Lieferwege gefordert, da davon die strategische Sicherheit des Landes abhängt. Polen tritt für Mechanismen wie gemeinsame Gaseinkäufe und die verpflichtende Teilnahme eines Vertreters der Europäischen Kommission im Verhandlungsprozess über neue Verträge ein, da Warschau – so wie andere ostmitteleuropäische Staaten, die ab 2004 EU-Mitglieder wurden, – einen vollkommen anderen Hintergrund hat als die alten Mitgliedsländer, und zwar nicht nur, was die Lieferung und die Diversifizierung der Lieferanten, sondern auch die rechtliche Ausgestaltung dieser Beziehungen betrifft. So betonte ein Vertreter der Regierungsadministration im Interview: »Nur mit den Staaten unserer Region werden unabhängig von den Handelsverträgen zwischen den Unternehmen, beispielsweise für Gaslieferungen, außerdem Verträge zwischen den Regierungen abgeschlossen, das heißt zwischen dem jeweiligen Staat und der Russischen Föderation. Diese Verträge garantieren die Umsetzung der Handelsverträge. Ein solches Prozedere ist für einen Staat nicht günstig, denn es bedeutet, dass die Regierung die Bezahlung für die Gasabnahme aus dem Haushalt garantiert. Das heißt, sollte das Unternehmen die finanziellen Verpflichtungen nicht erfüllen, muss der Staat die gesamte Verantwortung übernehmen.« Einzelne Staaten, darunter Polen, »sind nicht in der Lage mit diesen Inter-Regierungsabkommen, die mit Russland geschlossen werden müssen, fertig zu werden, und nur die Zusammenarbeit auf der Ebene der EU, die von europäischen Institutionen wie der Europäischen Kommission koordiniert und vom Europäischen Rat akzeptiert würde, kann bei der Lösung dieser komplizierten Situation helfen.«
Diplomaten unterstreichen, dass die Fragen der rechtlichen Architektur der Verträge mit Drittstaaten und nicht das Thema gemeinsamer Gaseinkäufe der Hauptstreitpunkt bei der Konzeptionierung der Energieunion gewesen waren. Hier geht es um die Transparenz der Verträge mit Partnern außerhalb der Europäischen Union, das heißt um die Vermeidung der Situation, dass von dritter Seite unterschiedliche Standards an die EU-Staaten angelegt werden. Neben dem Muss, zusätzlich zum Handelsvertrag noch einen Vertrag zwischen den Regierungen zu unterzeichnen, geht es hier beispielsweise um das Verbot des Re-Exports von nicht verbrauchtem Gas in ein anderes Land oder um die nur mit einem Teil der Staaten vereinbarte Koppelung des Gaspreises an den Ölpreis. Vertreter des polnischen Außenministeriums heben hervor, dass für Polen gegenwärtig die Transparenz der Verträge ein Schlüsselelement der Energieunion in Hinblick auf die Energiesicherheit ist.
Der wettbewerbsfähige und integrierte Energiemarkt
Eine der Prioritäten der Europäischen Kommission für die Energieunion ist die vollständige Integration des europäischen Energiemarktes. Vorgeschlagen wird eine Vielzahl von Lösungen, die sowohl den Ausbau der Infrastruktur betreffen, die die Energiemärkte verschiedener EU-Länder verbinden soll, als auch die Implementierung einer EU-Gesetzgebung, die die Energiesektoren der EU-Staaten in rechtlicher Hinsicht annähern soll. Unter dem Begriff eines integrierten gemeinsamen Energiemarktes versteht die Europäische Kommission auch die Entwicklung von Kooperationen auf regionaler Ebene und die Sorge um den Energieendabnehmer, wobei sie dieser Frage deutlich mehr Raum gibt als die polnische Regierung in ihrer roadmap. Vertreter der Regierungsadministration, der Unternehmen, Journalisten und Experten betonten, dass, obwohl sich die Europäische Kommission für einen einheitlichen Energiemarkt ausspricht, diese Idee noch lange Zeit nur auf dem Papier existieren wird. Grund dafür seien »Energie-Nationalismen« der Mitgliedsstaaten. Dies betrifft die deutliche Mehrheit der EU-Länder – auch Polen. Die Interviewpartner aus der Regierungsadministration wiesen kritisch darauf hin, dass in Frankreich, Polen und Deutschland alle die Entwicklung des Binnenenergiemarktes unterstützen, aber »nur jeweils dann, wenn unser Land obenauf ist, das heißt dann, wenn unser Land autark in Sachen Energie ist und den integrierten Markt für den Export des Überschusses an produzierter Energie nutzen könnte«. Niemand ist zu einer realen Öffnung des Marktes und der Übertragung einer größeren Anzahl von nationalen Befugnissen auf die Ebene der europäischen Institutionen bereit, denn dies würde die Gefährdung der nationalen Interessen bedeuten, wozu auch die Energiesicherheit des Landes gehört.
Der Ausbau der Infrastruktur
Die Schaffung eines gemeinsamen Energiemarktes erscheint den Vertretern des polnischen Energiesektors heute wenig realistisch, denn die EU-Staaten sind wenig zur Vertiefung der Zusammenarbeit bereit. Es ist jedoch sinnvoll, Veränderungen über kleinere Schritte herbeizuführen, beispielsweise über die Umsetzung des Vorschlags der Europäischen Kommission, Infrastrukturen für Elektrizität zu schaffen und »bis zum Jahr 2020 mindestens 10 Prozent der vorhandenen Erzeugungskapazitäten der Mitgliedstaaten in Verbünde zu integrieren«, wie es in der Rahmenstrategie der Europäischen Kommission heißt. Interviewpartner der Regierungsadministration und eines Teils der Unternehmervertreter weisen darauf hin, dass dieses Ziel aus polnischer Perspektive eine ungeheure Herausforderung ist, da das Niveau in Polen aktuell zwei Prozent beträgt. Noch weniger in den europäischen Elektrizitätsverbund integriert sind nur Zypern und Malta. Dieses niedrige Niveau bewirkt, dass Polen einen Inselstatus hat, das heißt ein Land ist, das auf dem Feld der Elektrizität von anderen Staaten isoliert ist. Um diesen Zustand zu ändern und das gesetzte Ziel von zehn Prozent zu erreichen, wurden drei Infrastrukturprojekte, die Polen mit seinen Nachbarn verbinden, auf die Liste der »Projects of Common Interest« (PCI) gesetzt. Vertreter der Regierungsadministration, Experten und Unternehmer unterstreichen, dass die Entwicklung der Infrastruktur, die die europäischen Wirtschaften verbindet, insbesondere die Entwicklung der Infrastrukturen in Ostmitteleuropa, ein Schlüssel für die Stärkung der Energiesicherheit bestimmter EU-Länder ist, darunter auch Polen. Gleichzeitig jedoch – so die Warnung der Interviewpartner – wird die Intensivierung der Sicherheit auch bei Fertigstellung entsprechender Infrastrukturnetze nicht möglich sein, solange die europäischen Länder ihre »Energie-Nationalismen« nicht überwinden.
Ein ausgeglichener Energiemarkt
Die Europäische Union legt seit Jahren besonderen Nachdruck auf die Entwicklung einer EU-Energiepolitik, die dem Klima am wenigsten schadet. In der Rahmenstrategie von Februar 2015 wurde das Ziel der 40-prozentigen Reduktion von CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 bekräftigt. Nach Ansicht der Unternehmensvertreter, aber auch mancher Journalisten war es ein Fehler, die Klimapolitik in die Rahmenstrategie einzubeziehen, die ursprünglich ein Dokument zur Garantie der Energiesicherheit mittels interner Integration und einer gemeinsamen Außenpolitik hatte sein sollen. Als Grund wird angeführt, dass jenes Ziel das ursprüngliche Anliegen schwäche – es existiere keine solche direkte Verbindung zwischen der Politik der Energiesicherheit und der Klimapolitik, wie sie von den Vertretern der EU-Institutionen und einem Teil der EU-Mitgliedstaaten gesehen wird. Die Energiesicherheit beruht auf der Garantie der Lieferkontinuität für einen angemessenen Preis, ohne Berücksichtigung der Art des Energierohstoffs.
Ein Teil der Interviewpartner des polnischen Energiesektors vertritt die Ansicht, dass sich ein Zusammenhang zwischen der Politik der Energiesicherheit der EU und ihrer Klimapolitik feststellen lässt, dieser aber nicht so ausgeprägt ist, wie aus Botschaften der Europäischen Kommission oder der Regierung mancher EU-Mitgliedstaaten hervorgeht. Von der Bedeutung der Dekarbonisierung und der Rolle der Klimapolitik zeugen zwar Erklärungen, die im Zusammenhang mit dem Weltklimagipfel in Paris im Dezember 2015 abgegeben werden. Doch auch wenn es nicht gelingen würde, einen globalen Kompromiss in Sachen Reduktion der CO2-Emissionen zu schließen, sollte die Europäische Union sowieso die beschlossenen Reduktionsziele auch einseitig erreichen. Daher verhält sich die polnische Regierung zu dem Konzept »es gibt keine starke Energiepolitik ohne Klimapolitik« neutral, wohl wissend, dass eine so stark akzentuierte Klimapolitik aufrechterhalten werden muss, um Kompromisse auf anderen Feldern der Energiepolitik zu erreichen.
Die dritte Gruppe sind die Ökologen, für die Energiesicherheit und Klimapolitik eng miteinander verbunden sind; aus den Zielen der Klimapolitik sollten folglich Maßnahmen zur Modernisierung des Energiemarktes in Polen entwickelt werden. In diesem Verständnis ist die Klimapolitik das wichtigste Element, das über die Zukunft der Energiesicherheit des Staates entscheidet. Eine ähnliche Meinung präsentieren auch Vertreter anderer Branchen, darunter ein Teil des journalistischen Milieus. Hier wird auf die Rolle der erneuerbaren Energien hingewiesen und darauf, dass man sich in Zukunft nicht der dominierenden Rolle dieser Energiequelle in den Wirtschaften der EU-Länder wird entziehen können. Je schneller entsprechende Änderungen im Energiesektor eingeführt werden, desto gewisser wird die Energiesicherheit in der Zukunft sein. Eine enge Abhängigkeit zwischen der Klimapolitik und der Sicherheitspolitik unterstreichen auch viele Wissenschaftler unter den Interviewpartnern.
Einen wichtigen Stellenwert nimmt die Frage der Energieeffizienz in der Rahmenstrategie der Europäischen Kommission ein. Sie wurde als eigene, dritte Priorität bestimmt und ist eng mit der Klimapolitik verknüpft, denn eine bessere Nutzung der produzierten Energie hat positive Auswirkungen auf die Umwelt. Der Europäische Rat hatte im Oktober 2014 festgelegt, dass die EU bis zum Jahr 2030 ihre Energieeffizienz auf 27 Prozent erhöht haben soll, was die Europäische Kommission in ihrer Rahmenstrategie einige Monate später aufgriff. Außerdem wurden die Mitgliedsstaaten verpflichtet, die Richtlinie 2012/27/EU umzusetzen, die den EU-Ländern auferlegt, von 2014 bis 2020 in jedem Kalenderjahr neue Einsparungen in Höhe von 1,5 Prozent nachzuweisen.
Vertreter des polnischen Energiesektors weisen darauf hin, dass Polen über ein enormes Potential verfügt und die gesetzten Ziele erreichen wird, allerdings nur dann, wenn der politische Wille dafür besteht. Dies könnte jedoch ein Problem sein, denn wie ein Interviewpartner der Regierungsadministration äußerte, »müssen bei der Umsetzung der Maßnahmen zur Vergrößerung der Energieeffizienz die Kosten jetzt getragen werden, die Wirkungen werden sich aber erst in der Zukunft zeigen. Die Förderung einer effektiveren Ausnutzung der Energie ist ein Eingriff des Staates und bedeutet eine Belastung für den öffentlichen Haushalt.« Ein Beispiel für Verspätungen auf polnischer Seite ist die Implementierung der Direktive 2012/27/EU, die den Empfehlungen der Europäischen Kommission gemäß bis Juni 2014 in das nationale Recht überführt werden sollte. In Polen wurde sie bisher nicht angenommen.
Fazit
Die Idee der Energieunion wird im Allgemeinen positiv bewertet, unterschiedlich sind allerdings die Ansichten über die zwei Hauptkonzepte, das von der Regierung Tusk im April 2014 präsentierte Konzept der roadmap und das von der Europäischen Kommission im Februar 2015 als Rahmenstrategie verfasste Konzept.
Nach Meinung der Mehrheit der Vertreter des polnischen Energiesektors ist die Rahmenstrategie der Europäischen Kommission für Polen weniger vorteilhaft. Das Hauptproblem stellt die weniger ambitionierte Annäherung an die Themen gemeinsame Gaseinkäufe sowie Transparenz der Gasverträge und Beteiligung der Europäischen Kommission am Verhandlungsprozess mit externen Partnern dar. In die Rahmenstrategie wurden demnach zu viele andere Themen aufgenommen, unter anderen klimapolitische Anliegen, was das grundlegende Ziel der Energieunion, das heißt die Garantie der Energiesicherheit der EU-Staaten, verwäscht. Andererseits erkannte ein Teil der Vertreter der Regierungsadministration an, dass der aktuelle Vorschlag der Europäischen Kommission, der im März 2015 vom Europäischen Rat im Ergebnis der Zustimmung aller 28 EU-Mitgliedsstaaten akzeptiert wurde, für Polen ein guter Ausgangspunkt ist und ermöglicht, sowohl an der Frage der Transparenz der Verträge als auch der gemeinsamen Einkäufe weiter zu arbeiten.
In der Analyse der Energiesicherheit Polens heben die Vertreter des Energiesektors einige Probleme heraus. Eine besonders häufig auftretende Frage ist die der Garantie der Liefersicherheit von Erdgas aus Russland. Die Interviewpartner unterstreichen außerdem den Ausbau der Energieinfrastruktur als wesentlich, sowohl in Polen als auch als Verbindung zwischen Polen und den anderen EU-Staaten. Genannt wird außerdem, wenn auch seltener, der Aspekt der Energiesicherheit, verstanden als Garantie eines für den Verbraucher akzeptablen Preises.
Die Vertreter des polnischen Energiesektors äußern sich unterschiedlich über das mit der Klimapolitik verbundene Konzept der Energieunion, wie es die Europäische Kommission in ihrer Rahmenstrategie im Februar 2015 vorgestellt hat. Hier herrscht die Einschätzung vor, dass sich die polnische Seite sehr in den Verhandlungen engagieren muss, damit der Vorschlag der Europäischen Kommission dem energieintensiven polnischen Sektor einen nicht zu starken Schlag versetzt.
Die Schaffung eines internen und wettbewerbsfähigen Energiemarktes – eine wichtige Forderung für die Energieunion – findet unter den Vertretern des polnischen Energiesektors breite Unterstützung. Gleichzeitig zeigen sich fast alle Interviewpartner überzeugt, dass die Erklärungen zum Aufbau eines gemeinsamen Marktes kaum nennenswerte Folgen zeitigen werden, da sich die Staaten der Europäischen Union von ihren »Energie-Nationalismen« leiten lassen. Die Vertreter des Energiesektors weisen übereinstimmend darauf hin, dass Veränderungen im Energiesektor eine langfristige Energiestrategie erforderten, für die ein Konsens zwischen Parteien, Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Bürgern bestehen müsse. Dabei müsse die Energiesicherheit Priorität haben.
Übersetzung aus dem Polnischen: Silke Plate
Der Text basiert auf: A. Łada, M. Skłodowska, M. Szczepanik, Ł. Wenerski: Unia energetyczna z perspektywy Francji, Niemiec, Polski i Wielkiej Brytanii [Die Energieunion aus der Perspektive Frankreichs, Deutschlands, Polens und Großbritanniens]. Warszawa: Instytut Spraw Publicznych 2015. <www.isp.org.pl/site.php?id=1&pub=859&lang=2>
Der Bericht wurde in Zusammenarbeit mit der Stiftung Genshagen und mit Unterstützung der Europäischen Kommission in Polen, der Stiftung für deutsch-polnische Zusammenarbeit und dem polnischen Mineralölkonzern PKN ORLEN erstellt.