Ein gescheitertes Referendum ohne Gewinner? Wahlrecht und Parteienfinanzierung im polnischen Parteiensystem auf dem direktdemokratischen Prüfstand

Von Florian Wittmann (International Graduate School of Social Sciences, Bremen), Tomasz Zapart

Zusammenfassung
Nach einem Überblick über die Entwicklung des polnischen Wahlrechts nach 1989 betrachten die Autoren mögliche Konsequenzen der Einführung eines Mehrheitswahlrechts mit Ein-Personen-Wahlkreisen für das polnische Parteiensystem, wie es in dem Referendum am 6. September vorgeschlagen wurde. Anschließend wird die Entwicklung der Parteienfinanzierung nachgezeichnet und deren Bedeutung für die Ausprägung des Parteiensystems betont. Zum Schluss beschäftigt sich die Analyse mit dem Verlauf und Ergebnis des Plebiszits und argumentiert zusammenfassend, dass man die Beibehaltung der bisherigen Regelungen als ein positives Signal für die Konsolidierung des polnischen Parteiensystems ansehen kann.

»Plebiszitäre Epidemie«, so titelte kürzlich die polnische Tageszeitung »Gazeta Wyborcza«. Ausgangspunkt war das vom scheidenden Präsidenten Bronisław Komorowski nach der verlorenen ersten Runde der Präsidentschaftswahlen überraschend angekündigte Referendum, das unter anderem die Einführung eines Mehrheitswahlrechts für den Sejm ermöglichen sollte. Sein Nachfolger Andrzej Duda versuchte Mitte August ein zweites Referendum anzuschieben, welches parallel zu den Parlamentswahlen am 25. Oktober stattfinden sollte. Diese Pläne scheiterten jedoch am Senat, der von der Bürgerplattform (Platforma Obywatelska – PO) dominiert wird.

Für viele Beobachter kam dieser Trend zu Referenden im Jahre 2015 überraschend und einer Epidemie gleich, da seit der Systemtransformation 1989 lediglich vier Plebiszite abgehalten wurden. Gleichzeitig bezweifelten Verfassungsrechtler die Relevanz der Referendumsfragen, da diese aufgrund ihres Charakters als einfache Gesetze dem regulären legislativen Prozess unterliegen sollten.

Nicht nur das taktische Kalkül der politischen Akteure und die demokratietheoretischen Probleme, die sich aus der inflationären Berufung auf das Instrument des Referendums ergeben, verdienen dabei Aufmerksamkeit. Vielmehr hätte das Referendum bei ausreichendem Quorum das Potential gehabt, die Gestalt des polnischen Parteiensystems nachhaltig zu ändern und die in den vergangenen Jahren erfolgte Stabilisierung des polnischen Parteiensystems zu gefährden. Letztendlich scheiterte das Referendum vom 6. September jedoch an einer historisch niedrigen Wahlbeteiligung von 7,8 Prozent.

Wahlrechtreformen seit 1989 im Überblick

Insbesondere im ersten Jahrzehnt nach dem Systemwechsel war das polnische Wahlrecht Gegenstand zahlreicher Modifikationen, die nur anfänglich einem objektiven Reformbedarf folgten. Nach der majoritären Übergangslösung für die halbfreien Wahlen 1989 einigte sich der Sejm 1991 nach langen Debatten auf ein rein proportionales Wahlrecht. Die anschließenden Parlamentswahlen resultierten in einem stark fragmentierten Parlament, in dem insgesamt 29 Gruppierungen vertreten waren (davon elf mit jeweils einem Mandat). Als Reaktion darauf wurden 1993 wahltechnische Konzentrationsmechanismen wie die landesweite Sperrklausel von 5 Prozent (8 Prozent für Wahlbündnisse), die Verkleinerung der Wahlkreise sowie die Umstellung auf das d’Hondtsche Stimmenverrechnungsverfahren eingeführt. Begünstigt von der reformierten Proporzregel und der gesunkenen Parteienzahl, kam es zwischen 1993 und 1997 erstmals zu keinem vorzeitigen Ende der Legislaturperiode, gleichwohl um den Preis, dass mehr als ein Drittel der abgegebenen Stimmen bei der Mandatsverteilung nicht berücksichtigt wurde.

Auch wenn die Reform von 1993 zu einer dauerhaften Reduktion der Anzahl der Parteien im Sejm führte, blieb das Wahlrecht weiterhin Gegenstand parteipolitischer Diskussionen. Während 1997, als die Proporzregel endgültig in der Verfassung festgeschrieben wurde, der Versuch einiger kleinerer Parteien scheiterte, ein für sie vorteilhaftes Wahlrecht durchzusetzen, waren entsprechende Bestrebungen im Jahr 2001 erfolgreich. Infolge der erhöhten Proportionalität verpasste die Demokratische Linksallianz (Sojusz Lewicy Demokratycznej – SLD) 2001 knapp die absolute Mehrheit und sah sich zu einer Regierungskoalition mit der Polnischen Bauernpartei (Polskie Stronnictwo Ludowe – PSL) gezwungen. Der Versuch der SLD, die 2002 erfolgte Rückkehr zum weniger proportionalen d’Hondt-Verfahren im Jahr 2005 erneut rückgängig zu machen, scheiterte am Widerstand von Präsident Aleksander Kwaśniewski und Sejm-Marschall Włodzimierz Cimoszewicz.

Das Absehen von weiteren Änderungen wurde von einer zunehmenden Stabilisierung des polnischen Parteiensystems begleitet. Neben der zunehmenden Konzentration der Stimmenanteile auf die beiden größten Parteien gingen der Anteil der »verschenkten« Stimmen sowie die Schwankungen der Wahlergebnisse zwischen den einzelnen Wahlperioden (Volatilität) zurück. Diese hatte 2001 ihren zwischenzeitlichen Höhepunkt erreicht, als es im Solidarność-Lager zu einer grundlegenden Neuordnung kam. Bei den Parlamentswahlen 2011 erzielten nur noch fünf Parteien Mandate, wovon vier bereits in der vorangegangenen Legislaturperiode im Sejm waren.

Die verfassungsrechtliche Verankerung der Proporzregel in der Kleinen Verfassung von 1992 bzw. der Verfassung von 1997 war gleichwohl nicht unumstritten. So favorisierte die liberale Demokratische Union (Unia Demokratyczna – UD) ursprünglich ein Mischsystem, während Präsident Lech Wałęsa Anfang der 1990er Jahre vergeblich für die Einführung eines Mehrheitswahlrechts nach britischem Vorbild warb, das die Anzahl der Parteien reduzieren und das von ihm angestrebte Präsidialsystem unterstützten sollte. Im neuen Jahrtausend sammelte die PO mehr als 750.000 Unterschriften für ein Referendum, das u. a. der Einführung eines Mehrheitswahlrechts zum Sejm den Weg ebnen sollte. Während entsprechende Änderungsbestrebungen für den Sejm keine Mehrheiten fanden, wurden 2011 Ein-Personen-Wahlkreise, d. h. das Mehrheitswahlrecht für Kommunalwahlen (mit Ausnahme kreisfreier Städte), eingeführt.

Die aktuelle Majorz-Debatte

Nach dem überraschend guten Abschneiden des Rockmusikers Paweł Kukiz, der bei der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen im Mai 2015 auf Anhieb mehr als 20 Prozent der Stimmen erhielt, gewann die Thematik erneut an Bedeutung. Kukiz propagiert seit Jahren die Einführung von Ein-Personen-Wahlkreisen und war Mitinitiator einer Aktion, die an das nicht abgehaltene PO-Referendum zum Mehrheitswahlrecht erinnern sollte. Die Befürworter versprechen sich von einem Wahlrecht nach britischem Vorbild eine unmittelbare Verantwortlichkeit der Abgeordneten gegenüber den Wählern, da diese in kleinen Wahlkreisen (zirka 60.000 bis 80.000 Wahlberechtigte) bestimmt würden. Dadurch würde die machtvolle Position der Parteiführung gegenüber den einzelnen Abgeordneten sowie der Einfluss von Partikularinteressen geschwächt und auch unabhängigen Kandidaten eine Teilnahme am politischen Wettbewerb ermöglicht – so die Kukiz-Anhänger.

Nach Ansicht vieler Kommentatoren würde die Einführung eines Mehrheitswahlrechts jedoch die Hoffnungen auf Überwindung der politischen Probleme Polens nicht erfüllen. Anstatt die Dominanz der Parteien aufzubrechen, würde ein Mehrheitswahlrecht die bestehende Spaltung der polnischen politischen Landschaft »zementieren« und einer weiteren Bipolarisierung zwischen Bürgerplattform und Recht und Gerechtigkeit (Prawo i Sprawiedliwość – PiS) Vorschub leisten. Nach einer Simulation von »Polityka Insight« auf der Basis der Parlamentswahlen 2011 und unter Ausklammerung der nicht abschätzbaren psychologischen Effekte hätten Ein-Personen-Wahlkreise folgende Sitzverteilung für den Sejm ergeben: Die PO hätte mit 39,2 Prozent der Stimmen 306 der 460 Mandate im Sejm erzielt und damit nur um einen Sitz die verfassungsändernde Mehrheit verfehlt (66,5 Prozent). Neben der PiS, die mit 29,9 Prozent der Stimmen 151 Mandate hätte erringen können (32,8 Prozent der Mandate), wäre nur noch die PSL mit drei Abgeordneten im Parlament vertreten gewesen (8,4 Prozent der Stimmen; 0,7 Prozent der Mandate). SLD (8,2 Prozent der Stimmen) und Deine Bewegung (Twój Ruch, 10 Prozent der Stimmen) wären ohne Mandate geblieben.

Zudem könnte die wahlgeographische Struktur Polens das Entstehen von sicheren Hochburgen einzelner Parteien begünstigen und so der direkten Verantwortlichkeit und einer stärkeren gesellschaftlichen Partizipation entgegenwirken. Während die PO im westlichen Teil des Landes dominiert, liegen die Hochburgen der PiS vor allem in Ost- und Zentralpolen. Demgegenüber konnten PSL und SLD nur in einzelnen Gemeinden/Landkreisen eine relative Stimmenmehrheit erzielen. Inwiefern sich diese regionalen Hochburgen in Mandate übersetzen würden, wäre entscheidend vom Zuschnitt der jeweiligen Wahlkreise abhängig.

In der polnischen Bevölkerung stieß das Mehrheitswahlrecht auf eine konstant höhere Zustimmung als ein reines Verhältniswahlrecht. Während laut Umfragen des Meinungsforschungsinstituts CBOS im Durchschnitt fast 38 Prozent ein Mehrheitswahlrecht befürworten, lag die Unterstützung für das Verhältniswahlrecht im Durchschnitt nur bei 18 Prozent und erreichte 2015 mit 14 Prozent Zustimmung einen absoluten Tiefstwert. Im Vergleich zu früheren Umfragen stieg zudem die Unterstützung für Mischsysteme von 9 Prozent (2006) auf 17 Prozent (2015) an. Auch in den Monaten vor dem Referendum unterstützte die Mehrheit der Befragten die Einführung eines Mehrheitswahlrechts (60 Prozent laut TNS Polska; 61 Prozent – IBRiS; 62 Prozent – Millward Brown), wenngleich CBOS einen Rückgang der Unterstützung von 54 Prozent auf 41 Prozent zwischen Juni und August feststellte.

Das System der staatlichen Parteienfinanzierung nach 1989

Mit der Neuentwicklung des polnischen Parteiensystems nach dem ausgehandelten Systemwechsel 1989 bestand die Notwendigkeit der gesetzlichen Regelung der Parteitätigkeit, insbesondere im Hinblick auf die Parteifinanzen. Die fehlende Regulierung der Anfangsjahre nutzte nach Ansicht einiger Autoren insbesondere dem Solidarność-Lager, da dieses den Wahlkampf mit verschiedenen Mitteln aus dem In- und Ausland »unkontrolliert« finanzieren konnte, und wurde so zu einem Bumerang für das Ancien Régime, das sich von der fehlenden Wahlkampfkostenerstattung eine Schwächung der Opposition erhofft hatte. Der Versuch der Polnischen Vereinigten Arbeiterpartei (Polska Zjednoczona Partia Robotnicza – PZPR) das Parteivermögen abzusichern, führte zu einer Welle der Empörung in der Gesellschaft und bereitete den Boden für die Einführung eines Parteiengesetzes.

Das nach kontroversen Debatten verabschiedete Gesetz sah den expliziten Verzicht auf staatliche Subventionen vor. Zu den Einkommensquellen der Parteien gehörten damit per Gesetz Mitgliedsbeiträge, Spenden, Erbschaften, Vermögenserträge sowie Gewinne aus wirtschaftlicher Tätigkeit. Trotz einer im Gesetz genannten Wahlkampfkostenerstattung erhielt keine der 1991 gewählten Parteien eine Rückzahlung.

Erst mit der Wahlrechtsreform vom 28. Mai 1993 wurde die Erstattung der Wahlkampfkosten für die Parteien tatsächlich eingeführt. Diese blieb allerdings auf diejenigen Parteien beschränkt, die Mandate erringen konnten. Für viele Gruppierungen, die wie das Katholische Wahlbündnis »Vaterland« (Katolicky Komitet Wyborczy »Ojczyzna«) mit 850.000 Stimmen knapp an der Sperrklausel scheiterten, bedeutete die fehlende Rückerstattung der Kosten nicht nur das politische, sondern auch das finanzielle Aus. Die Gesamtsumme der Rückerstattungen wurde auf 20 Prozent der Ausgaben für die Durchführungen der Wahlen zu Sejm und Senat reduziert und auf der Basis des Anteils der erzielten Mandate in beiden Kammern berechnet.

Mit der Verabschiedung des Parteiengesetzes vom 27. Juni 1997 wurde das polnische Parteiensystem auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt. Mit dem in der Verfassung verankerten Prinzip der Offenlegung der Finanzen wurde der Bereich der wirtschaftlichen Tätigkeit stark reguliert und die Beteiligung an staatlichen Betrieben verboten. Zudem wurden zusätzlich zur Wahlkampfkostenerstattung direkte staatliche Subventionen eingeführt, die 60 Prozent der Gesamtausgaben für Parteien umfassen sollten.

Um die Kontrolle über Einnahmen und Ausgaben der Parteien sicherzustellen, wurden die Parteien zu jährlichen Rechenschaftsberichten verpflichtet. Bei der Regelung der Wahlkampfkostenerstattung wurde der Mandatsgewinn bei Sejm- oder Senatswahlen als Subventionsvoraussetzung zunächst beibehalten. 2001 kam es zu weiteren Modifikationen, die die Subventionen für mandatsreiche Parteien reduzierten (System der steigenden proportionalen Degression) und die Wahlkampfkostenerstattung auf alle Parteien mit einem Stimmenanteil von mindestens drei Prozent (bei Wahlkoalitionen sechs Prozent) ausweiteten.

Ende 2010 wurde von der Bürgerplattform, Polen ist am Wichtigsten (Polska Jest Najważniejsza – PJN) und der Polnischen Sozialdemokratie (Socjaldemokracja Polska – SdPL) gegen die Stimmen von PSL, SLD und PiS eine Kürzung der staatlichen Subventionen von 114 Millionen Zloty auf 54 Millionen Zloty beschlossen. Nach der Unterschrift von Präsident Komorowski trat das Gesetz am 1. Januar 2011 in Kraft und reduzierte die Subvention pro Stimme, je nach Stimmenanteil, auf einen Betrag zwischen 5,77 und 0,87 Zloty. Die Jahressubventionen berechnen sich auf Basis der Wahlkreisstimmenanteile anhand folgender Formel: S=W1 (0–5 % Stimmen) x 5,77PLN + W2 (5–10 %) x 4,61 PLN + W3 (10–20 %) x 4,04 PLN + W4 (20–30 %) x 2,31 PLN + W5 (>30 %) x 0,87 PLN.

Keine Debatte über die Funktion der staatlichen Subventionierung

Die Kartellisierung bzw. die – so der polnische Sprachgebrauch – »Zementierung« des Parteiensystems ist eines der Hauptargumente für die Abschaffung der Parteienfinanzierung und die Durchführung des Referendums. In Verbindung mit der Veränderung des Wahlrechts wird eine neue Entwicklung bei der Bereitschaft wählen zu gehen erhofft, die sich dann positiv auf das politische System und die Demokratie im Allgemeinen auswirken würde und – so Kukiz – Polen von der Parteienherrschaft befreien würde. Das Postulat der Abschaffung der staatlichen Parteienfinanzierung ist jedoch fast genauso alt wie die gesetzliche Bestimmung selbst. Die Regierungspartei PO schrieb es sich bereits während ihrer Gründungsphase 2000/2001 auf die Fahnen.

In der polnischen Bevölkerung zeigt sich seit Jahren eine Ablehnung des bestehenden Systems der Parteienfinanzierung. Wie die Umfrageergebnisse von CBOS verdeutlichen, wurde insbesondere der Ausbau der staatlichen Parteienfinanzierung um die Jahrtausendwende wahrgenommen, die 2008 nach Ansicht von 66 Prozent der Befragten die Haupteinnahmequelle der Parteien war (2000: 25 Prozent). Gleichzeitig befürworteten lediglich sechs Prozent die staatliche Subventionierung, während fast 60 Prozent der Befragten für eine Finanzierung der Parteien aus Mitgliedsbeiträgen und Unterstützung von Sympathisanten optieren.

Die Ablehnung der staatlichen Parteienfinanzierung und die Wahrnehmung der Verschwendung öffentlicher Gelder wurden zudem durch mehrere Skandale genährt. So veröffentlichte die Wochenzeitschrift »Newsweek« im Sommer 2013 die Ausgaben der Parteien und zeigte, dass die PO in den Jahren 2010 bis 2012 96.000 Zloty für Weine und Zigarren ausgegeben hatte. Obwohl die Summe dieser nicht statutkonformen Ausgaben verschwindend gering war, reagierte die PO mit einem erneuten Reformvorstoß, der jedoch keine Zustimmung im Parlament fand.

Demgegenüber fanden die möglichen systemischen Auswirkungen einer Änderung der Parteienfinanzierung nur wenig Berücksichtigung. Tatsächlich gibt es nur in sechs von 44 europäischen Ländern keine staatliche Parteienfinanzierung. Deren zunehmende Bedeutung wird in der politikwissenschaftlichen Literatur unter anderem auf die Veränderung der Parteiorganisationen zurückgeführt. Nach Katz/Mair kam es seit den 1960er Jahren zu einem Bedeutungsverlust der selbstfinanzierten Massenparteien und der Entstehung neuer Parteitypen. Die ideologische Entladung und die damit einhergehende geringere Rolle der Parteibasis zugunsten der Parteizentrale und der Fraktion mündete in die Entstehung von Catch-All-Parteien, deren finanzielle Existenz zu einem deutlich höheren Anteil von staatlichen Mitteln abhängt. Das vorläufige Ende dieser Entwicklung markieren sogenannte Kartellparteien, die sich in einer starken Abhängigkeit von staatlicher Parteienfinanzierung befinden und bestrebt sind, neuen Parteien den Zugang zu erschweren.

Die polnischen Parteien scheinen diesem Typus noch stärker zu entsprechen als die deutschen Parteien, zeichnen sie sich doch durch eine deutlich geringere Verwurzelung in der Gesellschaft aus. Während in Deutschland 2,3 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung Mitglied in einer politischen Partei sind (in Österreich gar 17,3 Prozent), liegt der Anteil in Polen bei unter einem Prozent und damit auch im gesamteuropäischen Vergleich auf dem vorletzten Platz. Diese strukturelle Schwäche bei den Mitgliedern wird besonders deutlich, wenn man berücksichtigt, welche Rolle die staatliche Parteienfinanzierung insgesamt spielt. Die beiden größten Parteien im polnischen Parlament – PO und PiS – generieren nicht einmal fünf Prozent ihrer Einnahmen aus Mitgliedsbeiträgen. Sie unterscheiden sich damit signifikant von z. B. deutschen Parteien, deren finanzielle Abhängigkeit von staatlichen Mitteln durch die vielfach stärker ausgebauten, wenngleich abnehmenden Mitgliederzahlen deutlich geringer ausfällt.

Die mit dem Ausbau der staatlichen Parteienfinanzierung einhergehende Stabilisierung der polnischen Parteienlandschaft (mit Ausnahme von Twój Ruch ist es seit 2001 keiner neuen Partei mehr gelungen, in den Sejm einzuziehen; zu beobachten ist der Rückgang der Volatilität) scheint daher fragil zu sein. Tatsächlich lässt die geringe Mitgliederbasis der polnischen Parteien die Forderung nach einer Finanzierung allein aus Mitgliedsbeitragen wenig realistisch erscheinen. Dementsprechend stellt sich die Frage, inwiefern die bestehenden Parteien ohne staatliche Zahlungen überlebensfähig wären oder ob eine Abschaffung des bisherigen Systems der Parteienfinanzierung mit dem Fortbestand des Parteiensystems kompatibel wäre.

Verfassungsrechtliche Bedenken und Probleme im Vorfeld des Referendums

Die überhastete Initiierung des Referendums durch Präsident Komorowski nach der verlorenen ersten Runde der Präsidentschaftswahlen wurde von vielen Beobachtern als taktisch motiviert kritisiert. Gleichwohl waren nicht nur der Zeitpunkt der Ankündigung des Referendums und die Kosten von 84 Millionen Zloty Gegenstand der Kritik – auch die Fragen selbst riefen Diskussionen und Zweifel an deren Verfassungskonformität hervor, da die Verfassung nur Referenden zu Fragen mit besonderer Bedeutung für den Staat vorsieht. Konkret wurden den Bürgern drei Fragen, die mit Ja oder Nein beantwortet werden konnten, zur Abstimmung vorgelegt:

Sind Sie für die Einführung von Ein-Personen-Wahlkreisen bei den Wahlen zum Sejm der Republik Polen?Sind Sie für die Beibehaltung des bisherigen Systems der Parteienfinanzierung aus dem Staatshaushalt?Sind Sie für die Einführung einer allgemeinen Regelung, der entsprechend bei steuerrechtlichen Zweifelsfällen immer zugunsten des Steuerzahlers entschieden wird?

Die Frage nach der Neuregelung der Lohnsteuer hatte durch eine zwischenzeitliche Gesetzesänderung bereits vor dem Referendum an Bedeutung verloren. Auch die Frage nach der Unterstützung des bisherigen Systems der staatlichen Parteienfinanzierung erschien angesichts ihrer Vagheit problematisch, da unklar blieb, was die Alternative wäre: eine Reform des bisherigen Systems mit der Beibehaltung staatlicher Mittel oder eine vollständige Abschaffung der staatlichen Parteienfinanzierung. Die meisten Kontroversen löste allerdings die erste Frage nach der Einführung von Ein-Personen-Wahlkreisen für die Wahlen zum Sejm aus. Während unter Verfassungsrechtlern grundsätzlich umstritten ist, inwiefern eine solche Frage rechtlich zulässig ist, wäre auch die Änderungsprozedur kompliziert gewesen.

Konkret zielte das Referendum auf Art. 96 (2) der polnischen Verfassung ab, der vorschreibt, dass die Wahlen zum Sejm einen proportionalen Charakter aufweisen und folglich ein Mehrheitswahlrecht ausschließen. Selbst ein rechtlich verbindliches Referendum (d. h. eine Wahlbeteiligung von mehr als 50 Prozent) hätte der Zustimmung von Sejm und Senat mit verfassungsändernder Mehrheit (Sejm: 2/3 Mehrheit; Senat: absolute Mehrheit) bedurft, um entsprechende Änderungen umzusetzen. Die konkrete Ausgestaltung des Wahlrechts (Einteilung der Wahlkreise, absolutes oder relatives Mehrheitswahlrecht etc.) wäre wiederum Aufgabe des Sejm gewesen.

Verlauf und Ergebnis

Im Gegensatz zu den Parlamentswahlen gab es vor dem Referendum nur einen sehr verhaltenen Kampf um die Wählerstimmen. Sinnbildlich hierfür war der Platzhalter, der während der kostenlosen Werbezeiten im Staatsfernsehen eingeblendet werden musste, da viele der politischen Gruppierungen keine Werbespots produziert hatten. Darüber hinaus hatte die Staatliche Wahlkommission bereits frühzeitig klargestellt, dass die Referendumskampagne keine Elemente des Parlamentswahlkampfes enthalten dürfe. Dies führte dazu, dass viele Gruppierungen kein großes Interesse am Referendum zeigten und ihre Ressourcen für die deutlich wichtigere Parlamentswahl im Oktober aufsparten. Diese Entwicklung wurde durch die Kontroversen um einen PiS-Werbespot, der keinen Referendumsbezug aufwies, noch verstärkt.

Während die PiS trotz einer ablehnenden Haltung eine klare Positionierung hinsichtlich der drei Fragen vermied, um eine mögliche Koalition mit Kukiz im Sejm nicht zu gefährden, startete die neue Vereinigte Linke (Zjednoczona Lewica) unter der Führung von SLD und Twój Ruch ihre Kampagne am 20. August mit dem Slogan »Stopp den Ein-Personen-Wahlkreisen«. Dabei warnte sie vor einer Oligarchisierung, der Abschaffung der Opposition sowie dem hohen Anteil verschenkter Stimmen. Auch die PSL sprach sich gegen die angestrebten Änderungen aus.

Als einzige im Sejm vertretene Partei, die sich sowohl für die Majorzregel als auch für die Abschaffung der Parteienfinanzierung einsetzte, begann die PO ihren Referendumswahlkampf offiziell am 17. August mit der Vorstellung der Plakate »Ja zur Mehrheitswahl« und »Stopp der staatlichen Parteienfinanzierung«. In beiden Fällen machte die PO darauf aufmerksam, dass die PiS jeweils gegen diese Reformschritte sei.

Die geringe Präsenz der Referendumskampagne auf Werbeplakaten und Medien wurde von Experten kritisiert, da so das Ansehen des direktdemokratischen Elements sinken würde. Zudem wurden Stimmen laut, dass bei zukünftigen Referenden Überblicksbroschüren zu den jeweiligen Standpunkten der politischen Gruppierungen kostenlos an alle Haushalte verschickt werden sollten. Tatsächlich zeigten CBOS-Umfragen, dass einen Monat vor dem Referendum lediglich 20 Prozent der Polen sich ganz sicher waren, worum es beim Referendum gehen würde, und nur 41 Prozent sicher waren, am Referendum teilzunehmen.

Im Gegensatz zu der Veröffentlichung der Ergebnisse bei Parlaments- und Präsidentenwahlen bald nach Schließung der Wahllokale wurden von der Staatlichen Wahlkommission keine Zwischenstände bezüglich der Wahlbeteiligung herausgegeben. Die am darauffolgenden Tag veröffentlichten Ergebnisse waren für die meisten Beobachter ein Schock. Nach dem verhaltenen Verlauf der Kampagne rechnete kaum jemand damit, dass das notwendige Quorum von 50 Prozent der Wahlberechtigten erreicht worden war. Die tatsächliche Wahlbeteiligung von 7,8 Prozent unterbot jedoch die meisten Erwartungen. Von 30,5 Millionen Wahlberechtigten traten lediglich 2,4 Millionen den Gang zur Urne an. Dabei sprachen sich 78,75 Prozent der teilnehmenden Wähler für die Einführung von Ein-Personen-Wahlkreisen aus und votierten zu 82,63 Prozent gegen die Beibehaltung des bisherigen Systems der Parteienfinanzierung.

Schlussbetrachtung

Das Referendum kostete insgesamt 84 Millionen Zloty und wurde damit laut Staatlicher Wahlkommission zur teuersten Umfrage Europas. Umgerechnet kostete das Referendum etwa 30 Zloty pro Wählerstimme. Die niedrige Wahlbeteiligung wurde in den ersten Kommentaren als eine demokratische Farce bezeichnet. Zudem wurde darauf hingewiesen, dass das Referendum als direktdemokratisches Element innerhalb der repräsentativen Demokratie Polens durch seine wahltaktische Instrumentalisierung in seinem Prestige und Ansehen geschädigt wurde.

Außer der direkten Demokratie, die ad absurdum geführte wurde, können sicherlich die Bürgerplattform mit dem abgewählten Präsidenten Komorowski sowie das Kukiz-Lager als Verlierer des Referendums bezeichnet werden. Auf der anderen Seite bleibt jedoch festzuhalten, dass das missglückte Referendum aufgrund der beschriebenen Zusammenhänge zwischen dem proportionalen Wahlsystem sowie den staatlichen Subventionen und der Stabilität des Parteiensystems im Ganzen als ein Sieg für das politische System Polens gewertet werden kann. Gleichwohl bleibt das Grundproblem, die große Unzufriedenheit mit der politischen Klasse und die Wahrnehmung eines zunehmend größer werdenden Reformbedarfs des politischen Systems in Polen, bestehen. Aus dieser Perspektive erscheint die Unterstützung für das Mehrheitswahlrecht und für die Abschaffung der staatlichen Parteienfinanzierung vor allem als ein Ausdruck dieser breiten Unzufriedenheit. Ob diese Einstellung durch das Referendum aufgelöst bzw. abgemildert wurde, kann allerdings bezweifelt werden – vielmehr scheinen sich neue Probleme herauszubilden, deren Beurteilung Gegenstand zukünftiger Analysen sein wird.

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